Nun weiß ja jeder, dass Eskimos ca. 2500 Worte für „langes Wochenende“ haben, New Yorker aber nur ein Wort für „Schnee“. Was aber dringend fehlt sind, meiner Meinung nach, Worte, die Befindlichkeiten und Gefühle ausdrücken, die man als Zuschauer im Zeitalter von Peak TV hat. Insbesondere fehlen mir Worte für
das Gefühl, nach einer sehr guten ersten Staffel einer Fernsehserie kein Bedürfnis danach zu haben, die zweite Staffel zu sehen
die Verwirrung, die einen beim Beginn einer neuen Staffel überkommt, wenn man bemerkt, dass man mindestens drei Handlungsstränge vergessen hat, obwohl man die Serie bis dahin sehr gut fand
das Rätsel, warum eine Serie, wenn man sie mit jemandem gemeinsam ein zweites Mal sieht, nicht mehr so gut ist (oder aber viel besser), denn als man sie alleine gesehen hat
überhaupt die Unmöglichkeit, wirklich einschätzen zu können, ob jemandem eine Serie gefällt oder nicht und warum
den Moment, in dem einem eine Serie, die man lange gesehen hat, so egal wird, dass man keine weitere Folge mehr sieht, was i.d.R. aber sehr lange gar nicht bemerkt
den Eindruck, dass man eine Serie zwar gerne gesehen hat, aber nicht sagen kann, warum und was sie von anderen Serien unterscheidet
So viel ist schon über Monty Python geschrieben, gesagt und gesendet worden, dass man Eric Idle für das dankbar sein muss, was er in seinen gerade erschienenen Memoiren »Always Look on the Bright Side of Life: A Sortabiography« (W&N, auf deutsch: Hannibal) alles weggelassen hat: nämlich die in den meisten Erinnerungsbüchern langweiligste, bedeutungsloseste, ereignisärmste aller Lebensphasen, die Kindheit. Dabei ist die von Idle sogar eine für Comedians obligatorisch schwere: Er verliert den Vater mit zwei Jahren, als der an Weihnachten 1945 auf dem Heimweg aus dem Krieg bei einem Verkehrsunfall das Leben lässt, die Mutter zieht sich in eine Depression zurück und gibt Eric ins Heim, das er erst mit 19 wieder verlässt. Ein englisches Kinderheim in den Fünfzigern, das bedeutete Frieren und Prügelstrafe – und lebenslangen Hunger nach Wärme, Anerkennung und Narreteien. Immerhin lernt Eric Gitarre zu spielen: »At fourteen I wanted to play guitar very badly. By fifteen I did.«
Schon auf Seite 25 und im Jahre 1964, während des Studiums, sind alle Pythons (bis auf den amerikanischen) versammelt. Und die Analyse ihres Erfolgs fällt bei Idle angenehm bescheiden aus: So anders seien sie nun auch nicht gewesen als andere Comedy Acts, aber divers, denn durch ihre Verschiedenartigkeit sei für jeden Zuschauer etwas dabei gewesen – von Slapstick bis Wortwitz. Sie hätten das Glück gehabt, just an der Schwelle zur farbigen TV-Aufnahme zu stehen, was ihr Material bis heute jung erscheinen lasse. Sie hätten das abermalige Glück gehabt, große Freiheiten bei der BBC zu genießen, und einen klugen Manager gehabt, dank dessen Beratung sie im Besitz aller Rechte an ihrem eigenen Material seien. Und natürlich spielten die sechziger Jahre selbst eine Rolle, die Jahre, in denen das moderne Großbritannien und seine Popkultur entstanden sind und die Eric Idle für sich persönlich bis in die Neunziger hinein verlängerte.
»I have met many people in my life and, sadly, many of them were not famous«, bedauert sich Idle zwischendurch. Aus seiner Freundschaft zu George Harrison und David Bowie sind die unterhaltsamsten Anekdoten überliefert; Mick Jagger und Paul Simon spielen sich, ein Freundschaftsdienst, in den »Rutles« nicht zufällig selbst. Zum Abendessen auf dem schottischen Anwesen des Großkomikers Billy Connolly schneit auch mal royaler Besuch herein, und später, in den USA, zählen Steve Martin, Chevy Chase und vor allem Robin Williams zu Idles besten Freunden. »That’s name-dropping at its finest, as I said to Prince Charles the other day«, aber auch darin findet Idle einen Ton, der seine Erinnerungen nicht unangenehm eitel erscheinen lässt.
