Japan-Witze
Es ist wieder mal so weit: Comedians werden gefeuert für Witze über Japan und die verschiedenen Katastrophen dort, die immer noch und wie in Zeitlupe in vollem Gange sind. Die Tragödie, die Katastrophe selbst ist ja noch nicht einmal ansatzweise vorbei, so daß das Rezept „Tragedy + Time = Comedy“ noch nicht zur Anwendung kommt; momentan geraten Medien bereits in die Kritik, weil sie Katastrophenbilder zu einer Art Musikvideoclip zusammenschneiden und so etwas leisten möchten wie Trauerarbeit (wie es ein Autor der „heute show“ bei Facebook nannte), für die es genauso zu früh ist wie für Comedy. Weshalb auch eine öffentlich-rechtliche Comedy-Show schon ihre Autoren informiert hat, daß für die nächste Ausgabe keine Japan-Witze benötigt werden.
Dabei weiß ich gar nicht genau, was mit Japan-Witzen gemeint ist. Natürlich gibt es die Sorte geschmackloser Witze, die an den schattigen Stellen des Netzes sofort wie Unkraut gewachsen sind und die sich von selbst verbieten. Andererseits scheinen diese Witze ein Grundbedürfnis zu befriedigen, vielleicht ein Bedürfnis nach Normalität, und auch ich mußte über den einen (der etwa mit der Hautfarbe der „Simpsons“ und unfähigen Atomkraftwerks-Angestellten arbeitete) oder anderen (der sagte, daß Wale und Delphine so schnell keine bessere Chance zur Rache bekämen) immerhin schmunzeln.
Aber es gibt ja noch andere Möglichkeiten, mit der Katastrophe in komischer Form umzugehen. Die neue Variation des alten Anti-Atomkraft-Aufklebers etwa („Atomkraft? Deine Mutter!“) finde ich komisch und moralisch kein bißchen fragwürdig, sondern Ausdruck der einzigen Haltung, die man haben kann. Oder die herzzerreißende Information, daß Afghanistan 50.000 Dollar nach Japan spendet: Darüber den Scherz zu machen „Du weißt, daß dein Land wirklich am Arsch ist, wenn plötzlich Spenden aus Afghanistan kommen“ — ist das verwerflich? Oder die Tatsache, daß die USA Atom-Experten nach Japan geschickt haben: Darf man nicht anmerken, daß beim letzten Mal, als die USA Atom-Experten nach Japan geschickt haben, anschließend 100.000 Japaner tot waren?
Oder sollte man gerade von Comedians, deren Shows ja immer mehr zum Nachrichtenersatz für junge Menschen werden, eine Einordnung erwarten und damit rechnen dürfen, daß sie sich zum Thema äußern und es nicht schamhaft tabuisieren? Ich denke da an Leute wie Jon Stewart (habe die „Daily Show“ in letzter Zeit allerdings nicht verfolgt) oder Charlie Brooker, der gewiß etwas zur medialen Aufbereitung des japanischen Infernos zu sagen hätte. Verbietet sich das? Wenn ja, aus welchen Gründen? Wird „10 O’Clock Live“ nichts zu Japan sagen? Wo verläuft die Grenze zwischen (moralischem, also immer legitimen) Kabarett und Comedy (zur schnöden Unterhaltung)? Dürfte Harald Schmidt, liefe er denn am morgigen Donnerstag, nichts dazu sagen, Dieter Nuhr im „Satire Gipfel“ aber schon? Wo liegt die Grenze zwischen Japan-Witzen und Witzen über den Umgang mit der Katastrophe und ihren weitreichenden Folgen? Gibt es diese Grenzen überhaupt?
Was meint ihr?
