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Archiv für August, 2012

Louis C.K.: der Jazzer unter den Comedians

30. August 2012 3 Kommentare

Lange schon wollte ich etwas über Louis C.K. und „Louie“ (FX, seit 2010) schreiben. Vielleicht habe ich zu lange gewartet. Denn spätestens seit Anfang der laufenden dritten Staffel ist mir die „Sitcom“ (bzw. das „ComedyDrama“), man kann sie schon nur noch in Anführungszeichen so nennen, dann doch fast ein bisschen zu sehr… nun ja, Jazz.

Dabei hat alles so gut begonnen: Der Stand-Up Comedian Louis C.K. spielt in „Louie“ einen Stand-Up Comedian namens Louie, der (wie Louis C.K.) in New York lebt und wirkt, geschieden ist (wie Louis C.K.) und deswegen seine beiden Töchter (im Vorschulalter bzw. gerade eingeschult) vorwiegend an den Wochenenden bei sich hat (ebenfalls wie Louis C.K.).

Die Trailer zu den drei Staffeln zeigen schon die Entwicklung von „Louie“ ganz gut, darum sind sie hier alle drei: Das ist der erste (2010)

Die Show selbst erzählt meist unaufgeregt kleine Episoden aus Louies Alltag: wie es ist, als Über-Vierzigjähriger noch bzw. wieder Dates haben zu müssen, obwohl einem die Haare ausgehen und die Wampe wächst. Gegen wie viele verzweifelte, neurotische Singlefrauen in seiner Umgebung Louie zu kämpfen hat. Über die Comedy-Kollegen, mit denen er sich die Abende und Nächte in Comedyclubs um die Ohren schlägt. Und über Louies schwieriges Verhältnis zu seiner gesamten Verwandtschaft. (Die ganzen Brüder, Schwestern, Mütter usw., die Louie über die letzten Staffeln für nur eine Folge oder zwei aus dem Hut gezaubert hat, hätten ein erster Hinweis sein können auf den Charakter der Show, denn die waren erkennbar ausgedacht und als reine Vehikel eingesetzt.) Dabei zeigen die meisten Folgen zwei kleine Geschichten, manche nur eine etwas größere Story, zwischengeschnitten mit Louies Auftritten und Stand Up-Monologen; ein bisschen wie bei „Seinfeld“.

Es wäre sehr leicht, jetzt eine Überleitung zu finden, die auf „Show about nothing“ abzielte, als die „Seinfeld“ immer wieder dargestellt wurde — fälschlicherweise, denn tatsächlich konnte man bei „Seinfeld“ ja meistens eine Geschichte ausmachen, die durchaus nacherzählbar war. Anders als bei späteren z.B. englischen Serien („The Royle Family“), wo das nicht mehr ging. Aber gegen „Louie“ war „Seinfeld“ der reinste Pop: mit einer Band, in der jeder eine erkennbare Funktion hatte, mit Songs, die einer klaren Struktur folgten. „Louie“ aber ist Jazz.

Jazz ist auch der bevorzugte Soundtrack von „Louie“. Vermutlich eher nicht zufällig. Denn es gibt zu viele Parallelen zwischen Musik und Comedy in dieser Serie. Das beginnt damit, dass wir zwar noch einen formalen Rahmen haben: eine klassische 22-Minuten-Single-Camera-Show, die mit Louies Stand-Up beginnt und aufhört und dazwischen meist die Ereignisse eines Tages, einer Nacht oder höchstens einiger weniger Tage erzählt.

Doch die Melodie, der Inhalt, die Story jeder Folge der Show wird immer freier, immer improvisierter; die gleichen Themen von Einsamkeit, Sex, Kindern und Altwerden werden von Louis C.K. immer freier interpretiert. Mittlerweile hängen die beiden einzelnen kleinen Geschichten einer Folge schon gar nicht mehr zusammen, und auch die Stand-Up-Schnipsel haben manchmal gar keinen erkennbaren Bezug mehr zur restlichen Folge.

