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Die entscheidende letzte Folge, Teil 2: „Mad Men“

21. Mai 2015 5 Kommentare

Den gestrigen Text hatte ich schon vor ein paar Tagen geschrieben, jedenfalls bevor die letzte Folge „Mad Men“ (AMC, 2007 – 15) gelaufen ist. Interessanterweise aber wirft auch sie ähnliche Fragen auf, insbesondere das mehrdeutige Ende der Folge.

Spoilerwarnung: Wer das „Mad Men“-Finale noch nicht gesehen hat, sollte jetzt nicht weiterlesen.

Am Ende dieser Folge nämlich sehen wir Don Draper, wie er nach einer weiteren Flucht vor/Suche nach sich selbst quer durch das amerikanische Heartland in einer Hippie-Kommune, einem Ashram oder etwas vergleichbarem landet, wo Hippies alternative Lebensweisen erproben, sich in Gesprächszirkeln und mit Hilfe von Meditation öffnen, ihre Gefühle preisgeben und sich in Gruppen emotional ausziehen, um mit sich selbst in Einklang zu kommen — das genaue Gegenteil von dem Ort also, wo sich ein Don Draper normalerweise wohlfühlen sollte.

Wider Erwarten aber hat Don eine Art kleineren Zusammenbruch, eine emotionale Katharsis, als er der Lebensbeschreibung eines mittelalten Halbglatzenträgers, eines erkennbar auf Durchschnitt angelegten Heinis zuhört, der seine Außenseiterrolle reflektiert und seinerseits überwältigt von der Flut seiner Gefühle in Tränen ausbricht. Mit ihm spürt Don plötzlich eine gemeinsame Wellenlänge — und entdeckt offenbar all seine eigenen verdrängten Gefühle, ja: kann sie sogar zulassen. (O Gott, was für ein Therapeuten-Vokabular!)

Anschließend sehen wir Don, etliche andere Hippies und ihren Guru/Meditationsleiter, wie sie im Lotussitz sitzen, im Gras über einem Steilhang an einer kalifornischen Küste, und „Ommmm“ machen. Ein Lächeln huscht über Dons Gesicht, und es läuft, letzte Einstellung, die „I want to buy the world a coke“-Werbung von 1971, in der ein Hippie-Chor unter freiem Himmel genau dieses Gefühl von hippiesker Freiheit zu transportieren sucht (und das, dank des Songs, auch ziemlich gut hinbekommt).

Ende.

Nun bleibt, Vorhang zu und alle Fragen offen, die Ungewissheit, was Matthew Weiner sagen wollte: Hat sich Don nun verändert, ist er am Ende zu einem, ähm, Blumenkind geworden, das mit seinen Gefühlen in Übereinstimmung lebt? Oder hat er die Inspiration aus dieser Erfahrung dafür genutzt, die beste Werbekampagne aller Zeiten zu erfinden, für die manche diese Cola-Werbung halten? Und ist aus einer tiefen, echten Empfindung wieder einmal Kommerz geworden, fast hätte ich geschrieben: schnöder?

Weiner selbst erklärt sich nur so halb (kein Künstler, der etwas auf sich hält, sollte sich je erklären): Er lebe mit und in so vielen Ambiguitäten, dass er selbst nicht hundertprozentig wisse, was da los gewesen sei.

Auch ich als Zuschauer war nach dem Ende der Episode erstmal gar nicht auf die Idee gekommen, die Colawerbung könnte von Don gewesen sein. Natürlich liegt das nahe, war er doch vorher schon bei McCann Erickson auf dem Colaaccount gewesen. Aber es wird ja nicht explizit gesagt, es sei Dons kreatives Genie gewesesn, dem diese Kampagne entsprungen ist.

Die Antwort auf die Frage, die sich hier stellt, die „Mad Men“ von Anfang an gestellt hat: Kann sich Don, kann man sich generell verändern, oder bleibt man immer der, der man ist? müsste so beantwortet werden: Wer weiß? Wen interessierts?

