Archiv

Archiv für Februar, 2009

Piloten-Check 3: Von der Seite

13. Februar 2009 Keine Kommentare

Der Kollege Murmel Clausen berichtet:

Es ist schwer, über einen Piloten zu schreiben, wenn große Teile des Casts nicht zu ergoogeln sind: Martin, gespielt von einem anderen Chris Hannon als dem Wide Receiver der Detroit Lions, kommt in der Sitcom „The Site“ auf die Kombination aus Schweinefarm und Zeltplatz (daher der Name) seiner Eltern zurück, da sein Vater (Colin Prockter — googlebar!) gestorben ist. Tatsächlich hat der aber seinen Tod nur vorgetäuscht, um an seine Lebensversicherung zu kommen, weil er beim reichsten Mann des Ortes, Ironweed (Clive Russel), hoch verschuldet ist. Diese Schulden erbt nun Martin — und er hat bis zum Morgengrauen Zeit, das Geld aufzutreiben. Ansonsten soll er an ein Schwein verfüttert werden, das wiederum an ein Schwein verfüttert werden soll, welches einem Schwein zum Fraß vorgeworfen werden soll.

Das zentrale Thema dieser ersten Folge ist die Liebe der Landbevölkerung zu ihren Schweinen. Besonders die alte Schweinedame Cecily hat es allen angetan. Martins Eltern haben ihr sein altes Kinderzimmer gegeben und lieben sie mehr als ihren Sohn. Als Ironweed schließlich Martin vorschlägt, ihm statt der Schulden Cecily auszuhändigen, kommt es zu einer tiefen Familienkrise. Die Eltern können sich nicht zwischen Martin und dem Schwein entscheiden…
Der Pilot hat mir viel Freude bereitet, schon weil der Autor Henry White unglaublich komische Details in sein Werk eingebaut hat: Allein dass der Vater verschuldet ist, weil er für 20 000 Pfund eine riesige Holzstatue gekauft hat, um auf ihr ein paar Zigeuner zu verbrennen, was letztlich Touristen auf seinen Campingplatz locken sollte, ist so liebevoll unschuldig umgesetzt, dass man es dem Vater gar nicht übel nimmt. In der Hoffnung, dass „The Site“ fortgesetzt wird, suche ich jetzt weitere Informationen über den Produzenten der Show, Pete Thornton — und nein, Wikipedia, ich meine nicht den Peter Thornton aus „MacGyver„…

Brieffreundinnen müßte man sein!

12. Februar 2009 2 Kommentare

Nur selten werden heute noch Briefroman geschrieben: Kein Wunder, schließlich gewinnt die Handlung eines Romans viel langsamer an Fahrt, wenn man statt heutiger Cut-Up-Techniken die antiquierte, sehr reflexive Form eines Briefwechsels nimmt, in die Langatmigkeit und Umständlichkeit schon eingeschrieben sind. Beim Stichwort Briefroman denke zumindest ich sofort an berittene Postboten, die wochenlang durch russische Steppen des 18. Jahrhunderts reiten, um einen fünfzigseitigen Brief zuzustellen, auf den dann drei Wochen später eine ebensolange Antwort nochmal vier Wochen unterwegs ist — eine eher abschreckende Form jedenfalls im Zeitalter von Email und Twitter.

Nichtsdestoweniger wagt ITV3 nun mit Ladies Of Letters ein Experiment, das ich wenn schon nicht in voller Länge besichtigen, dann doch für seine Chuzpe wenigstens hier im Blog bewundern muß: Die Übertragung dieses Briefwechselformats — ins Fernsehen! Wie um Himmels Willen das funktionieren soll? Indem die beiden Hauptdarstellerinnen, zwei alleinstehende englische Ladies der oberen Mittelschicht, die es sich längst jenseits des Klimakteriums häuslich eingerichtet haben, ihre, ja: Briefe tatsächlich in die Kamera hineindeklamieren. Das ist für den Zuschauer genauso anstrengend, wie es sich anhört, und entbehrt dennoch nicht eines gewissen Reizes: Denn die Ladies lesen und, äh, schreiben bzw. rezitieren ihre Briefe oft innerhalb eben der Szenen, die sie beschreiben, Flashbacks illustrieren oder konterkarieren dabei ihre Monologe, Auslassungen, Beschönigungen, kleine und große Lügen tragen zu ein wenig Spannung bei, und auf diese Weise kommt doch noch Leben in die eigentlich für’s Fernsehen denkbar ungeeignete Form. Und obwohl ich weder der Generation noch dem Geschlecht der von ITV3 angepeilten Zielgruppe angehöre, freue ich mich doch, daß so eine schöne und innovative Form in England ohne weiteres ausprobiert wird und offenbar ihr Publikum findet; vielleicht nicht zuletzt, weil die gleichnamigen Bücher und eine entsprechende Radioserie (mit Prunella „Sybil Fawlty“ Scales aus „Fawlty Towers“ in einer der Hauptrollen) in Großbritannien seit langem äußerst beliebt und erfolgreich sind.

