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Archiv für Februar, 2015

#Erwachsenenfernsehen

18. Februar 2015 Keine Kommentare

Schriebe man eine der stärksten Szenen von „Togetherness“ (HBO) ab, käme vermutlich kein Mensch, der die Serie nicht kennt, darauf, dass das komisch ist oder sein soll. Keine Pointe, die sich nacherzählen ließe, kein Slapstick; cringe comedy, komisches Erschaudern vor allzu drastischer Peinlichkeit, ist zwar im Spiel, aber es ist viel mehr als das, was diesen Moment so lange nachwirken lässt.

Was also ist an einem Streit zwischen einem Mann und einer Frau, die schon lange miteinander verheiratet sind, so komisch, dass ich Bauchschmerzen vor Lachen (und aber gleichzeitig auch vor Traurigkeit) bekommen habe? Es ist vermutlich die Unausweichlichkeit, mit der Brett (Mark Duplass) und Michelle (Melanie Lynskey) daran scheitern, ihr Sexleben nach zehn Ehejahren wiederzubeleben, dieser zwischenmenschliche Unfall, eindringlich wie ein schlimmer Eisenbahnunfall in Zeitlupe, verheerend, mit der Wucht von Waggons und Waggons voll Schrott und Steinen, die aus den Schienen springen, sich ineinander verkeilen und niemandem eine Chance lassen, der im Weg steht, keinem Baum, keinem Strommasten, nichts.

Dabei meinen sie es nur gut. Brett Pierson, Tontechniker beim Film in L.A., und Michelle gehen ja doch behutsam miteinander um. Sie sind über die Jahre spießig geworden, aber sie lieben sich; sie lässt ihre ältere (aber attraktivere) Schwester Tina (Amanda Peet) vorübergehend im Haus unterkommen, weil die gerade mal wieder eine nur allzu flüchtige Affäre hinter sich hat, er gibt seinem besten Kumpel Alex (Steve Zissis) Obdach, einem mehr oder weniger gescheiterten Schauspieler, dessen Grundproblem ist, dass er für Hauptrollen zu dick und für Nebenrollen als lustiger Dicker nicht dick genug ist. Diese beiden entwickeln eine ganz eigene Dynamik, als Kontrastfolie zum schwierigen Eheleben der Piersons.

Und klar, Brett ist eine schlimme Pfeife mit schlimmer Frisur und schlimmer Brille (samt schlimmer Angewohnheit, diese Brille hochzuschieben). Aber er ist kein Arsch. Er lädt Michelle ein, überraschend, in ein Hotel, zu einem romantischen Dinner und aushäusigem Übernachten, um mal die Kinder los zu sein, aber die Erwartungen sind zu hoch: Er schiebt ihr wieder das Kopfkissen zurecht, bevor er in sie eindringt, damit sie es bequem hat, was sie hasst, ihm aber nicht sagt; er will alles richtig machen, aber beide kennen jeden Handgriff des anderen schon zu lange und viel zu genau, auch im Voraus, da entsteht kein magischer Moment mehr, kein Funke, die Zündplättchen sind längst feucht, und zwar kann man dies und jenes kurz sagen und klarstellen, um vielleicht Kleinigkeiten zu ändern, aber je mehr man redet, desto weniger spontan und unbefangen ist man, und wenn man erst dreimal „in den Rhythmus kommen“ gesagt hat, wird es furchtbar, wenn man das aber anmerkt, wird es noch furchtbarer, man kann schließlich kein Meeting abhalten, während man Sex hat, keine diplomatischen Gespräche führen, während man ficken will, das geht nicht, da hat man keine Chance, man kann nicht gewinnen.

Und so explodiert er schließlich, unten schlaff und oben verspannt, weil er nicht gewinnen kann und keinen hoch kriegt, und das ist so gemein, weil sie ja auch nichts dafür kann und sich eigentlich freut, dass er sie überraschen will, wo ja ihre eigene Überraschung, ihn mit verblüffend dominantem Begehren zu sexuellem Handeln zu zwingen, auch schon nicht geklappt hat, und es ist alles so traurig und so erbärmlich und gleichzeitig so tragikomisch, weil man meint, es genügt schon, einen Schritt zurückzutreten, dahin, wo man selbst ist, vor der Mattscheibe, um zu erkennen, wie albern und wie lächerlich diese Hemmungen und Verspannungen sind, diese sich selbst reproduzierenden Muster, Abwärtsspiralen, Todesstrudel im Ehebett, schaut euch doch mal an, ihr Trottel! Aber sie können es natürlich nicht, sie sind ja sie selbst und keine Zuschauer, und immerhin erkennt Brett sich ja im Badezimmerspiegel dann doch wieder und findet zu sich zurück und bittet Michelle um Verzeihung, und sie verzeiht ihm natürlich auch sofort.

