Elitärer Schnösel: „Satire ist doof!“
Er ist schon ein ganz besonders feines Früchtchen, der Süddeutsche-Feuilletonist Hilmar Klute. Ein Genußmensch, der seine private Vorliebe für Hummer, Gänsestopfleber und das Rauchen an Orten, wo andere Leute essen, als Höhepunkt der Zivilisation verortet, den ihm die ewigen Miesmacher und Nörgler madig machen möchten. Überhaupt, diese Miesmacher und Nörgler! Die sind dem Bertelsmann-Autor mit dem „Größenwahn eines Feudalherren am Vorabend der Revolution“ (Kathrin Hartmann) schon ein arger Dorn im Auge.
Da kam es ihm gerade gelegen, daß „der unterfränkische Unterhaltungskünstler“ (Klute) Urban Priol bei einer Anti-Atomkraft-Demo in München nicht etwa der Atomkraft das Wort geredet und die Menge gegen sich aufgebracht hat, sondern, „als Sympathisant einer guten Sache“ (Klute) aufgetreten ist und der Bundesregierung ein paar saftige Sottisen ins Stammbuch geschrieben hat, denen der Mob auch noch Beifall geklatscht hat. So geht’s natürlich nicht.
Deshalb hat Klute heute in der Süddeutschen diesen Anlaß zum Vorwand genommen, einmal ordentlich ins Gericht zu gehen mit Priol, der franken Art des Kabarettisten und dem ZDF, das diesem „Schießgewehr eines entfesselten Spießbürgertums“ (Klute) auch noch einen Übungsplatz zur Verfügung stellt. Klute legt (früher war alles besser!) erstmal die Latte mit einem Hildebrandt-Vergleich ordentlich hoch, um dann bei Priol „hilflose Hampelei“, „sprachliche Verlotterung“ und „Vulgärsatire“ zu diagnostizieren und Priol als „entfesselten Keifer“ und „affektierte Heulboje mit eingebautem Politikerhaß“ zu beschimpfen; nicht zuletzt, weil Priols Rede „komplett witzfrei“ gewesen sei. „Große Kleinkünstler wie Dieter Hildebrandt … haben in ihre Redefiguren immer … eine klug gesteuerte Selbstminimierung (eingebaut), aus der die Schärfe der wirkungsmächtigen politischen Pasquille destilliert wird“, resümiert salbadert der Großfeuilletonist (wann war Kabarett eigentlich je „wirkungsmächtig“?), um auf dem üblichen SZ-Schlußakkord „Das politische Kabarett, es ist längst tot“ zu enden.
Ja, die Selbstminimierung: Solange sie nicht ihn, Hilmar Klute, persönlich betrifft, ist sie eine Tugend. Vor allem für’s Kabarett und die Satire. Da möchte Hilmar Klute endlich mal wieder zwischen den Zeilen lesen! Und zwar am liebsten zwischen ganz klein gesetzten Zeilen. Was Hilmar Klute gar nicht mag: Wenn ihm statt dessen einmal ein paar balkendicke Überschriften um die Ohren gehauen werden. Das darf nur Hilmar Klute.
Denn natürlich unterschlägt Klute das wesentliche Stilmittel von Priol (wie auch von Georg Schramm, aber eben nicht von Frank-Markus Barwasser, den Klute ausdrücklich lobt): Polemik. Obwohl er, Klute, sie selbst durchweg einsetzt („dilettantische Suaden, … mau und simpel“). Polemik zeichnet sich eben nicht dadurch aus, daß sie mit dem Florett ficht, sondern mit der Holzlatte. Polemik drischt ohne große Kunstfertigkeit auf ihren Gegenstand ein, macht keine feinen Witzchen, deutet nichts an und denkt nicht um die Ecke. Stattdessen packt Polemik die ganz großen Kanonen aus — übrigens auch, um damit mal auf Spatzen zu schießen. Spätestens seit Eckhard Henscheid, eigentlich schon seit Th. Bernhard, ist die Maßlosigkeit der Mittel selbst zum Stilmittel geworden (das hätte sich Eckhard auch nicht träumen lassen, daß er mal bei der Rechtfertigung von deutschem, politischen Kabarett assistieren muß): die Beschimpfung, das Pöbeln, die frontale Attacke v.a. auf Denkmäler des Bürgertums (bei Henscheid z.B. Heinrich Böll), die Schimpftirade selbst ist längst zur Kunstform geworden — trotz und gerade ob ihrer vordergründigen Kunstlosigkeit. Eine Wendung, die selbst deutsche Gerichte mittlerweile akzeptieren, die aber noch nicht ins Schreibgemach Hilmar Klutes vorgedrungen ist.