Interessanterweise ist mir das als Zuschauer aber lange gar nicht aufgefallen. Zu sehr habe ich mich darauf verlassen, dass da schon ein zugrundeliegendes Thema sein wird, das in zwei disparaten Plots auf unterschiedliche Weise behandelt wird (wie es „Modern Family“ beispielsweise tut, wo gerne das selbe Thema von den drei Familien in drei Varianten paraphrasiert wird). Ich dachte, ich sei nur zu faul, darüber eingehender nachzudenken, was die gemeinsamen Wurzeln der jeweiligen Folge sind.

Bis ich irgendwann darauf kam, dass da kein gemeinsames Thema ist. Es ist nur die formale Klammer, die alles zusammenhält. Das wiederum bedeutet aber, dass eine große Kunstfertigkeit im Spiel sein muss, weil ich sonst als Zuschauer ja nur verwirrt und gelangweilt wäre. Bin ich aber nicht. Noch bin ich nicht so weit, „Louie“ von meinem Fernsehprogramm zu streichen — obwohl ich mittlerweile nicht mehr sicher bin, warum eigentlich.

Denn mit Comedy haben die meisten Folgen der laufenden Staffel schon kaum mehr zu tun. Zwar gibt es viele oft schwarzhumorige Momente, und oft genug ist der Ton der Show so uneigentlich, dass sie unterhaltsam genug ist. Gags im engeren Sinne gibt es aber schon länger kaum noch.

Aber „Louie“, die Serie, hat einen so starken eigenen Charakter, eine solche Distinktion, eine so eigene Humorfarbe, dass ich gerne zusehe. Louis C.K. hat von FX wohl weitgehend freie Hand für seine Serie, was eine große Ausnahme für us-amerikanisches Fernsehen ist: Er schreibt, führt Regie, produziert und spielt die Hauptrolle — das kennt man zwar aus vielen britischen Fernsehcomedys. Aus amerikanischen aber eigentlich nicht.

Und Louie bzw. Louis, der Stand-Up Comedian, hat ebenfalls einen so eigenen und starken Charakter, dass ich ihm meistens gerne zusehe: Wie er es schafft, so sympathisch rüberzukommen, dass er die schlimmsten Gedanken in seinen Stand Up einbauen kann, ohne verprügelt und/oder verhaftet zu werden, das ist schon ziemlich sensationell. Immer wieder überschreitet er Grenzen, wenn er davon berichtet, wie sehr er seine Kinder hasst, wenn er Gedankenspielen nachgeht, wie schlimm Mord eigentlich ist, wenn ihn keiner bemerkt, und natürlich wenn er erbärmlichste Sex-Übungen alleine und zu zweit vollführt — und doch ist er das Gegenteil von zynisch, doch identifiziert man sich in jeder Sekunde mit ihm.

Allerdings muss man, wenn man die aktuellen Folgen „Louie“ sieht, die Figur Louie und die Regeln der Show schon gut kennen, um noch etwas davon zu haben. Man muss Jazz-Fan sein. Der Comedyautor und Blogger Ken Levine berichtet, Louis C.K. habe sich mit seiner Bewerbungs-DVD für die Emmys eher selbst geschadet (gerade sehe ich, ich habe darüber schon einmal geschrieben):

Personally, I thought his screener DVD hurt him. There were better, funnier episodes he could have submitted. The first one he offered opens with him waiting at a subway platform. There’s a violinist playing furiously for five minutes and a homeless guy showering by pouring bottled water on himself. This goes on endlessly. Then the subway arrives. We see the refuge of New York City. On a seat there is some disgusting sludge. People stare at it. Louie finally gets us, takes off his jacket, and mopes up the disgusting mess. If you’re a LOUIE fan, I’m fan (sic) this was all rollicking. But if you’re not, or you’ve heard good things but were sampling the show for the first time, I think by the seven-minute mark you were done.

Wenn diese Szene nicht Jazz ist, dann weiß ich auch nicht. Kann natürlich verwirrend sein, wenn man Pop erwartet hat: Weil man bei Comedy immer wissen muss, in welchem Bezugsrahmen man gerade ist. Falsche Erwartungen sind tödlich für Komik. Womit wir letztlich bei einer Kommunikationstheorie für Komik gelandet wären. Darüber, und über das herausragende Buch „What Are You Laughing At?“ von Dan O’Shannon, das genau eine solche Kommunikationstheorie für Comedy entwickelt hat, ein andermal mehr.

