Bzw. seine neue DVD „Charlie Brooker’s Black Mirror“: die steht seit Montag in den Online-Regalen Ihres Internets. Wer wissen möchte, worauf er sich da einlässt, ist gut beraten, die Blogeinträge von kürzlich nachzulesen: Da sind alledreiFolgen besprochen. Wer bei Amazon.uk shoppen kann: dort ist es etwas günstiger.
Douglas Adams‘ Figuren, Howard „Misfits“ Overmans Buch, Stephen Mangan und Darren Boyd — da wird auch die ganze Staffel ein Knaller, schätze ich. Und freu mich schon drauf: „Dirk Gently“, Series 2, BBC4, ab dem 19. März 5. März.
UPDATE: Ich hatte mich etwas verwirren lassen von der Zählung der BBC, die den Piloten von 2010 als „Episode 0“ zählt und die nächsten drei Folgen als erste Staffel deklariert. Darum stimmte natürlich auch der Titel dieses Eintrags nicht mehr, der von einer 2. Staffel ausging. Klar, eine einzige Folge macht noch keine Serie…
Es gibt Fernsehshows, die sind wie Popcorn: Man wird nicht richtig satt davon, aber sie machen Spaß. Sie setzen auf schlichte Effekte, aber die können sie dafür perfekt. Makeover-Shows gehören in diese Kategorie. Damit man sich nicht allzu schnell daran den Magen verdirbt, müssen sie gut gemacht sein. Meine Lieblings-Show dieser Art im englischen TV ist „The Hotel Inspector“ (Channel 5).
Der „Hotel Inspector“ ist Alex Polizzi, Anfang 40, eigentlich Alessandra Maria-Luigia O Polizzi Di Sorrentino, selbst aus einer Dynastie erfolgreicher Hoteliers stammend und eine Mischung aus Domina und Ehetherapeutin — man weiß nie, ob sie einen gleich übers Knie legt oder einem den Kopf streichelt. Was schon einen nicht unbeträchtlichen Teil des Appeals ihrer Show ausmacht: Sie ist streng, aber charmant, resolut, aber mit Einfühlungsvermögen. Sie ist in jeder Hinsicht das genaue Gegenteil von Tine Wittler.
Und auch ihre Show ist das Gegenteil von „Einmarsch in vier Wänden“. Das geht schon mal damit los, dass „The Hotel Inspector“ weniger Privatmenschen beim Makeover unterstützen als Geschäftsleute, nämlich Hoteliers, und in ihrer neuen BBC2-Show „The Fixer“ Familienunternehmen, Christian Rach und seiner Restauranttesterei also nicht ganz unähnlich. Wie Rach ist sie vom Fach, wie er erkennt sie die Zusammenhänge von persönlichen und geschäftlichen Problemen, und wie Rach geht sie auf die Menschen individuell ein, statt einfach alles mit dem gleichen Kreativ-Schmu von der Ikea-Stange zuzukleistern.
Die Fälle allerdings sind ein bisschen bunter. Womöglich, weil die Protagonisten etwas ungewöhnlicher sind: Klarerweise zunächst einmal Hoteliers, die sich selbst überfordern, nicht genügend geschäftliche Ahnung haben oder so sympathisch rüberkommen wie Basil Fawlty. Aber auch Hoteliers, die Spinnweben aus drei Jahrzehnten für Flair halten, knall-rosa Badezimmer „für Schwule“ anbieten und ihren persönlichen Porzellankitsch großzügig über alle Zimmer verstreut haben; Hoteliers also mit mittleren und großen Persönlichkeitsschaden, Menschen, bei denen Selbst- und Außenwahrnehmung überhaupt nicht mehr übereinstimmen und die die Grenze zwischen liebenswert exzentrisch und komplett spinnert vor langer Zeit schon hinter sich gelassen haben.