Das ist alles mehr der ruhige, unaufgeregte Gestus des Independent-Films als der typischen Sitcom, und tatsächlich kommen Mark und Jay Duplass, die Brüder hinter „Togetherness“, auch vom Indiefilm und machen nun ihre erste Sitcom bei HBO, die eine so berührende Nähe zwischen den Figuren herzustellen vermag, eine solche Intimität, dass die kleinen Katastrophen dann richtig weh tun, und da haben wir noch nicht von der Chemie zwischen Zissis und Peet gesprochen, die eine ganz andere ist: er der Loser, sie, die in einer ganz anderen Liga spielt und kein Problem hat, sich an Filmproduzenten ranzuschmeißen, vor denen er sich am liebsten in einer Sofaritze verstecken würde, aber in Wahrheit ist natürlich sie haltlos und er, obwohl nach außen eine lächerliche Figur mit Clownsfrisur, der viel stärkere.

„Togetherness“ ist neben „Catastrophe“ schon die zweite Sitcom, die ich unter #Erwachsenenfernsehen zusammenfassen würde: klar, wegen der Erwachsenenthemen von a) lange Verheirateten oder b) Menschen, die einander erst mit über 40 finden, schwanger werden und sich dann zusammenraufen müssen. Aber #Erwachsenenfernsehen auch, weil es ehrlich ist, nicht der drastisch-komische Reiz (der ja auch sehr komisch sein kann), sondern funny ‚cause it’s true, nicht die typischen Sitcom-Figuren, die alle larger than life sind, sondern eher ein bisschen kleiner.

Deswegen will ich „Togetherness“ auch gar nicht über den grünen Klee loben und Erwartungen von Überwältigung ob der neuen Comedy-Entdeckung wecken, die dann vielleicht enttäuscht werden, denn die Serie ist eher leise und klein und (wenn wir schon bei so viele Anglizismen sind) ein slow burner, weil man Brett nicht wirklich sofort mag, er ist halt doch ein bisschen patronizing, ein bisschen analfixiert, und geht seinem Filmregisseur mit echtem Koyotengeheule auf die Nerven, das er, Brett, extra in einem Tal jenseits der Stadtgrenzen aufgezeichnet hat, obwohl der Regisseur, faktisch falsch natürlich, das Heulen eines Wolfs unter eine Filmszene in Kalifornien gelegt hatte, weil das besser klingt und nicht irritiert wie das merkwürdige Koyotenheulen, und Brett hat natürlich genaugenommen Recht, aber wen interessiert das, niemanden, genauso wenig wie das viele gute Essen, das vom Büffet am Set im Müll landet, obwohl man es doch nicht alles wegschmeißen muss, es ist doch noch gut, aber nur Brett will es retten; armer, nerviger Brett.

Die wahre Entdeckung aber ist freilich Zissis, den ich künftig in allen HBO-Serien sehen möchte, wenn es geht.

„Togetherness“ hat schon eine zweite Staffel zugesagt bekommen, und ich finde es ganz gut, falls man das noch nicht gemerkt haben sollte.

Das „Breaking Bad“, das vor „Breaking Bad“ war

2. Februar 2015 Keine Kommentare

Über den vergangenen Sommer bis vor ein paar Tagen habe ich zwei klassische Serien nachgeholt, die schon lange auf meinem Zettel standen: „The Wire“ (HBO, 2002 – ’08) und „The Shield“ (FX, 2002 – ’08).

„The Wire“ entpuppte sich dabei, genau wie die eingeschworene Fangemeinde das behauptet, als Kunstwerk, das ich gerne gesehen habe, das mir aber (schon wegen der 4:3-SD-Qualität, in der ich es noch gesehen habe, weil die neue Fassung in 16:9 und HD erst jetzt läuft), nun, ein wenig museal vorkam. Auch weil es ohne Untertitel partout gar nicht ging. Aber selbst mit Untertiteln versteht man schnell nur noch Bahnhof, wenn sich Figuren etwa in polizeiinternen Abkürzungen unterhalten, die man sich oft nicht aus dem Zusammenhang erschließen kann, oder wenn es um Strukturen von Justiz und Politik geht, die hierzulande so anders sind, dass auch sie sich nicht selbst erklären. Oder wenn man den Überblick über die allzu zahlreichen Figuren diverser Gangs und ihre Beziehungen untereinander verliert. Ein Dostojewskiroman ist nichts dagegen.

