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#Erwachsenenfernsehen

18. Februar 2015 Keine Kommentare

Schriebe man eine der stärksten Szenen von „Togetherness“ (HBO) ab, käme vermutlich kein Mensch, der die Serie nicht kennt, darauf, dass das komisch ist oder sein soll. Keine Pointe, die sich nacherzählen ließe, kein Slapstick; cringe comedy, komisches Erschaudern vor allzu drastischer Peinlichkeit, ist zwar im Spiel, aber es ist viel mehr als das, was diesen Moment so lange nachwirken lässt.

Was also ist an einem Streit zwischen einem Mann und einer Frau, die schon lange miteinander verheiratet sind, so komisch, dass ich Bauchschmerzen vor Lachen (und aber gleichzeitig auch vor Traurigkeit) bekommen habe? Es ist vermutlich die Unausweichlichkeit, mit der Brett (Mark Duplass) und Michelle (Melanie Lynskey) daran scheitern, ihr Sexleben nach zehn Ehejahren wiederzubeleben, dieser zwischenmenschliche Unfall, eindringlich wie ein schlimmer Eisenbahnunfall in Zeitlupe, verheerend, mit der Wucht von Waggons und Waggons voll Schrott und Steinen, die aus den Schienen springen, sich ineinander verkeilen und niemandem eine Chance lassen, der im Weg steht, keinem Baum, keinem Strommasten, nichts.

Dabei meinen sie es nur gut. Brett Pierson, Tontechniker beim Film in L.A., und Michelle gehen ja doch behutsam miteinander um. Sie sind über die Jahre spießig geworden, aber sie lieben sich; sie lässt ihre ältere (aber attraktivere) Schwester Tina (Amanda Peet) vorübergehend im Haus unterkommen, weil die gerade mal wieder eine nur allzu flüchtige Affäre hinter sich hat, er gibt seinem besten Kumpel Alex (Steve Zissis) Obdach, einem mehr oder weniger gescheiterten Schauspieler, dessen Grundproblem ist, dass er für Hauptrollen zu dick und für Nebenrollen als lustiger Dicker nicht dick genug ist. Diese beiden entwickeln eine ganz eigene Dynamik, als Kontrastfolie zum schwierigen Eheleben der Piersons.

Und klar, Brett ist eine schlimme Pfeife mit schlimmer Frisur und schlimmer Brille (samt schlimmer Angewohnheit, diese Brille hochzuschieben). Aber er ist kein Arsch. Er lädt Michelle ein, überraschend, in ein Hotel, zu einem romantischen Dinner und aushäusigem Übernachten, um mal die Kinder los zu sein, aber die Erwartungen sind zu hoch: Er schiebt ihr wieder das Kopfkissen zurecht, bevor er in sie eindringt, damit sie es bequem hat, was sie hasst, ihm aber nicht sagt; er will alles richtig machen, aber beide kennen jeden Handgriff des anderen schon zu lange und viel zu genau, auch im Voraus, da entsteht kein magischer Moment mehr, kein Funke, die Zündplättchen sind längst feucht, und zwar kann man dies und jenes kurz sagen und klarstellen, um vielleicht Kleinigkeiten zu ändern, aber je mehr man redet, desto weniger spontan und unbefangen ist man, und wenn man erst dreimal „in den Rhythmus kommen“ gesagt hat, wird es furchtbar, wenn man das aber anmerkt, wird es noch furchtbarer, man kann schließlich kein Meeting abhalten, während man Sex hat, keine diplomatischen Gespräche führen, während man ficken will, das geht nicht, da hat man keine Chance, man kann nicht gewinnen.