Denn selbstverständlich haben wir es hier mit Kunst(-handwerk) zu tun, und selbstverständlich kommt alle Kunst (und auch das bessere Kunsthandwerk) aus seinem Schöpfer, wie die Colakampagne (womöglich) aus Don, wie „Mad Men“ aus Weiner. Man könnte also die letzte Szene mit dem Cola-Spot auch als Synthese aus beiden Positionen lesen (These: man bleibt immer der, der man ist; Antithese: Veränderung ist möglich), als dialektische Verbindung und Aufhebung beider Ansichten, die (ohne dass das in eine der beiden Richtungen ausdeutbar wäre) beides in sich trägt: die Möglichkeit und die Unmöglichkeit zur Veränderung.

Aber es gibt die Möglichkeit zur Kunst und zur Aufhebung der Wirklichkeit in der Kunst.

Und so erklärt sich „Mad Men“ aus genau der letzten Folge, der letzten Szene durchaus selbst: nämlich als Kunstprodukt, das strukturell selbst nichts anderes ist als die Colawerbung. Ein Kunstwerk, das uns vielleicht etwas über die Welt erzählt, und zwar so, dass wir entweder zynisch („alles Kommerz!“) oder mitfühlend darauf reagieren können („das ist er, der amerikanische Traum!“) — aber über eines kann uns keine Serie der Welt etwas erzählen: Über uns je selbst, über den Einzelnen, das Individuum.

Dass aber sich die Gesellschaft verändert, und wir uns in ihr, das ist natürlich die andere Quintessenz von „Mad Men“.

Ich persönlich fand diese letzte Folge „Mad Men“ toll und traurig, vor allem mit all den losen Fäden: Ja, Peggy und Stan kriegen sich (das fand ich den am ehesten forcierten und schwächsten Strang), Joan ist schon wieder an den falschen Kerl geraten und entscheidet sich (vermutlich) eher für den Job als für den Kerl, Betty zahlt den Preis für all die Raucherei in den ganzen sieben Staffeln, Pete entscheidet sich sowohl für Trudy als auch für seinen Job und hat mehr Glück, als man ihm am Beginn der Serie zugetraut oder auch nur gegönnt hätte.

Aber nichts davon wird wirklich zuende erzählt: Betty stirbt nicht (nach der vorletzten Folge dachte ich, in der letzten Folge treffen sich alle bei ihrer Beerdigung), wir wissen nicht, ob aus Joans Plänen zu einer Film- und Fernsehproduktion wirklich etwas wird, und was aus Don wird, bleibt ohnehin vollkommen offen. Genau diese, auch hier: Ambiguität (das Ende wird erzählt und bleibt doch offen) finde ich schon ziemlich gut — und finde, dass „Mad Men“ sich mit diesem Finale also absolut gerecht geworden ist.

Die entscheidende letzte Folge

20. Mai 2015 7 Kommentare

Können letzte Folgen ganze Serien ruinieren? Kann die letzte Episode einer Staffel alle elf oder 23 (oder auch nur fünf) Episoden vorher so irreparabel beschädigen, dass man sich ärgert, seine Zeit damit verschwendet zu haben?

Klar, können sie. Und umgekehrt: Letzte Folgen können ganze Serien im Rückblick in neuem Glanz erstrahlen lassen, wenn Schlüsselinformationen mit einem Mal dafür sorgen, dass man alles, was zuvor geschehen ist, in neuem Licht sieht.

Und während letzteres etwa bei der brillanten Serie „Broadchurch“ (ITV 2013, erscheint morgen auf DVD — siehe Ende des Eintrags) der Fall ist, ist es bei „Fortitude“ (Sky Atlantic, 2015) leider wie zuerst beschrieben: Das Ende enttäuscht schwer, weil es zwar das serienbestimmende Geheimnis lüftet (Wer hat den elfjährigen Danny Latimer getötet?/Was ist auf der kleinen arktischen Insel los?) — aber halt auch nicht mehr als das. Es gibt keine zweite Ebene, kein Thema, das unter der Oberfläche dafür sorgt, dem Rätsel im Vordergrund eine quasi literarische Bedeutung zu geben, ohne die jeder Krimi, jeder Thriller, jede Mysteryserie seelenlose Dutzendware bleiben muss, weil es ohne diese Ebene nämlich völlig wurscht ist, ob es nun der Gärtner oder der Chauffeur oder das Alien oder ein Geheimagent aus Moskau war.