Vielleicht auch, weil es regelmäßig um das Ableben geht, zunächst das von Graham Chapman, später das von George Harrison, der erst einen Kampf auf Leben und Tod im eigenen Haus gegen einen Einbrecher bestehen muss, bevor er wenige Monate später dem Krebs erliegt. Ihm folgen Robin Williams, Garry Shandling, Carrie Fisher. Idles wertvollstes Erbstück, der titelgebende Song aus dem »Leben des Brian«, ist seit 2009 auf Platz eins der Charts für Beerdigungssongs im Vereinigten Königreich. Man muss die Briten, so Idle, dafür lieben: nicht nur, dass sie bis ins Grab hinein ihren Sinn für Humor bewahren, sondern auch dafür, dass es überhaupt Charts für Begräbnislieder gibt.
Was aber ist aus dem Leben des Eric zu lernen? »Well, firstly, that there are two kinds of people, and I don’t much care for either of them. Secondly, when faced with a difficult choice, either way is often best. Thirdly, always leave a party when people begin to play the bongos.«
zuerst erschienen in der Humorkritik in Titanic 1/2019
… und Alison heißt sie auch wieder: Ruth Wilson, Hauptdarstellerin in der guten bis sehr guten Showtime-Dramaserie „The Affair“ (vier Staffeln seit 2014), ist in ihre britische Heimat zurückgekehrt, um die Geschichte ihrer eigenen Großmutter in einen beklemmenden Dreiteiler zu verwandeln — und spielt die titelgebende „Mrs Wilson“ (BBC1) logischerweise selbst.
Deren Geschichte ist in der Tat bemerkenswert, war sie doch die Ehefrau von Alexander Wilson, einem englischen Autor und Geheimdienstagent. Bzw. nicht die, sondern eine Ehefrau Wilsons, denn der hatte mehrere. Allerdings nicht nacheinander, sondern gleichzeitig.
Ein Geschichtenerzähler also, dieser Wilson (in der Serie: Iain „Ser Jorah Mormont“ Glen), der sich nach traumatischen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg in die Fiktion rettet, privat wie beruflich. Beruflich sogar im doppelten Sinne, einmal für seine Karriere als Schriftsteller und einmal für den MI6, den Auslandsgeheimdienst, in dessen Diensten er in verschiedenen Identitäten tätig ist. Wie praktisch!
Welche Ausmaße sein Doppel-, wo nicht Dreifachleben hatte, erfährt Alison erst nach seinem Tod. Da nämlich taucht eine zweite Mrs. Wilson auf, älter als sie und mit einem erwachsenen Sohn: Alecs erste Frau — von der er allerdings offiziell nie geschieden wurde. Obwohl Alison Scheidungspapiere gesehen hat. Die allerdings damals von geschickten Geheimdienstlern unschwer zu fälschen waren.
So dringt Alison immer tiefer in die wahre Vergangenheit eines Mannes ein, den sie zu kennen geglaubt hat, der ihr nun aber zunehmend fremd wird. Ganz anders als all die neuen Familienmitglieder, die sie nun kennenlernt (und deren ganz reale Vorbilder am Ende der dritten Folge sich vor der Kamera in einem englischen Wohnzimmer versammeln, das sie komplett ausfüllen). Denn auch bei einer dritten Affäre ihres Mannes (Keeley Hawes, „Line of Duty“, „The Missing“, „Bodyguard“) bleibt es am Ende nicht.
Bis heute hält der britische Geheimdienst Teile seiner Unterlagen über Alexander Wilson unter Verschluss. Möglich also, dass er tatsächlich irgendwann rehabilitiert wird. Vielleicht gibt es dann ja eine Fortsetzung von „Mrs. Wilson“. Bis dahin ist das jedenfalls schon mal ein solider Dreiteiler für die Vorweihnachtszeit, für den die BBC, wie es aussieht, tief in die Tasche gegriffen hat.
In den ersten vier Minuten „Killing Eve“ (BBC America, 2018) kommt in drei Szenen genau ein Mann mit Sprechrolle vor. Zunächst sehen wir die bis zum Psychopathischen hin charmant-kalte Serienkillerin Oksana Astankova alias Villanelle (Jodie Comer), wie sie in einem Wiener Eiscafé erst lächelnd Blickkontakt mit einem Mädchen aufnimmt, das mit seiner Mutter ein Eis isst, um ihm anschließend im Vorbeigehen den Eisbecher in den Schoß zu stoßen. Hübsch rätselhaft.