Und so explodiert er schließlich, unten schlaff und oben verspannt, weil er nicht gewinnen kann und keinen hoch kriegt, und das ist so gemein, weil sie ja auch nichts dafür kann und sich eigentlich freut, dass er sie überraschen will, wo ja ihre eigene Überraschung, ihn mit verblüffend dominantem Begehren zu sexuellem Handeln zu zwingen, auch schon nicht geklappt hat, und es ist alles so traurig und so erbärmlich und gleichzeitig so tragikomisch, weil man meint, es genügt schon, einen Schritt zurückzutreten, dahin, wo man selbst ist, vor der Mattscheibe, um zu erkennen, wie albern und wie lächerlich diese Hemmungen und Verspannungen sind, diese sich selbst reproduzierenden Muster, Abwärtsspiralen, Todesstrudel im Ehebett, schaut euch doch mal an, ihr Trottel! Aber sie können es natürlich nicht, sie sind ja sie selbst und keine Zuschauer, und immerhin erkennt Brett sich ja im Badezimmerspiegel dann doch wieder und findet zu sich zurück und bittet Michelle um Verzeihung, und sie verzeiht ihm natürlich auch sofort.

Das ist alles mehr der ruhige, unaufgeregte Gestus des Independent-Films als der typischen Sitcom, und tatsächlich kommen Mark und Jay Duplass, die Brüder hinter „Togetherness“, auch vom Indiefilm und machen nun ihre erste Sitcom bei HBO, die eine so berührende Nähe zwischen den Figuren herzustellen vermag, eine solche Intimität, dass die kleinen Katastrophen dann richtig weh tun, und da haben wir noch nicht von der Chemie zwischen Zissis und Peet gesprochen, die eine ganz andere ist: er der Loser, sie, die in einer ganz anderen Liga spielt und kein Problem hat, sich an Filmproduzenten ranzuschmeißen, vor denen er sich am liebsten in einer Sofaritze verstecken würde, aber in Wahrheit ist natürlich sie haltlos und er, obwohl nach außen eine lächerliche Figur mit Clownsfrisur, der viel stärkere.

„Togetherness“ ist neben „Catastrophe“ schon die zweite Sitcom, die ich unter #Erwachsenenfernsehen zusammenfassen würde: klar, wegen der Erwachsenenthemen von a) lange Verheirateten oder b) Menschen, die einander erst mit über 40 finden, schwanger werden und sich dann zusammenraufen müssen. Aber #Erwachsenenfernsehen auch, weil es ehrlich ist, nicht der drastisch-komische Reiz (der ja auch sehr komisch sein kann), sondern funny ‚cause it’s true, nicht die typischen Sitcom-Figuren, die alle larger than life sind, sondern eher ein bisschen kleiner.

Deswegen will ich „Togetherness“ auch gar nicht über den grünen Klee loben und Erwartungen von Überwältigung ob der neuen Comedy-Entdeckung wecken, die dann vielleicht enttäuscht werden, denn die Serie ist eher leise und klein und (wenn wir schon bei so viele Anglizismen sind) ein slow burner, weil man Brett nicht wirklich sofort mag, er ist halt doch ein bisschen patronizing, ein bisschen analfixiert, und geht seinem Filmregisseur mit echtem Koyotengeheule auf die Nerven, das er, Brett, extra in einem Tal jenseits der Stadtgrenzen aufgezeichnet hat, obwohl der Regisseur, faktisch falsch natürlich, das Heulen eines Wolfs unter eine Filmszene in Kalifornien gelegt hatte, weil das besser klingt und nicht irritiert wie das merkwürdige Koyotenheulen, und Brett hat natürlich genaugenommen Recht, aber wen interessiert das, niemanden, genauso wenig wie das viele gute Essen, das vom Büffet am Set im Müll landet, obwohl man es doch nicht alles wegschmeißen muss, es ist doch noch gut, aber nur Brett will es retten; armer, nerviger Brett.

Die wahre Entdeckung aber ist freilich Zissis, den ich künftig in allen HBO-Serien sehen möchte, wenn es geht.

„Togetherness“ hat schon eine zweite Staffel zugesagt bekommen, und ich finde es ganz gut, falls man das noch nicht gemerkt haben sollte.

Das „Breaking Bad“, das vor „Breaking Bad“ war

2. Februar 2015 Keine Kommentare

Über den vergangenen Sommer bis vor ein paar Tagen habe ich zwei klassische Serien nachgeholt, die schon lange auf meinem Zettel standen: „The Wire“ (HBO, 2002 – ’08) und „The Shield“ (FX, 2002 – ’08).