Die Genialität von „Broadchurch“ und Autor Chris Chibnall („Doctor Who“) ist es, das Thema der Serie offen anzuspielen und dabei doch bis zum Schluss mit dem Clou hinter dem Berg zu bleiben. Denn es ist von Anfang an klar: Das Thema ist hier die kleinstädtische Nähe, das enge Beziehungsgeflecht der überschaubaren Gemeinschaft, in der jeder jeden zu kennen glaubt — und in der ein so skrupelloser Mord an einem Kind umso erschreckender offenbart, dass man über seine Mitmenschen eben doch lange nicht so gut bescheid weiß, wie man glaubt.

Was man so weiß, reicht den meisten Menschen ja auch — dass ein schon mal straffällig gewordener Pädophiler also ein leichtes Ziel abgibt für den Mob, ist keine Überraschung. Die Überraschung liegt vielmehr in der ständigen Neubewertung der Beziehungen, die die Figuren untereinander haben: die völlig überforderte und übergangene örtliche Polizistin Ellie Miller (die sensationelle Olivia Colman) zum von außen hinzugezogene Ermittler Alec Hardy (ebenfalls toll: David Tennant), der ihr zu ihrem Leidwesen bei der anstehenden Beförderung vorgezogen und ihr vor die Nase gesetzt wird, und all die mehr oder minder verdächtigen Provinzler samt lokaler Klatschpresse.

„Broadchurch“ macht also das denkbar beste aus dem ewiggleichen Whodunnit-Prinzip, das mich bei den meisten Krimis sofort ermüden lässt: denn hier überrascht nicht nur, wer am Ende der Täter war, sondern auch welche Auswirkung die Auflösung auf das der Serie zugrundeliegende Thema hat.

(Es hat mich dementsprechend verblüfft, wie Chibnall die zweite Staffel angelegt hat, die Anfang dieses Jahres gelaufen ist: Sie hat nicht etwa einen neuen Fall an den Anfang gestellt, sondern den Prozess gegen den Täter der ersten Staffel. Das war tatsächlich genauso riskant, wie es sich anhört: Weil es die Erwartung aller Krimifreunde zunächst einmal radikal zerstört hat — nämlich die, dass es einen ähnlich spannenden Fall gibt wie den, der der ersten Staffel Rekordquoten und großes Mitfiebern seitens der Zuschauer eingebracht hat. Angeblich war die Frage nach dem Täter während der ersten Staffel schon während noch gedreht wurde so ein großes Ding, dass selbst die Schauspieler bis zum letzten Moment nicht wissen durften, wie alles ausgeht. In der Tat sind die Quoten der zweiten Staffel schnell eingebrochen, obwohl sich doch noch ein zweiter Fall entwickelt hat, der seinerseits wieder gut, aber eben viel konventioneller war als bei der ersten Staffel.)

„Fortitude“ nun legt ein ähnliches Netz: Hier ist es eine kleine Insel, die zu Spitzbergen gehört und auf der ebenfalls nur eine Handvoll Menschen leben, die allerdings aus aller Herren Länder stammen: denn Fortitude lebt hauptsächlich von den Minen, die nun sukzessive geschlossen werden. Um die Insel am Leben zu erhalten, plant die Gouverneurin Hildur Odegard (Sofie Grabol), Touristen mit einem Hotel anzulocken, das komplett in einen Gletscher hineingebaut sein soll.

Nun passiert aber ein Mord, mit dem die lokale Polizei (auch hier eine Parallele zu „Broadchurch“) überfordert ist, weil sonst nie Gewaltverbrechen auf der Insel passieren. So findet der zwielichtige Sheriff Dan Andersen (Richard Dormer) auch zunächst keine Erklärung — weder was den Mörder angeht noch sein Motiv. Das könnte zwar darin bestehen, dass der getötete Wissenschaftler (Christopher Eccleston in einer Gastrolle) keinen Zugriff auf die gefrorenen Überreste eines prähistorischen Mammuts erhalten soll — aber genau weiß man es nicht.