Piloten-Check 2: (ohne Worte)

9. Februar 2009 Keine Kommentare

Die Irokesen-Haarschnitte, einer rot, einer gelb gefärbt, kontrastieren prima mit den schwarzen Anzügen, die die beiden japanischen Straßenkünstler Ketch! und HIRO-PON in ihrem Piloten Ketch! & HIRO-PON Get It On an allerlei öffentlichen Orten spazierentragen: Am Strand, im Café, auf dem Parkplatz — überall versuchen sie, eine Frau für Ketch! (oder HIRO-PON?) zu finden und sie mit magischen Fähigkeiten zu beeindrucken. Das klappt mal besser, mal schlechter, aber stets ohne Worte, und wirkt dank allerlei Regie-Sperenzchen recht surreal. Hin und wieder allerdings auch ein bißchen gewollt edgy — ganz so, wie man es von der Produktionsfirma BabyCow halt gewohnt ist, die mit dem kleinkriminellen Dealer Moz und „Ideal“ eine ebenfalls recht bunte Figur in einer leicht unwirklichen Welt geschaffen hat. „Ideal“-Creator Graham Duff ist prompt auch bei „Ketch! & HIRO-PON Get It On“ mit von der Partie, in diesem hübschen Ausschnitt aber nicht zu sehen (hohe Auflösung empfohlen):

Bis jetzt gibt es nur die Pilotfolge (BBC3, 6.2.), die eine halbe Stunde lang und sehr unterhaltsam ist, weil die physical comedy des Duos Gamarjobat in Kombination mit cleveren Einstellungen und rückwärts aufgenommenen Szenen einen ganz eigenen Look irgendwo zwischen Straßenkunst und Sketchshow ergibt.

Komische Erleichterung

7. Februar 2009 Keine Kommentare

Man stelle sich vor: Gerhard Schröder hätte mit Anke Engelke einen Sketch im Kanzleramt gespielt, Harald Schmidt wäre nackt über den Alexanderplatz gerannt, und Erkan & Stefan hätten die Effenbergs interviewt, ihnen dabei anzüglichste Fragen über Oral- wie Analsex und Onanierverhalten gestellt, ohne daß die Interviewten aber empört auf und davon gerannt wären, sondern, ebenso wie Schröder und Schmidt, den Unfug bereitwilligst mitgespielt hätten — und alles im Namen einer Spendenaktion für Afrika und für einen Fernsehabend der Superlative. Schwer vorzustellen, wie? In Großbritannien hat Tony Blair in 10 Downing Street Catherine Tate für einen Sketch empfangen, Billy Connolly ist splitterfasernackt über den Picadilly Circus gesprintet, und über das Interview, das Ali G. (alias Sacha Baroh Cohen) mit Posh und Becks geführt hat, wird noch heute in jeder Sekunde irgendwo auf der Welt gelacht (Quelle: selbst ausgedacht). Kein britischer Star ist sich zu schade, einmal im Jahr für die Comic Relief-Fernsehgala die Hosen runterzulassen – und sei es im wörtlichen Sinne, wenn es sein muß.

Comic Relief heißt die Wohltätigkeitsorganisation, die den Red Nose Day initiiert hat; benannt aber hat sie sich nach einem Effekt, der im Fernsehen und auf der Bühne nach einer besonders spannenden, tragischen oder erschreckenden Szene durch einen komischen Effekt zum Abbau der psychischen Anspannung beim Zuschauer sorgt. Die Comic Relief-Fernsehshow bietet denn auch beides: Neben den komischen Einlagen von Comedians, Bands, Schauspielern und Politikern berichten eben diese Stars in kurzen Reportagen aus den Elendsgebieten Afrikas. Für deutsche Sehgewohnheiten ist es irritierend, wie sorglos die Briten in einer Fernsehshow Comedy und dramatischste Berichte über Hungerkatastrophen, Völkermord und Seuchen nebeneinanderstellen, denn wir sind eine scharfe Trennung zwischen leichter Unterhaltung gewohnt, die in erster Linie gemütlich sein soll, und ernsten Reportagen, deren Urheber niemals in den Verdacht kommen möchten, Fernsehunterhaltung zu produzieren. Das Wechselbad aus Beklemmung und Befreiung scheint in Großbritannien aber hervorragend zu funktionieren: Jährlich werden, per Telefon erhoben, recht beachtliche Spendensummen eingenommen, nicht selten über 30 Millionen Pfund allein während der Live-Sendung.