Switch, Switch, hurra! Reloaded

27. August 2012 12 Kommentare

Alle zwei Jahre wieder: Heute abend um 22.15 Uhr auf ProSieben läuft die erste Folge der neuen Staffel „Switch Reloaded“ — und zwar abermals mit einigen Nummern von meiner Wenigkeit.

Fantastischerweise ist der gesamte Cast trotz langer Pause, diverser anderer Projekte der Beteiligten und neuer Produktionsfirma wieder an Bord — diese Kontinuität ist, glaube ich, ein nicht unerheblicher Faktor für den Erfolg von „Switch“. Was nicht heißen soll, dass es nichts Neues geben wird. Im Gegenteil: So ziemlich alles ist neu in dieser Staffel. Jedenfalls die meisten Fernsehformate, die parodiert werden. Unter anderem werden das „Aktenzeichen XY“, „Die Geissens“ und „Berlin — Tag & Nacht“ sein. Ein echter Knaller könnten auch die Parodien auf den „Tatort“ aus Münster werden. Am meisten freue ich mich aber auf die Umsetzung der brillanten Idee, wie man „Obersalzberg“ weiterführen kann, obwohl das nach der letzten Staffel (in der der Russe Berlin ja schon erreicht hatte) nicht sehr wahrscheinlich erschien. Doch Stefan Stuckmann, von dem die ganze „Obersalzberg“-Reihe bei „Switch“ stammt, hat einen Weg gefunden.

Was riecht hier denn so komisch?

Was habe ich gelernt aus dem Sketcheschreiben für „Switch“? Zum einen musste ich (abermals) feststellen, ein wie großer Teil des deutschen Fernsehens mir unbekannt ist — und das, obwohl er zum Teil erschreckend erfolgreich ist. „Berlin — Tag & Nacht“ etwa. Wer hätte gedacht, dass es ein Format gibt, das sich Pseudo-Doku-Soap nennt? Oder Inga Lindström. Hätte ich glatt für einen Schwedenkrimi gehalten, hätte ich nicht für „Switch“ was davon gucken müssen. Und wie bei „Um Himmels Willen“ vor zwei Jahren war es auch hier: wenn man es ironisch guckt, lacht man ganz gut — jedenfalls die erste halbe oder Dreiviertelstunde. Danach ist dann zu klar, wo es lang geht, wer mit wem in dieser Rosamunde-Pilcher-Variante für Schwedenfreunde am Ende in der Kiste landen wird.

Zum anderen: So gut es für die Kreativität auch ist, Einschränkungen zu unterliegen — bei „Switch“ etwa die Festlegung auf einen einzigen Schauplatz und die Kürze der einzelnen Szenen (die bei „Switch“ logischerweise „Switches“ heißen und von denen es meist drei braucht für einen Sketch): sobald die Einschränkungen so weit gehen, dass man auf Dialogscherze reduzierte Sketche schreiben muss, tu ich mir schwer. Ich mag einfach visuelle Gags, Aufziehscherze (so heißt das, wenn die Kamera gegen Ende einer Nummer von z.B. einem Protagonisten wegzoomt und man sieht, dass alles ganz anders ist als gedacht) und Slapstick. Leute, die mit dem Fahrrad in Mülltonnen fahren — da könnte ich mich kaputtlachen, schon beim Schreiben. Grobe Reize? Von mir aus.

Zuguterletzt habe ich gelernt, warum Bücher übers Schreiben von Comedy für die Tonne sind: Weil man nicht aus Büchern lernen kann, komisch zu sein, so wenig, wie man aus Büchern das Fahrradfahren lernt. Ich jedenfalls brauche immer neue Ansätze, Herangehensweisen und Anläufe: Mal hilft es, wenn ich mich frage, wie wohl ein z.B. „Seinfeld“-Autor eine Nummer für „Switch“ angehen würde (nämlich vermutlich mit viel Gelaber). Manchmal hilft es mir, nur von einem einzigen komischen Bild auszugehen (etwa: jemand simuliert in einer unpassenden Situation ganz offensichtlich, auf dem Handy angerufen zu werden, und geht allen damit auf die Nerven) und einen Sketch drumherum zu stricken. Neulich habe ich von einem Cartoonisten des New Yorker gehört, er gehe wiederum ganz anders an Cartoons heran, nämlich so, dass er sich zuerst eine bestimmte Reaktion seiner Leser auf den Cartoon vorstelle — zum Beispiel eine Mischung aus ungläubigem Staunen und Entsetzen — und dann überlege, wie er diese Reaktion erzeugen könnte. Das Geheimnis ist wohl, dass man sich selbst überraschen muss. Das wiederum kann man vielleicht üben oder Routine darin erwerben, aber lernen? Ich weiß nicht.