Nun entwickelt sich auch in „Fortitude“ ein psychologisches Spiel, das von überragenden Schauspielern (u.a. Michael Gambon, Stanley Tucci und Darren Boyd, der auch in ernsten Rollen etwas kann), toll inszenierten und teils ziemlich brutalen Bildern lebt — und doch am Ende der großen Eröffnungsnummer nicht gerecht wird: weil die Auflösung zwar nach den Maßstäben moderner Thriller durchaus plausibel ist, aber eben kaum etwas mit dem Thema zu tun hat, das sich (wie bei Broadchurch) auch erst am Ende offenbart.

Das ist schade, weil man bis dahin schon so viel Zeit investiert hat (insgesamt sind es zwölf Episoden à netto 45 Minuten) — und sich dabei ja auch gut unterhalten gefühlt hat –, dass man einfach mehr erwartet hätte als eine solide, aber eben nicht überragende Auflösung des Ganzen. Doch wenn sich die zahlreichen Nebenhandlungen (die, wie gesagt, jede für sich ziemlich gut und auch sehr spannend sind) als eben genau das erweisen: Nebenhandlungen, die mit dem großen Plot am Ende nicht verknüpft sind — dann regiert (zumindest bei mir) schon eine leise Enttäuschung.

Sehenswert ist, das möchte ich festhalten, „Fortitude“ nun auf jeden Fall trotzdem: die fast 90% bei Rotten Tomatoes sprechen für sich. Aber eben weil Cast und Dramaturgie bis zum Schluss so vielversprechend sind, es nach den ersten Folgen ziemlich schnell ziemlich spannend wird, fällt das flache Ende umso mehr ins Gewicht.

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Eine „Broadchurch“-DVD der ersten Staffel habe ich zu verschenken — der erste Interessent in den Kommentaren kriegt sie!

Entschleunigtes Fernsehen

Wer zwei Stunden Zeit hat und die Muße findet, kann hier schön Bötchen fahren: „All Aboard! The Canal Trip“ (BBC4) bietet ohne Schnitt, ohne Musik, ohne Offsprecher, in Echtzeit den Kennet and Avon-Kanal zwischen London und Bristol bzw. eine sehr schöne Teilstrecke davon. Die BBC hat einige Texttafeln mit Informationen in die Landschaft gemorpht oder was, an einigen Stellen alte Fotos in die (sehr langsam) bewegten Bilder montiert, etwa um den zugefrorenen Kanal zu zeigen oder alte, längst abgerissene Gebäude an seiner Seite. Unfassbar tolle Bilder, typisch englische Lichtstimmung mit schnellem Wechsel von Sonne und Wolken, Vogelgezwitscher — ein bisschen wie bekifft sein. Gute Fahrt! (Die offenbar viele Menschen schon mitgemacht haben, wie der Independent berichtet. Slow TV ist im Kommen, glaube ich.)

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Der ursprünglich hier eingebettet Videoclip wurde zwischenzeitlich entfernt, also habe ich ihn jetzt auch rausgenommen.

Auf der Überholspur

Peter Kay ist so etwas wie der britische Hape Kerkeling: Sehr komisch und gleichzeitig sehr mehrheits-, ja, familienfähig. Seine Live-Shows sind seit vielen Jahren chronisch ausverkauft, und weil mit Liveauftritten sehr viel mehr Geld zu machen ist als mit schlecht bezahlten Sitcoms, tut Peter Kay das, was wirtschaftlicher ist: Er tritt live auf. Dabei muss er sich allenfalls vorwerfen lassen, dass er das Comedy-Rad keinesfalls neu erfindet: dass das, was er macht, zum größten Teil harmlos und altmodisch ist, observational comedy, also die unter Comedians mit Herablassung betrachtete niedrigste Form der Comedy. Aber was macht das schon, wenn man erfolgreich ist und, wie gesagt, dabei auch noch sehr komisch.

