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Archiv für Januar, 2012

Ladykillers

31. Januar 2012 Keine Kommentare

Ich war übers Wochenende in London und habe die Gelegenheit genutzt, seit gefühlten hundert Jahren mal wieder ins Theater zu gehen: „The Ladykillers“, mit Peter Capaldi, Ben Miller und Stephen Wight, in einer Neufassung von Graham Linehan. Ich bin weiß Gott kein Theaterfan (anachronistische Kunstform, meine Meinung), aber das war gut.

Im Gielgud Theatre im West End jedenfalls herrschte vom ersten Moment an aufgeräumte Stimmung unter den Besuchern der 19.45 Uhr-Vorstellung; offenbar waren die meisten direkt nach der Arbeit gekommen und dementsprechend auch nicht sonderlich herausgeputzt. Es war eine eher zwanglose Atmosphäre, in der verblüffend viel Veuve Clicquot gesüffelt wurde, die Ausgelassenheit war, kein Wunder, die einer Kindervorstellung, in der das Publikum auf die Ansprache des Polizisten in der ersten Szene („Good evening, folks!“) auch prompt unisono antwortete („Good evening, Constable!“). Toll.

Es war überhaupt alles toll: Graham Linehan, Autor von „Father Ted“, „Black Books“ und „The IT Crowd“, hat das Drehbuch zum Film von 1955 (damals mit Alec Guinness, Peter Sellers und Herbert „Inspector Dreyfus“ Lom in den Hauptrollen) fantastisch auf die Bühne übersetzt, sprich: auf seine charakteristische Art mit Wortwitz und Slapstick beschleunigt und mit surrealen Elementen ergänzt, wo die Handlung sonst nicht vorangekommen wäre. Capaldi („The Thick of It“), Miller („The Miller & Armstrong Show“) und Wight (der Skoose in „Whites“) sind auf der Bühne genauso gut wie vor der Kamera. Und Bühnenbild wie -Technik verdienen eigene Auszeichnungen: Wie sie das hinbekommen haben, das windschiefe Haus aus dem Film auf die Bühne zu stellen, war sensationell.

In „The Ladykillers“ vermietet die schrullige alte Mrs. Wilberforce ein paar Zimmer ihres vom Bombenkrieg in Mitleidenschaft gezogenen Häuschens an einen gewissen Professor Marcus (Guinness/Capaldi) und seine Spießgesellen (u.a. Sellers und Lom/Wight und Miller). Diese sind aber keineswegs, wie sie vorgeben, Musiker, die im Quintett Streichmusik machen, sondern Gauner, die es auf einen Geldtransport abgesehen haben. Mrs. Wilberforce‘ Häuschen liegt idealerweise nahe Kings Cross und direkt an der Bahnlinie, und Marcus‘ genialer Plan ist es, Mrs. Wilberforce ohne ihr Wissen als Fahrerin einzusetzen, die die Beute unter den Augen der Polizei in einem Koffer aus dem Bahnhof holt. Das gelingt ihr; es sind sogar Polizisten, die ihr dabei helfen, den schweren Koffer zu transportieren.

Allerdings stiftet die Alte nicht nur unabsichtlich immer wieder Chaos, sie ist, nachdem sie die Bande durchschaut hat, auch resolut genug, von den Gangstern zu verlangen, ihre Beute zurückzugeben. Was für die Räuber bedeutet, dass ihnen nichts übrig bleibt, als die zierliche, schwache, alte Lady aus dem Weg zu räumen. Nur: Wer macht’s? Am Ende, nach mehreren Verfolgungsjagden durch das Haus und über das Dach, sind alle Gangster tot, und die Polizei, die Mrs. Wilberforce von Anfang an kein Wort geglaubt hat, bittet sie, kein Wort mehr über ihre hanebüchenen Erlebnisse zu verlieren und das viele Geld doch bitte zu behalten.

