Die Top-10-Britcoms der 00er-Jahre: Platz 8
Platz acht festigt einen Trend, der sich durch die weiteren Plazierungen in meinen höchst persönlichen Britcom-Charts fortsetzen wird: Den zur cringe comedy. Peinliche Momente, in denen der Zuschauer kaum anders kann, als vor Fremdscham im Sofa zu versinken oder sich in distanzierendes und insofern rettendes Gelächter zu flüchten — das war DER Comedy-Trend der nuller Jahre. Vielleicht war die britische Sitcom der letzten Dekade auch deshalb nicht mehr so mehrheitsfähig wie (und damit leider auch ein bißchen weniger relevant als) früher: Weil sie alle ausschloß, die nicht bereit waren, sich solchermaßen unangenehmen Situationen auszusetzen. Andererseits war britische Fernsehkomik dadurch auch englischer denn je und das genaue Gegenteil deutscher Comedy, die immer noch weitgehend integrativ ist und möchte, daß alle zusammen lachen und es möglichst gemütlich haben.
Auf Platz acht findet sich die zweite Serie des Großmeisters der cringe comedy, Ricky Gervais, die nicht ganz so böse ist wie seine erste, es aber nichtsdestoweniger unter die besten zehn geschafft hat:
Platz 8: „Extras“ (2005 – 2007, BBC2/HBO)
Fatale Selbstüberschätzung ist einer der schnellsten Wege zu Demütigung, und Andy Millman (Gervais) mangelt es daran niemals: Der Film- und Fernsehstatist hängt fest an seinem Glauben, ein verkanntes Schauspieltalent zu sein, und bringt sich durch diese Fehlwahrnehmung permanent in Verlegenheit, vor wie hinter den Kulissen. Umso mehr, als er neben Größen des Fachs wie Ben Stiller, Kate Winslet und Samuel L. Jackson spielen muß und keine Gelegenheit ausläßt, von einem ins nächste Fettnäpfchen zu treten: Er versucht, aus seiner Komparsenrolle in einem Balkankriegsdrama eine kleine Sprechrolle zu machen, und belästigt damit den schwer traumatisierten Autor, der im Kosovo Frau und Kind verloren hat, auf dem Set. Er gratuliert Jackson für seine Rolle in „The Matrix“ und gibt sich, weil er ihn mit Laurence Fishburne verwechselt, indirekt als Rassist zu erkennen, der einen Schwarzen nicht vom anderen unterscheiden kann (Edit: genaugenommen war es Maggie, die Jackson mit Fishburne verwechselt hat, siehe Kommentare). Er versucht sich an David Bowie ranzuwanzen, was damit endet, daß der ihn mit einem improvisierten Schmäh-Lied öffentlich bloßstellt.
Zur Seite stehen Andy sein törichter Agent Darren (Stephen Merchant) und Maggie Jacobs (Ashley Jensen), ebenfalls Komparsin und ein Quentchen einfältiger als Andy; zusammen ergeben Andy und Maggie einen double act, der von ferne an Stan Laurel und Oliver Hardy erinnert: Maggie in der Rolle des naiven Stan, Andy in der des genervten Olli. Die Ähnlichkeit der Mimik ist stellenweise verblüffend.
In der zweiten Staffel hat Andy es zu einer eigenen BBC-Sitcom gebracht („When The Whistle Blows“), doch schnell ist klar, daß die Herabwürdigungen damit längst kein Ende haben: Andy wird so lange gezwungen, Kompromisse zu machen, bis sein ehrgeiziges Comedy-Projekt zur Doofi-Sitcom mit der schlichten catchphrase „Are you having a laugh?“ samt „funny wigs and glasses“, lustigen Perücken und dicken Brillen, verkommen ist (ein Schelm, wer an deutsche Sitcoms á la Atze Schröder dabei denkt). Peinlicher noch als seine schlimm schlechte Sitcom, für die sich Andy bald sehr schämt, ist nur: ihr phänomenaler Erfolg, der dazu führt, daß Andy bald von Kritikern beschimpft wird und von bescheuerten Fans verfolgt, die nichts anderes von ihm wollen, als daß er seine Cathphrase aufsagt — wieder und wieder und wieder… Im Weihnachts-Special schließlich hat Andy es geschafft, ein Fernsehstar zu werden, während Maggie ihre Karriere zugunsten eines Putzjobs aufgegeben hat.