Aus vermutlich vorwiegend wirtschaftlichen Gründen also ist Peter Kay seltener im Fernsehen zu sehen, als man sich das als Zuschauer wünscht, hat er doch mit „Phoenix Nights“ (Channel 4, 2001 – 02) zwei Staffeln einer wunderbaren Sitcom abgeliefert, die in einem nordenglischen Social Club angesiedelt ist, und mit  Peter Kay’s Britain’s Got The Pop Factor… and Possibly a New Celebrity Jesus Christ Soapstar Superstar Strictly on Ice“ (Channel 4, 2008) ein One-Off-Special, das bis heute seinesgleichen sucht: nämlich die liebevolle Parodie auf die englische Version von DSDS, mit Originalmoderatoren und -Jury, u.a. Pete Waterman, und unglaublich hochkarätigen Gastauftritten (Paul McCartney!). Gut, außerdem gab es noch ein paar nicht so großartige Serien wie „Max and Paddy’s Road to Nowhere“ (Channel 4, 2004) mit dem ungleich weniger talentierte Patrick McGuinness (über den Stewart Lee mal in einem Stand Up zum Thema englische Provinz sagte: „There’s a corn exchange. And that bloke from Max and Paddy is coming. No, no, not Peter Kay, the other one … Paddy. Yes, Paddy McGuinness is coming. Paddy McGuinness is coming with his joke.“)

Nun kommt aber wieder Peter Kay, und wenn meine ganze lange Einleitung ein Ziel hatte, dann das zu verdeutlichen, warum das in England so ein großes Ding ist und warum Kay damit gleich mal den BBC-iPlayer gesprengt hat, auf dem die vorab dort veröffentlichten sechs Folgen von „Peter Kay’s Car Share“ (BBC1, seit April) schon zu sehen waren, bevor sie nun sukzessive auch linear laufen: Weil die wenigen Fernseh-Shows, die Kay gemacht hat, (fast) alle sehr komisch waren — und weil Kay nun nach zehn Jahren Abstinenz wieder in einer Sitcom zu sehen ist.

Auch diese Sitcom — die erste mit Peter Kay, die er nicht selbst geschrieben hat, sondern in diesem Fall Tim Reid und Paul Coleman — ist, das ist das erste, was auffällt, vor allem von dem niedrigen Budget geprägt, mit dem sie produziert ist: Denn die Autoren haben sich von vorneherein gleich selbst darauf beschränkt, sie komplett in einem Auto mit nur zwei Hauptfiguren anzulegen. Das spart ordentlich Geld, und nur einen kleinen Teil des Eingesparten hat die Produktion dann für etwas anderes (Sichtbares) ausgegeben: für ein paar eingestreute Musikvideo-Parodien.

Ansonsten geht es, weil man ja einen wiederholbaren Rahmen braucht, um den Weg zur Arbeit und zurück, und weil die zwei Protagonisten ein bisschen Reibungsfläche brauchen, sind sie nur mehr oder weniger freiwillig zusammen: nämlich weil die Firma, ein Supermarkt, ein Car-Share-Programm aufgelegt hat.

So fahren John (Kay) und Kayleigh (Sian Gibson, unter dem Namen Sian Foulkes schon bei „Britain’s Got The Pop Factor“ mit dabei) täglich zusammen zum Supermarkt und zurück und hören dabei den fiktionalen Musiksender Forever FM, wo alles läuft, was der Generation der Anfang-bis-Mitte-der-70er-Geborenen Spaß macht: R.E.M., They Might Be Giants, Johnny Hates Jazz, Duran Duran usw.

Ein einfaches Konzept, das naheliegenderweise hauptsächlich auf Dialogwitz setzt — und davon gibt es reichlich. Kay und Gibson ergänzen sich prima: Man nimmt den beiden ab, dass sie nicht viel miteinander anzufangen wüssten, wären sie nicht durch das Car-Share-Programm aneinander gebunden: er als dicklicher Spät-Junggeselle im mittleren Management, sie als leicht oberflächliche Verkäuferin, dass sie aber auch nicht so weit auseinander sind, dass sie es nicht miteinander aushielten. Will also etwa ein Dritter mitfahren, etwa der stinkende Fischverkäufer Ray (Gaststar Reece Shearsmith), verbünden die beiden sich ganz schnell.

Außerdem sind die Autoren klug genug, das Prinzip der Serie schnell zu variieren. Schon in der zweiten Episode fahren John und Kayleigh nicht zur Arbeit, sondern sind Teil eines Trauer-Corsos, weil ein Einkaufswagenzusammenschieber gestorben ist. Oder sie fahren mal durch die Waschstraße.