Dann sehen wir Eve Polastri (Sandra Oh) schreiend aufwachen, noch nicht wissend, dass sie die MI5-Beamtin sein wird, die später hinter Vilanelle her ermitteln wird. Sie schreit allerdings nicht wegen eines Albtraums oder einer echten Gefahr, sondern weil sie auf ihren beiden Armen eingeschlafen und in der Folge mit tauben Armen aufgewacht ist — ein Scherz, der schon schön mit Erwartungen und ihren Enttäuschungen spielt, was Schrecken und Bedrohung angeht, denn natürlich ist sie die namensgebende Eve in „Killing Eve“.
In der dritten Szene schließlich kommt Eve (zu spät) zu einer Lagebesprechung beim MI5, zusammen mit einer Kollegin, und trifft dort auf Carolyn Martens (Fiona Shaw), MI6-Abteilungsleiterin der russischen Sektion, der sie von ihrem eher unfähigen Supervisor Haleton (Darren Boyd, „Spy“) zugewiesen wird.
Ein ausgesprochen weiblicher Cast also, und das serienbestimmende Duell von charismatischer Serienkillerin und tolpatschiger Ermittlerin ist selbstverständlich ohnehin weiblich — und dennoch eines, das von Verführung, ja Obsession gekennzeichnet ist. Von einer comic- bis superheldenhaft überzeichneten Obsession noch dazu.
Das Katzundmaus-Spiel, das sich dann entwickelt, führt über zahlreiche pittoreske Schauplätze, phantasievolle Verkleidungen und Auftragsmorde zu einem Psycho-Showdown, bei dem die Sympathien immer wieder neu abgewogen und verteilt werden — aber so gut wie nie bei einem Mann liegen.
Bleibt sich Phoebe Waller-Bridge also treu, die „Killing Eve“ (nach den Romanvorlagen von Luke Jennings „Vilanella“-Büchern) als Drama mit sehr komischer Unterströmung adaptieren durfte und über deren erste Serie „Fleabag“ (BBC3, 2016) und ihre angenehm zeitgemäß feministische Perspektive ich in dem zwischenzeitlich letzten Beitrag dieses Blogs 2016 schrieb.
Wie schnell doch gerade Geschlechterrollen sich bis in Mainstream-Produktionen ändern! Zuletzt in „Bodyguard“ (BBC1, 2018), einer bis zur Humorlosigkeit ernsten Dramaserie um die moralischen Dilemmas eines Personenschützers (Richard „Robb Stark“ Madden), der in der ebenfalls ersten Szene eine weibliche Selbstmordattentäterin in spe aufhalten möchte und dabei mit einer Zugführerin, einer OP-Team-Leiterin, einer Polizistin, einem ganzen Team weiblicher bewaffneter Einsatzkräfte und einer Scharfschützin zu tun hat. So vielen Frauen in typischerweise männlichen Rollen also, dass bei Twitter ein (kleinerer) Shitstorm der Marke „political correctness gone mad“ losbrach, während etwa meine Frau nicht einmal bemerkte, wie viele Frauen da um den einen Helden herumgestellt waren.
(Meine Argumentation war übrigens, dass die BBC es hier lediglich vermeiden wollte, eine weibliche, bis auf den Sprengstoffgürtel unbewaffnete muslimische Selbstmordattentäterin von schwerst bewaffneten, weißen, nichtmuslimischen Männern überwältigen zu lassen, was einer im Grunde moralisch richtigen Handlung doch einen unangenehmen Beigeschmack gegeben hätte.)
Interessanterweise spielt die andere Serie des Jahres um einen sympathischen Serienkiller ebenfalls mit Geschlechterstereotypen, denn in „Barry“ (HBO, 2018) entstehen die komischen Konflikte aus der Spätberufung, die der Auftragsmörder Barry (Bill Hader, auch Creator der Serie) für die eher innerlich-weibliche Schauspielerei entdeckt. Was recht schnell die Welten von skrupulöser Schauspielschule und skrupelloser Tschetschenenmafia aufeinanderprallen lässt. Barrys weiches Herz jedenfalls, seine Empfindsamkeit, die hier mit seinem Pflichtbewusstsein seinem Auftragsvermittler gegenüber kollidiert, ist das genaue Gegenteil der männlichen Härte einer Villanelle.