„The Wire“ entpuppte sich dabei, genau wie die eingeschworene Fangemeinde das behauptet, als Kunstwerk, das ich gerne gesehen habe, das mir aber (schon wegen der 4:3-SD-Qualität, in der ich es noch gesehen habe, weil die neue Fassung in 16:9 und HD erst jetzt läuft), nun, ein wenig museal vorkam. Auch weil es ohne Untertitel partout gar nicht ging. Aber selbst mit Untertiteln versteht man schnell nur noch Bahnhof, wenn sich Figuren etwa in polizeiinternen Abkürzungen unterhalten, die man sich oft nicht aus dem Zusammenhang erschließen kann, oder wenn es um Strukturen von Justiz und Politik geht, die hierzulande so anders sind, dass auch sie sich nicht selbst erklären. Oder wenn man den Überblick über die allzu zahlreichen Figuren diverser Gangs und ihre Beziehungen untereinander verliert. Ein Dostojewskiroman ist nichts dagegen.

„The Shield“ aber hat mich von der ersten Folge an an den Eiern gepackt.

Eine so harte, dreckige, laute Serie um einen Antihelden, der nach einer fatalen Fehlentscheidung unweigerlich auf ein kriminelles Gleis gerät, in immer tieferen, auswegloseren Strudeln von Schuld und Verbrechen versinkt, dabei Familie, Freunde, Kollegen mitreißt und am Schluss alles zerstört, was er liebt, hatte ich noch nie gesehen … oder hatte ich doch?

Ja, genau, hatte ich doch: in „Breaking Bad“ nämlich.

Nur dass „The Shield“ (2002 – ’08) schon vor „Breaking Bad“ (AMC, 2008 – ’13) da war.

Natürlich unterscheiden sich die beiden Serien fundamental: „The Shield“ ist eine Cop-Serie, in der es allen voran um den korrupten Polizisten Vic Mackey (Michael Chiklis) geht, der als Chef einer Sondereinheit in L.A. die schmutzige Straßenarbeit verrichtet, Drogendealer hochnimmt und Gangmitglieder dingfest macht — aber eben nicht alle. Sondern nur die, die nicht mit ihm zusammenarbeiten.

Dabei aber schießt er, so erfolgreich er auch vorderhand in der Bekämpfung der Straßenkriminalität ist, gewaltig übers Ziel hinaus: Wie bei „Breaking Bad“ gibt es in der Pilotfolge bereits einen Schlüsselmoment, der die Figur definiert und den Geist aus der Flasche lässt, so dass er nie wieder zurückgerufen werden kann. Von da an geht es bergab, bzw. natürlich (wie bei „BB“) erstmal bergauf, aber die lange, zerstörerische Talfahrt lässt sich hier wie da bereits absehen.

„The Shield“ verwendet dabei stilistisch völlig andere Mittel als „BB“, hat pro Folge oft fünf oder mehr parallele Erzählstränge, und Vic Mackey verwandelt sich auch äußerlich längst nicht so stark wie Walter White (und ist außerdem ohnehin von Anfang an kahlköpfig).

Aber meine Entzugserscheinungen seit dem Ende von „BB“ hat „The Shield“ hervorragend bekämpft. Und wer Lust auf eine Achterbahnfahrt hat, die der von „BB“ ähnelt, ohne dass die Ähnlichkeiten so dominant wären, dass einem alles bekannt vorkommt, der möge sich auf mein Wort verlassen und einfach die ersten Folgen „The Shield“ sehen. Am Besten funktioniert das natürlich ohne Spoiler.

Worin also sind sich „The Shield“ und „BB“ so ähnlich? Ohne zu spoilern kann man so viel sagen:

Beide Serien erzählen die Geschichte eines Antihelden, der im Laufe der Serie immer skrupelloser und unmoralischer handelt. Sie diskutieren anhand dieser Figur das Dilemma, das Gute zu wollen und dafür Böses zu tun, und nehmen in Kauf, dass sich der Zuschauer mit einer Figur identifiziert, die auf der dunklen Seite der Macht steht. Tatsächlich gibt es Fans sowohl von „Breaking Bad“ als auch von „The Shield“, die selbst nach dem Finale noch Partei für Walter White und Vic Mackey ergreifen und die beiden für alles verteidigen, was sie getan haben.

