Holy Rick
Die neue Sitcom von Ricky Gervais, „After Life“ (Netflix), könnte als seine beste seit „Extras“ (BBC2, 2005 – 07) durchgehen. Wenn man nicht immer mal wieder das Gefühl haben müsste, Gervais dabei zuzusehen, wie er sich selbst heiligspricht.
Ich will es nicht verhehlen: Meine Erwartungen an Sitcoms von und mit Ricky Gervais haben eine Tendenz gegen null, spätestens seit seinem sog. „Comedydrama“ um einen grenzdebilen Altenpfleger namens „Derek“ (Channel 4, 2012 – 14). Umso angenehmer überrascht hat mich „After Life“.
Darin variiert Gervais seine Arschlochfigur (David Brent, Andy Millman), indem er seinem Tony Johnson eine traurige Backstory gibt, die seine Trostlosigkeit und seine Misanthropie einleuchtend grundiert: Er hat seine über alles geliebte Frau Lisa (Kerry Godliman, präsent in Videos, die Tony mit ihr und sie für Tony gedreht hat) verloren. Seitdem geht er seiner Arbeit als Lokalreporter für ein Gratisblättchen noch lustloser nach als ohnehin, zweifelt am Sinn des Lebens, ja: führt seine Selbstmordgedanken jeden Tag ausführlich spazieren. Am Leben erhält ihn eigentlich nur noch sein Hund.
Zum Glück hat er einen einfühlsamen Chef (und Schwager) in Matt (Tom Basden, „Plebs“), einen Fotografen (Tony Way), der Tonys Demütigungen stoisch erträgt, und überhaupt sehr viele aufmerksame und mitfühlende Menschen um sich herum, die ihm immer wieder bestätigen, was für ein guter Mensch er doch in Wahrheit ist: Emma (Ashley Jensen, „Extras“), die Altenpflegerin, die sich um Tonys dementen Vater (David Bradley, „Game of Thrones'“ Walder Frey) kümmert. Daphne/Roxy (Roisin Conaty), eine Prostituierte, und Julian (Tim Plesder), einen Drogenabhängigen — denn ganz wie Jesus ist sich auch Tony für keinen gesellschaftlich Ausgestoßenen zu gut. Und Anne (Penelope Wilton, „Shaun of the Dead“), eine Witwe, die Tony regelmäßig am Grab seiner Frau trifft.
Dabei halten sich Melancholie und Comedy ganz gut die Waage: die Rüpelhaftigkeit, mit der Tony seinen Mitmenschen begegnet, ist durchaus so gut motiviert, dass man mit ihm fühlt. Die Scherze, die aus seiner drastischen Offenheit entstehen, sind komisch. Dass der Cast, den Gervais um sich herumstellen kann, hochkarätig ist (außer den genannten etwa noch die sträflich zu wenig genutzte Diane „Philomena Cunk“ Morgan und Paul Kaye, „Game of Thrones'“ Thoros of Myr), versteht sich von selbst. Ebenso, dass die Ansichten Tonys (es gibt keinen Gott, Tiere sind die besseren Menschen, jeder hat das Recht auf einen selbstbestimmten Tod) zartfühlenden Menschen womöglich extrem scheinen, es in Wahrheit aber kaum noch sind.
Dass diese Ansichten sich zu 95 Prozent mit denen decken, die Ricky Gervais in seinen Standups äußert: das stört mich spätestens dann, wenn er nach fünf Folgen Herumflegelns eine ganze Episode darauf verwendet, sich von allen Nebendarstellern Persilscheine ausstellen zu lassen: dass das schon okay ist und Tony eigentlich ein dufter Typ. Und dass Tony dann tatsächlich wieder einen Lebenwillen entwickelt: das macht diese ganze letzte Folge zu einem einzigen Epilog, der mir weder in sich noch als dramaturgische Idee schlüssig erscheint. Denn wie soll nach diesem Ende eine zweite Staffel beginnen? Mit dem Tod seiner zweiten Frau?