UPDATE Björn Mannel, der oben zitierte Autor der „heute show“, schreibt mir:
Ich bin gerade dabei, die Strecke zum Thema für die Sendung zu schreiben. Wir konzentrieren uns ganz auf die Atomdebatte hierzulande, und da gibts so einiges zum Thema Heuchelei und Angst um die Wahl zu sagen… Ansonsten bin ich ganz bei Dir: Lachen hat was Befreiendes. Und außerdem: Das Argument, wie könnt ihr lachen, wenn in Afrika jeden Tag Kinder sterben, das Argument kann man immer bringen. Da ist es fast schon zynisch, jetzt irgendeine Pietät einzufordern.
Gefühlt gibt es diese Grenze bei mir schon, wo sie genau liegt, kann jeder vermutlich nur am jeweiligen Einzelbeispiel mit seiner eigenen Befindlichkeit ausmachen. Bei mir liegt sie weit entfernt von der von Björn Mannel angeführten Nebelkerze »wie könnt ihr lachen, wenn in Afrika jeden Tag Kinder sterben« und sehr nahe an dem, von ihm nicht erwähnten, »wie könnt ihr über in Afrika sterbende Kinder lachen«.
ich erinnere mich noch gut an den shitstorm, den kürzlich ein wirklich harmloser und alles andere als abfälliger witz in einer folge von „qi“ nach sich zog, für den sich die bbc sogar offiziell entschuldigte. es ging um einen mann namens tsutomu yamaguchi, der die bombardierung von hiroshima leicht verletzt überlebte, am nächsten tag nichtsahnend mit dem zug nach nagasaki fuhr und dort von der zweiten atombombe überrascht wurde.
die anwesenden comedians rissen dann lediglich ein paar witzchen darüber, dass es ja doch überaus erstaunlich sei, dass nach einem solchen ereignis die züge noch gefahren seien und dass so was in großbritannien ja wohl eher nicht zu erwarten sei. das war’s. es ging also eigentlich gar nicht um japan, sondern um das marode bahnsystem im eigenen land.
tja, der clip landete natürlich auf youtube (wo man überhaupt erst auf ihn aufmerksam wurde, weil „qi“ nicht im japanischen fernsehen läuft), und weil das internet eben das internet ist, nahm man natürlich umgehend übel. japanische (und südkoreanische) kommentatoren, in bezug auf dieses thema verständlicherweise besonders sensibel, wollten köpfe rollen sehen, briten und amerikaner wiederum erinnerten höflich, aber bestimmt an das massaker von nanking und andere schweinereien. so ging das eine weile hin und her, und ein paar tage später war der zorn verraucht.
ende 2009 hörte man david mitchell in der radio-comedyserie „the unbelievable truth“ folgendes sagen: „there’s actually no truth in the rumour that the last entry in anne frank’s diary reads: ‚today is my birthday, dad bought me a drum kit.“ trotz der einleitung „there is actually no truth in the rumour“ hagelte es proteste von der leserbriefschreiberbrigade.
langer rede kurzer sinn: man MUSS über katastrophen und andere schreckliche dinge witze machen, wenn man schon sonst nichts ausrichten kann. was man nicht darf ist, sich über die opfer lustig zu machen. also bitte her mit den witzen über trittin, gabriel und die anderen üblichen verdächtigen, die jetzt wieder aus ihren löchern gekrochen kommen.
Ich halt’s wie immer, ein Witz muss einfach komisch sein. Die ersten Witze, die über einen hereinbrachen, waren (naturgemäß) die am flinkesten heraus gehauenen und nicht gerade durchdachtesten. Alleine deswegen waren die wenigsten zum Lachen (naja, auf die Flutverbotszone kam ich wie die Titanic dann auch recht schnell und wollte nicht drauf verzichten). Jedoch kann ich in diesen Tagen mehr mit der satirischen Aufarbeitung des Umgangs der Medien mit der Katastrophe anfangen als mit der Katastrophe an sich. Man ist ja noch nicht ganz Arschloch.
Daily Show-Autor Jason Mustian sah sich auch enormer Kritik ausgesetzt, weil er ein paar Witze twitterte. Seine Reaktion war, er lösche diese Tweets, sobald die bigot assholes, die am meisten zeterten, ihm bewiesen, dass sie sie soundsoviel Geld spendeten, anstatt nur zu fluchen. Das wurde dann ein wenig konfus, der entsprechende Blogeintrag ist weg, einige Tweets noch da, andere nicht.
