Was ich bei Open Mics gelernt habe
Freund T., seit 20 Jahren als Comedyautor gut bis sehr gut im Geschäft, will es nun wissen: Wie es ist, selbst auf der Bühne zu stehen und Stand Up zu machen. Also habe ich ihn zu ein paar Open Mics begleitet, und das war nicht uninteressant.
Nun muss man wissen, dass Comedyautoren hin und wieder gezwungen sind, ihr eigenes Material „vorzutanzen“: wenn es gilt, Produzenten, Redakteure, Protagonisten davon zu überzeugen, dass Nummern so funktionieren, wie man sie als Autor geschrieben hat. Ich persönlich hasse das, denn ich habe mich ja nicht ohne Grund hinter den Bildschirm zurückgezogen. In meinem Kopf funktionieren alle meine Sachen, sonst würde ich sie nicht abschicken. Aber sie funktionieren für den, für den ich sie schreibe, und nicht zwangsläufig auch für mich. Ich werde meinen eigenen Witzen nicht gerecht, wenn ich sie selbst vortrage — also vermeide ich das, wo es geht.
Freund T. aber ist sehr gut im Vortanzen, hat eine Präsenz, die mir vollkommen abgeht, und das Talent, viel Material tatsächlich aus dem Stegreif zu entwickeln. Wo ich stundenlang sitze, spricht er ganze Nummern auf Band und ist nach zehn Minuten fertig — mit zehn Minuten Material. Beneidenswert. Naheliegend also, dass er den Schritt auf die Bühne macht.
Weitaus weniger naheliegend schien dieser Schritt mir für viele andere Nachwuchs-Comedians, die ich bei diesen Open Mics gesehen habe. Logischerweise will ich nun hier nicht Maßstäbe anlegen, die für Profis gelten — bei diesen Open Mics gehen Menschen ja zum allerersten Mal auf die Bühne.
Aber ich habe einige sich wiederholende Fehler gesehen, die offenbar keine individuellen Schwächen sind, sondern Anfängerfehler im genuinen Sinn. Die größten Fehler sind:
1. Kein roter Faden. Nichts ist schlimmer, als von einem Einfall zum nächsten zu springen, ohne sie irgendwie zu verknüpfen. Nach dem zweiten Gedankensprung schalte ich als Zuschauer ab. Gags, die jeweils eine längere Rampe brauchen, um mit einer einzigen ggf. nicht mal so guten Pointe abzuschmieren, sind wertlos. Viel besser sind sich entwickelnde Gedanken zu einem Thema, ganz egal, ob das nun ein „wirklich wahres“ Erlebnis ist oder ein Gedankenexperiment.
(Apropos: Die Wendung von der „wirklich wahren“ Geschichte schien mir arg überstrapaziert bei diesen Open Mics — als ob es eine Rolle spielen würde, ob etwas so oder so ähnlich oder gar nicht passiert ist. Tut es allenfalls, wenn man eine Geschichte zwar als wahr einfädelt, dann aber in erkennbar nicht wahre Gefilde abgleitet und so sein Publikum in die Irre führt — was selbstverständlich nie der Fall war bei den Open Mics.)
2. Publikumsinteraktionen. Viele Comedy-Anfänger, vor allem die Moderatoren solcher Abende, setzen darauf, ihre Schlagfertigkeit im Dialog mit dem Publikum unter Beweis stellen zu wollen. Das geht oft schief, weil sie dabei einfach ihre überlegene Position auf der Bühne ausnutzen, von der herab sie Leuten über den Mund fahren und Störer zu weiterem Stören ermutigen. Noch billiger: sich mit denselben Zuschauern unterhalten wie der Comedian zuvor. Das interessiert mich nicht im Geringsten. Ich will nichts vom Publikum hören (und kann es oft rein akustisch nicht hören), sondern von dem Comedian auf der Bühne. Publikumsinteraktion ist nur ein Weg, Zeit zu schinden und Zuschauer für sich zu gewinnen, ohne Material zu haben. Die wenigsten sind wirklich gut darin.
Hier zeigte sich auch der große Unterschied zwischen Moderatoren und Comedians und dass beides je eine Kunst für sich ist. Ein guter Comedian muss nicht zwangsläufig ein guter Moderator sein, und umgekehrt. Eine Binse, die ich aber so deutlich noch nie vor Augen geführt bekommen habe.
3. Sein Material nicht weiterentwickeln. München hat offenbar eine nicht allzu große Open Mic-Dichte für Comedy-Anfänger. Also trifft man die selben Stand Upper wieder. Und muss feststellen, dass sie ihr Material nicht entwickelt haben, sondern mit den gleichen Pointen an denselben Stellen auf die Nase fallen. Warum? Ist ausbleibende Reaktion kein Indiz dafür, dass ein Witz nicht funktioniert? Sollte man dann nicht etwas anderes probieren?
Was allerdings eine ganze Handvoll Comedians bei den Open Mics ausgezeichnet hat, war ein Mutterwitz, der nacherzählbare Pointen zum Teil sogar ersetzt hat. Ich höre lieber jemandem zu, der mit Hingabe eine vollkommen absurde Geschichte erzählt und dabei zwar Pointen liegen, dafür aber seinem Wahnsinn freien Lauf lässt, als jemandem, der ohne große Persönlichkeit halbgute Witze erzählt. Unverwechselbarkeit, sich verwundbar machen dadurch, dass man Angriffsfläche bietet (ein schwuler Bulgare, ein adipöser Farbiger mit bunten Fingernägeln), unaufgesetzte Schrägheit goes a long way.
Das hat mich sogar am meisten interessiert, denn das kann ich jemandem als Autor nicht auf den Leib schreiben. Das muss schon vorher da sein. Das ist die Anlage, auf die man etwas bauen kann. Als Comedian und als Autor.
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