Kapitalismusporno, I love you
Ich wäre mal gerne bei einem Treffen von Programmverantwortlichen des deutschen Fernsehens dabei, wo folgendes Format vorgeschlagen wird:
„Hey, wie wäre es damit: ein Zweiteiler, Dienstag- und Mittwochabend, Hauptsendezeit, je 90 Minuten. Wir zeigen, wie ein Auto gebaut wird — vom der Stahlrolle bis zur Auslieferung. Und zwar, haltet euch fest: LIVE! Sagen wir mal, aus München, BMW-Werk, der neue Dreier?“
Genau das hat die BBC jetzt gemacht: „Building Cars Live“, diese Woche Dienstag und Mittwoch auf BBC2 je um 19.30 Uhr.
Tatsache: Da standen James May (of „Top Gear“ fame), Kate Humble und Ant Anstead (der seit letztem Jahr zusammen mit Philip „Live on Mars“ Glenister fürs Fernsehen schrottreife Oldtimer wiederaufbaut) in der Minicooper-Produktionsstätte in Oxford und berichteten mit dem britischen Stolz auf eine Ikone der Automobilgeschichte und auf britisches Ingenieurswesen in den hochglänzendsten Bildern, nun ja: wie heutzutage Autos gebaut werden. (Dass der ganze Krempel BMW gehört und insofern da vermutlich eher deutsches Ingenieurswesen am Start ist, spielte dabei nur eine sehr, sehr untergeordnete Rolle.)
Kapitalismuspropaganda pur, Konsumfetischierung vom Feinsten. Und ich fand’s super. Und zwar schon alleine wegen des originellen Formats.
(Na gut, und weil ich eine Schwäche für den [alten] Mini habe, seit ein Freund von mir Anfang der Neunziger einen MKII von 1987 hatte und ich dieses Auto sympathisch fand wie kaum ein anderes.)
Klar, da war nicht alles live: Live waren vor allem die Moderationen, Gespräche mit ehemaligen und derzeitigen Arbeitern, und der Versuch, einen konkreten Mini in der Entstehung zu begleiten. Annähernd zwei Drittel der Show waren selbstverständlich vorbereitete Einspieler: über die Technik, Logistik, Qualitätskontrolle, über die Geschichte des Mini, Roboter und ihre Wartung, über handgemachte Autos bei Morgan und Sci-fi-Produktionsstätten bei McLaren.
Aber live war, wie James May sich beim Versuch blamiert, selbst Hand anzulegen und Hackklappen zu montieren, wie Ant Anstead sehr gelassen einen Mini rückwärts oben auf einen Autotransporter fuhr, und live war auch der Anstieg meine Lernkurve.
Was durchaus beabsichtigt war: „Building Cars Live“ ist in Zusammenarbeit mit der „Open University“ entstanden, also tatsächlich eine Art „Sendung mit der Maus“ für Erwachsene.
Nun weiß ich also, dass in Oxford alle 68 Sekunden ein Mini vom Band rollt, dass dabei kein Auto mit dem nächsten identisch ist, sondern alle möglichen Modelle und Ausstattungsdetails nacheinander zusammengebastelt werden, und dass das tatsächlich eine beeindruckende Logistik benötigt, weil der Nachschub von Bauteilen „just in time“ ist, so dass ein Stau auf der Autobahn oder gar Streiks an neuralgischen Verkehrsknotenpunkten (Eurotunnel!) dazu führen kann, dass Teile per planes, traines and autombiles herbeigeschafft werden müssen. Notfalls sogar per Hubschrauber.
Zwei neunzigminütige Werbeclips für Mini/BMW, wie gesagt, ich bin mir dessen bewusst — aber was für welche!
Das wird sicher bald bei uns abgekupfert, es sei denn die Hersteller hätten etwas zu verbergen. Da war doch neulich was?
Hier wird dann allerdings eine Quizshow vor den Montagebändern draus!
Das klingt eher nach Ingenieurs- oder Werbepornographie. Kapitalismusporno wäre es, wenn sowas nur mit Geld, also ohne Hirn, möglich wäre.
Wobei es gute Dokus über die Entstehung eines Autos aber sehr wohl auch in Deutschland schon gegeben hat. Vielleicht nicht in Echtzeit, aber es gab z.B. mal eine sehr schöne Sonderfolge der Sendung mit der Maus zu dem Thema (wobei es ja auch schon wieder einiges über das deutsche Fernsehen aussagt, dass die besten Sendungen zum Thema Kindersendungen sind…).
Und schön, dass du @Oliver auch eine Schwäche für den alten Mini hast, da hast du bei mir einen weiteren Pluspunkt gesammelt. 😀
Der alte Mini war ja schon halb kaputt, noch bevor er vom Fließband runtergerollt kam. Aber das ist ja das sympathische an der ganzen Sache – in England scheint nichts so richtig gut zu funktionieren, aber das so richtig gut.