Das angenehme aber: Genau diese durchgeknallten Charaktere werden von Alex Polizzi nicht gestutzt, auf Normalmaß zurückgeschnitten und gleichgemacht, sondern in ihren Eigenheiten aufgefangen. Mit größtmöglicher Verbindlichkeit, unzähligen „Darlings“ und viel Kompromissbereitschaft entstehen in jeder Folge neue, praktische Lösungen, und immer hat man als Zuschauer das Gefühl, dass da fair gespielt wird, dass die englische Trias aus (Selbst-) Disziplin, Individualismus und Freiheitsliebe zu einem Ende führt, das für alle Seiten zufriedenstellend ist: Für den Hotelier, den Hotel Inspector — und den Zuschauer, der ja immer auch potentieller Gast ist, sei es in den Hotels, die Alex Polizzi auf Vordermann gebracht hat, oder in den von Christian Rach aufs Gleis gesetzten Restaurants. Dass die Hotels in den schönsten (oder auch mal nicht so schönen) englischen Flecken liegen und ein Quentchen Komik wie das Salz im Essen immer dazugehört, macht „The Hotel Inspector“ zum perfekten Vorabendfernsehen, zum Appetithappen, bevor man sich wieder Nahrhafterem zuwendet.
Langsam werde ich alt. Ich merke es daran, dass ich eine immer ausgeprägtere Vorliebe für Tier-Dokus entwickle und, nachdem die Frau und ich schon die „Frozen Planet“-Dokumentationen (BBC1, 2011) verschlungen hatten, wir jetzt auf der Vorgänger-Serie „Planet Earth“ (BBC1, 2006) hängen geblieben sind. Die habe ich, eher zufällig, bei uns ums Eck in einem Laden stehen sehen und musste sie einpacken, und weil es natürlich die hiesige Ausgabe war, kann jetzt auch sagen, warum die englische Version so viel besser ist als die deutsche, die ich (ohne es zu wissen) tatsächlich schon im ZDF, zufällig und in Ausschnitten, gesehen hatte, ohne mir viel dabei zu denken:
Es ist der Ton. Zum einen natürlich die Stimme und Duktion von Sir David Attenborough, dem zuzuhören wesentlich mehr Spaß macht als der deutschen Synchronstimme von Norbert Langer (bei der ich mich immer frage, warum Magnum jetzt als Sprecher für Tierdokus arbeitet). Aber das Entscheidende ist: Die Aussteuerung ist in der Originalversion ganz anders. Während Langers deutsche Kommentare nämlich extrem dominant in den Vordergrund gemischt sind, wo sie Musik und Originalgeräusche ertränken, ja regelrecht auslöschen, ist Attenboroughs Stimme viel leiser, praktisch gleichberechtigt mit Musik und Geräusch-Spur abgemischt.
Das aber hat einen verblüffenden Effekt: Die ästhetischen Qualitäten der Serie sind mit einem Mal viel wichtiger als die informativen, ja, belehrenden. Plötzlich geht man als Zuschauer in den Bildern auf, in der Musik, hat das Gefühl, wirklich dabei zu sein (in HD zumal) — und jemanden an seiner Seite zu haben, der einem unaufdringlich erklärt, was man gerade sieht. In der deutschen Fassung zeigt einem ein Biologie-Lehrer einen Film und quatscht die ganze Zeit drüber, in einem onkelhaften, vormittagsprogramm-bräsigen Tonfall, der nichts, aber auch gar nichts von dem Enthusiasmus und der Distinktion Attenboroughs hat.
Die Begeisterung Attenboroughs, und das ist die andere Erkenntnis, die ich beim Zuschauen hatte, drückt sich in der schieren Vielzahl von Superlativen aus, die ich bislang so nur in „Top Gear“ gehört hatte: Praktisch alles ist das meiste, größte, tiefste, seltenste in the world. Bei der nächsten Folge zähle ich mal mit, wie viele in the worlds vorkommen, aber so komisch diese Superlativen sind: sie reißen einen als Zuschauer auch mit. Während ich bei der deutschen Fassung immer denke: Gleich zählt er die weiteren Tiere in alphabetischer Reihenfolge auf.