Dieter Nuhr hat sich ja erwartungsgemäß jenen angeschlossen, die jegliche Kritik an Atomkraft als Rechthaberei abtun. Über desse Legitimität, sich überhaupt zu irgendwas zu äußern, müsste mal gesondert gerichtet werden.
ich find’s auch eher bedenklich, das thema einfach komplett zu ignorieren oder noch schlimmer, deshalb comedy-shows, late-night-shows,… vorübergehend abzusagen. vor allem was da bei euch in deutschland gerade abgeht zum atomkraft-thema, das kann man doch nicht einfach kommentarlos so stehen lassen;
@Hermann
Hallo Hermann, da geb ich Dir völlig recht. Es ging mir nur darum, diesen bei vielen einsetzenden unreflektierten Mechanismus zu kritisieren „Jetzt darfst Du aber nicht lachen, angesichts solcher Ereignisse.“ Und ich meinte damit den privaten Raum, nicht den öffentlichen wie in einer Comedysendung wie der heute show. Warum sollte man da Witze über von einer Katastrophe gebeutelte Japaner machen, wenn man Witze über Stefan Mappus machen kann? Oder über eine Claudia Roth, die sich am letzten Samstag hinstellt und sinngemäß sagt „Man darf jetzt zwar mit der Katastrophe keinen Wahlkampf machen, aber…“?
Ich verstehe gar nicht, wie man keine Witze zu, nicht zwingend über, Japan machen kann. Das Komische ist eine ebenso legitime Form der öffentlichen Äußerung wie das Ernste. Sagt man, daß in diesen oder jenen Situationen das Komische nicht mehr angebracht ist, gesteht man letztlich den Ernstlern ein, daß Komik nichts weiter als schnöde Ablenkung von der eigentlich nur ernsthaft zu bewältigenden Realität ist.
Dabei leistet auch in der Katastrophe die Komik zwei wichtige Dinge: Zum einen hilft sie, die eigene Betroffenheit, die Ängste usf. erträglich zu machen – weswegen nicht selten gerade auch unter den Opfern der Witz nicht totzukriegen ist (siehe wesentliche Teile des jüdischen Humors). Dies gilt aber auch für Unbeteiligte, die ausreichend Empathie besitzen, um sich zwischendurch den Schreck aus den Gliedern schütteln zu müssen. (Wie ging diese kleine Erzählung von Simon Borowiak, als er noch Simone war? Ungefähr so doch: Die Lehrerin sagt zu Klein-Erna: Nimm das Leben ernst. Klein-Erna beherzigte den Rat, ging nach Hause und erhängte sich.)
Und zum anderen dient das Komische der Bewältigung des Mülls, mit dem auch nicht direkt von der Katastrophe betroffene fertig werden müssen: dem medialen Umgang mit der Katastrophe, u.v.a. dem politischen.
Womit ich mir aber schwertue, ist die Forderung, daß diese Witze unbedingt komisch zu sein haben. Denn das läßt sich nun mal nicht verobjektivieren.
OMG! „Es ist wieder mal so weit!“
Was für eine historische Fallhöhe will man denn da simulieren?
Natürlich gibts auch an Katastrophen lustige Aspekte, und wenn man die eloquent und pointiert formulieren kann: Funny!
Aber das macht halt nicht alles, was Comedians dazu sagen, zu Kunstwerken.
Gilbert Gottfried hingegen hat die schlimmste Sünde eines Comedian begangen: Er war nicht witzig.
Das waren reichlich beliebige 0815-Kommentare zum Thema Überflutungen ohne wirklich konkreten Bezug zu lustigen Aspekten der Vorgänge in Japan.
Da sollte Lustigkeit durch Geschmacklosigkeit erreicht werden, was halt reichlich platt ist.