Piloten-Check 8: White Wing
Channel 4 hat eine weitere Staffel seiner „Comedy Showcase“-Reihe (schon vor einigen Tagen) begonnen mit einem Piloten von Victoria Pile: „Campus“ spielt an der fiktionalen Universität Kirke und zeigt ein Ensemble von mehr oder weniger grotesk neurotischen Uni-Mitarbeitern bei ihrem alltäglichen Wahnsinn, der von doppelt ausgezahlten Gehältern (und dem sinnlosen Versuch, diese wieder einzutreiben) bis hin zu dem Versuch des Uni-Vizekanzlers geht, die Suizidpläne eines Studenten auszunutzen, um die doppelte Auszahlung von Gehältern zu vertuschen. Vice Chancellor Jonty, vom Mirror als „größenwahnsinniger David Brent“ beschrieben, versteht sich hervorragend darauf, seine Untergebenen zu beschimpfen und zu demütigen — etwa so wie der bösartige Produzent Patrick in „Dead Set“, der zufällig vom gleichen Darsteller gespielt wird, nämlich von Andy Nyman. Den Underachiever Matt Beer, Dozent für Englisch, will er zwingen, ein erfolgreiches Buch zu publizieren, und weist ihn zu diesem Zweck an, sich mit der unsicheren, blassen Mathematikerin Imogen zusammenzutun, die zwar gerade einen Bestseller gelandet hat, nun aber genau deswegen unter größtem Druck steht — nämlich nachlegen zu müssen. Abgerundet wird die eher sketchartig gehaltene und halb improvisierte Show durch clevere Regie, die viel mit dem Soundtrack von Jonathan „Trellis“ Whitehead arbeitet.
Klingt bekannt? Jepp, das ist „Green Wing“ an der Uni — nicht nur Produzentin und Regisseurin Pile sowie Komponist Whitehead sind mit von der Partie, auch ein gutes halbes Dutzend Autoren von „Green Wing“ (und dessen Vorgänger-Sketchshow „Smack the Pony“) stecken hinter „Campus“. Das muß nicht schlecht sein, schließlich war „Green Wing“ phänomenal lustig, es ist aber auch kein Persilschein: Denn neben dem brillanten Cast der Krankenhausserie war es auch die seinerzeit avantgardistische Machart, die „Green Wing“ aus der Comedy-Dutzendware herausgehoben hat. Das Rezept ist also nicht mehr ganz taufrisch, was die Produzentin offenbar durch umso gröbere Übertreibungen in puncto Beleidigungen und sexuelle Anzüglichkeiten auszugleichen versucht. Was verblüffenderweise sogar funktioniert (auch wenn der Guardian das anders sieht).
Channel 4 weigert sich dummerweise immer noch, seine Clips zum Einbetten freizugeben, darum hier zwei Oldschool-Links zu kleinen Ausschnitten: Clip 1 und Clip 2. Hoffentlich nicht das letzte, was man von „White Wing“, Quatsch: „Campus“ gesehen hat.
Hmm, ich war nicht hin und weg. Aber Potential ist sicher vorhanden. Mein Favorit unter den gezeigten Piloten ist nach wie vor The Increasingly Poor Decisions Of Todd Margaret (knapp vor The Amazing Dermot).
nachdem das jetzt so oft hier stand, muß ich doch mal sagen: ich fand todd margaret ganz, ganz schlecht. so fremdgeschämt hab ich mich schon lange nicht mehr, ohne daß es auch nur im geringsten komisch gewesen wäre.
„The Increasingly Poor Decisions Of Todd Margaret“ scheint bereits nach nur einer Pilotfolge ähnlich gespaltene und extreme Reaktionen hervorzurufen wie „Arrested Development“. Kein Wunder, gibt es ja durchaus einige Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Serien. Ich habe „Todd Margaret“ nur in einigen längeren Ausschnitten gesehen und war durchaus angetan. Ich würde gerne mehr davon sehen. Aber ich finde ja z.B. auch, dass AD eine der besten Comedyserien (nicht nur) der 00er-Jahre war.
Das glauben die an dieser Serie Beteiligten ja offenbar auch. Dabei wurde in AD Komik im Grunde immer nur simuliert. Man kann den Akteuren förmlich ansehen, wie besoffen sie von ihrer vermeintlichen Edginess waren, dabei rannten sie statt boundaries und envelopes zu pushen sperrangelweit offene Türen ein. Mehr als slapstickartiges Collegeimprov auf Koks war das bei Licht besehen nicht. Ich hoffe nur, daß Will Arnett jetzt nicht auch noch „Parks and Recreation“, die inzwischen richtig gute Serie mit seiner Frau Amy Poehler, mit sich behelligt – der soll mal lieber was mit Will Ferrell oder Judd Apatow machen. Oder mit dem kürzlich lobotomierten „30 Rock“-Team. (Ruhepuls: 45)
Na ja, das ist wohl Geschmackssache. Offensichtlich wollten Sie etwas in der Serie sehen, das nicht da ist und vermutlich auch gar nicht beabsichtigt war. Und was bitte soll „simulierte Komik“ sein, außer einer leeren Worthülse, die einem suggerieren soll, dass man auf dem falschen Dampfer ist, wenn man das Entsprechende dennoch lustig findet?