Aber was ich weiß: Heute abend um 22.15 Uhr ist „Switch“-Pflicht. Für alle. Morgen frage ich ab!

It’s so offshore!

24. August 2012 1 Kommentar

Als Redakteur einer namhaften deutschen Satirezeitschrift war ich nie besonders glücklich, wenn es darum ging, sogenannte „Aktionen“ zu machen. „Aktionen“ bestanden meistens hauptsächlich daraus, dass man einen Tapeziertisch einpackte und einen Haufen Bücher (ganz egal welche), sich damit an einem belebten Teil der Frankfurter Zeil aufbaute, und dann Leuten mit Fragebögen auf die Nerven ging. Zu besseren Aktionen verkleideten wir uns zusätzlich, als Postboten, SPD- oder FDP-Mitglieder, und gingen dann Leuten mit Fragebögen auf die Nerven. Fragebögen, weil die das Mittel der Wahl waren, an Textbausteine zu kommen, die uns später das Artikelschreiben erleichterten. Bis heute sind einzelne ehemalige Titanic-Mitarbeiter sehr gut in dieser Art der Guerilla-Satire.

Meins war das nie, weil ich furchtbar schlecht darin bin, mich zu verstellen und in die Rolle von Nervensägen zu schlüpfen, die harmlosen Zeitgenossen auf den Sack gehen — ich bin für sowas zu konfliktscheu und leider auch nicht besonders schlagfertig. Außerdem schien es mir manchmal ein bisschen beliebig, sich zufällige Opfer auf der Straße zu suchen — das machten irgendwann alle, vor allem viele halblustige Comedians in halblustigen Fernsehshows, die Menschen drangsalierten, denen sie jederzeit deutlich überlegen waren. Aktionssatire war also kein Alleinstellungsmerkmal für Titanic mehr; wie das Heft sowieso immer mehr gegen ubiquitäre (und kostenlose) Comedy zu kämpfen hatte, die erst vom Fernsehen, dann auch noch via Internet verbreitet wurde.

Doch wenn man sich die richtigen Opfer sucht und ihnen richtig auf die Nerven geht: dann kann Aktionssatire noch funktionieren. Das beweist gerade die neue Prank-Clipshow „The Revolution Will Be Televised“ (BBC3). Dort such sich Heydon Prowse und Jolyon Rubinstein Opfer, die größer sind als sie: Banker, steuerhinterziehende Milliardäre, den MI6. Und Botschafter in London, die sich die Congestion Charge sparen, weil sie wegen diplomatischer Immunität nicht belangt werden können. Prowse und Rubinstein, in Verkleidung als männliche Politessen, bringen ein paar Wegfahrsperren an Botschaftswagen an und versuchen dann, von den Botschaftsmitarbeitern die aufgelaufenen Congestions Charges einzutreiben: bei der finnischen Botschaft (133 000 Pfund), und bei der deutschen (3,6 Millionen Pfund (!)). Besonders die Deutschen kommen, Überraschung, bei dieser Konfrontation nicht so gut weg:

The guy at the Finnish embassy is a very jovial chap. Whereas the high-ranking German diplomat is a total Arschloch. He, and his scary henchmen, are pretty stupid too – how can they really think that a guy in a Day-Glo bib turning up asking for a cheque for £3.6m is anything but a joke?

Vielen Dank dafür, dass wir das im Guardian über Deutsche im Ausland lesen dürfen, die ja aufgrund ihres Berufes eigentlich irgendwie diplomatisch und politisch geschult sein sollten.

Hier ist die komplette Show, die Deutschen werden ab 4:18 vorgeführt:

… leider offline.