Und man sollte auch nicht annehmen, dass „Mainstream“ und „mehrheitsfähig“ gleichbedeutend mit „bieder“ wäre; es ist schon immer noch eine britische Sitcom. Wie vielleicht nachstehender Clip verdeutlicht, der aus einer der ersten Szene der ersten Folge stammt:

An einer anderen Stelle geht es darum, wie gerne Kayleigh Dogging betreibt, und es braucht eine hübsche Weile, bis klar wird, was Kayleigh unter Dogging versteht, und noch eine, bis sie davon überzeugt ist, dass andere Menschen unter Dogging etwas anderes verstehen als sie.

2,8 Millionen Mal ist „Peter Kay’s Car Share“ schon über den iPlayer abgerufen worden und damit die erfolgreichste Serie ever, die als Box-Set online Premiere hatte. Und das trotz ihres eher restriktiven Rahmens, der einem das Binge-Watching ein wenig schwer werden lässt: Denn mehr als eine Folge will man am Stück eigentlich nicht sehen. Dazu passiert dann äußerlich doch zu wenig.

Aber eine Folge pro Abend, das geht sehr gut, denn es sind viele echte Lacher dabei — eine Seltenheit mittlerweile, wo ich bei den meisten Sitcoms kaum noch schmunzeln muss. Ich hoffe, wenigstens die Autoren haben von dem vielen Geld, das die BBC da gespart hat, ordentlich etwas abbekommen. Hahahaha!

Die Leiden des jungen Gärtners

Ich muss es gleich einräumen: Den obenstehenden Titel habe ich nur gewählt, weil der Anklang so schön gepasst hat. So jung ist er ja nämlich nicht mehr, der „junge“ Gärtner, haha, und es wäre natürlich auch unprofessionell, die Hauptfigur in Gärtners Roman „Putins Weiber“ (Rowohlt Verlag) mit dem Autor gleichzusetzen. (Apropos setzen: Neben ihm, also Gärtner, habe ich zehn Jahre in der Redaktion von TITANIC gesessen und wir sind befreundet, nur damit das gleich offengelegt ist.)

Andererseits ist die Hauptfigur schon erkennbar mit Zügen des Autors ausgestattet: selbst Autor, Kolumnist gar; der Roman spielt an Orten, wo auch sein Autor wohnt oder gewohnt hat (Frankfurt/Main, Bielefeld), und es gibt auch einige Details, die sich dem Leser ohne persönliche Bekanntschaft zu Gärtner nicht ohne weiteres erschließen.

Allerdings, und da fängt das Verwirrspiel schon an, distanziert sich der Autor sofort von seinem Werk, auch innerhalb des Romans, der nämlich aus der Sicht von gleich zwei männlichen Hauptfiguren geschrieben ist, einmal in der ersten und einmal in der dritten Person: Da gibt es nicht nur Putin, der von Vera, seiner Freundin betrogen und anschließend freigestellt wird in dem Sinne, dass er nun ebenfalls „einen gut“ hat. Sondern da ist noch der Icherzähler Winkelhock, (allzu) freier Autor, ebenfalls um die 40, der es mit den Weibern in seinem Leben immer so gehalten hat, dass er sich zwar überall Appetit geholt hat, aber wie die Maus im Käseladen darüber beinah verhungert wäre und sich nun auf die Suche macht: Nach den vertanen Chancen, verpassten Gelegenheiten und nicht getroffenen Entscheidungen.

Wie deckungsgleich diese beiden Figuren sind, soll nicht verraten werden. Wohl aber, dass diese recherche du temps perdu mit leichter Feder geschrieben, mit funkelnden Dialogen durchsetzt und überhaupt sehr unterhaltsam geraten sind. Denn „Putins Weiber“ ist zwar ein Roman der (auch nicht mehr ganz so) neuen Innerlichkeit — durchaus verblüffend, ist Gärtner doch sonst eher systemtheoretisch und -kritisch unterwegs –, aber klarerweise ein ironischer, humorvoller.