Die hier finden jedenfalls, dass „Arrested Development“ die beste Serie der letzten Dekade war (knapp vor „The Office“):
http://www.oudaily.com/news/2009/dec/09/decades-best-tv-series-2000s/
Die Meinungen gehen da also, wie gesagt, extrem auseinander.
@René R.
Ich hab mir „The Smoking Room“ jetzt übrigens mal bestellt. Ich bin gespannt.
Ralf: Ich meine es ja nicht persönlich, ich kenne Sie nicht, und sicher ist es auch eine Frage des persönlichen Geschmacks. Mein Eindruck ist, daß Serien wie „Arrested Development“, „Futurama“, „Family Guy“ und neuerdings auch „Pushing Daisies“ und „Better Off Ted“ ihre Popularität hauptsächlich einer durch wenig bis nichts gerechtfertigten Verehrung seitens verbissener Fanboys verdankt, die etwas schon gut finden, wenn es nur scheinbar neu und anders aufgemacht ist.
Was meine vielleicht nicht erfüllten Erwartungen betrifft, muß sich „Arrested Development“, wie jede andere Serie, an dem messen lassen, was sie auf den ersten Blick vorgibt zu sein. Ohne Off-Stimme, schnelle Schnitte und Szenenwechsel, Wackelkamera und ein paar lahme Peinlichkeiten wäre „Arrested Development“ schnell als das inhaltsarme Wrack zu durchschauen, das es ist. Die Serie versucht so krampfhaft, ständig edgy und whacky zu erscheinen, daß es einen stutzig machen sollte, denn wo viel Lärm, da ist meist, na, Sie wissen schon.
Das ist die „simulierte Komik“, von der ich sprach. (Ich gebe auch gern zu, daß ich den Ausdruck dem hiermit empfohlenen epochalen Essay „Late Night Solo“ von Kay Sokolowsky verdanke, in dessen Mittelteil unter anderem das unsägliche „RTL Samstag Nacht“ auseinandergenommen wird.)
Ohne das hier jetzt in ein Streitgespräch zwischen uns ausarten zu lassen, möchte ich nur anfügen, dass man natürlich auch sagen könnte, „Arrested Development“ ist eine von sehr guten Schauspielern (vorneweg Jeffrey Tambur, David Cross und Michael Cera) getragene, gut gespielte und einfallsreiche Serie, die auf mehreren Bedeutungsebenen hervorragend funktioniert.
Formale Mittel interessieren mich nur im Zusammenhang mit dem Erzählten. Und das funktioniert entweder für mich oder eben nicht. Das war hier im Blog ja auch schon ein Diskussionspunkt bei „Green Wing“. Wenn man eine Serie inhaltlich nicht mag, dann stört einen halt auch schnell die formale Umsetzung, insofern sie „anders“ bzw. von der Norm abweichend ist. Letztlich ist das aber meist sekundär.
Unterm Strich ist und bleibt es eben eine Frage des Geschmacks. Da ist AD nicht die erste und nicht die letzte Serie, an der sich die Geister im Extremen scheiden (Wir könnten die Diskussion z.B. gleich noch auf die Filme von Wes Anderson ausweiten).
Das Buch von Kay Sokolowsky kenne ich nicht, aber ich brauche auch wirklich kein Buch, das diesen mittlerweile unerträglich gelangweilten Selbsdarsteller und Möchtegerngroßkulturträger Schmidt gegen andere „Komikproduzenten“ ausspielt. Das mag mal für eine kurze Zeit innovativ gewesen sein, was er gemacht hat, ist mittlerweile aber einfach nur noch langweilig und öde. Er möchte gerne Peymann sein, ist aber in seiner Rolle beim Traumschiff tatsächlich besser aufgehoben.
Ich vergaß:
„Simulierte Komik“ im Zusammenhang mit Harald Schmidt passt aber wiederum ganz gut.
Ah, eine Kontroverse! Endlich! Schade, dass ich Arrested Development nicht kenne.
Ach, da tun Sie dem Schmidt ein Unrecht, und „gelangweilt“ und „Selbstdarsteller“ hört man inzwischen überall und von wirklich jedem, daß man schon fragen möchte, wer da vielleicht übertriebene Erwartungen hegt, die HS sicher nie erfüllen wollte.
