Der Mann, der Benny Hill war (extd. Rmx, Pt. 2)
Was bisher geschah: Benny Hill stirbt unter unwürdigen Umständen; zuvor titelt der Daily Star zu einem Foto von Hill, auf dem der Millionär mit einer Supermark-Plastiktüte voller Lebensmitteldosen zu sehen ist: „Mr Mean“.
Doch diese defamatorischen Schlagzeilen waren ungerecht. Gewiß, Benny Hill lebte in Verhältnissen, die einem Star seiner Größenordnung nicht zukamen, und ja, seine Klamotten wohnten bei ihm auf dem Boden statt im Kleiderschrank. (Kirkland: „Why do you throw all your clothes on the floor?“ Hill: „Because they won’t stick to the ceiling.“) Aber womöglich machte er sich einfach nichts aus Geld, genauso wenig wie aus neuen Schuhen oder Hemden, und bestimmt war sein Chaos ein kreatives. Denn seine Sketch-Ideen, und davon hatte er viele, notierte er sich auf allem, was in seiner Reichweite war: aufgerissenen Cornflakes-Kartons, alten Zeitungen, Zigarettenschachteln. Diese lagen, zwischen dem schmutzigen Geschirr und ungeöffneter Fanpost, überall in seiner Wohnung herum. Stapelweise. Sogar seine Skripte, die er aus aller Welt an den Fernsehsender schickte, waren nicht selten auf Pappkartons geschrieben, wie man sie mit der sauberen Wäsche zusammen aus der Reinigung bekommt, auf Servietten und alten Briefkuverts.
Wozu hätte er auch eine größere Wohnung gebraucht? Im noblen Londoner Stadtteil Queensgate, aus dem Hill später nach Teddington gezogen war, weil das in Fußweite der Studios war, hatte er ja noch eine größere Wohnung gehabt. Aber weder Familie noch Freunde, die er eingeladen hätte. Nicht einmal seinen Agenten und Freund Richard Stone bat er je hinauf in sein Reich, obwohl der ihn über zwanzig Jahre regelmäßig vom Dreh nach Hause fuhr. Wenn man denn von Reich sprechen möchte in Bezug auf Hills Behausung: In einem Zimmer ein kleiner Schwarzweißfernseher vor einem häßlichen Plastiktisch und einem Sessel. Keine Bilder, keine Bücher, nur ein Kaminsims, auf dem achtlos hingestellte und -gelegte Preise Staub fingen, und ein Plastik-Spielzeug, hinter dem der Hausherr, ebenfalls ungeöffnet, Umschläge mit Schecks sammelte, bis sich so viele angesammelt hatten, daß alles auf den Boden zu fallen drohte. Dann reichte Hill sie bei der Bank ein. Selbstverständlich ohne sie vorher auch nur anzusehen. Oder abzuzeichnen. Regelmäßig kamen sie also von der Bank zurück, mit der Bitte um Unterschriften. Ein zweites Zimmer, so erinnert sich Kirkland, war komplett unmöbliert und glich einer Müllhalde. In diesem Raum sei er nie, habe Hill gesagt.
War es seine Schuld, daß die Zeit über ihn hinweggegangen war? Daß in den Achtzigern plötzlich ein anderer Wind in der Comedy-Szene wehte, ein frischerer? Mit einem Mal stand Benny Hill für antiquierte Comedy der dumpfen Sorte, war ein Relikt aus voraufklärerischer Zeit. Seine Show, die von 1951 bis 1991 vierzig Jahre lang das englische gleichermaßen wie das internationale Comedy-Fernsehen mitgeprägt hatte (in 97 Ländern lief seine Show am Ende), geriet in Verruf. Mehr als das: Benny Hill, die „Benny Hill Show“ stand plötzlich synonym für alles, was schlecht war an der Mainstream-Komik: Ihr latenter Rassismus mit seinem Blackfacing, ihr offener Sexismus, ihr ganzer patriarchaler Gestus. Dicke, alte, weiße Männer waren plötzlich nicht mehr „in“, jedenfalls nicht, wenn sie sich als alte Schachteln verkleideten oder hinter barbrüstigen jungen Frauen herrannten oder diese hinter ihnen. Benny Hill war out, wie man nur out sein konnte, als die Alternative Comedy, allen voran Ben Elton und die „Young Ones“, in den Achtzigerjahren die Komikindustrie revolutionierten und damit ein junges, intellektuelles Publikum erreichten, das bald ganze Fußballstadien füllen sollte. Als Thames Television seinen Star nach zwanzig fetten Jahren schließlich feuerte, blieb ihm, der nie ein Privatleben gehabt hatte, nichts mehr. Benny Hill zog sich zurück und starb wenige Jahre später seinen einsamen Tod.
Dabei zählte Benny Hill in seinen frühen Tagen selbst zu einer neuen, einer alternativen Form der Comedy: Benny, geboren als Alfred Hawthorn Hill am 21. Januar 1924 in Southampton, war der erste Variety-Star des Fernsehens — und der größte.
Demnächst: Kindheit und Jugend — liegen Benny Hill die Witze in den Genen? Wer nicht warten möchte: Die ganze Humorkritik findet sich in der Printausgabe der aktuellen Titanic.
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