Lose Enden
Nach Weihnachten, Neujahr und einer kleinen krankheitsbedingten Auszeit folgt nun ein unqualifizierter Zwischenruf — das Jahr geht ja gut los! Unqualifziert, weil ich Charlie Brookers „Black Mirror“-Spezial „Bandersnatch“ immer noch nicht gesehen habe, aber nichtsdestoweniger etwas dazu loswerden möchte:
Nämlich dass ich nichts mit dieser Form der „Interaktivität“ anfangen kann. Welchen Sinn soll es haben, Geschichten zu erzählen, bei denen ich als Zuschauer bestimmen soll, wie es weiter geht? Entweder will ein Autor eine Geschichte erzählen — oder halt nicht. Und entweder möchte ich mir eine Geschichte erzählen lassen, oder eben nicht. Seit wann sind Zuschauer die besseren Autoren? Haben Picasso oder van Gogh ihre Bilder von Museumsgängern zuende malen lassen? Und wenn ja, was wäre dabei wohl herausgekommen?
Habe ich kürzlich doch in eine Folge „Notruf Hafenkante“ oder was hineingezappt, nur um zu sehen, dass diese vermeintliche Mitentscheidung der Zuschauer bereits im Vorabendproramm angekommen ist. Da mussten sich die Zuschauer per Televoting dafür entscheiden, ob die tapfere Polizistin die letztlich sympathischen Tunichtgute am Ende davonkommen lässt oder sie einbuchtet. Was entweder in oder out of charakter der Polizistinnen-Figur ist — oder vollkommen egal. Und billig zu produzieren, denn dafür muss ich nur die gleiche Szene zweimal drehen, es ist schließlich die letzte der Episode. Was soll’s.
Nein, diese Form der vermeintlichen Mitbestimmung halte ich für künstlerisch wertlos. Alle Experimente haben bislang ergeben, dass sich Menschen, wenn sie sich zwischen Kunst und Bildern entscheiden müssen, wie man sie zu Billigrahmen im Baumarkt dazubekommt, sich immer für Katzen- und Bauarbeiter-auf-Stahlträger-Bilder entscheiden. Wie auch anders, schließlich muss Kunst, muss Geschichten eine Idee zugrunde liegen, die sich dem Betrachter oft nicht auf den ersten Blick erschließt, sondern nur, wenn man etwas Arbeit investiert. Ein Arbeitsbündnis zwischen Künstler und Rezipient braucht’s schon.
Nun habe ich schon verstanden, dass Brooker, Fuchs der er ist, offenbar für die Idee entschieden hat, genau das zum Gegenstand zu machen: dass es ganz egal ist, wie man sich entscheidet, weil man, egal welche Entscheidung man trifft, immer zu einem (gleich) bösen Ende kommt. Was bedeuten würde, dass man diese Form des Erzählens damit auch wieder ad acta legen kann.
Ich hoffe, dass das möglichst schnell geschieht — und hätte mir statt „Bandersnatch“ lieber mal wieder einen Jahresrückblick von Brooker gewünscht. Dieses Jahr?
Vielleicht kann man es gelassener sehen, wenn man es eher als Variation des Computerspiel-Erzählens betrachtet und nicht als Variation klassischen Erzählens? Spricht mich zwar persönlich auch nicht an, aber wenn Brooker als notorischer Gamer drauf steht, bitte.
Ich meine irgendwo gelesen zu haben, dass er die Idee (die wohl vom Sender kam) zuerst auch nicht prickelnd fand, sich dann aber darauf eingelassen hat. (Genauer weiß ich es nicht, weil ich es – immer noch – vermeide, allzu viel gelesen zu haben, bevor ich etwas sehe.)
Klar, die Computerspielanalogie wird ja da auch bemüht; allerdings habe ich das Gefühl, die guten, großen Spiele, wie ich sie kenne, haben ja gar nicht wirklich mehrere mögliche Ausgänge, sondern im Grunde auch nur eines. Gerade „Red Dead Redemption 2“ will ja so episch wie ein großer Western sein und eine bestimmte Geschichte erzählen, bei der bestimmte Figuren immer sterben werden, ganz gleich, was der Spieler tut.
Falls du es noch nicht wusstest: Du kannst dich auch weigern, Entscheidungen zu treffen. Ich habe das gerade gemacht und erlebte Bandersnatch als einen selbstablaufenden, ziemlich genau neunzigminütigen Science-Fiction-Film. Und zwar als einen schlechten.
Der aber immerhin alles enthalten dürfte, was man auch beim Interagieren zu Gesicht bekommt. Nacheinander wurden mir die lt. Internet zehn möglichen Enden serviert und zum Schluss noch das Easter Egg Ending, das Charlie Brooker angeblich selbst nicht wiederfindet (billige PR-Behauptung, natürlich).
Interessant aber, dass der Film gar nicht wegen der Interaktivität schlecht ist, sondern wegen der dampfenden Unlogik. Ein gern gesehener Moment in der Science Fiction ist, wenn der Zuschauer/Leser geglaubt hat, in der Welt gelte Regel 1, die sich dann nur als Sonderfall der viel cooleren oder diabolischeren Regel 2 herausstellt. Im ungern gesehenen Moment sind Regel 1 und 2 unvereinbar, aber dem Erzähler ist es wurscht, weil wir jedenfalls überrascht sind. Das ist in Bandersnatch der Fall, und zwar mit Regel 1 bis, wenn ich mich nicht verzählt habe, 5.
Ich habe sonst keine Black-Mirror-Folge gesehen und weiß deshalb nicht, ob Bandersnatch dadurch zu einer typischen schlechten Folge wird oder zu einem unerreichten Tiefpunkt der Serie. Kann man jedenfalls drüber nachdenken, ohne sich beim Netflix-Gucken auch noch Entscheidungen abzuringen.
Genau diese Version habe ich gestern auch gesehen und bin zu ähnlichen Schlüssen gekommen: unlogisch; und wenn man so will, auch als ganz normaler Spielfilm zu betrachten – als eher mittelmäßiger, in der Tat. (Die anderen Folgen „Black Mirror“ sind aber z.T. weit besser.)