Während allerdings „Barry“ mir trotz erheblicher Schau- und Produktionswerte als eher kleine Sitcom in Erinnerung bleibt (die dennoch eine der besseren dieses Jahres war), darf „Killing Eve“ ruhig als „das Beste, was dieses Jahr aus Großbritannien gekommen ist“ gelten, wie es mein britischer Gewährsmann in diesen Dingen Tom Harris bezeichnet hat: eine große Serie, die sehr zu Recht sehr erfolgreich ist und bereits vor Serienstart eine zweite Staffel erhalten hat, was dennoch zum Glück nicht verhindert, dass Phoebe Waller-Bridge in einer zweiten Staffeln „Fleabag“ auch selbst wieder vor der Kamera steht.
Was aber die beiden Großthemen Sex und Auftragskillerei miteinander verbindet, was in der Folge also auch sexuelle Identität und Auftragsmördertum in der Popkultur so aneinander bindet, dass bereits 2012 eine leider kurzlebige Serie von „Shameless“-Autor Paul Abbott um eine transsexuelle Killerin (Chloë Sevigny) in „Hit & Miss“ (Sky Atlantic) entstehen konnte: darüber würde ich gerne mal ein Uniseminar sehen.
Den Fans britischer Sitcoms ist er vor allem aus „Black Books“ (Channel 4, 2000 – 2004) in Erinnerung, der gar nicht so schwarzen, sondern eher albern-surrealen Sitcom: Bill Bailey. Dort gab er den Gegenpart zum düster-misanthrophen Bernard Black (Dylan Moran), nämlich den stets heiter-ausgeglichenen Manny Bianco, dem das Helle, Strahlende, Erleuchtete schon im Namen eingeschrieben war.
Vornehmlich aber macht Bill Bailey Stand Up, und auf der Bühne ist seine Persona der des Manny Bianco sehr ähnlich: die des heiteren, unmittelbar sympathischen, mit verblüffender Phantasie gesegneten Entertainers. Nicht ganz unähnlich einem Ardal O’Hanlon, der in der ebenfalls großartigen Vorgängerserie von Graham Linehan und Arthur Matthews, „Father Ted“, dessen Sidekick des Father Dougal gab. (Leider ist O’Hanlons Karriere als Stand Up nie so recht aus dem Quark gekommen.)
Nicht zuletzt war und ist Bailey aber auch Multiinstrumentalist und Musiker, und so waren seine Stand Ups nicht nur oft mit gloriosen Improvisationen und Parodien angereichert, sondern es gab sogar eine ganze Show, die sich nur mit Musik, genauer: mit den Instrumenten eines (Philharmonie-)Orchesters beschäftigte und die sensationell — und sensationell komisch — war.
Mittlerweile kocht Bill Bailey auf etwas kleinerer Flamme. Und so gibt es in seinem gerade auf DVD und als Download erschienenen (vor-)letzten Programm „Limboland“ keine übergroßen Licht- und Feuereffekte und kein ganzes Orchester mehr, und die Show selbst ist kürzer, als ich es mir gewünscht hätte: gerade mal 75 Minuten lang.
Das ist schade, weil Bailey immer noch das Talent hat, mit seinem charmanten Nonsens Lachstürme zu entfachen. Wenn er etwa „Happy Birthday“ in Moll spielt, um über ein, zwei Umwege schließlich ein depressives Geburtstagslied im Stile Kurt Weills aus dem Berliner Kabarett der 30er-Jahre zu machen.
Oder wenn er über british happiness extemporiert, die sich von der der Dänen unterscheidet, die angeblich das glücklichste Volk der Welt sind, wegen hoher Sozialstandards und so: „What the Danes have, is something else. That is contentment (Zufriedenheit). Contentment is knowing that you’re right. Happiness is knowing that someone else is wrong.“
Allerdings mischen sich in „Limboland“ Töne in Baileys Monolog, die ich früher so nicht wahrgenommen habe: Nämlich die Wirklichkeit, und wie wenig gelassen er in Wahrheit ist, wenn es um Politik oder Social Media geht, die er offenbar aus ganzem Herzen verabscheut.