Wenig passiert hier in den letzten Tagen, aber die Glotze war natürlich trotzdem oft an. Meine Fernsehauswahl der letzten Wochen:
„Homeland“ (Showtime, 2011) ist weder lustig noch britisch, dafür aber dekoriert mit einem Golden Globe (Best Television Series – Drama) und nach einer israelischen Vorlage, was mich aus persönlichen Gründen immer interessiert. Inhalt: Ein US-Marine, Sergeant Nick Brody (Damian Lewis), wird nach acht Jahren Gefangenschaft in den Händen von Al Qaida von einem US-Kommando befreit und als Kriegsheld nach Washington zurückgebracht. Allerdings hat die psychisch einigermaßen labile CIA-Agentin Carrie Mathison (Claire Danes, die Julia in Baz Luhrmanns „Romeo + Juliet“) zuvor in Bagdad aus zuverlässiger Quelle erfahren, dass ein langjähriger P.O.W. von Terroristen während seiner Haftzeit „umgedreht“ worden ist und nun als islamischer Terrorist in den USA eingesetzt werden soll. Das kann nur Brody sein. In der Agentur glaubt ihr nur kaum jemand, so dass Claire mehr oder weniger auf eigene Faust beginnt, Brody zu verfolgen.
„Homeland“ ist eine Mischung aus den Thriller-Elementen von „24“ (von dessen Executive Producern die Serie auch stammt) und der Hauptfigur aus „Dr. House“, die medikemantenabhängig und gebrochen ist, vielleicht weniger genialisch als House, dafür verbissener. Außerdem spielen die zentralen seelischen Beschädigungen der Israelis eine tragende Rolle, wie ja auch schon (und logischerweise) bei „In Treatment“ (HBO, 2008 – 10): Schuldgefühle (u.a. geht es um nicht legitimierte US-Kriegshandlungen), Paranoia, bipolare Störungen, Schizophrenie. Vor allem, aber nur hintergründig, um Schizophrenie, denn dass Carrie mit ihrem Verdacht nicht falsch liegt, wird sehr schnell klar: Brody ist tatsächlich beides, US-Marine, Kriegsheld und treusorgender Vater — und muslimischer… aber ich will nicht zu viel verraten.
Natürlich ist „Homeland“ ultra-konservativ; hin und wieder habe ich vor mir Homer Simpson gesehen, der mit bloßem Oberkörper „U-S-A! U-S-A!“ ruft und sein Shirt um den Kopf wirbelt. War „24“ ja auch. Geht aber vermutlich auch nicht anders, wenn man eine solche Spionagegeschichte erzählen möchte, und die scheinen im Moment ja Konjunktur zu haben (mit der neuen le Carré-Verfilmung „Tinker Tailor Soldier Spy“, „Mission Impossible“ usw.). „Homeland“ ist jedenfalls prima Fernsehen, auf der Höhe der Zeit, und die erste Staffel (eine zweite ist in Planung) endet freundlicherweise nicht mit einem riesigen Cliffhanger, der alles offenlässt, sondern schließt in einer extra langen Episode viele Handlungsstränge ziemlich endgültig ab. Jedenfalls scheint es so.