„Parteiintern laufe Merkel unter dem Decknamen Lady Gaga, sagt (Priol) und weiß natürlich nicht, daß Lady Gaga eine witzige, kluge und großartige Sängerin ist“, so Klute, der uns auf diesem Wege mitteilt, daß er, Klute, natürlich schon weiß, daß Lady Gaga eine witzige, kluge und großartige Sängerin ist. Möglicherweise weiß es auch Priol, oder er weiß es nicht, oder es ist ihm schlicht wurscht: Denn natürlich tut das überhaupt nichts zur Sache in diesem Zusammenhang. Und schon gar nicht sagt der Umstand, daß Lady Gaga eine witzige, kluge und großartige Sängerin ist, Priol aber trotzdem mitteilt, daß Angela Merkel parteiintern unter dem Decknamen Lady Gaga läuft, „wie ungenau, schlampig und willkürlich im politischen Kabarett mit Sprache und Witz umgegangen wird“. Sondern nur, daß Klute von sich selbst gerne wissen lassen möchte, daß er cool und juvenil genug ist, Lady Gaga gut, aber konservativ und schnöselhaft genug, Priol doof zu finden, und das ganze politische Kabarett gleich mit dazu.
Fand den ad hominem Angriff auf Priol auch unpassend und recht durchschaubar. Obwohl ich Priol nicht besonders gut kenne und das, was ich sehe auch nicht besonders lustig finde. Der Brüderle-Witz („Bitte geh“) ist doch aber ganz gut sogar!
Hurra!!!!
Für Interessierte:
Diese kuriose Kampagne begann mit dem Artikel von Hans Holzhaider, der die RAF dafür kritisiert eine blutige Spur durch Deutschland gelegt zu haben.
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/demonstration-gegen-atomkraft-priol-hetzt-gegen-bruederle-1.1078274
Sowie einem „Portait von Olaf Przybilla“, mit der tollen Überschrift: „Was darf Satire“.
„Es ist nicht das erste Mal, dass Priol sich in einen Bereich des Humors wagt, der sehr an eine Grenze geht, und womöglich darüber hinaus.“
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/demonstration-gegen-atomkraft-priol-hetzt-gegen-bruederle-1.1078274
danke! und danke auch an rahul das gupta für „satire darf alles, außer tiernahrung“.
Vielleicht wollte die Sueddeutsche mit der lahmen Was-darf-Satire-Diskussion nur Traffic erzeugen. Die Kommentarspalten gehen über die Grenze hinaus….
Naja, der Artikel hat aber schon einen Punkt: wenn wir beim Lady Gaga-Witz bleiben: der ist objektiv nicht gut. Selbst wenn wir Priol unterstellen, er würde Lady Gaga kennen, und vielleicht für ein bisschen überbewertet halten, spiegelt sich das nicht in dem Witz wieder. Hier geht es offensichtlich nur um das „Gaga“. Das ist schrecklich naheliegend (mit Bruno Jonas hätte es solche Punchlines nie gegeben! Da musste das Scheibenwischer-Publikum schon mal ein-zwei Minuten nachdenken und mit Handgesten darauf hingewiesen werden, dass da jetzt eine Pointe war und man zur Gesichtswahrung besser mal kurz lacht). Und offensichtlich glaubt Priol, mit so einem dämlichen Gaga-Witz (für den Westerwelle oft & zu Recht von extra3 noch eingespielt wird) durchkommen zu können. Er hält sein Publikum für genauso uninformiert, er glaubt, dass niemand Lady Gaga kennt, oder ihre Kunst [egal wie blöd oder genial man die jetzt halten mag]. Es geht allein darum, Merkel „Gaga“ zu nennen, und um irgendeine Indirektion anzudeuten, wird schnell noch mit „Lady“ eine Popkulturreferenz eingebaut, nur ist hier eben der Haken: wenn man die Popkulturreferenz hier versteht, und jetzt zwischen Parallelen von Merkel & Lady Gaga sucht, wie das eben der Autor des Artikels tat, zerfällt der ganze Witz.
Und: das ist ja nicht der einzige angetäuschte Witz von Priol. Wenig was er produziert ist irgendwie „genial“ oder sogar nur „lustig“ zu nennen. Es muss ja nicht jeder Bruno Jonas sein, aber ein bisschen weniger direkt darf man auch bei einer Polemik sein, so als Kabarettist.
Ich kam wegen der Verrisse, ich blieb wegen der Mouseover-Texte.
Das war weder polemisch noch Kabarett, was Priol auf der Demonstration gesagt hat, sondern seine eigene (politische) Meinung, würde ich mal tippen. Er stand da ja nicht auf der ZDF-Bühne, sondern auf einer Kundgebung gegen Atomkraft. Ich glaube, selbst Kabarettisten sind ab und zu sozusagen auch mal „nicht-beruflich“ unterwegs und führen ein Privatleben ausserhalb des Fernsehgerätes. So auch Priol: er hat sich zu etwas geäußert, was ihm offensichtlich auf dem Herzen lag, ohne vorher ein ausführliches Skript dazu verfertigt zu haben. Deshalb würde ich seine Äusserungen nicht so arg kritisch beäugen, ganz gleich was man sonst von ihm halten mag. Ich z.B. finde seine Art des Vortrags immer recht nervtötend, aber das steht ja hier nicht zur Debatte.