Und so wirkt „Limboland“, das auch noch mit deutlich weniger musikalischen Einlagen als früher angereichert ist, insgesamt leider ein wenig halbgar. Es geht ein bisschen um Politik, mit der er sogar einsteigt („Limboland“ selbst steht für das England der Gegenwart, das für ihn also offenbar eine Art Vorhölle ist), um die Grünen und darum, dass sein nächstgelegenes Krankenhaus geschlossen und durch eine App ersetzt worden ist, die anzeigt, wo man die nächsten Heilkräuter selbst pflücken kann.
Er erzählt von seinem gehackten Emailaccount, der ihn um ein kleines Vermögen gebracht hat, weil seine Buchhalterin, von gefälschten Emails in die Irre geführt, Geld in die Türkei überwiesen hat (eine wahre Geschichte).
Und er verliert sich ein wenig im Anekdotischen, wenn er die (zugegeben sehr komische) Geschichte einer Arktisreise mit den eigenen und den Schwiegereltern beschreibt und seine Begegnung mit Paul McCartney, bei der er vor Aufregung nur Unsinn herausgebracht hätte.
Gut und schön und nicht unkomisch, wie gesagt — aber Anekdoten erzählen, das ist nicht der Höhepunkt der Kunstform Stand Up. Das erwarte ich von Leuten wie Kevin „Silent Bob“ Smith, der in seinem Showtime-Special „Silent But Deadly“ nichts anderes tut und damit durchkommt, weil sein Publikum ihn halt für die Figur liebt, nicht für seinen Stand Up.
Aber bei Bill Bailey bleibt das Gefühl, dass da jemand hinter seinen Möglichkeiten zurück geblieben ist. Schade eigentlich, denn die 75 Minuten „Limboland“ sind ja nicht schlecht, sondern wie gesagt sehr komisch.
Aber es bleibt das Gefühl, dass Bill Bailey eigentlich noch mehr kann.
Eine der kleinsten Regeln guter Comedy ist: Die Figuren dürfen niemals wissen, dass sie in einer Comedy sind. Sobald ich als Zuschauer das Gefühl habe, ein Schauspieler liefert Pointen mit einem (ironischen) Gestus ab, der sicherstellen soll, dass der Witz auch wirklich ankommt, geht sofort jeder komische Funke verloren. Denn die komische Distanz muss zwischen mir, dem Zuschauer, und dem Stück entstehen, nicht zwischen dem Schauspieler und seiner Rolle. Die Figur muss, auch in Comedys, ihre Situation stets ernst nehmen. Wie sollte ich mich etwa vor Peinlichkeit kringeln bei „The Office“, wenn schon Tim und Dawn zu erkennen gäben, dass sie von David Brents zwischenmenschlicher Ahnungslosigkeit gar nicht wirklich betroffen sind? Tun sie zum Glück nicht, ebenso wenig wie die Figuren um Alan Partridge, Basil Fawlty und alle anderen Meisterwerke des dead pan und der cringe comedy.
Nichts ruiniert mir jede Freude an Comedy folglich mehr als die (sehr deutschen) Signale, dass hier gerade etwas Hochlustiges passiert — etwa die unvermeidliche komische Filmmusik, die unter jeder deutschen Filmkomödie liegt, damit nur wirklich kein Zuschauer von einer Pointe überrascht wird. (Der amerikanische Sitcomautor Ken Levine illustriert diesen Gedanken hübsch anhand des Films „Dr. Strangelove“.)
Umso peinlicher, dass ich an dieser Stelle zugeben muss: Auch mir passiert es, dass ich übersehe, wie komisch etwas ist — weil es so straight gespielt ist.
Zum Beispiel „This Country“ (BBC3, nur online, zwei Staffeln und ein Special seit 2017).
Tatsächlich hat sich mir im Verlauf der ersten Folge nicht erschlossen, was daran komisch sein soll, dass zwei Anfangzwanzigjährige, die Footballshirt und Jogginhosen tragende Kerry (Daisy May Cooper) und ihr Cousin Kurtan (Coopers Bruder Charlie Cooper), sich in einer sterbenden Kleinstadt der englischen Heartlands zu Tode langweilen, weil sie keine Chance noch überhaupt Bock auf einen vernünftigen Job haben und stattdessen lieber in einer Art fortgesetzter Kindheit weiter an Bushaltestellen abhängen, aus Schrott und Sperrmüll Bandenverstecke bauen und sich darum streiten, wer im Ofen seine Pizza oben oder seine Dino-Mini-Schnitzel unten backen darf.