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Zurück nach Großbritannien:
„Skins“ (E4, seit 2007) läuft derzeit in der sechsten Staffel und mit dem dritten Ensemble, und ist dafür immer noch ziemlich gut. Eigentlich besser als „Fresh Meat“ (Channel 4, seit 2011), das im Prinzip das gleiche versucht: Ein junges Comedy-Drama with an attitude. „Skins“ erzählt, pro Folge um eine der jugendlichen Hauptfiguren kreisend, die Geschichte einer Handvoll Teenager rund um Bristol und begleitet sie während der letzten zwei Jahre in der Schule (Sixth Form) (daher der komplette Cast-Austausch nach je zwei Staffeln). Die Jugendlichen sind, wie die in „Misfits“ (ebenfalls E4, seit 2009), weiß Gott keine Unschuldslämmer und haben darüberhinaus mit handfesten Coming-of-Age-Problemen zu kämpfen. In der aktuellen Staffel ist gerade eine der Hauptfiguren gestorben (was die Serie davor bewahrt hat, zur Soap zu werden — ans viele Kiffen und die Häuser verheerenden Partys hat man sich ja nun gewöhnt), und eine neue ist auf den Plan getreten, die per Würfel entscheidet, was als nächstes zu tun ist, und heimlich wilde homosexuelle Erfahrungen sammelt.
Keine andere Serie schafft es so sehr, in mir den Wunsch nach unverbindlichen Drogen, lautem Sex und harter Musik zu wecken, wie „Skins“ — mit „Misfits“ und „Skins“ hat E4 derzeit das deutlich bessere Gespür für „neue“, junge Bild- und Musik-Ästhetik als die BBC, wo allenfalls „Being Human“ mithalten kann (das gerade auch in eine neue, die vierte Staffel gegangen ist). E4 ist der digitale Ableger von Channel 4, der sich vorwiegend an ein junges Publikum richtet, Experimente wagt und sogar richtig Geld dafür ausgibt. Lobenswert.
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Apropos junge Menschen:
„The Inbetweeners Movie“, zu deutsch: „Sex on the Beach“ (also eher: „deutsch“), gerade in den Kinos (bzw. womöglich schon wieder raus?) KANN in Deutschland nur total floppen, alles andere würde mich jedenfalls sehr wundern. Nicht weil dem durchschnittlichen deutschen Kinogänger die Vorgeschichte aus drei Staffeln „Inbetweeners“ fehlt (abermals E4, 2008 – 10) — ein Kinofilm muss es schon schaffen, eigenständig zu funktionieren. Sondern weil das spezielle englische Element dieser (abermals sehr jugendlichen) Komödie hier überhaupt nicht verstanden werden dürfte.
Für das unbewaffnete Auge sieht der „Inbetweeners“-Film wie eine britische Variante von „American Pie“ oder „Eis am Stiel“ aus, die hierzulande ja ebenfalls schon eher als geschmacklos und vulgär empfunden werden denn als komisch — und der „Inbetweeners“-Film legt da noch zwei Schippen oben drauf: Da werden (während eines gemeinsamen Urlaubs der vier Teenager auf Kreta, in einer absoluten Touri-Hölle der unfeinen englischen Art) Omas gebumst, Selbst-Fellatio betrieben und Leute vollgekotzt; es gibt Schwänze ins Gesicht, eine Kackwurst im Bidet, ja, es wird sogar menschliches Exkrement geschnupft— nichts, was Deutsche per se als komisch empfänden.
Für Engländer aber, deren Schamschranken (man mag es angesichts solcher Filme nicht glauben) in der Realität aber viel höher liegen, ist es lustig, wenn genau diese Schranken in einem Film, mithin erkennbar künstlich und kunstvoll, gebrochen werden. Und auch ich musste mehrfach herzlich lachen, etwa wenn der sexbesessene Jay (James Buckley) (zu Beginn des Films und noch zuhause) sich herzhaft einen von der Palme wedelt — auf dem Bett sitzend vor einem Laptop samt Live-Sex-Chat, Taucherbrille auf, Sporthandschuh an, Schinkenscheiben im… nun, und wenn dann seine Mutter reinplatzt, hinter ihr die kleine Schwester, und sagt: Jay, kommst du bitte nach unten, dein Großvater ist gerade gestorben. — dann muss ich, nach einer atemlosen Schrecksekunde, wahnsinnig lachen. Weil die Geschmacklosigkeit nicht nur geschmacklos ist, sondern eine groteske Übersteigerung von Geschmacklosigkeit, eine Geschmacklosigkeit, die praktisch in alle Ewigkeit fortgesetzt ist, mithin endlos, schließlich wird Jay sich nicht nur während der Beerdigung, sondern jedesmal, wenn vom toten Opa die Rede sein wird, an diesen Moment erinnern… Was für eine Strafe, für das bisschen Sex!
