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Zum Lachen, zum Weinen

Es ist ja nur das eine, daß deutsche Journalisten die in Umfragen ermittelten „18 Prozent“ für Hape Kerkelings Horst Schlämmer nicht richtig interpretieren können oder wollen. Das andere ist, daß einige schon Probleme mit unterschiedlichen Medienformen haben, und daß alles aus und vorbei ist, wenn dann noch Komik ins Spiel kommt — Satire, Parodie, uneigentliches Sprechen, das ist offenbar zu hoch.

Jüngstes Beispiel: Ein Text von Minu Barati in der gestrigen Zeit, über dem in dicken, unsichtbaren Buchstaben stand: „Wir würden diesen Text auch drucken, wenn Minu Barati nicht die Frau von Joschka Fischer wäre.“ Sie hat offenbar sowohl den „Schlämmer“- als auch den „PARTEI“-Film gesehen, aber weder den einen noch den anderen verstanden, und das Phänomen, das sie dann beschreiben will, erst recht nicht. Geschenkt, daß auch Barati die „18 Prozent“ Schlämmerzustimmung, die Deutsche mit Sinn für Humor dem Forsa-Mann in den Block diktiert haben, wie all ihre Kollegen ernst nimmt und nicht als das, was sie sind: Einen Spaß, den Menschen in Umfragen eben mitmachen, wenn sie gefragt werden, ob sie sich vorstellen könnten, einem Spaßkandidaten ihre Stimme zu geben. Was das tatsächlich über Wahl- und Politikbegeisterung oder ihr Fehlen in Deutschland aussagen soll, ist mir vollkommen rätselhaft. Aber dann:

„In diesem Jahr erleben wir den wohl langweiligsten Wahlkampf aller Zeiten. Vielleicht bekommen Schlämmer und Sonneborn deshalb so viel Beachtung. Sie sind fiktive Figuren, wirken aber neben ihren ‚Politikerkollegen‘ erstaunlich real.“

Sonneborn eine fiktive Figur? Das wüßte ich. Während seiner Chefredakteurschaft bei TITANIC erschien er mir jedenfalls durchaus real, im Gegensatz zu Horst Schlämmer. Allerdings ist auch der nicht fiktiv, es gibt ihn ja, zumindest als eine Rolle des Komikers Kerkeling; Schlämmer ist mithin fiktional. Ein Unterschied, den man kennen könnte, wenn man an der „Berliner Fernsehakademie studiert“ hat und „eine Filmproduktionsfirma“ leitet.

Es scheint aber, als wäre es Barati lieber, die Wirklichkeit ihren Theorien anzupassen als umgekehrt:

„(Sonneborns) Gefolgschaft rekrutiert sich zum einen aus den eigenen Reihen der TITANIC-Anhänger und zum anderen aus Menschen, die nicht einmal eine rudimentäre politische Informationsfähigkeit empfinden und deren Konzentrationsfähigkeit auf einen Bierdeckel paßt. Hier wird ein Pool von Wählern gezeigt, den man zu fast allem mobilisieren kann.“

Ist das noch Ahnungslosigkeit oder schon Demagogie? Denn selbstverständlich hat Die PARTEI keineswegs die beschriebenen Vollidioten und willenlosen Zombies als Mitglieder, sondern Menschen, denen bewußt ist, daß Die PARTEI eine Satireveranstaltung ist, eine Parodie auf die echten Parteien und ihr mitunter leeres Geschwätz. Sie jubeln nicht den krausen Forderungen zu, die im übrigen kluge und mit Humor begabte Menschen wie Heinz Strunk, Rocko Schamoni und Oliver Maria Schmitt zum Besten geben, sondern dem Umstand, daß man auch dem größten Unsinn mit einfachen Mitteln (grauer Anzug, seriöses Gesicht) den Anschein richtiger Politik geben kann. Es sind Menschen, die den Witz verstanden haben — anders offenbar als Minu Barati.