Beide Hauptfiguren haben einen jüngeren Partner, für den sie eine Art Vaterfigur abgeben, den sie aber am Ende mehr oder weniger zerstören: Jesse Pinkman bei „BB“, Shane Vandrell (Walton Goggins) bei „The Shield“. Jesse wie Shane haben, obwohl auch sie beide hoch kriminell sind, unsere Sympathien oft noch vor den Hauptfiguren, insbesondere in Momenten, wo diese vorderhand zu brutal, amoralisch und skrupellos sind, als dass wir noch auf ihrer Seite wären. Shane wie Jesse dagegen sind emotionaler, menschlicher, verletzlicher und in der Folge leichter zu mögen.

Beide Serien sind sehr explizit in der Darstellung von Brutalität, aber auch von schmerzhaft ehrlichen Momenten. Ästhetisch unterscheiden sie sich allerdings beträchtlich, ist doch „The Shield“ mit seiner wackeligen Handkamera und dem Guerilla-Stil, in dem viele Außenaufnahmen gedreht sind, viel roher, ungestümer als das geschliffene und polierte „Breaking Bad“. Beiden gemein ist aber wieder die visuelle Wucht.

Nun kommen aber doch ein paar Spoiler, weiter geht es also nach dem Klick: Mehr…

Same old, but different

30. Januar 2015 Keine Kommentare

Schon klar: Die Überschrift ist alles andere als originell. Hat man schon gelesen, trifft auf praktisch alles zu — es gibt nichts Neues unter der Sonne; gerade nicht, was Sitcoms angeht. Mann trifft Frau, es ist erst einfach, dann kompliziert, hilarity ensues.

Andererseits dachte ich das auch, als ich die Prämisse von „Catastrophe“ (Channel 4) gelesen habe: Mann (Rob Delaney) trifft Frau (Sharon Horgan), sie haben einen One-Night-Stand (nun, genau genommen einen Six-Night-Stand), er fliegt zurück in die USA, sie ist schwanger, und weil sie in einem Alter ist, wo es das letzte Mal sein könnte, will sie das Kind behalten. Er kommt zurück, und … wie der Titel schon sagt. Same old.

But eben different. Denn womit ich nicht gerechnet hätte: Horgan und Delaney wringen aus diesem eigentlich verbrauchten Set Up unerwartet die (bislang) zwei lustigsten halben Stunden des Britcom-Jahres.

Vielleicht, weil „Catastrophe“ so schön erwachsen ist. Sharon (Horgan) und Rob (Delaney, ja sie benutzen einfach ihre eigenen Vornamen) sind ein bisschen zu alt, um im „Gavin & Stacey“-Stil oder à la „Pramface“ zum ersten Mal mit Erwachsenenproblemen konfrontiert zu sein, die so entstehen, wenn man plötzlich nicht mehr allein im Kinderzimmer wohnt oder mit den merkwürdigen Freunden des je anderen zusammentrifft. Sie haben schon Erfahrung mit ähnlichen Situationen — allerdings nicht genau mit dieser: „I never had casual sex with a sober person before“, sagt Sharon in der ersten Folge.

Denn sie ist zum ersten Mal schwanger, und auch er will das Kind und ihm ein Vater sein, schon weil er seinen eigenen nicht kannte und es bei seinem Kinder anders halten will. Also stürzen sie sich Hals über Kopf in eine Beziehung. Hilarity ensues.

Die Gelassenheit im Angesicht der Katastrophe (die bislang so schrecklich katastrophal gar nicht ist) macht die beiden sehr sympathisch, dass sie sich ohne großes Zögern einig sind, die Sache mit dem Kind einfach mal durchzuziehen, steht in schönem Kontrast zu ihren offensichtlichen Persönlichkeitsschwächen (sie ist zynisch und ein bisschen antisozial, er ist trockener Alkoholiker und Schürzenjäger), und vor allem funktioniert die Chemie zwischen Darstellern ebenso wie zwischen den Figuren ganz ausgezeichnet: Rob und Sharon, Delaney und Horgan sind sehr, sehr komisch (und haben ihre Dialoge so wie die ganze Serie auch selbst geschrieben).