Was nun Inhalt und Form betrifft, so wissen wir Möchtegern-Comedyexperten mit mindestens Abitur, dass beide stets harmonieren müssen. Das ist der Maßstab, der an alle Werke angelegt wird, auch an Drama im weitesten Sinne. Diesen Anspruch erfüllt „Arrested Development“ aber nicht. Statt dessen verzettelt es sich in Gehampel, Grimassenschneiden und viel sagen wollendem Nichts. Für das arg postmodern raunende Argument von den „mehreren Bedeutungsebenen“ müßte man schon stichhaltige Belege anführen, sonst ist es letztlich nur eine andere Form des Totschlagarguments, man kapiere diese neue, innovative Form der Komik eben einfach nicht.
Comedy ist wirklich eine ernste Sache.
Sie, René R., argumentieren mit Vorwürfen gegen „AD“, die für mich nicht verfangen. 1. weil „Echtheit“ der Charaktere keine Voraussetzung für Komik ist und 2. das Oberflächliche, Schematische gerade die Funktionsweise der Sendung ist. Sie will nichts aussagen, und muß es für mich auch nicht. Inhalt und Form harmonieren m.E. bestens. Und daß Sie den größten Teil der filmischen Techniken, die durchaus Komik zu erzeugen in der Lage sind, abgezogen wissen wollen, ist doch albern. Wenn man bei Laurel & Hardy die Gegenschnitte und die Großaufnahmen der Gesichter wegnimmt…
Mir reicht es, daß mehrere Erzähl- (nicht Bedeutungsebenen) etabliert, variiert und immer weiter verstrickt werden, um mich zu amüsieren. Und ich wüßte nicht, wo die Sendung sich „edgy“ gab. Mir schien sie stets als Nischenformat daherzukommen.
Daß etwas Ihren Anspruch an Bedeutung und Inhalt nicht erreicht, ist kein Argument (egal wie oft abgewandelt), um es als untauglich zu brandmarken, Komik zu erzeugen. Erst Recht, wenn man es in einen so großen Topf wirft, in dem so unterschiedliche Serien wie „Family Guy“ und „Pushing Daisies“ Platz finden. Das ist letztlich nur krampfhaft verobjektivierte persönliche Idiosynkrasie.
Sie lesen doch nicht etwa während der arbeitszeit blogs, tim?!
Gehört das nicht irgendwie zu meiner Arbeit?
auch wieder wahr. weitermachen!
Ich find’s auch gut. Endlich etwas, das man offensichtlich so stark mag oder verachtet, dass es sich lohnt, darüber zu streiten.
Als ich weiter oben geschrieben habe, formale Mittel interessierten mich nur im Zusammenhang mit dem Erzählten, da war das schon auch so gemeint, dass das miteinander harmonieren muss. Und bei AD ist dahingehend für mich alles in Ordnung.
Ich denke, dass Sie, René R., tatsächlich eine unerfüllte Erwartung in diese Serie hatten. Das ist aber nichts, was man dann der Serie vorwerfen könnte.
Der Hinweis auf die Bedeutungsebenen war übrigens nicht als postmoderne verallgemeinernde Floskel gedacht, sondern einfach als Hinweis auf eines von vielen Elementen der Serie, nämlich das häufige Verwenden von Zitaten, Querverweisen, Insiderjokes und vorausweisenden Anspielungen. Das alleine macht natürlich noch keine gute Serie aus, ist aber eben ein Teil der hier besprochenen.
Und was den Schmidt angeht, so könnte man auch darüber nachdenken, dass wenn der Vorwurf der Langeweile und Selbstdarstellung „inzwischen überall und von wirklich jedem“ vorgebracht wird, dass da womöglich auch was dran sein könnte.
„Mein Eindruck ist, daß Serien wie “Arrested Development”, “Futurama”, “Family Guy” und neuerdings auch “Pushing Daisies” und “Better Off Ted” ihre Popularität hauptsächlich einer durch wenig bis nichts gerechtfertigten Verehrung seitens verbissener Fanboys verdankt, die etwas schon gut finden, wenn es nur scheinbar neu und anders aufgemacht ist.“
Wowowo, easy there, pal. AD kenne ich nicht, bei Pushing Daisies und Better off Ted gehen wir d’accord, ist irgendwie besonders forciert „quirky“, so in Richtung Ally McBeal, die war auch schon immer so „He da, hier kommt ein Witz, watch out.“ Es ist dieses krampfige, was auch die Deutschen immer perfekt können: Ein scherziger Einfall muss als solcher immer mit großen Lettern gekennzeichnet werden, damit auch Lieschen Müller rafft: Achso, das ist jetzt witzig.
Wie jetzt da Futurama reinpasst will sich mir allerdings nicht erschließen, schließliche war das Matt Grönings (fataler) Befreiungsschlag. Zudem eine Animationsserie (Vergleiche mit Sit-Coms schwierig) und außerdem ein bewußt abgehobenes Setting um zu demonstrieren, wie klein doch die Fallhöhe zum heutigen Zustand der Welt ist …