Spät-edwardianische „Mad Men“
Wenn es irgend ein Fernsehgenre gibt, mit dem ich absolut nichts anfangen kann, dann das des Kostümdramas. Pompös, gestelzt, langatmig, rührselig — das sind nur die ersten vier Adverbien, die mir dazu einfallen. Kostümdrama ist das genaue Gegenteil von Comedy, das Gegenteil von schnell, böse, subversiv.
Soweit die Vorurteile. Die hielten bei mir genau bis „Downton Abbey“.
Natürlich ist auch „Downton Abbey“ (ITV, zwei Staffeln seit 2010) weder schnell noch subversiv. Und doch hat es mich gekriegt — da, wo mich auch „Mad Men“ gekriegt haben.
„Downton Abbey“ spielt zu Beginn der ersten Staffel im Jahre 1912 in einem (fiktionalen) englischen Anwesen in Yorkshire. Earl Grantham (Hugh Bonneville, „Twenty Twelve“) und seine Frau Cora (Elizabeth McGovern) haben drei Töchter, jedoch keinen Sohn, der jedoch als einziger erbberechtigt wäre. Ihr Plan, die älteste Tochter Mary (Michelle Dockery) mit einem entfernten (aber in der Erbfolge nun oben stehenden) Cousin zu verheiraten, wird jäh hinfällig, als zu Beginn der ersten Folge die Nachricht vom Untergang der Titanic eintrifft, auf der auch dieser Cousin unterwegs war. Nun fällt das Erbe an Matthew Crawley (Dan Stevens), einen jungen und bürgerlichen Advokaten aus Manchester, der zu Beginn der zweiten Folge auf Downton Abbey eintrifft — und mit der ganzen altmodisch-edwardianischen Aristokratie rein gar nichts anfangen kann und will.
Doch so wichtig die Ereignisse im Leben der Hochwohlgeborenen sind, so wichtig sind auch die der vielköpfigen Dienerschaft. Auch downstairs spielen sich Dramen ab; auch hier gibt es innerhalb der Kaste strenge Hierarchien, Ambitionen auf ein besseres Leben, Geheimnisse genau wie upstairs. Nur daß die Dienerschaft in der Regel mehr über die Geheimnisse der Herrschaft weiß als umgekehrt.
Es ist, und hier liegen die Parallelen zu „Mad Men“, eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs in Großbritannien. Elektrizität und Telefon halten Einzug, erste Automobile beginnen Kutschen abzulösen; nicht mehr alle Frauen sind mit den ihnen zugewiesenen Rollen zufrieden, und auch nicht alle Bediensteten. Vor allem die Bürgerlichen Matthew und seine Mutter Penelope Wilton bringen Unruhe nach Downton: Penelope, Krankenschwester und Witwe eines Arztes, bringt bald frischen Wind in das örtliche Krankenhaus, und Matthew würde am liebsten sofort alle Angestellten in die Freiheit entlassen. Später werden sich der Erste Weltkrieg (der in der zweiten Staffel viel Raum einnimmt) und die Revolution in Rußland ankündigen und Schatten bis ins beschauliche Downton werfen.
Es sind die großen gesellschaftlichen Verwerfungen, die hier im Kleinen reflektiert werden, und Mittel zum Zweck sind dem Autor Julian Fellowes (selbst Aristokrat) — für eine TV-Serie vergleichsweise große — Sprünge von ein paar Monaten zwischen den einzelnen Folgen. Wie im Zeitraffer sehen wir so Veränderungen im Gefüge, insbesondere in der zweiten Staffel etwa die Folgen des Krieges: Downton wird zu einem behelfsmäßigen Lazarett, sowohl Mitglieder der Herrschaft als auch der Dienerschaft ziehen in den Krieg und kommen nur zum Teil unbeschadet wieder.
Nie aber wird „Downton Abbey“ über derart großen Themen zum Schinken, nie werden Verrat, Intrigen, Betrug und Mißgunst um ihrer selbst willen erzählt, sondern immer, um im Porträt einer vergangenen Epoche diese mit unserer Zeit vergleichbar zu machen: Wo gesellschaftliche Verantwortungen von denen oben für die weiter unten liegen, wer wen braucht, wie sich das Fließgleichgewicht mit der Zeit ändert. Die Gleichheit, die hier gesellschaftlich so erkennbar nicht vorhanden ist, ist in der Erzählung immer gegeben: Sie nimmt die Sorgen des Earl Grantham genauso ernst wie die der Küchenhilfe Daisy, stellt niemanden bloß, zeigt die Fehltritte von höheren Töchtern wie von Laufburschen und wird dabei nie geschwätzig, sondern bleibt in der Narration, in den Dialogen immer zurückhaltend, während die Kamera dafür umso opulentere Bilder einfangen darf. Pro Folge, heißt es, hat „Downton Abbey“ etwa eine Million Pfund gekostet.
Die waren gut angelegt: „Downton Abbey“ feiert international große Erfolge, darunter elf Emmy-Nominierungen 2011 und 92 Prozent Zustimmung bei Metacritic, was einen Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde als „von Kritikern am besten bewertete Fernsehsendung des Jahres“ mit sich brachte. „Downton Abbey“ ist die erste britische Show, die diesen Rekord aufgestellt hat.
Die erste Staffel „Downton Abbey“ ist auf DVD erhältlich, die zweite demnächst, nach dem Ende der diesjährigen Staffel wird es ein Weihnachts-Special geben, und für nächstes Jahr ist eine weitere Staffel geplant, die dann im Jahr 1920 beginnen wird.
Unbedingt auch Gosford Park gucken, der das Ganze inspiriert hat.
Wem gerade das „upstairs/downstairs“ Thema gefällt, dem sei auch Robert Altmans „Gosford Park“ ans Herz gelegt.
^ … und natürlich – wait for it, are you ready? -: „upstairs, downstairs“, soweit ich das überblicken kann, das bisher unerreichte original (samt drei neuen, im letzten jahr ausgestrahlten folgen und dem spin-off „thomas & sarah“).
ebenfalls in dieser zeit spielen unbedingt sehenswerte perlen wie „the forsyte saga“ (galsworthy), „mapp and lucia“ (benson), „jeeves and wooster“ (wodehouse) und „lillie“.
und wenn das noch nicht reicht, warum nicht einfach auch mal „the barchester chronicles“ (trollope) und „tess of the d’urbervilles“ (hardy) andengeln?
da kleistert’s einem dann auch nicht ständig die ohren mit dramatischer muzak zu.