Winterhysterie, Computerangst, Islamererphobie: Schön wäre es schon, wenn sich ein Fernsehfuchs wie Charlie Brooker einmal an den speziell deutschen Ängsten versuchen würde, wie er es in der ersten Ausgabe der zweiten Staffel „Newswipe“ (BBC4) nun mit den britischen getan hat. Allerdings sind die meisten Ängste, die die Massenmedien zu immer lauterem Geschrei veranlassen, durchaus übertragbar, und vor allem sind es die media narratives, die Diskurse, in die etwa 200 000 tote Haitianer viel besser hineinpassen als Millionen Tote durch irgendwelche irrelevanten Bürgerkriege in Afrika. Brooker schlägt einen schönen Bogen von den Schrecken von Acid House und Rave (und dem unmittelbar damit zusammenhängenden Horror der Drogen) in den späten Achtzigern über fleischfressende Bakterien, road rage, den Millenium-Bug, Terror und Pädophilie bis, tatsächlich, zum Winter- und Schnee“chaos“ von vor ein paar Wochen.
Doug Stanhope, in einer Verkleidung als verlotterter Versicherungsvertreter, stellt seine Sicht auf den Angst-Kult der US-Medien dar:
https://www.youtube.com/watch?v=o7wIomeEqCc&hl=de_DE&fs=1&
Komisch wirkten in dieser „Newswipe“-Folge vor allem die Ausschnitte von vor zwanzig Jahren, in denen der kleine Mann auf der Straße (gerne Hornbrillenträger und ältere Damen) ihre medial geprägten Ansichten zu Rave und Drogenkonsum äußern dürfen. Ich mußte aus irgend einem Grund an Frank Schirrmacher und Henryk M. Broder denken.
„I like a drink as much as the next man. Unless that man is Mel Gibson!“
Er hat’s immer noch drauf.
https://www.youtube.com/watch?v=qbe2dtRt0Ik&hl=de_DE&fs=1&
UPDATE Na ja, oder halt wenigstens ein Teil davon hier:
https://www.youtube.com/watch?v=6RSJ9eE43U0&hl=de_DE&fs=1&
UPDATE II: Chortle faßt den Abend und einige Reaktionen auf Gervais‘ Moderationen zusammen, und die nicht so freundlichen Kritiken lesen sich etwa so:
In the Daily Telegraph, author Toby Young blogged 45 minutes into the show: ‘His timing was off during his opening monologue and he seemed to get increasingly nervous as it became clear that his penis gags and ironic-but-not-really attempts to promote his DVDs were falling flat. At one point, it looked as though he might break into a flop sweat, the fear that haunts every stand up comedian. In future, Gervais should stick to poking fun at these sorts of events from the sidelines rather than being an official spokesman.’
Daß es englische Polizisten mit Humor gibt, weiß ich schon seitdem ich als Schüler mal zum Sprachunterricht auf der sympathischen Insel war. Da wollte ich von der gegenüberliegenden Straßenseite aus ein Foto von dem Haus machen, in dem ich zu Gast war, und ließ erst den Bobby vorbei, der gerade angeradelt kam — schließlich wußte ich aus Antifazeiten, daß Polizisten für gewöhnlich nicht darauf stehen, fotografiert zu werden. Ich also drückte ab, der Bobby drehte sich um, rief mir fröhlich „You missed me!!“ zu und fuhr weiter.
Der Bobby im nachfolgenden Film aber, der da lustig auf seinem Schutzschild einen Rodelhang in Oxford hinunterfährt, mußte sich anschließend von seinem Vorgesetzten ermahnen lassen, daß „Rodeln im Dienst unter Verwendung von Polizeiausrüstung und auf Kosten des Steuerzahlers“ keine gute Idee sei. Wie humorlos!
https://www.youtube.com/watch?v=VMPROa70RJg&hl=de_DE&fs=1&
Der Serienansatz ist nicht neu: Gewöhnliche Menschen, die plötzlich die Fähigkeiten von Superhelden haben, das gab es schon in „Heroes“ und „The 4400“. Aber „Misfits“ (E4 2009), die britische Variante des Themas, ist besser, weil es typisch englisch ist: einen Ticken dreckiger — und zwei lustiger.