Das beginnt beim gegenseitigen Identifizieren und Kennenlernen (Er: „I’m a friend who helped you make a mistake“), setzt sich fort darin, wie sie sich mit der Situation arrangieren (Nochmal er: „I’m just saying: a terrible thing has happened — let’s make the best of it!“) und endet bei den trivialen Sachen frischer Partnerschaften: Er hat bei seiner Rückkehr aus den USA keine Unterkunft in England. Sie: „So, where are you staying? — I’m joking! You can stay in my spare room. — I’m joking! I’m a teacher, I don’t have a spare room.“

Echte Lacher zu liefern, und zwar viele, das hatte ich vor allem nicht von Sharon Horgan erwartet, war sie mir bislang doch eher in so „meh“-Sitcoms begegnet („Dead Boss“, „Free Agents“, mit ihrem größten Hit „Pulling“ (BBC3, 2006 – 09) habe ich mich nie anfreunden können). In „Catastrophe“ aber ist sie brillant, und der Stand Up-Comedian und Twitter-Star Delaney nicht weniger.

Das sieht offenbar auch Channel 4 so: Der Sender hat „Catastrophe“, obwohl bislang erst zwei Folgen zu sehen waren, bereits eine zweite Staffel gewährt, und wenn sich die Serie auch weiterhin an den ersten beiden Folgen messen lässt, haben wir hier schon einen echten Kandidaten für die Top-5-Britcoms 2015.

Die Banalität des Guten

25. Januar 2015 Keine Kommentare

„The Eichmann Show“ — was für ein Titel allein! Klingt doch der Begriff Show in unseren Ohren immer noch nach Showbühne und Showtreppe, Scheinwerferbatterien, Männern im Frack, nun gut, aber zumindest würden wir doch „Show“ eher in „große Samstagabend-“ als in „Architekten des Holocaust-„-Formulierungen verwenden. „Show“ in Verbindung mit „Eichmann“, das klingt obszön. Ist doch auch Eichmann ein Begriff, der seinerseits so starke Konnotationen hat — allein dass er auch noch Adolf heißt! — dass man fast glaubt, mit einem Namen wie Eichmann kann man gar nicht anders, als zum Nazi werden: stark wie eine Eiche, eine deutsche natürlich, und Mann, na klar, ein deutscher Mann, was sonst.

„The Eichmann Show“ klingt also obszön, aber hier ist ein anderes „Show“ gemeint, eines im Sinne von Vorzeigen, Herzeigen, eine Schau: Schaut her, das ist Adolf Eichmann — soll man schreiben: der Kerl? Der Mensch? Wir, das jüdische Volk Israels, haben einen geschnappt, der mit verantwortlich ist für das bislang namenlose Gräuel, das die Shoah war, über die Anfang der 60er Jahre noch kaum jemand wirklich sprechen konnte, weil auch 15 Jahre nach ihrem Ende keine Worte dafür zu finden waren und keine Bilder. Wir haben Eichmann, und wir erschießen ihn nicht an Ort und Stelle in Argentinien (wie es ein Wachmann im Film für richtig hält), sondern wir machen ihm einen Prozess. Nicht, damit ihm Gerechtigkeit widerfährt, sondern uns. Damit das namenlose Grauen einen Namen bekommt, damit es Bilder und Worte gibt dafür.

Bilder finden, Worte verbreiten: Das war der Auftrag für den Fernsehproduzenten Milton Fruchtman und den Regisseur Leo Hurwitz, die 1961 den Auftrag bekamen, die Gerichtsverhandlung gegen den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, NSDAP-Mitglied Nr. 889.895, SS-Nummer 45.326, in Jerusalem zu filmen und in 37 Länder zu übertragen: vier Monate lang, Tag für Tag, das größte globale Fernsehereignis in der Geschichte bis dahin.

