You are all idiots!
Ich kann mittlerweile weite Teile auswendig mitsprechen, so sehr liebe ich „Nathan Barley“ (2005, Channel 4), die Mediensatire-Serie der nuller Jahre von Chris Morris und Charlie Brooker rund um selbstverliebte junge Medienaffen, die coole Websites, hippe Stadtmagazine und ganz generell „was mit Medien“ machen. Nathan Barley (Nicholas Burns) ist der Oberaffe, dessen Webpage trashbat.co.ck (dot cock, got it?) ihm als Ort der Selbstdarstellung dient, an dem er seine Gratismeinungen über George W. Bush neben „lustige“ Videoschnipsel mit gemeinen Streichen stellt, die er seinem Praktikanten spielt. Ein ganzer Affenfelsen für Hipster-Medienprimaten ist die Redaktion des Untergrund-Magazins „Sugar Ape“ (das „Suga“ steht klein im Bauch des R von „RAPE“): Dort sieht man sie mit ihren lustigen Hütchen auf ultramodernen Handys herumspielen, während sie schaukeln oder albern mit Tretautos herumfahren, sich in Hipster-Speak unterhalten und „Cock, Muff, Bunghole“ spielen, eine obszöne Variante von „Stein, Schere, Papier“ — so habe ich mir die Spex-Redaktion in den späten Neunzigern immer vorgestellt (bestimmt sehr zu Unrecht!). Permanent grinsende Idioten, die sich für etwas Besseres halten, für „in“ und „vorne“.
Für „Sugar Ape“ schreibt Dan Ashcroft (Julian Barratt, „The Mighty Boosh“), dem allerdings diese Idioten sehr auf den Sack gehen. „The Rise of the Idiots“ heißt sein wegweisender Essay über die Spezies, als deren Spitzenkraft Barley gelten kann:
Doch kaum ist Dans Leitartikel erschienen, gratulieren ihm ebendiese Idioten herzlichst zu seinen kritischen Auslassungen, jubeln ihm nach Kräften zu und beginnen ihn regelrecht als Preacher zu verehren. Eine Rolle, die er aus Sachzwängen (Geldnot) annimmt, um in der zweiten Folge auf einer Club-Bühne als Prediger verkleidet aufzutreten. Ein Auftritt, der ihm zutiefst widerstrebt, bei dem er schließlich aus der Rolle fällt und alle als Idioten beschimpft: „You are all idiots!“ — „Yes, we are all idiots!“ schallt es zurück; was sonst.
„Nathan Barley“ (die Figur geht auf Brookers satirische Website TVgohome zurück, hier gesammelte Barley-Einräge) ist atmosphärisch dicht, so voller böser, lustiger Details, daß man erst beim wiederholten Sehen alle wahrnimmt: Wie etwa ein Plakat im Hintergrund, das für „Email the Musical“ wirbt („Ross Kemp as Pixel, Lyrics by Ben Elton“). Es geht um die Sorte Kunst, die meine Frau als „Kunscht“ bezeichnet, wenn etwa eine Vernissage von Schwarzweißfotos vorkommt, in der Prominente beim Urinieren (z.B. in einen Toaster) ausgestellt werden („When you urinate you are actually a lot more relaxed than when you sleep!“) und um einen Klamottenladen namens „bumphuk“ — alles spot on gezeichnet. Allen voran die Figur des Nathan Barley, der über einen Beischlaf prahlt: „Kicked the brown door in, painted it white on the way out.“
Drastisch und hochkomisch, das alles. So nimmt es kaum Wunder, daß im Abspann praktisch nur Menschen stehen, denen ich jederzeit mein gesamtes Erspartes ausleihen würde, bräuchten sie denn Geld für eine neue Serie: Neben den Giganten Chris Morris („Jam“, „The Day Today“, „Brass Eye“) und Charlie Brooker („Dead Set“, „Charlie Brooker’s Screenwipe“, „Newswipe With Charlie Brooker“) u.a. Noel Fielding (wie Barratt in „The Mighty Boosh“), Oliver Chris („The Office“, „Green Wing“) und Richard Ayoade („The IT Crowd“); für die Musik zeichnet neben Morris selbst (der auch „Jam“ bereits zu Radiozeiten selbst mitvertont hat) auch Jonathan Whitehead verantwortlich, der seinerseits etwa den perfekten „Green Wing“-Score komponiert und eingespielt hat und immer phantastisch ist, wenn es um parodistische Musik geht.