Im Bühnenbild der Theaterfassung sind die minimal gekippten Senkrechten des Films zu schiefen Ebenen geworden; da gibt es keine einzige Waage- oder Senkrechte mehr, und das auf gleich drei Etagen. Mit Effekten wird nicht gespart: Wenn ein Zug vorbeifährt, flackert nicht nur das Licht und Rauch kommt zum Fenster herein, nein: da tanzen auch Stühle und Tische, und zwar auf die erkennbar unnatürlichste (und deshalb sehr komische) Weise. Der Raubüberfall, schlecht auf der Bühne zu zeigen, wird mit ferngesteuerten Autos nachgespielt, und zwar an der äußeren Hauswand der Drehbühne, die dank geschickter Beleuchtung im Handumdrehen zum Aufriss eines ganzen Stadtviertels wird. Und ganz am Ende, als der allein übrig gebliebene Professor Marcus fliehen möchte, wird die dritte Bühnenwand zum Tunnel, aus dem ein Zug herauszufahren scheint — wie sie das genau hinbekommen haben, ist mir bis jetzt nicht ganz klar. Verblüffend jedenfalls.

Linehan war klug genug, sich von dem Film weit zu lösen und, statt sklavisch das Original zu reproduzieren, lieber mit den Charakteren zu spielen, ihnen Raum zu geben, der im extrem ökonomisch arbeitenden Film nicht möglich gewesen wäre. (Der Film ist übrigens nach heutigen Maßstäben sehr langsam, geradezu verschnarcht, aber das ist wohl auch kaum anders zu erwarten — nach mehr als einem halben Jahrhundert.) „Reservoir Dogs“ habe einen großen Einfluss bei der Entstehung gehabt, erklärt Linehan in einem Interview, und in der Tat hat das Stück fast mehr mit den psychologischen Verwicklungen der Gangsterbande in Tarantinos Film gemein als mit der Ealing-Studio-Comedy der Original-„Ladykillers“.

„I don’t really do subtlety“, erklärt Linehan, große Set Pieces, Farce und überraschende Verschränkungen von Storylines seien eher sein Ding. Militärs mit großen Schnurrbärten, Bösewichter, die herumschleichen wie Nosferatu, und kleine alte Ladys, die wie die Omis in „Sylvester und Tweety“-Cartoons sprechen und sich bewegen, würden ihn mehr reizen. Ideale Voraussetzungen also für Theaterkomödien. Jetzt würde ich noch gerne die neue Filmfassung von Linehan sehen. Na ja, unwahrscheinlich, nachdem die Coen-Brüder erst 2004 ihre Version in die Kinos gebracht haben.

Die Außenseiter

25. Januar 2012 3 Kommentare

„Misfits“ (E4, seit 2009) ist vermutlich auch unter den Lesern dieses Blogs längst kein Geheimtip mehr: Zwar haben fundamentale Neubesetzungen die Show in der letzten, dritten Staffel verändert, und dass der staffelübergreifende Superhoodie-Plot so in den Hintergrund getreten ist, darf kritisiert werden — alles in allem aber ist die düster-komische Jugendserie rund um straffällige Jugendliche, die sich plötzlich mit zum Teil recht merkwürdigen Superkräften ausgestattet wiederfinden, immer noch äußerst sehenswert. Dass Howard Overman, der Creator der Show, ein Guter ist, hat er ja spätestens mit der Adaption von Douglas Adams‘ „Dirk Gently“ bewiesen.

https://www.youtube.com/watch?v=kDdmmZTscp0?version=3&hl=de_DE

Im deutschen Fernsehen ist „Misfits“, wie so viele englische Serien, leider nicht zu sehen — und aber doch auf deutsch erschienen: zumindest auf iTunes, wo gerade schon die zweite Staffel online ist (erste Folge dieser Tage noch kostenlos abrufbar). Die deutsche Synchro erscheint mir recht solide; Abstriche muss man natürlich etwa bei Super-Chav Kelly (Lauren Socha, in der dritten Staffel sinnloserweise zu sehr im Mittelpunkt) und ihrem im Original hin und wieder beinahe unverständlichen Slang machen, der klarerweise nicht einzudeutschen ist, ohne an Kontext zu verlieren. Auf Hulu war „Misfits“ mit 10 Millionen Abrufen eine der erfolgreichsten Serien des letzten Sommers, und in Deutschland liegen sie schon nach einer Woche auf Platz drei der am meisten heruntergeladenen Fernsehserien. Ende Februar erscheint die deutsche DVD.