Oder wenn der widerwärtige Hotelheini auf Kreta zu seinen neuen Gästen sagt: „Have fun, but not too much. You shit on floor, you pay 50 Euro fine. Each time.“ Oder wenn Will (Simon Bird) feststellt: „Dads are like arseholes: everyone’s got one. Plus they’re arseholes.“
Will sagen: Wie da fette englische Bratzen in zu kurzen Röcken gezeigt werden, die äußere Anmut allenfalls durch ein strahlendes Selbstbewusstsein ersetzen, vier hoch peinliche Teenager zwischen Extrem-Nerd und Vollpfosten, das ist von einer Selbstironie getragen, freilich auch von darunterliegender englischer Selbstsicherheit, die es in amerikanischen Teenagerfilmen dieser Art so (glaube ich) nicht gibt, und in Deutschland schon gar nicht. Da schämt man sich allenfalls, wenn andere Leute sich dermaßen daneben benehmen, und zwar für sie, aber man lacht nicht darüber. Und schon gar nicht mit ihnen. Engländer aber schon. Das belegt nicht zuletzt der Umstand, dass „The Inbetweeners Movie“ in England den Einspielrekord aller Komödien am Premierenwochenende gebrochen hat und nun vor „Bridget Jones — The Edge of Reason“ und „The Hangover II“ liegt.
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„Noel Fielding’s Luxury Comedy“ (schon wieder E4, 2012) zuguterletzt ist „gloriously weird“ oder aber völlig witzfrei, ich bin mir noch nicht ganz sicher. Sicher ist: Es ist eine Art Sketchshow, in der Noel Fielding (die jüngere Hälfte des „Mighty Boosh“-Duos) seinen surrealen Albernheiten freien Lauf lassen darf, ohne Julian Barratt, dafür aber mit Sergio Pizzorno von der britischen Rockgruppe Kasabian, der hier die Musik beisteuert, und einigen der üblichen Verdächtigen (Bruder Michael Fielding, Rich Fulcher, Richard Ayoade). Es ist viel Animiertes dabei, an dem man auch deutlich die Fieldingsche Handschrift erkennen kann, und es ist bestimmt auch ganz lustig, für Hardcore-„Mighty Boosh“-Gucker. Ich persönlich bin nach zwei Folgen gespalten: Richtig oft lachen musste ich nicht, aber für ein endgültiges Urteil ist es wohl noch zu früh. Wer die erste Episode gucken möchte: Hier ist sie.
Was kann Bill Hicks froh sein, dass er zu Zeiten lebte, als Twitter noch nicht erfunden war! Der Mann kam sein ganzes (zugegeben kurzes) Leben praktisch mit den gleichen 120 Minuten Material aus, das er immer und immer wieder verwendete. Gutes Material, sicher. Aber halt doch recht überschaubare Mengen davon.
Stewart Lee dagegen, dessen neues Programm„Carpet Remnant World“ ich in London zu sehen die Gelegenheit hatte, berichtet von eher neuen Problemen: Nach zwei Staffeln „Comedy Vehicle“, die je (fast) drei Stunden (fast) neues Material erforderlich machten, braucht er dringend frischen Witze-Stoff — schließlich kommt ein Teil seines größer werdenden Publikums, nachdem es die Show gesehen hat, und will keine alten Scherze nochmal vorgesetzt bekommen. Neue Scherze probiert er regelmäßig in 20-Minuten-Slots zusammen mit anderen Comedians in Pub-Hinterzimmern aus, um ein Gefühl für Form und Inhalt zu bekommen; Scherze also, die er eventuell erst ein paar Stunde zuvor geschrieben hat und die noch längst keine endgültige Form haben. Scherze aber, die er am gleichen Abend noch bei Twitter nachlesen kann, wo Hardcore-Fans sie bereits der Weltöffentlichkeit zu lesen geben. Womöglich mit der Anmerkung: Schwach! Früher war er besser!