„The Eichmann Show“ (BBC2) versucht nun, die Geschichte dieser Show zu erzählen: wie Fruchtman (Martin Freeman) sich schon mit der Wahl seines Regisseurs in erste Schwierigkeiten bringt, weil Hurwitz (Anthony LaPaglia) auf McCarthys schwarzer Liste gegen kommunistische Umtriebe in den USA steht. Wie sie die drei Richter davon überzeugen müssen, Kameras im Gerichtssaal zuzulassen. Wie sie unerfahrene Kameramänner in kürzester Zeit fit machen müssen, Hurwitz‘ Multi-Camera-Stil zu durchdringen. Und wie Fruchtman sich gegen Morddrohungen und sogar -anschläge ehemaliger Nazis wehren muss.

Der größte Konflikt wird schließlich der zwischen Fruchtman und Hurwitz: Der Regisseur möchte nämlich am Liebsten praktisch ausschließlich auf Eichmann bleiben, dessen Gesicht zeigen, erstarrt in einer Art spöttischer Aufmerksamkeit, in der Hoffnung, dass Eichmann doch noch eine Regung zeigt, dass die Kameras einfangen, wie etwas von dem unfassbaren Horror, den die Zeugen der Anklage täglich stundenlang berichten, zu Eichmann durchdringt. Das passiert aber nicht. Wochenlang nicht. Fruchtman dagegen interessiert sich weniger dafür, „die Natur des Bösen“ zu zeigen. Er möchte den Prozess dokumentieren, Richter, Staatsanwalt und insbesondere Zeugen zeigen.

Dieser Konflikt wird umso stärker, als schnell klar wird, dass auch die „Eichmann-Show“ eine Fernsehsendung ist, die sich gegen andere Fernsehsendungen durchsetzen muss. Und die Invasion der Schweinebucht auf Kuba, also der Versuch von CIA und Exilkubanern im April 1961, Fidel Castros Revolutionsregierung zu stürzen, ist eine ebenso starke Konkurrenz wie Juri Gagarin, der zur gleichen Zeit als erster Mensch im Weltraum Geschichte schreibt. Wer will da noch eine tagelange Rechtfertigungsrede sehen und hören, in der ein Staatsanwalt darlegt, warum Israel überhaupt das Recht hat, über in Deutschland begangene Verbrechen zu Gericht zu sitzen? Die Einschaltquoten der Eichmann-Gerichtsreportagen sinken weltweit.

Und da sind wir beim Problem der „Eichmann-Show“: Einschaltquoten? Wirklich? Und wenn ich sage: der Konflikt zwischen Regisseur und Fernsehproduzent wird stärker, dann heißt das leider nicht: er wird stark.

Denn natürlich geht es nicht um Einschaltquoten. Nicht um Fernsehkonkurrenz um Aufmerksamkeit. Leider auch nicht um inhaltliche Auseinandersetzungen zwischen Regisseur und Produzent. All die Hindernisse, Konflikte, Schwierigkeiten, die die beiden Hauptfiguren Fruchtman und Hurwitz über die 90 Minuten dieses Films überwinden und lösen müssen, haben nicht den Hauch einer Chance gegen die Schrecken, um die es in „The Eichmann Show“ wirklich geht, die dem ganzen Stoff zugrunde liegen: die der Shoah.

Gegen die historischen Dokumente, die „The Eichmann Show“ dazwischenschneidet, kommt keine Spielhandlung an. Nicht gegen den echten Eichmann und seine mokante Maske, die echten Zeugen und Menschen im Gerichtssaal, auch wenn die Grenzen zwischen neu gedrehtem und Originalmaterial dank Nachbearbeitung für den Zuschauer kaum noch zu erkennen sind. Vor allem aber nicht gegen die Aufnahmen aus KZs, die während des Prozesses vorgeführt werden (und auf die Eichmann ebenfalls nicht reagiert — klarerweise nicht, wie Fruchtman feststellt, schließlich war Eichmann vor Ort, als es passierte, und zeigte schon da keine emotionale Beteiligung).

Die Abgründe des Entsetzens im Hintergrund (des Films!) lassen die Konflikte im Vordergrund klein und unbedeutend aussehen: Wen interessiert schon ein Streit Close-up oder nicht Close-Up angesichts des Holocausts? Zwar versucht insbesondere Hurwitz, seinen Regie-Ansatz philosophisch zu erläutern: dass es ihm darum ginge, eben kein Monster zu zeigen, sondern dass er den Menschen hinter der Maske sucht. Da klingt Hannah Arendts Diktum von der Banalität des Bösen kurz einmal an.