Aber die beiden schleichen sich auch als Verkäufer bei Topshop ein, dessen Besitzer über ein paar Steuertricks, die vor allem mit seiner Ehefrau und ihrem ersten Wohnsitz in Monaco zu tun hatten, 285 Millionen Pfund gespart hat. In seinen Läden führen sie lustige Verkaufsgespräche („It looks so offshore!“) und stellen eine Schaufensterpuppe in die Auslage, die ein T-Shirt „Hate Taxes — Love Monaco“ trägt.

Und sie sammeln Spenden von Londoner Innenstadtbankern, die sich mit öffentlichem Geld hatten retten lassen. Ihre Aktion heißt GUBOFMYC: „Give us back our fucking money, you cunts“. Erfrischend direkt, könnte man sagen.

Vor allem aber ist es politisch, zutiefst aufklärerisch und doch komisch — meistens jedenfalls. Hin und wieder merkt man schon, dass das Format nicht ganz neu ist. Aber die Dreistigkeit, mit der Prowse und Rubinstein bei Tony Blairs Wohnung auflaufen, um eine Hinterglasmalerei vom „heiligen Tony“ über seiner Tür anzubringen (die sie im Zuge ihrer Kampagne für die Heiligsprechung von Tony Blair haben anfertigen lassen), ist sehr lustig. Überhaupt ist es meistens komisch, wenn die Polizei kommt, wie etwa zum Sitz des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6, vor dem eine Meute „holländischer“ Partypeople Einlass begehrt zum SM- und Bondage-Club, von dem sie schon so viel gehört haben. Oder wenn die Polizei schon da ist und mitten während Occupy-Demos dumme Fragen beantworten muss, die ihnen ein extrem konservativer, sensationsgeiler Reporter stellt. Sein Name: Dale Maily.

Über „The Revolution Will Be Televised“ werden sich vor allem die freuen, denen das „post“ in „postmoderne Satire“ auf die Nerven geht. Geeignete Ziele für Satire gibt es mehr denn je.

Bergab in die Hölle

12. August 2012 4 Kommentare

Vielleicht liegt es daran, dass ein Leben nun mal nicht der dreiaktigen Filmstruktur folgt, wie wir sie aus den meisten Filmen kennen. Möglicherweise war dieses Dilemma jeden Biopics, dass man sich immer zwischen einer halbwegs geradlinigen Dramaturgie und dem mäandernden Verlauf eines echten Lebens entscheiden muss, der Grund, „Permanent Midnight“ (1998) eine Schachtelstruktur zu geben, die der Geschichte wenigstens eine gewisse äußere Form gibt. Eine Entscheidung, die den Film unnötig künstlich und anstrengend und sehr, sehr schwer gemacht hat, obwohl er gerne leicht sein möchte. Dabei hätte er diese überambitionierte Verschachtelung gar nicht nötig gehabt.

Vielleicht hat es aber auch ganz andere Gründe, dass die Verfilmung von Jerry Stahls Leben (bzw. der ersten, drogengeschwängerten Hälfte davon) misslungen ist, obwohl Ben Stiller und Elizabeth Hurley von der Partie sind (ja, auch Owen Wilson ist mit dabei) und die „Natural Born Killers“-Produzenten Jane Hamsher und Don Murphy. Und obwohl Stahls Leben alles andere als das eines typischen Junkies war. Und doch auch wieder genau das eines typischen Junkies.

Denn Jerry Stahl war, als er ans Heroin geriet, Fernsehautor in Hollywood, und ein erfolgreicher dazu. Allerdings erfolgreich mit nichts, worauf er hätte stolz sein können: Stahl war (unter anderem) Autor für „Alf“ (NBC, 1986 – 90). Und er hat seine Abhängigkeit ignoriert, verleugnet, heimlich zelebriert, wie es alle Junkies tun, bis sie sich nicht mehr ignorieren und verheimlichen ließ.

Wo aber der Film versucht, ComedyDrama zu sein (woran er am kläglichsten scheitert), da ist die viel bessere Autobiographie von Stahl eindeutig: Wir haben es mit einem Drama zu tun. Wenn auch mit einem, innerhalb dessen immer wieder finstere, ja geradezu dämonische Momente des comic relief gesetzt sind.

