Monsterdoku
Gut, das hier hat überhaupt nichts mit Comedy zu tun. Muß aber trotzdem raus und hier rein. Gestern gesehen: „Josef Fritzl: Story of a Monster“ auf Sky1, eine ziemlich gnadenlose Dokumentation über den Täter von Amstetten, die sich nicht zurückhält, haarsträubende Horrorfilmelemente zu benutzen: rieselnden Schnee, negativ gezeigt (also schwarze Flocken vor weißem Himmel), Überblendungen eines Fotos von Fritzl mit einer menschenleeren Straße, dräuende Musik, Verfremdungseffekte wie eine etwas langsamer gepitchte Frauenstimme, die die Briefe der Tochter vorliest, Einblendungen in Fraktur, ein vorangestelltes österreichisches „Sprichwort“ („If it’s not your business, don’t get involved.“). Die Aussagen der Mitschüler, Freunde, Nachbaren, Untermieter, des Faktotums, das Fritzl beim Kellerbau geholfen hat, und eines früheren Opfers Fritzls sind nicht synchronisiert, sondern untertitelt — sie sprechen also für sich. Selbstverständlich dürfen zu Beginn der Doku auch die allfälligen Nazibilder nicht fehlen, die die Kindheit und Jugend Fritzls unter (post-)faschistischen Umständen illustrieren sollen.
Niemals würde eine solche Dokumentation hier ausgestrahlt, wo etliche Medien den Fritzl noch immer als F. abkürzen, obwohl sie vergleichsweise subtil und im Grunde wenig sensationsheischend ist. Wirklich schockierend ist nicht ihr Stil, sondern sind die Menschen, die da gezeigt werden: Ein Horrorkabinett aus Strizzis und Spezerln, eine unerträgliche Mischung von Verschlagenheit und Dummheit schlägt einem da entgegen, die in Zeitungsberichten und Gerichtsreportagen schlechterdings nicht einzufangen ist. Die Videos und Super-8-Aufnahmen aus Urlauben und von einer Party bei einem der Untermieter zeichnen das Bild einer Welt, die man kaum für möglich gehalten hätte, und die offensichtlich auch die Beteiligten nur ertragen, indem sie von „man“ sprechen, wenn sie „ich“ meinen, und Passivkonstruktionen wählen („ist nie drüber gesprochen worden“), wo sie ahnen, daß ein bißchen mehr aktive Anteilnahme angezeigt gewesen wäre.
Warum aber ist es eigentlich so, daß deutsche und österreichische Medien sich eine solche Zurückhaltung auferlegen, wenn es um die Dokumentation derartiger Verbrechen geht? Die Opfer, um das klar zu sagen, werden auch in dem Stück von Sky1 geschützt und weitgehend außen vor gelassen. Es exponieren sich nur Menschen selbst, die mittelbar an den Amstettener Vorgängen beteiligt waren; selbstverständlich nicht nur zu ihrem eigenen Vorteil, aber freiwillig. Und nach dieser Dreiviertelstunde hatte ich das drängende Gefühl, daß die mitteleuropäische Diskretion in solchen Dingen tatsächlich eher angetan ist, Tätern eine ungute Privatheit ihrer Taten zuzugestehen als der Öffentlichkeit ein Recht darauf, sich selbst ein Bild zu machen von den Umständen, unter denen solche Taten möglich sind. Mir jedenfalls ist es jedenfalls ziemlich kalt den Rücken hinuntergelaufen bei der ungerührten Aussage des einen Untermieters, jetzt sei ihm klar, warum sein Hund im Garten jahrelang gelauscht und mit der Schnauze auf dem Boden herumgelaufen sei. Oder der Aussage des Urlaubsfreundes Fritzls, nun wisse man wohl, warum F. in Thailand ein Kleid gekauft habe, das seiner Frau ganz offensichtlich viel zu klein gewesen sei.
Ich würde als Arbeitshypothese vermuten, daß diese potentiell täterschützende Opferzurschaustellung (die ja die übliche Deklarierung des Täters als „Monster“ nicht ausschließt), die in solchen Fällen in den hiesigen Medien üblich ist (die Bild ruht ja nicht, bis sie von jedem Amokopfer mindestens ein Foto hat; oder was waren damals alle froh, daß mit Reemtsma endlich mal ein Intellektueller entführt wurde, weil der so richtig schön reflektiert Opfer sein kann), sich auf den ganzen Nazi-Täter-Opfer-Diskurs anwenden läßt. Aber dafür wäre wohl eher Georg Seeßlen oder so zuständig. Weswegen ich es auch besser dabei belasse.
Interessanter Gedanke! Konsequent weitergedacht, müßte dann nur jemand auf die Idee kommen, die Tocher sei und habe doch aber auch … (Wird’s ein Österreicher sein oder ein Deutscher?) Auf DIE Reportage von Bundeserinnerungsminister Guido Knopp in zehn Jahren darf man gespannt sein. Ob Josef Fritzls Gesicht dann wohl öfter im Abendfernseh gezeigt werden wird als das vom Hüttler?
Tippfehler: „MiT jedenfalls ist es jedenfalls ziemlich kalt den Rücken…“