Mehr Informationen finden sich drüben bei Serienjunkies, die deutschen Misfits haben außerdem einen Facebook- sowie einen Twitteraccount.

Die Comedy.co.uk Awards 2011

23. Januar 2012 1 Kommentar

Im British Comedy Guide haben die Leser abgestimmt und sowohl beliebteste als auch unbeliebteste Comedys des vergangenen Jahres gekürt — und mich ein bisschen überrascht, denn zur besten britischen Comedy des Jahres 2011 wurde eine Kindershow gewählt: „Horrible Histories“ (CBBC/BBC1, seit 2009)! Nun ist dieser fröhliche Geschichtsunterricht nach den Büchern von Terry Deary zwar tatsächlich eine feine Sache, aber dass er gleich zwei Awards gewinnt (nämlich auch noch den als beste Sketchshow), das verblüfft mich dann doch.

Weniger überraschend dagegen: „Mrs. Brown’s Boys“ (BBC1) gilt als schlechteste neue Comedyshow 2011, und tatsächlich habe ich nur eine einzige Folge dieses irischen Männer-in-Frauenkleider-Spaßes ausgehalten. Nichts gegen Holzhammercomedy, aber Mrs Browns Scherze sind allzu durchsichtig, und die direkte Publikumsansprache, der zumindest zeitweise Verzicht auf die „fourth wall“, geht mal gar nicht. Das durfte zum letzten Mal Julian Clary in „Terry and Julian“ (Channel 4), und das war 1992.

Beste wiederkehrende Britische Fernseh-Sitcom ist „Absolutely Fabulous“ (guckstu zwei weiter unten) — sehr zu recht, selbstverständlich.

Alle weiteren Preisträger finden sich hier, darunter „The Ricky Gervais Show“ (Channel 4), die nun die Auszeichnung „schlechteste britische Fernseh-Entertainmentshow 2011“ ihr eigenen nennen darf, und „Fresh Meat“ (Channel 4, bestes Comedy-Drama), in unserem kleinen Poll hier neulich auf dem zweiten Rang hinter „Episodes“ gelandet. Beste neue Fernsehsitcom ist „Spy“ (Sky1), offenbar muss ich das nun doch endlich mal gucken…

Kurze Unterbrechung

15. Januar 2012 2 Kommentare

aus Anlass des zehnten Geburtstags von „Look Around You“ (BBC2, 2002 – 05):
https://www.youtube.com/watch?v=Lz-l5HiJ3NY?version=3&hl=de_DE

Vielen Dank, Sie dürfen jetzt weitersurfen.

Oder natürlich „Look Around You“ erwerben, Robert Poppers und Peter Serafinowiczs hervorragendes Schulfernseh-Pastiche, das man bei YouTube schön einsehen kann, das auf DVD aber mit vielen liebevollen Bonus-Schmankerln, nerdigen Menüs und überhaupt so viel verdrehtem Humor aufwartet, dass man sich fragt, warum das nicht rund um die Uhr auf einem eigenen Sender läuft.

Ab Fab Forever

7. Januar 2012 1 Kommentar

„Ab Fab“ lebt also und ließe sich problemlos fortsetzen, die Show ist immer noch genauso frisch und unverbraucht wie eh und je habe ich vor einer guten Woche in die Kritik der Weihnachts-Specials hineingeschrieben, und offenbar sieht man das bei der BBC genauso: Nun haben, nachdem das Neujahrs-Special abermals über sieben Millionen Zuschauer eingefahren hat, die BBC-Oberen Jennifer Saunders offenbar um eine weitere komplette Staffel „Absolutely Fabulous“ gebeten. Jennifer Saunders Antwort auf dieses Angebot ist noch nicht bekannt.