Weiteres „Nathan Barley“-Material, das gerüchteweise in der Pipeline ist, würde ich aufs Entschiedenste begrüßen, selbst wenn es so schrecklich erfolglos sein sollte, wie es die Serie zu ihrer Zeit leider war. „Nathan Barley“ ist, soweit ich das überblicken kann, so ziemlich komplett bei YouTube zu sehen, und weil ich die Schnipsel hier nicht einbetten kann, gibts halt nur einen Link — mit der dringenden Empfehlung, sich die DVD zu kaufen, die ihrerseits ein veritables Gesamtkunstwerk mit aufwendigem Booklet und tollen Menüs und allem ist. Kaufzwang!
„[…] mit der dringenden Empfehlung, sich die DVD zu kaufen […]“
Wenn das mal so einfach wäre. Ich habe schon Anfang Dezember (!) bei Play.com bestellt und die warten immer noch darauf, dass sie wieder reinkommt.
Mir scheint fast, als wären sicherheitshalber nur zwei Dutzend produziert worden.
Eine zweite Staffel? Das wäre traumhaft.
Gibt es denn dazu genauere Informationen oder sind es tatsächlich nur Gerüchte?
Und Sie als Experte, was können Sie von Chris Morris noch empfehlen, außer den genannten Jam, Day Today und Brass Eye und seiner Rolle in The IT Crowd?
Großartig! Danke.
@plicktzah
mit einer zweiten staffel rechne ich eher nicht, brooker sprach irgendwo von einem möglichen kinofilm (ich glaube, ich bin durch einen link unter dem wikipedia-eintrag zu nathan barley drauf gestoßen). das ist aber noch sehr unsicher – wie offensichtlich praktisch alles bei film&fernsehen.
chris morris hat leider gar nicht so sehr viel mehr gemacht als das, was Sie da auflisten (wenn man mal von diversen radiosachen absieht). empfehlen kann ich noch seinen kurzfilm „my wrongs #….“, der bei warp erschienen ist; der ist aber weniger komisch als verstörend, etwa wie das „jam“-zeug. und es steht wohl noch ein kinofilm von morris über terrorismus ins haus, den ebenfalls warp produzieren möchte, nachdem bbc und channel 4 die idee nicht als serie machen wollten – aber ob sie in krisengebeutelten zeiten wie diesen noch das geld dafür zusammkriegen, weiß ich natürlich nicht.
The problem with „Nathan Barley“ was timing. Not the comedy sort, but when it was made. When it appeared on TV in 2005 the UK was up to its eyeballs in embarrassing-situation-driven comedy, because The Office had already been on since 2001. The characters in „Nathan Barley“ seemed all too familiar – it was not that we had seen a TV show like this before, we just knew actual people like that.
Nathan Barley first appeared in Brooker’s spoof TV listings website TVGoHome, which first appeared in 1999. If the TV series had been made 2, 3 or 4 years before it did it would have hit the Zeitgeist and been an instant cult classic. As it happened it was a huge disappointment in as far as it was the first new work Chris Morris (satire God) had done for ages, and, yes, the line up is outstanding.
All this probably sounds a bit harsh. When you are stuck at home on a wet, winter night in Quedlinburg, when the only alternative is Oliver Pocher or one of Hugo Egon Balder’s evening-filling mega-festivals of bland mediocrity, I would, of course, recommend watching Nathan Barley from start to finish – slightly disappointing it may have been, but it is still comedy genius, something which most German-speakers have difficulty getting their hands on.
Grandiose Serie, vielen, vielen Dank für den Tip!
Auch eine meiner Lieblingsserien. Nicholas Burns ist wirklich klasse.
Schönes Thema, das Hipsterbashing – es wird nie alt. Die selbsternannten kreativen Genies werden auch in meinem Lieblingsblog http://www.ichwerdeeinberliner.com ganz gut rund gemacht.