Da bramarbasieren die Provinz-Bohemiens in bester Henscheid-Schule bei endlosen bekifften Gartenfesten, werden freundschaftliche Dialoge mit der ganz feinen Klinge ausgefochten und, ja, dann doch auch Frauen verräumt. Zur Sache, Schätzchen, wünscht man sich zwar hin und wieder, wenn die Parenthesen sich türmen, aber das ist nun mal Gärtners Stil, und der ist ansonsten von Genauigkeit und Poesie getragen, also seien ihm die allzu absichtsvoll komplizierten Schachtelsätze verziehen.

„Putins Weiber“ stellt sich in die Tradition der Neuen Frankfurter Schule: komisch, vor allem, literarisch eher im Vorbeigehen, ohne große Botschaft und ohne den Anspruch, für mehr zu stehen als sich selbst, am Ende gar für eine Generation, obwohl sich womöglich genau deshalb mehr Männer in Putin wiedererkennen könnten, als man glaubt: die ihr Leben vor sich her geschoben haben und nun, weil sie nichts verpassen wollten, befürchten müssen, alles verpasst zu haben.

Hethethethethethe the Virgin

Nun sind Telenovelas erst einmal nichts, was in meinem Formen-Repertoire weit oben stünde. Es gibt zwar Daily Soaps auch im deutschen Fernsehen, aber ich sehe sie nie, und selbst wenn: Mit Telenovelas im engeren Sinne haben sie ja auch nicht viel zu tun.

Telenovelas, wie sie aus dem lateinamerikanischen Radio herkommen, haben ursprünglich nämlich einen deutlich anderen Charakter als die rein unterhaltenden Formen, die das Fernsehen heute bietet: Sie waren, neben der Unterhaltung, immer auch Aufklärung, Information und Pädagogik. Die „Archers“, eine britische Radio-Soap, die seit den 50ern läuft (und in der Tamsin Greig zu erstem Ruhm gekommen ist), spielt etwa auf dem Land, und so bot sie neben Entertainment auch stets landwirtschaftliche Handreichungen, indem sie ganz en passant erwähnte, was für den Bauer just zu tun war, welche Pflanzen gesät, welche Felder wie bestellt werden mussten, und welche Figuren mit welchen Tricks erfolgreicher waren als andere.

In Afrika, wo das Radiohören die längste Zeit selbstredend deutlich präsenter war als das Fernsehen, konnte man mit Soaps prima beispielsweise die Nachteile des ungeschützten Sexualverkehrs darstellen, die schrecklichen Auswirkungen von Hexen- und Aberglauben und die Vorteile des Lesens und Schreibens: In einer Soap etwa lernte ein Großvater noch auf seine alten Tage über Wochen und Monate hinweg Lesen und Schreiben, um seinem Enkel in der Ferne einen Brief schreiben zu können — und als es so weit war, füllten sich auch in der realen Welt mit einem Mal die Alphabetisierungsklassen: denn die Identifikation mit fiktionalen Figuren hat eine Macht, die alle Plakatwände und Werbespots alt aussehen lässt.

Telenovelas haben also seit je auch einen stark appellativen Charakter: Sie verhandeln, welche sozialen Tugenden ihrem Träger Ansehen und Respekt verschaffen, welche Verhaltensweisen Sanktionen und Ausschluss nach sich ziehen, mit einem Wort: Sie erklären, was gut ist und was böse, und welche Folgen welches Handeln hat. Deswegen sind Telenovelas oft von überzeichnet guten und bösen Figuren geprägt, religiösen und weltlich-oberflächlichen, von Settings, die dem Alltag der Zuschauer nahe sind, aber von Geschichten, die — vor allem, je länger Telenovelas laufen — dann doch etwas larger than life sind.

Zum Beispiel wäre es nichts ungewöhnliches, dass eine religiöse junge Frau im Mittelpunkt stehnt, nennen wir sie Jane, deren Mutter kaum zwei Jahrzehnte älter ist als sie selbst, und die ihrer Tochter deshalb wünscht, nicht ebenfalls als Teenager schwanger zu werden. Die Tochter ist auch brav katholisch-enthaltsam — und wird aber trotzdem schwanger, weil eine Ärztin mit schwerem Kater ihre Patinentinnen verwechselt und bei der, die sie künstlich befruchten soll, einen Abstrich macht und umgekehrt. Zu allem Überfluss ist der Vater der jungfräulich Schwangeren (ein religiöses Motiv, das stärker kaum sein könnte) ein Frauenheld und ehemaliger Krebspatient. Ach ja, und Janes Chef. Und ihr Teenagerschwarm. Tja, wie es halt so geht im Leben.