Zwei Höhepunkte der letzten Jahre waren der Beitrag von Ricky Gervais und Stephen Merchant (2007) und das Interview von Ali G. mit den Beckhams (2006). Wer’s noch nicht gesehen hat: Hier ist der vollständige Beitrag inklusive der brillanten Frage an Victoria Beckham, ob ihr Sohn mal Fußballer werden sollen wie sein Papa oder singen — wie Mariah Carrey:

Und hier der nicht minder lustige Beitrag von Gervais und Merchant:

Der nächste Red Nose Day wird am 13. März sein und wieder mal nichts mit der eher traurigen deutschen Adaption zu tun haben, die Pro7 seit sechs Jahren halbherzig betreibt. Den Unterschied zwischen der englischen und der deutschen Mentalität hat mir mein britischer Gewährsmann Tom Harris gestern übrigens so zusammengefaßt: Briten gingen mit Begeisterung zum Karaoke, sprängen unvorbereitet auf die Bühne, um sich völlig zum Affen zu machen, wobei sie zwar keinen Ton träfen, sich und ihr Publikum aber prächtig amüsierten. Deutsche gingen erst mal grundsätzlich nicht zu Karaokeveranstaltungen, wenn aber doch, dann nur nach tagelanger Vorbereitung, damit sie möglichst richtig sängen, was wiederum alle honorierten, wobei sich aber niemand besonders gut unterhält. Schade eigentlich.

Eine informative „Comic Relief“-Doku der BBC, „Comic Relief – The Fool’s Guide“, gibt es online bei der BBC — aber leider nur für Bewohner des Königreichs. Buuuuh, BBC! Buuuuuuuh!

Julia, who is from Summerset

6. Februar 2009 Keine Kommentare
Aus München schreibt mir Murmel Clausen:
Massenmorde sind nicht unbedingt der naheliegendste Sitcom-Stoff; nimmt sich jedoch Julia Davis des Genres an, hält man bald nichts mehr für unmöglich. In ihrer SitcomNighty Night(produziert von Steve Coogans Firma BabyCow) spielt Davis die monströs egomane Friseuse Jill, deren Ehemann Terry (Kevin Eldon) mit Krebs im Krankenhaus liegt. Überzeugt davon, daß Kevin sterben wird, unternimmt sie alles, um ihr Leben abzusichern: Sie gibt sich als trauernde Witwe aus und versucht, ihrer an MS erkrankten und viel zu gutherzigen Nachbarnin Cathy (Rebecca Front, „I’m Alan Partridge“) den Ehemann (Angus Deayton) auszuspannen. Zusätzlich lernt sie über eine Kontaktbörse den psychisch kranken Glen (Mark Gattis) kennen, den sie zu lieben vorgibt, als er ihr erzählt, daß er sehr reich ist.
Neben den großartigen schauspielerischen Leistungen besticht „Nighty Night“ vor allem durch Jills tabulose Perfidität. Julia Davis, das erkennt man schon in der ebenfalls glänzenden Britcom Human Remains, scheint eine Schwäche für durchtriebene weibliche Charaktere zu haben. In sechs Episoden werden dort sechs englische Paare pseudo-dokumentarisch durch ihren Alltag begleitet. Neben Davis (verheiratet übrigens mit dem „Mighty Boosh“-Star Julian Barratt) glänzt dabei Rob Brydon („Gavin And Stacey“) als Co-Star wie -Autor. Ob als spießige Betreiber eines Bed & Breakfasts, die in ihrem Haus einerseits ein sterbendes Familienmitglied, andererseits einen kleinen, privaten  Swingerclub beherbergen — genaugenommen sogar Wand an Wand –, oder als suburban white trash couple, das ein Kind erwartet und die Hochzeit plant: In keiner Folge sind dem menschlichen Elend Grenzen gesetzt. Die Essenz der Serie ist recht einfach: Frau belügt Mann, Mann belügt sich, Frau belügt sich und Mann belügt Frau. Wer in naher Zukunft heiraten möchte, sollte die Finger von „Human Remains“ lassen. Und sich für die gleichen schlappen fünf Pfund was anderes bei Amazon bestellen. Das Marriage Book zum Beispiel.

The Old Guys

3. Februar 2009 Keine Kommentare

Sam Bain und Jesse Armstrong, die Autoren der prima Erfolgs-Britcom „Peep Show“, haben einen neue Mainstream-Comedy auf der Pfanne: „The Old Guys“. Tatsächlich scheint die erste Folge (31.1. auf BBC1) eine Variation des „Peep Show“-Plots zu sein: Das ungleiche Paar von Flatmates ist diesmal im Rentenalter, aber immer noch hinter scharfen Nachbarinnen her. Diesmal entspringen die Witze aus den Fragen, wer zuerst Alzheimer kriegt und wessen Blase die stärkere ist — ein entsprechender Wettbewerb führt schließlich dazu, daß beide auf der Party der scharfen Nachbarin, die sie so dringend besuchen wollten, nicht mehr an sich halten können und sich wg. der Schlange vor der Toilette schließlich in die Küchenspüle erleichtern: Die Küchentür konnten sie auch noch blockieren, durch die Durchreiche jedoch wird prompt die ganze Partygesellschaft Zeuge — Abspann, Ende.

Nicht revolutionär, aber im besten Fall eine klassische Fourth Wall Sitcom mit Katherine Parkinson, der Jen aus „The IT Crowd“, und zwei alten Zauseln, die mit one foot in the grave stehen. Definitiv einen zweiten Blick wert und wieder mal eine auf einen ganz bestimmten Teil des Publikums spezialisierte Sitcom, wie sie typisch ist für Comedyproduktionen dieser Tage.