Na ja. Trotzdem hat er im Kern recht: Das sogenannte politische Kabarett (zumindest das, was im Fernsehen stattfindet) ist entsetzlich unlustig und öde.
Da muss ich als seit mehr als 30 Jahren (leiderprobter!) Satirekonsument widersprechen – heute-show oder ZDF-Anstalt (auch Schmidt in seinen guten Momenten?) sind nun nicht der absolute Gipfel des im TV Machbaren – im Vergleich zu früher kommt das Alles jedoch unvergleichbar spritziger, lustiger und unverkopfter, mithin leichter konsumierbar und unterhaltender rüber, auch wenn mancher Gag nicht voll zündet, mal platt ist, oder, oweh, weniger Lacher „im Halse steckenbleiben“(würg!).Unterhaltung der leichteren, wenn auch weißgott nicht leicht zu machenden Art eben. Wird einem nun wirklich nicht gleich schlecht von!
doch
Was Klute schrieb, ist seit 15 (postmodern konservativen) Jahren das, was alle möglichen Kulturzeit-, capriccio- usw. Sendungchen im Fernsehen wie das überregionale Feuilleton halt schreiben. Man fühlt sich dann elitär, und intellektuell „auf der Höhe“. Sie selbst sehen sich als fast unfehlbar, schreiben aber in jeden zweiten Artikel was von der „Vielfalt“ und der theoretisch schön klingenden „Selbstbescheidung“ oder „Distanz“.
Die Konservativen konnten in den letzten 15 Jahren feiern, daß Comedy (von Pastewka über Schmidt bis Dieter Nuhr oder dem FDP-Anhänger Wigald Boning) politisches Kabarett ersetzt hatte. Ich bin froh, daß es mit Georg Schramm, Urban Priol, Volker Pispers, Monika Gruber und „Pelzig“immer noch Kabarettisten gibt, die übrigens von Dieter Hildebrandt meist in höchsten Tönen gelobt werden. Es wird ja niemand gezwungen, einzuschalten oder in die Theater zu gehen… Indifferenz und „ist mir egal“ gibt es doch sonstwo genug.
Ich frage mich eh, wie jemand, der bei Verstand ist, nicht von Georg Schramm begeistert sein kann.
Wer ihn mal live gesehen hat – das ist eine Urgewalt, das ist für mich einer der Godfathers of deutschsprachiges Kabarett.
Der Vollständigkeit halber:
http://www.sueddeutsche.de/kultur/angeben-fuer-anfaenger-spaessle-gmacht-1.1079243
Nennt sich wohl distanzierte Nachbetrachtung:
„Irgendwie kam der Witz nicht bei allen so gut an. Und den Kritikern wurde wiederum Humorlosigkeit vorgeworfen.“
„Was lernen wir daraus? Bei Holocaust- und RAF-Witzen hört für viele der Spaß immer noch auf.“
Von wegen Humorkritik kann man aber auch mal beim „Fachblatt“ Titanic ansetzten. Da wird schon seit vielen Ausgaben eher darauf hingewiesen was alles nicht lustig ist, als das man mal positives hervorhebt. Dann werden Werke aus Uralter Zeit hervorgekramt, die heutzutage wirklich keinen mehr interesssieren und auf Insider- oder elitären Bildungsbürger Humor abgesucht. Gääähn. Das im Blatt selbst oft platteste Zeilenschinderei betrieben wird, übersieht man dabei natürlich gerne.
Nun, ich denke, in der Rubrik „Humorkritik“ wird doch wohl auch oft genug gelobt? Das elitäre Gehabe bei Titanic ist mir eigentlich egal, denn im Gegensatz zur Feuilletonisten-Tintenpisserei hat es oft genug Gehalt; außerdem macht es doch Spaß, den ein oder anderen Insider zu knacken (z.B. den Witz von der chinesischen Abhandlung über Schnee: eine Anspielung auf Borges. Gut, hab selbst kein einziges Werk von ihm gelesen). Gerade die antiquarischen Funde sind doch auch etwas sehr Lobenswertes- Humor-Historiographie eben. Das muss natürlich nicht jedem liegen. Nur fand ich die etwas unkritische Lobhudelei auf Friedells Kulturgeschichte ein wenig problematisch, finden sich in dem Werk doch auch ideologische Versatzstücke antisemitisch (klassischer Fall von self-hating Jew eben)-deutschnationaler Prägung. Das hätte ruhig mal etwas abgewatscht werden können.
Und bei einer monatlich erscheinenden Zeitschrift muss auch nicht alles gelungen sein…
Egal, Entschuldigung. Ich sollte eigentlich nicht so eine Apologie auf plattem Fanboy-Niveau schreiben, kann aber nicht anders.
@Kenny
Kann ich nach letzer Woche unterschreiben.