Darum ist der allergrößte Unsinn natürlich der Satz

„Sonneborn und Die PARTEI wirken wie ein schamanisches Heilsversprechen bei Krebs im Endstadium. Erstaunt wird man in ein Paralleluniversum eingeführt, in dem Satire und Ironie nicht existieren.“

Äh: What?! Man braucht also nur seinen Sinn für Humor abstellen und kann ohne weiteres all den reinen und blühenden Unsinn um einen herum ernst nehmen — und allen Beteiligten unterstellen, auch sie nähmen den Unsinn ernst und könnten am Ende Wirklichkeit und Fiktion nicht mehr unterscheiden? Da scheint ein gewaltiger Dachschaden vorzuliegen.

Also noch mal zum Mitschreiben: Horst Schlämmer ist eine fiktionale Figur, nämlich die des Komikers Hape Kerkeling. Er existiert nicht wirklich, kann dementsprechend auch nicht wirklich kandidieren, und hat auch keine echte Partei hinter sich. Martin Sonneborn ist eine reale Figur, nämlich ein Publizist mit Namen Martin Sonneborn, der nach allen Regeln des Rechtsstaates eine richtige Partei gegründet hat, die aber mit satirischen Nonsens-Inhalten gefüllt ist. Über den Aufstieg und Fall dieser Partei wiederum ist eine Dokumentation gedreht worden, die mit fiktionalen Elementen angereichert ist.

Aber womöglich weiß das Frau Barati ja und hat sich nur einmal zum Spaß dumm und humorlos gestellt, um zu sehen, was passiert, wenn man aus dieser Perspektive einen Text über komische Filme und Phänomene schreibt. Was passiert ist, daß Die Zeit es dann in ihren Politikteil hineindruckt.

  1. 28. August 2009, 13:01 | #1

    Sehr gut geschrieben!

    Dein Artikel lässt ja wieder auf einige Untiefen innerhalb der deutschen Gesellschaft blicken. Zunächst einmal empört es mich unheimlich, dass man seinen verbalen Dünpfiff in die „Zeit“ entladen kann, bloss weil man mit einem zeitweise sogar respektablen Politiker liiert ist. Joschka Fischer leidet politisch aktuell sehr unter der Entscheidung diese Frau zu ehelichen; selbige Entscheidung wurde allerdings wohl auch kaum aus politischen Gründen sondern vermutlich eher ca. 20cm unter dem Bauchnabel vorgenommen.
    Weiterhin bin ich sehr entrüstet darüber, wie mit der Partei „DIE PARTEI“ seit erscheinen der blödel-Partei von Kerkeling (bzw. seiner Produktionsfirma) in der Presse umgesprungen wird. Leider ist der Blöd-Zeitungslesende Bodensatz der Gesellschaft zu dazu geneigt „DIE PARTEI“ mit ähnlichen Augen anzusehen und nicht als die gelebte und faszinierende Realsatire, die sie eben darstellt.

    Liebe Grüße,
    Jan (JoKer23)

  2. Dashcroft
    28. August 2009, 13:51 | #2

    JoKer23: 1. Wann war Joseph Fischer wohl je „zeitweise respektabel“? 2. Wer oder was sind Sie, daß Sie andere Menschen als „Bodensatz der Gesellschaft“ bezeichnen? 3. Was soll „Realsatire“ sein?

  3. 28. August 2009, 14:15 | #3

    Schön finde ich den Gedankengang, dass Konzentrationsfähigkeit auf einen Bierdeckel passen kann (es aber grundsätzlich nicht sollte). Steuererklärungen, jetzt noch Zeiteinheiten – auf absurde Ideen kommen manche Menschen.

  4. Krischan
    28. August 2009, 15:56 | #4

    Endlich sagt’s mal einer, wie’s ist!