„The Shield“ aber hat mich von der ersten Folge an an den Eiern gepackt.

Eine so harte, dreckige, laute Serie um einen Antihelden, der nach einer fatalen Fehlentscheidung unweigerlich auf ein kriminelles Gleis gerät, in immer tieferen, auswegloseren Strudeln von Schuld und Verbrechen versinkt, dabei Familie, Freunde, Kollegen mitreißt und am Schluss alles zerstört, was er liebt, hatte ich noch nie gesehen … oder hatte ich doch?

Ja, genau, hatte ich doch: in „Breaking Bad“ nämlich.

Nur dass „The Shield“ (2002 – ’08) schon vor „Breaking Bad“ (AMC, 2008 – ’13) da war.

Natürlich unterscheiden sich die beiden Serien fundamental: „The Shield“ ist eine Cop-Serie, in der es allen voran um den korrupten Polizisten Vic Mackey (Michael Chiklis) geht, der als Chef einer Sondereinheit in L.A. die schmutzige Straßenarbeit verrichtet, Drogendealer hochnimmt und Gangmitglieder dingfest macht — aber eben nicht alle. Sondern nur die, die nicht mit ihm zusammenarbeiten.

Dabei aber schießt er, so erfolgreich er auch vorderhand in der Bekämpfung der Straßenkriminalität ist, gewaltig übers Ziel hinaus: Wie bei „Breaking Bad“ gibt es in der Pilotfolge bereits einen Schlüsselmoment, der die Figur definiert und den Geist aus der Flasche lässt, so dass er nie wieder zurückgerufen werden kann. Von da an geht es bergab, bzw. natürlich (wie bei „BB“) erstmal bergauf, aber die lange, zerstörerische Talfahrt lässt sich hier wie da bereits absehen.

„The Shield“ verwendet dabei stilistisch völlig andere Mittel als „BB“, hat pro Folge oft fünf oder mehr parallele Erzählstränge, und Vic Mackey verwandelt sich auch äußerlich längst nicht so stark wie Walter White (und ist außerdem ohnehin von Anfang an kahlköpfig).

Aber meine Entzugserscheinungen seit dem Ende von „BB“ hat „The Shield“ hervorragend bekämpft. Und wer Lust auf eine Achterbahnfahrt hat, die der von „BB“ ähnelt, ohne dass die Ähnlichkeiten so dominant wären, dass einem alles bekannt vorkommt, der möge sich auf mein Wort verlassen und einfach die ersten Folgen „The Shield“ sehen. Am Besten funktioniert das natürlich ohne Spoiler.

Worin also sind sich „The Shield“ und „BB“ so ähnlich? Ohne zu spoilern kann man so viel sagen:

Beide Serien erzählen die Geschichte eines Antihelden, der im Laufe der Serie immer skrupelloser und unmoralischer handelt. Sie diskutieren anhand dieser Figur das Dilemma, das Gute zu wollen und dafür Böses zu tun, und nehmen in Kauf, dass sich der Zuschauer mit einer Figur identifiziert, die auf der dunklen Seite der Macht steht. Tatsächlich gibt es Fans sowohl von „Breaking Bad“ als auch von „The Shield“, die selbst nach dem Finale noch Partei für Walter White und Vic Mackey ergreifen und die beiden für alles verteidigen, was sie getan haben.

Beide Hauptfiguren haben einen jüngeren Partner, für den sie eine Art Vaterfigur abgeben, den sie aber am Ende mehr oder weniger zerstören: Jesse Pinkman bei „BB“, Shane Vandrell (Walton Goggins) bei „The Shield“. Jesse wie Shane haben, obwohl auch sie beide hoch kriminell sind, unsere Sympathien oft noch vor den Hauptfiguren, insbesondere in Momenten, wo diese vorderhand zu brutal, amoralisch und skrupellos sind, als dass wir noch auf ihrer Seite wären. Shane wie Jesse dagegen sind emotionaler, menschlicher, verletzlicher und in der Folge leichter zu mögen.

Beide Serien sind sehr explizit in der Darstellung von Brutalität, aber auch von schmerzhaft ehrlichen Momenten. Ästhetisch unterscheiden sie sich allerdings beträchtlich, ist doch „The Shield“ mit seiner wackeligen Handkamera und dem Guerilla-Stil, in dem viele Außenaufnahmen gedreht sind, viel roher, ungestümer als das geschliffene und polierte „Breaking Bad“. Beiden gemein ist aber wieder die visuelle Wucht.

Nun kommen aber doch ein paar Spoiler, weiter geht es also nach dem Klick: Mehr…