https://www.youtube.com/watch?v=dkL6AOFgmls&hl=de_DE&fs=1&
Sie sind die letzten, von denen man sich retten lassen würde, und sie haben auch nichts dergleichen vor: fünf straffällig gewordene Jugendliche reißen ihre Sozialstunden in einem pittoresk desolaten Industriestadtviertel herunter. Großmaul Nathan wird von seiner Mutter vor die Tür gesetzt und ist damit obdachlos, Supernerd und Brandstifter Simon hat den flackernden Blick eines jungen Klaus Kinski, Vorstadtschlampe Kelly gibt sich als die Billigversion von Katie Price (falls das überhaupt vorstellbar ist), Partygirl Alisha ist beim Autofahren unter Alkoholeinfluß erwischt worden, und der Schwarze Curtis hat sich eine hoffnungsvolle Sportlerkarriere durch Drogenhandel versaut. Nun müssen sie Parkbänke streichen und Senioren die Langeweile bei Kaffee und Kuchen vertreiben — und nach einem mysteriösen Gewitter, bei dem sie beinah von koffergroßen Hagelkörnern erschlagen werden, auch noch mit merkwürdigen Begabungen umzugehen lernen, die einer nach dem anderen an sich feststellt: Kelly kann Gedanken lesen (die meistens nicht sehr schmeichelhaft für sie sind — sogar ihr Hund schlabbert ihr erst das Gesicht ab und denkt dann: Wenn die wüßte, daß ich mir gerade die Eier geleckt habe…), Simon wird hin und wieder unsichtbar, ohne diese Gabe aber steuern zu können, und Curtis hat in besonderen Momenten Flashforwards (bzw. kann tatsächlich in der Zeit zurückreisen und die Gegenwart verändern). Ihr Problem: Nicht nur sie haben durch das Gewitter merkwürdige Befähigungen erhalten…
Spoilers ahead, darum hier mein Tip: Wer dieses düster-komische Jugenddrama im Stile von „Skins“ mit allen überraschenden Wendungen sehen möchte, sollte lieber bestellen statt weiterzulesen.
Eine gute Nachricht für alle Fans von Victoria Pile und „Green Wing“:„Campus“, Piles jüngster Pilot, erhält eine eigene Serie. Das behauptet der British Comedy Guide, allerdings ohne Angabe von Quellen. Ganz egal, wie sehr sich Pile selbst plagiiert, indem sie das nicht mehr ganz frische Konzept von „Green Wing“ einfach auf die neue Serie überträgt und nur den Schauplatz von Krankenhaus auf Universität verlegt — ich werde es gerne sehen. Habe ich doch festgstellt, daß ich sogar das (auch ansonsten schöne) ComedyDrama „Teachers“ schon wegen seiner „Green Wing“ nicht ganz unähnlichen surrealen Momente gerne sehe, die dort aber sehr viel seltener sind als bei „Green Wing“ — mit Messerspitzen dosiert statt mit Schöpfkellen, sozusagen.
Die „Gavin and Stacey“-Macher haben prophezeit, daß trotz des offiziellen Serienendes womöglich weitere Folgen der allzu romantischen Comedy produziert werden könnten: 140 000 Freunde hat die Fortsetzungs-Petition schon bei Facebook (wo ich allerdings mindestens zwei Gruppen mit je 194 000 und 379 000 Mitgliedern sehe), zumindest ein weiteres Weihnachts-Special dürfte gesichert sein — in dem Stacey, zu Serienende schwanger wie ich es schon geahnt hatte, ihr Kind dann bereits haben dürfte, o je.
Weitere Folgen wird es außerdem geben von Miranda Harts Tollpatschcom„Miranda“ sowie von Charlie Brookers Panel Show „You Have Been Watching“.
Nein, er zieht sich nicht aus. „Stripped“ heißt das jüngste Programm des britischen Stand Up Comedian Eddie Izzard, das nun auf DVD erschienen ist, weil er auf Drag-Fummel und High Heels verzichtet und das Bühnenbild ein bißchen reduzierter hat gestalten lassen. Die hohen Absätze hätten ihn zuletzt in seiner Bewegungsfreiheit zu sehr eingeschränkt, erzählt Izzard, nun könne er wieder über die Bühne flitzen. Das entspricht auch seinem Vortrag: Die freien Assoziationsketten, die seine Comedy prägen, kreisen in „Stripped“ um alles von den Anfängen der Menschheit bis heute, um Wissenschaft und Gottesbegriff („Wissenschaftler haben Bunsenbrenner und Petrischalen und können Glas verbiegen. Religiöse Menschen haben ein Buch.“), Evolution, Wikipedia, Kühe (die über die Jahre offenbar nichts an Faszination für Izzard eingebüßt haben) und Sprache. Scrabble etwa muß während der Steinzeit mehr Spaß gemacht haben als heute:
Man muß schon ein bißchen aufpassen bei Izzard (zum Glück hat die DVD Untertitel [sogar deutsche sowie rumänische und ukrainische!], was sich auch bei Stand Up-Programmen mittlerweile eingebürgert zu haben scheint) — paßt man eine Sekunde nicht auf, verliert man den Faden, ist man aus seinen rasenden Assoziationsmäandern schnell draußen. Kann man ihnen aber folgen, baut Izzard mit sicherer Hand irre Konstruktionen aus komischen Versatzstücken, entwickelt Running Gags und Referenzen auf Gags, die sich gegen Ende des Programms so verselbständigen und verdichten, daß jeder, der nur die letzte halbe Stunde sieht, ihn (und sein Publikum) für völlig bekloppt halten muß: Das ergibt für jeden, der die ersten 90 Minuten nicht gesehen hat, überhaupt keinen Sinn mehr. Wer aber der Erschaffung dieser Komik-Welt in 12 000 Sekunden beigewohnt hat, liegt, wenn er nicht sehr aufpaßt, vor Lachen auf dem Boden.
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