  5. Dashcroft
    28. August 2009, 16:32 | #5

    Die Formulierung „eine rudimentäre politische Informationsfähigkeit empfinden“ (entwirrt bedeutet das: „eine politische Fähigkeit, die man empfinden kann“) und kompletter Nonsens wie „schamanisches Heilsversprechen“ (Schamanen versprechen ja in der Regel nichts, sondern veranstalten nur fleißig ihren Mummenschanz und reden höchstens mal in Zungen) könnten genau so auch von Mariam Lau née Nirumand stammen, die sich ja bekanntlich auch schon mal an diesem Sujet verhoben hat. Und daß Barati „Satire und Ironie“ zusammenwerfen würde, war eh klar.

    Demnächst dann der Artikel „Darf Satire wirklich alles, und wenn ja, wieviel?“ von, ja, von wem wohl?

  6. v. Gestern
    28. August 2009, 16:55 | #6

    Was tun wir jetzt, da wir nun wissen, welche Heidenangst man den Frau Baratis mit einer Turbojugend-Abordnung und schottenberockten Trinkern machen kann?

  7. 28. August 2009, 17:25 | #7

    Muss es nicht nach wie vor heissen, „die wunderschöne“ Frau Barati?

    (Falls dieser Kommentar wieder in der Schleife landet, weiss ich, woran es liegt, ändere die spamfilteraffine URL und entschuldige mich schon einmal vorab.)

  8. Wako
    29. August 2009, 19:10 | #8

    …ist es nicht trotzdem ein zauberhaft erleichterndes Gefühl zu wissen, wie **** das Mädel in Wirklichkeit ist?
    Edit: Vorsichtshalber von mir entschärft. O.N.

  9. Björn
    30. August 2009, 07:30 | #9

    danke. genau die gleichen fragen hätte ich dem blödmann gestellt!

  10. Torsten
    31. August 2009, 08:24 | #10

    Kurze Frage: Was ist „die Partei“ nun eigentlich? Spaßpartei oder Jugend-forscht-Projekt? Oder ein Mittel dem immer weniger witzigen Sonneborn die Einstellung der Spiegel-Online-Humor-Rubrik zu überleben?

  11. 31. August 2009, 11:06 | #11

    Ich finde es auch äußerst seltsam, dass die Frau Barati das alles nicht auseinanderkriegt mit Huomor, Ironie, Realität und Satire. Für sie ist das alles eins. Ähnlich wie bei Hajo Schumacher und seiner Horst Schlämmer Kritik.

    Vielleicht steckt Methode hinter des Nichtverstehenwollens oder -könnens? Das wäre mal interessant. Ich unterstütze die Dachschadentheorie. Oder hier mein Angebot: Die gute Frau ist nur halb so informiert wie sie tut, möchte polarisieren, aber versteht eben nicht worum es geht.

    Ich verlinke jetzt mal (größenwahnsinnig wie ich bin) auf meinen prophetischen Text und hoffe der Oliver liest ihn:

    http://derelefantpete.wordpress.com/2009/06/13/meinungsforschung/

  12. Ben
    31. August 2009, 12:08 | #12

    „der nach allen Regeln des Rechtsstaates eine richtige Partei gegründet hat, die aber mit satirischen Nonsens-Inhalten gefüllt ist.“

    Ja, wie die anderen Parteien halt auch. 😉

  13. Lethargo
    31. August 2009, 13:58 | #13

    Ich prognostiziere jetzt mal, dass gewisse Parteien mit disaströsem Wahlausgang noch innerhalb dieser Woche eine Schuldzuweisung an die „Spaßparteien“ rauslassen. So ist das halt mit den Gartenzwergputzern, sie lassen nicht nur den nötigen Humor vermissen, sie kennen auch den Unterschied zwischen Ursache und Symptom nicht.

  14. 31. August 2009, 14:03 | #14

    so langsam beginne ich eine gewisse Bwunderung für Herrn Kerkeling zu entwickeln,da erfindet er ruckzuck eine fiktionale Figur namens Minu Barati, jubelt der Zeit einen satirischen Text unter und alle fallen darauf rein !
    Chapeau Herr Kerkeling

  15. Will Power
    31. August 2009, 14:16 | #15

    mich amüsiert vor allem, dass frau b. eine analogie der aktuellen parteienlandschaft in deutschland zu „krebs im endstadium“ sieht.