Was ein Glück also, dass ich jetzt doch noch eine zweite Folge — und dann gleich sechs weitere — geguckt habe. Denn jetzt verstehe ich, warum „This Country“ zwei Baftas gewonnen und etliche Vergleiche mit, ja eben, „The Office“ eingefahren hat.
Ein großer, allzu großer Vergleich natürlich, vielleicht mehr Bürde als Anschub für eine solche Serie, die man viel lieber als eigenständig und zeitgemäß verstehen sollte denn als späte Anleihe an die paradigmatische Britcom der letzten 20 Jahre. Aber die Ähnlichkeiten liegen auf der Hand. Und das nicht nur, weil es ebenfalls eine Mockumentary der alten Schule ist (bei der zu Beginn Texttafeln erklären, dass Studien gezeigt hätten, wie marginalisiert junge Menschen auf dem Land sich fühlen und die BBC deshalb beschlossen hätte, zwei davon ein halbes Jahr lang zu begleiten), weil das Budget erkennbar minimal ist und Hauptdarsteller auch Autoren der Serie sind.
Sondern weil „This Country“ es wie „The Office“ geschafft hat, eine Fangemeinde hinter sich zu bringen, die quasi aus dem Nichts kam. Denn seit BBC3 nur noch online stattfindet, ist die Aufmerksamkeit darauf dementsprechend kleiner geworden. Und dennoch haben die Coopers mittlerweile Hardcorefans, die „This Country“ praktisch nur mit Mund-zu-Mund-Propaganda zum Hit gemacht haben.
Sehr zu recht. Es ist wirklich beeindruckend, mit wie minimalistischen Pinselstrichen da ein Universum aus Charakteren entworfen wird, die sich vornehmlich langweilen und ihr Leben am Rande der Kriminalität verschwenden — und dabei höchst komisch sind. Nichts ist ja schwieriger, als in Comedys Langeweile zu zeigen, ohne dabei selbst langweilig zu sein. Aber „This Country“ gelingt das, als ob die Coopers ihr ganzes Leben nichts anderes getan hätten, als Fernsehcomedy zu entwickeln. Was beileibe nicht der Fall ist.
Schon die zweite Folge, in der Kerry sich von der gefährlichen Kampflesbe ein Tattoo machen lässt, weil sie nicht mehr aus der Nummer rauskommt, ist ein instant classic, und die dritte nicht weniger, in der Kerry und Kurtan praktisch nichts tun als darauf zu warten, dass ihr Onkel Nugget aus dem Knast und bei ihnen vorbei kommt, nachdem er eingefahren war, „cos he was having a laugh“, konkret: weil er einen Linienbus entführt und damit vier Stunden lang durch einen Roundabout gefahren war. Aber hey, zwölf der 20 Insassen fanden es lustig, und zu Onkels Verteidigung sei gesagt: „He was just having a laugh.“
KURTAN
Shall I tell them about why he’s called Nugget?
KERRY
You can, but it’s a bit boring.
KURTAN
No. Right, Uncle Nugget, yeah? He’s called Nugget because he went in this nightclub and the DJ wouldn’t play this song he requested so he got a knife, yeah? Cut off half the DJ’s scratching thumb, threw it on the floor and some bloke came along who’s just fucked out of his brains, picked it up and ate it cos he thought it was a chicken nugget.
KERRY (guckt einen Moment irritiert) He’s called Nugget because his second name’s Nuggins. Where the hell did that come from?
KURTAN (lacht) Seriously?
KERRY
Yeah. (in die Kamera) I think that’s still part of … Kurtan went through a very bad lying phase.
KURTAN
Yeah, I did, yeah.
Ich bin wirklich gespannt, was Daisy May und Charlie Cooper nach der schon genehmigten dritten Staffel „This Country“ tun werden. Und freue mich, dass ich nach langer, langer Zeit wieder eine Britcom gefunden habe, über die ich Tränen lachen konnte und die ich hin und wieder pausieren musste, um über einen Lachanfall hinweg zu kommen, bevor der nächste sich anschleicht.
Wer aber noch kein Weihnachtsgeschenk hatte für alle Freunde, die etwas mit David Brent und Alan Partridge anfangen konnten: der hat jetzt eins.
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