„After Life“ hinterlässt mich also mit gemischten Gefühlen: Es ist ganz sicher nicht Gervais „beste Arbeit“, wie er mit Gervaisscher Bescheidenheit selbst wissen lässt. Eher hat man den Eindruck, auch hier hätte ein Co-Creator gut getan, der den Heiligenschein ein, zwei Stufen herunterdimmt.
Aber solide genug für drei unterhaltsame Stunden ist es doch.
Es wäre vielleicht etwas besseres dabei „rausgekommen“, wenn er die Toni-Figur als optimistischen, mitfühlenden Menschen dargestellt hätte, der inmitten von lauter Misanthropen und Zynikern leben muss. Die anderen Figuren würden dann halt Persilscheine ausstellen, dass Tony trotz der fehlenden Selbstmordgedanken und seines Unpessimismus okay und im Herzen eigentlich auch ein ganz (un)dufter Typ sei.
Nach Folge 1 ist mir das alles noch ein bisschen zu simpel konstruiert und zu wenig durchdacht. Wenn er vor dem (kürzlichen) Tod seiner Frau so ein dufter Typ war, warum hat er dann keine Freunde? Warum war sie offenbar sein einziger Lebensinhalt? Warum ist er, der morgens nicht aus dem Bett aufstehen will, plötzlich motiviert, der Neuen am Arbeitsplatz einen (dann auch noch ziemlich banalen) „humanity is a plague“-Vortrag zu halten? Überhaupt: Wenn das Konzept darin besteht, dass er jetzt sagt, was er denkt, warum denkt er dann nicht ein bisschen interessantere Sachen? Ein bisschen wie die unterentwickelten Welthasser bei späten Woody Allen, die man immer für genial halten soll, weil der Erzähler es sagt.
Naja, eine schaue ich noch; vielleicht wirds besser.
Jetzt habe ichs durchgeschaut und puh, „Heiligenschein“ ist ziemlich freundlich ausgedrückt für das, was da an feelgood-Kitsch ungebremst reinbrettert. Zwischendurch will ichs immer wieder mögen, weil Gervais so schön genervt schauen kann. Aber schon die Erzählmittel: Frau tot, leeres Haus, traurige Musik, Krankhausbett, traurige Musik. Da wird schon immer das allernaheliegendste eingesetzt. Und am Ende lernt er seine Lektion und wird ein guter Mensch.
Letztlich ist die Serie eine verkitschte selbsterteilte Absolution des Gervais’schen Wertesystems. Diese Werte und Ansichten sind ja nicht schlecht, im Gegenteil, auch ist alles recht nett erzählt und die Schauspieler sind auch sehr gut – aber da fehlt doch der Biss, das Überraschende und vor allem auch der Witz von „The Office“, „Extras“ oder auch noch der nur mehr halbtollen späteren Sachen von Gervais/Merchant.
Gervais alleine ist vor allem ziemlich rührselig und berechenbar.
„Hello Ladies“ von Stephen Merchant kam hier im Blog nicht so gut weg, aber tatsächlich habe ich das wesentlich lieber gesehen als die Soloarbeiten von Gervais. Bzw. ich mochte es wirklich. Ich hab’s mir sogar zweimal angeschaut während ich mit „Derek“ nach Jahren immer noch nicht durch bin.
Die beiden haben sich offenbar perfekt ergänzt und leider fehlt ihren Einzelarbeiten immer das letzte Bisschen, mal mehr, mal weniger.
Voraussichtlich muss dann in der nächsten Staffel entweder der Hund sterben, damit Tony sich wieder zu einem schlechten Menschen zurückentwickeln kann. Oder Tony gewinnt die Menschen so lieb, dass er keine Haustiere mehr benötigt und seinen Hund schließlich in einem (guten) Tierheim abgibt.
Ewiger Sonnenschein in Rosamunde Pilcher Land, nur Ricky hat schlechte Laune, obwohl er doch eigentlich so ein feiner Kerl ist. Die letzten beiden Folgen dann wirklich permanenter Brechreiz. Reiner Kitsch und maximal hölzerne Dialoge. Gervais ist echt zu lang in Hollywood gewesen.