Schlechte Zeiten für Stand Up-Comedians also. Immerhin das Filmen und Fotografieren kann man dem Publikum verbieten, und das wird auch recht strikt durchgesetzt. Zumal es in Lees aktuellem Programm selbstverständlich wieder um Meta-Ebenen geht und deshalb einzelne Witze, aus dem Zusammenhang gerissen, leicht verfälscht wiedergegeben werden können, selbst als Film-Clips. In „If You Prefer a Milder Comedian, Please Ask for One“ war es ein Rant über „Top Gear“ und darüber, dass er sich wünsche, Richard „The Hamster“ Hammond sei bei seinem Raketenautounfall brutalst zu Tode gekommen; ein Rant, der nur verständlich war, wenn man seinen Rahmen kannte: Nämlich dass Lee den skrupellosen Humor von „Top Gear“ und das Bullying v.a. Jeremy Clarksons zum Gegenstand gemacht hatte („It’s only a joke, like on ‚Top Gear‘!“). Schon da versuchte die Yellow Press (vergeblich), Lee ans Bein zu pinkeln; im Falle eines anderen Rants gegen Michael McIntyre, der, laut Lee, seinem Publikum seine „warme Diarrhoe mit dem Löffel verabreicht“, klappte das schon besser: Da ließ sich für das ungeübte Auge nicht so leicht erkennen, dass das lediglich der extrem neidische Blick einer Bühnenfigur war, die Lee spielt, nämlich sein Alter Ego als erfolgloser Stand Up-Comedian, der dem familienkompatiblen, sprich: sehr harmlosen McIntyre dessen irren Erfolg neidet. Und vor allem dessen Möglichkeit, äußerst schlichte observational comedy zu machen.
In Lees neuem Programm geht es unter anderem um Islam und scheinbar naive Kinderfragen (Lees Sohn ist, glaube ich, fünf); abermals ein (vorgeblicher) Versuch, beobachtende Comedy zu machen, und der Bericht darüber, wie schwierig das ist und wie ermüdend. Abermals versucht Lee, sein Publikum in die Irre zu führen, es glauben zu lassen, seine Witze verhungerten auf offener Bühne, er, Lee, könne also gar keine Stand Up-Comedy. Aber das klappt schon nur noch bedingt. Mittlerweile wissen zum Glück doch die meisten, wie gut Stewart Lee wirklich ist, obwohl er immer noch damit spielt, dass ein Teil seines neuen Publikums falsche Erwartungen hat und doch besser gleich heimgehen sollte.
Noch ein Problem der modernen Welt: Lees Publikum ist intelligent genug, das Internet bedienen zu können, und lädt sich deshalb seine DVDs zunehmend illegal herunter. Ein Problem, harrharr, das Michael McIntyre nicht hat — sagt Lee. Shame! Besser: online bestellen! Meine Tips wären: „Stewart Lee’s Comedy Vehicle“ (die zweite Staffel) und die letzte Live-Show „If You Prefer a Milder Comedian, Please Ask for One“. Und für weitergehend Interessierte: seine Quasiautobiographie „How I Escaped My Certain Fate“ mit vielen Stand-Up-Transkripten (das „Album“, sozusagen) sowie die letzte „EP“, also den Text von „If You Prefer…“ (hierzulande leider nur für Kindle erhältlich), wie schon in der Autobiographie mit zahlreichen Fußnoten versehen, die Absatz für Absatz erklären, was da wie funktioniert. Für Humortheoretiker eine prima Sache!
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