Die Prämisse von „Jane the Virgin“ (The CW, seit Oktober 2014) ist genau die, die Verstrickungen und Komplikationen der Serie damit aber noch nicht zu fünf Prozent beschrieben — und das Ganze ist verblüffend komisch.

Denn „Jane the Virgin“ funktioniert auf beiden Ebenen: Auf der einer ziemlich grotesken, aber einwandfrei durcherzählten Serie, die ihre Figuren ernst nimmt und diese Figuren (bis auf Ausnahmen) auch anschlussfähig und realistisch zeichnet — und als, nun ja, weniger Parodie denn Travestie, die die Merkmale des Genres so überhöht, dass Komik entsteht.

Etwa den Erzähler, der mit deutlich lateinamerikanischem Zungenschlag aus dem Off immer mal wieder die Zusammenhänge erklärt (eine Technik, die auch bei echten Telenovelas gewährleisten soll, dass man als Zuhörer nicht den Faden verliert, wenn man mal ein paar Folgen nicht gesehen/gehört hat) — das aber schon fast als Parodie.

Oder die spanischen Dialoge und Namen, die sich für den unbedarften Zuschauer anhören wie die Parodien auf südliche Fernsehshows („Chanel 9 News“) der „Fast Show“: Hethethethethe hethethethethe, sminki pinki, Chris Waddle! Scorchio! Hier heißt die Heldin Jane Gloriana Villanueva, und ihr Vater (von dem sie nichts weiß) Rogelio de la Vega.

Der seinerseits ist in „Jane the Virgin“ ein berühmter Telenovela-Star und eine Figur, die tatsächlich so überzeichnet eitel und schmierig karikiert wird, wie die anderen Figuren straight gezeichnet sind. Sehr zum Vorteil der Show, denn wo schon das Format und der Plot nahe an der Karikatur sind (obwohl gerade die Erzählung der Prämisse dann doch so verblüffend glaubhaft ist, dass man denkt: tja, warum sollte das nicht mal passieren?), da braucht es dann eben umso plausiblere, sorgfältiger, realistischer geschriebene Figuren.

So macht „Jane the Virgin“ weder aus Jane (Gina Rodriguez) noch aus dem Playboy Rafael Solano (Justin Baldoni) noch aus ihrem Verlobten Michael (Brett Dier) Karikaturen, sondern runde, ausgewogene Figuren. Janes Mutter Xiomara (Andrea Navedo) und ihre Großmutter (Ivonne Coll) müssen zwar ein wenig latino-hysterischer sein als Jane, damit Janes „Normalität“ gegen die Zwanghaftigkeit ihrer spätjugendlichen Mutter und ihrer überreligiösen Großmutter abgesetzt werden kann.

Aber es gibt nur wenige allzu verzerrte Charaktere, deren Comedy-Regler auf elf stehen — das „Drama“ in „Comedydrama“ ist da praktisch gleichberechtigt. (Anders als bei, fällt mir gerade auf, „Brooklyn Nine-Nine“, Fox, das zwar eine ähnliche Travestie ist wie „Jane the Virgin“, aber in meinen Augen lange nicht so gut funktioniert, weil eben praktisch alle Figuren Cartoons sind und kaum eine realistisch genug wäre, als dass ich an sie anschließen könnte.)

„Jane the Virgin“ ist, würde ich mal vermuten, auf die zweite und dritte Generation von hispanischen Einwanderern in die USA gemünzt, ein Publikum, das groß genug ist — Robert Rodriguez hat mit El Rey ja bereits einen ganzen eigenen Kanal für Latinos gegründet. Trotzdem (oder, mal wieder, genau deswegen) funktioniert das auch für mich gut: eine ganz distinktive Serie, alles andere als Mainstream, und genau deshalb neu, frisch, originell, eigenständig.

Man muss nicht einmal katholisch sein, um sie zu mögen.