„Absolutely Fabulous“ lief ursprünglich in drei Staffeln zwischen 1992 und 1996 auf BBC1 und erzählt die Geschichte von Edina Monsoon (Saunders), einer erfolgreichen, aber ziemlich kindischen PR-Agentin (die man niemals ernsthaft bei der Arbeit sieht) und ihrer besten Freundin, der Modejournalistin Patsy Stone (Joanna Lumley), die ebenfalls nie wirklich arbeitet. Stattdessen versuchen beide verzweifelt, modisch „hip“ zu sein, trinken zu viel, nehmen Drogen (Patsy deutlich mehr als Edina) und benehmen sich absolut unerwachsen — ganz im Gegensatz zur spießigen, stets zu ernsthaften Tochter Edinas, Saffron (Julia Sawalha), die in ihrer über-erwachsenen Rolle aber meist ebenso schlecht wegkommt wie ihre zweimal geschiedene, für ihr Verhalten deutlich zu alte Mutter.

„Ab Fab“ beruht auf einem Sketch des damaligen Double-Acts von Saunders und Dawn French und war in den Neunzigern sensationell erfolgreich — vermutlich, weil hier einerseits die damals virulente Softie-Welle konterkariert wurde, wie es für die Männer auch Simon Nyes „Men Behaving Badly“ tat, wo das genaue Gegenteil des „New Man“-Ideals gefeiert wurde, nämlich der saufende, sexistische, sich schlecht bzw. eben laddish benehmende Mann. Andererseits waren die Anti-Heldinnen Edina und Patsy mit ihrer Parodie auf den PR-, Werbe- und Promi-Wahn ihrer Zeit, auf Charitys und Marketing am Puls der Zeit — und bald auch noch Ikonen der Emanzipation, denn offenbar (man sieht es ja nie explizit) waren sie beruflich so erfolgreich, dass sie sich ihren exzessiven Lebensstil auch leisten konnten: Weibliche Selbstermächtigung pur und vom Feinsten. Und durch die Ergänzung des Casts durch Edinas patente Mutter (June Whitfield) als (zumindest Patsy gegenüber) kritischer und wacher Geist und Ersatzmutter für Saffy sowie durch Edinas Assistentin Bubble (Jane Horrocks), die durch ihre strahlende, Homer-Simpson-Father-Dougal-artige Dummheit enormes komisches Potential und Abgrenzung zur nicht ganz so strahlenden Dummheit Edinas und Patsys in die Serie bringt, durch diesen Cast also, der Frauen in vielen komischen Facetten zeigt, wurde „Ab Fab“ zu einer der wichtigsten Serien der (Comedy-) Frauenbewegung.

Dass „Ab Fab“ über Generationen hinweg funktionierte und geliebt wird, zeigte sich im langen Leben der Serie und vor allem der Specials: Nach einem zweiteiligen Fernsehfilm („The Last Shout“, 1996) liefen von 2001 bis 2003 abermals zwei ganze Staffeln und drei weitere einstündige Specials; der letzte Clip der Show war ein „Comic Relief“-Sketch 2005. Neben den drei diesjährigen Specials ist Gerüchten zufolge ein Film geplant.

„Absolutely Fabulous“ rangiert in der Liste der „greatest British TV shows of all time“ des British Film Institute auf Rang 17 und in vergleichbaren Rankings ebenfalls stets weit oben; die Show gehört auf jeden Fall zu den wichtigsten Sitcoms der letzten dreißig Jahre und in jeden Grundkurs Britcom.

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Heute ist der dritte Geburtstag dieses Blogs, sehe ich grade. Also, happy birthday, britcoms.de!

What a wonderful world

Ein wenig verspätet, aber doch: Frohes Neues, und schöne Grüße von David Attenborough. BBC-Dokumentationen, jedes Mal wieder zum Verlieben.

https://www.youtube.com/watch?v=B8WHKRzkCOY?version=3&hl=de_DE

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