In „Extras“ konnte man Ricky Gervais auf dem Höhepunkt seiner bisherigen Comedylaufbahn sehen: „The Office“ hatte ihm, der zuvor völlig unbekannt gewesen war, alle Türen geöffnet. Britische Prominenz von Patric Stewart bis Orlando Bloom standen Schlange, um in seinen Produktionen mitspielen zu dürfen, selbst Hollywood-Stars wie Robert DeNiro wollten dabeisein. Gervais nutzte die Gelegenheit, um die Film- und Fernsehwelt zu karikieren, griff dafür aber zu konventionelleren Methoden als zuvor bei „The Office“: Statt dessen Mockumentary-Stil (und damit sich selbst) zu kopieren, entwarf Gervais „Extras“ als traditionellerer Sitcom (eine Kamera, kein laugh track) — was ihm Fans prompt übel nahmen, die etwas ähnlich abgründig-bitteres wie „The Office“ erwartet hatten. Diesen Erwartungen zu entsprechen, wäre allerdings schwerlich möglich gewesen. „Extras“ aber war bei genauerer Betrachtung immer noch böse und brillant genug, um als würdiger Zweitling in die Geschichte einzugehen.
Totally off-topic: Hat jemand schon mal was von Fun at the Funeral Parlour gehört? http://www.amazon.co.uk/Fun-At-Funeral-Parlour-DVD/dp/B000FPV8LK/ref=pd_sim_d_h__6
mir sagts zumindest nix. gleich mal auf den wunschzettel setzen…
mir isses zu übertrieben und oft zu viel holzhammer und slapstick. is neben „catterick“ die einzige britcom deren kauf ich bisher bereut hab.
Da bin ich mal gespannt, was da noch alles folgen wird. Auf meiner persönlichen Liste wäre EXTRAS ja viel weiter vorne. Sachen wie BLACK BOOKS oder THE IT CROWD finde ich dagegen viel zu konventionell und phasenweise auch zu platt, um in meine persönliche Top-Liste zu kommen. Aber das ist natürlich Geschmackssache. Und vielleicht gibt’s auf den ersten Plätzen ja auch noch was ganz Neues zu entdecken. Ich bin gespannt.
Wenn ich mich recht erinnere, hat nicht Andy Jackson mit FishburnE verwechselt, sondern Maggie. Andy hat sie dahingehend aufgeklärt und zu Jackson gesagt, er solle nicht denken, dass für sie alle Schwarzen gleich aussähen, denn das wäre rassistisch, was sie nicht sei.
Oder so.
Abgesehen davon würde EXTRAS auf meiner Liste wohl auch weiter oben stehen.
Ja, das war Maggie, die die verwechselt hat, das ist mir auch aufgefallen.
Auch die Extras von EXTRAS sind lohnenswert. „The Art of Corpsing“ hat mir Tränen in die Augen getrieben. Es muss höllisch Spaß gemacht haben, in dieser Crew zu sein.
Denke ich auch, zumindest denjenigen, die gegen Ricky Gervais‘ grauslige Lache immunisiert waren.
„Extras“ ist grandios.
Klasse Serie, mit der Gervais es trotz konventionellerem Konzept geschafft hat, nach The Office die Latte für geistreiche, rabenschwarze Cringe-Comedy noch ein gutes Stück höher zu legen, was nach der Erwartungshaltung nach dem Riesenerfolg von The Office ja schon alleine eine Leistung ist.
Und so, wie er es bei The Office geschafft hat, mit Tim/Dawn bei aller Comedy ganz nebenbei eine knuffige, unpeinliche Romanze einzufügen, hat er es hier geschafft, mit Andy und Maggie eine knuffige, glaubhafte Freundschafts-Geschichte zu erzählen. Vor allem der Schluss der Special-Episode ist rührend und dabei kein Bisschen kitschig. Umso trauriger ist zu sehen, was aus Gervais heute gworden ist.