  16. 1. September 2009, 06:33 | #16

    tut mir echt leid, ich hatte Rücken, und da habe ich die Frau Barati eben selbst mal schreiben lassen, hatte mich leider auf das Lektorat der ZEIT verlassen. – die haben aber gar keins.

    Mana Biruti

  17. 1. September 2009, 07:26 | #17

    Immerhin, ich habe lange überlegt, was oder wen sie eigentlich genau mit dem Krebs im Endstadium meint.

  18. schroeder
    1. September 2009, 10:40 | #18

    Vielen Dank fürs genaue Hinschauen!
    Ich hatte den Artikel überflogen, seufzend weggelegt und mich noch kurz gefragt, ob die ZEIT den Text auch mit Bildchen versehen hätte, wenn Frau Barati ähnlich verknautscht anzusehen wäre wie Ihr energielobbyistischer Gatte. Hätte sich ja wider Erwarten doch gelohnt, sich damit zu befassen.

  19. 2. September 2009, 11:46 | #19

    @Dashcroft
    Zu 1.: Zumindest in seiner Zeit als Ausseminister.
    Zu 2.: Sie sind Bildzeitungsleser?
    Zu 3.: Nun, wenn man die aktuelle Politik und den Finanzmark anschaut. wenn das keine Realsatiere ist.

  20. Dashcroft
    2. September 2009, 16:13 | #20

    „Politik“ und „Finanzmark“ – müßte es dann nicht „wenn das keine Realsatiere SIND“ heißen?

  21. ABCD
    2. September 2009, 19:33 | #21

    In der Tat ist es Besorgnis erregend, mündige Menschen (wobei ich anmerken möchte, dass auch diese oftmals klug sind, der durchschnittliche TITANIC-Leser entstammt eher dem akademischen Umfeld), denen der Satire-Charakter der PARTEI durchaus bewusst ist (wobei einem die Realität immer öfters als Satire anmutet, ich erinnere nur an das Tittenraushänge-Plakat der unsäglichen Frau Lengsfeld) mit den dumpfen Demagogie-Opfern wahrer Verhetzerparteien wie der NPD gleichzusetzen. Dieser Schluss, sei er nun von Vorurteilen oder Dummheit motiviert, ist für PARTEI-Sympathisanten in höchstem Maße beleidigend.

  22. Dirk
    2. September 2009, 23:17 | #22

    20 Kommentare? Was geht denn hier ab?

    Ich dachte bislang, hier geht’s um britische Sitcoms?

  23. Dirk
    2. September 2009, 23:19 | #23

    Was sind denn Realsatiere/Realsa-Tiere?

  24. 3. September 2009, 02:11 | #24

    @Dirk
    wenn bildblog verlinkt, geht es halt auch mal um deutschen humor, wenngleich das ein feld ist, das in wesentlich kürzerer zeit zu bestellen ist als das des britischen.

  25. 3. September 2009, 15:02 | #25

    @Oliver
    Na das glaube ich ja denn mal doch nicht. Auch wenn Britischer Humor im TV Facettenreicher ist als Deutscher, wer sich mal auf den deutschen Lesebühnen herumgetrieben hat, kann diesen Vorwurf nur milde lächelnd als Unsinn abtun.
    So wie britischer Humor sich nicht bei Mister Bean erschöpft, ist auch der deutsche Humor nicht mit Mario Barths Platitüden am Ende …
    Quasi als Beleg verweise ich nur auf Micha Ebelings legendäre 5 Minuten: http://video.google.com/videoplay?docid=2501668693082235219# als eine von vielen Facetten, die einem neben Pro7 schon mal verloren gehen können …

    p.s.: Der Artikel „Zum Lachen, zum Weinen“ hat mich bestens amüsiert.

  1. 28. August 2009, 19:36 | #1