Zu sehen bekommen wir aber über weite Strecken die Banalität der Guten: wie zwei Männer, Fruchtman und Hurwitz, versuchen, „the Jewish Nuremberg“, die jüdische Variante der Nürnberger Prozesse, in Fernsehbilder zu gießen, damit die Welt das Ausmaß der Monstrosität erkennen kann, zu der Menschen fähig sind.

Das ist gewiss verdienstvoll und historisch interessant, und Paul Andrew Williams (Regie), Autor Simon Block und Laurence Bowen als Produzent haben aus dem Stoff herausgeholt, was herauszuholen war: „The Eichmann Show“ nähert sich dem Schrecken des Eichmann-Prozesses durchaus an. Aber sie nähert sich ihm so an wie in einem Science-Fiction-Film ein Raumschiff einem Schwarzen Loch: gegen die Dimensionen, die Gravitation und die dunkle Macht des Schwarzen Loches Eichmann und der Shoah hat auch das beste Raumschiff keine Chance.

Britcoms jetzt bei Twitter

22. Januar 2015 Keine Kommentare

In den letzten Tagen habe ich, Early Adopter der ich bin, mich mal ein bisschen bei Twitter herumgetrieben. Und während ich privat keinen rechten Verwendungszweck dafür habe, na, jedenfalls noch nicht, dachte ich, ich könnte ja mal einen Britcoms-Account einrichten: nämlich @BritcomsDE.

Noch steht da garnix, aber mein (vager) Plan ist es, wo ich schon in der letzten Zeit nicht mehr so viel gebloggt habe, wenigstens bei Twitter rauszublasen, was ich gerade zuletzt gesehen habe und was ich davon halte. Wenn das in der Kürze der Twittereinträge machbar ist.

Mal sehen, ob das jemanden interessiert.

Bis später!

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Die Superreichen und wir

10. Januar 2015 4 Kommentare

Diese erste Folge einer zweiteiligen Doku hat mich gestern umgehauen: „The Super-Rich and Us“, eine BBC2-Serie von Jacques Peretti, die nicht nur sagenhafte Einblicke in die Welt der Megareichen gewährt, sondern auch unverblümt sagt: die Annahme, dass der immer größer werdende Reichtum Weniger nach unten durchsickert und so auch den Habenichtsen zugute kommt, der sog. „Trickle Down“-Effekt, ist Mumpitz — das Geld, das die Superreichen dank Steuervorteilen (die in Großbritannien so groß sind wie nirgends sonst auf der Welt) zusammengaunern können, fehlt denen am anderen Ende der Gesellschaft. Mein Lieblingswort, das in der Doku von ein paar Frauen verwendet wird, die ihre Einrichtung für Alleinerziehende verlieren, damit dort ein paar Geldbunker für Reiche gebaut werden können, die anschließend leerstehen (wie mittlerweile ein Gutteil der Londoner Innenstadt): Social Cleansing. Soziale Säuberungen.

Bei uns laufen derweil kriecherische Dokus wie „Dubai — das Übermorgenland“ („schillernd, gigantisch, mega-cool“), in denen die protzigen Geschmacklosigkeiten kulturfreier Superreicher verherrlicht werden. (Es wird übrigens an keiner Stelle erwähnt, warum Dubai das Übermorgenland sein soll. Offenbar reicht es schon, viel Öl im Hinterhof zu haben, gut Freund mit Öl- wie Waffenschiebern zu sein und sich abzusichern, indem man dauernd von „schwerer Arbeit“ schwadroniert. Was genau aus Dubai kommt außer Öl, ob da technische, kulturelle, sonstige Fortschritte stattfinden, darüber schweigt sich „Das Übermorgenland“ selbstverständlich aus.)

Hier in voller Länge „The Super-Rich and Us“. Holt schon mal die Mistgabeln raus, ihr werdet nach dem Gucken sehr wütend sein.

alles offline mittlerweile, darum auch hier entfernt.