Denn Stahl lebt nicht in dem Lemmy-Kilmister-Ronnie-Wood-Universum, wo Drogen zwar böse sind, aber im Grunde nur die Gesundheit ruinieren, nicht das Leben, weil der Star selbst nicht ersetzbar ist. Autoren sind ersetzbar und werden ersetzt, auch Stahl. Der lebt in einem Universum, in dem er auf Heroin von L.A. nach Pittburgh fliegen muss, zurück nach Hause, weil sich seine schwer depressive Mutter umgebracht hat. In ihrem Appartement ist alles voll mit ihrem Blut, und im Bad entdeckt er, immer noch im Heroinrausch, ihren Abschiedsbrief: ein „NO“, das sie mit ihrem eigenen Blut an den Spiegel geschrieben hat. (Eine Szene, die im Film nicht halb so eindringlich geschildert wird wie im Buch.) Dann schrubbt er das Blut weg und fliegt er zurück nach L.A., eine weitere Folge „Alf“ schreiben.

Besser noch als solchermaßen dramatische Szenen sind aber die eher leisen Beschreibungen Stahls, wie das Leben als hochfunktionierender Junkie zu Beginn seiner Karriere verläuft: wie er das Timing lernt, sich gerade einen Schuss auf der Toilette zu setzen, während die Gäste für den Abend an der Tür klingeln. Wie er ansonsten gesund und geregelt lebt: nur Biogemüse isst, regelmäßig joggt, eigenes Häuschen, sogar eine Frau, die ihn zwar mehr wegen der Greencard geheiratet hat, aber sich irgendwann in ihn verliebt. Wenn da nicht das Heroin wäre und später das Crack. Und Alf, der irgendwann beginnt, Stahl bis auf die Toilette zu verfolgen. Auch daraus macht Stahl wiederum eine Geschichte, über die die Leute lachen können.

Jerry (Ben Stiller) auf Crack

Und da ist noch das ganze restliche kaputte Leben mit viel Talent und wenig Willenskraft; ein Leben, das für Stahl professionell beginnt, als er semipornographische Kurzgeschichten für das Beaver Magazine schreibt, später für den Playboy, während ihn sein Talent rasch höheren Aufgaben zuführt. Immer ist da schon der Alkohol und verkorkste Frauengeschichten; die amour fou mit der Deutschen Dagmar etwa, die opiumabhängig ist und verheiratet mit einem Sohn der Familie Krupp, was für einen Juden wie Stahl recht eindeutige Assoziationen mit sich bringt:

She rolled her eyes and wailed at the faraway Fatherland, „Nein, nein, nein!“ And then, even louder, „Oi Gott! I’m fucked by a Jew!“

Selbstredend fügt sich da auch der Name Stahl bestens in die Geschichte: Krupp, Stahl, Jerry Steel, harter Sex… Da stimmt alles, es wird schon zum Klischee.

Doch während seiner äußert erfolgreichen Zeit beim Fernsehen, als er 5000 Dollar die Woche verdient, beginnen die Probleme: er hat ein 6000-Dollar-die-Woche-Hobby. Und dann wird er Vater.

Selbst diesen Moment, wie Stahl während der Geburt seines Kindes auf der Krankenhaustoilette fixt, ruiniert der Film leider komplett. Ben Stillers Charme ist das Gegenteil von Stahls Charakter im Buch: Stillers liebenswerte Naivität hat nichts mit der Persönlichkeit Stahls zu tun, die immer auf Distanz zur Welt bedacht ist, sich (und anderen) permanent zusieht und eben deshalb erfolgreiche Drehbücher schreiben kann.

Warum irgendjemand den Stahl Ben Stillers einstellen sollte, wird im Film leider nie klar. Der wirkliche Jerry Stahl dagegen schreibt eben nächtelang durch, sein allererstes Drehbuch für eine Folge „Alf“ wird doppelt so lang, wie es für 20 Minuten hätte sein dürfen. Der echte Stahl brennt für etwas. Ben Stillers Stahl brennt nicht.

Schade also, dass Jane Hamsher aus diesem Buch nicht mehr herausgeholt hat. Dabei ist sie selbst Autorin. Unter anderem hat sie ein Buch über die Entstehung von „Natural Born Killers“ geschrieben, in dem Quentin Tarantino nicht sehr gut wegkommt. Darüber ein andermal mehr. Anders vermutlich als über die Filmversion von „Alf“, die demnächst kommen soll. Das hier ist ein Blog über Comedy, nicht über Horrorfilme.