Anlässlich der Verleihung des Comedypreises fragt heute die SZ in ihrem Panorama-Teil (leider — noch? — nicht online): „Welche Art von Spaß kommt eigentlich in anderen Ländern gut an?“ und führt Beispiele für Comedy aus Afghanistan, der Türkei, Südafrika und anderen Teilen der Welt an. Allerdings nicht ohne im Einleitungstext auch gleich als erstes die Frage zu stellen:
Ob es so etwas wie den deutschen Humor überhaupt gibt?
Das ist in diesem Fall keine rhetorische Frage; der Autor weiß es wirklich nicht. Und nach einer kurzen „Die einen sagen so, die anderen so“-Wendung („Manche finden die ‚Heute Show‘ witzig, andere flach. Manche lachen über das Titelbild der Titanic, andere beschweren sich“) folgt eine Aufzählung:
Es gibt den Georg-Schramm-, den Cindy-aus-Marzahn-, den Gerhard-Polt-, den Stuckrad-Barre- und den Kaya-Yanar-Humor. Und nichts ist unlustiger, als den jeweiligen, miteinander verfeindeten Lagern beim Theoretisieren zuzuhören.
Nun, klarerweise ist Humortheorie genauso wenig komisch wie Bergbautheorie. Das Schisma aber zwischen „den Lagern“ ist es, was beschworen werden soll, denn lt. SZ-Autor in etwa sind bei der Comedypreisverleihung alle doof und lachen noch über die dümmlichsten Scherze, während die Humorintellektuellen nicht mal wissen, wo beim Fernseher der „An“-Knopf ist. Das Ende der Ein- vor der Überleitung zum internationalen Humor:
Kommt der deutsche Humor denn niemals aus seiner Krise raus?
Nein, was die Süddeutsche angeht, die zumindest online lieber Komikprodukte aus dem Internet abstaubt, die nichts kosten und qua Weiterverbreitung schon eine Qualitätsprüfung hinter sich haben, wird die „Krise“ des deutschen Humors nie enden.
Allerdings ließe sich zu der Argumentation des Autors etwas sagen, der nämlich schon deswegen zu keinem Ergebnis kommt, weil er (wie die meisten, die den deutschen Humor diskutieren) seine Begriffe nicht definiert. Das Augenmerk sollte bei dieser Frage nämlich nicht auf „Humor“ liegen, sondern auf „deutsch“.
Was ist deutsch? Was heißt deutsch? Diese Frage ist weniger trivial, als man denken möchte. Vor allem, wenn man (meine Lieblingsdisziplin) mal ganz kurz den englischen Humor daneben hält: Was Großbritannien ist, ist ja nun ziemlich festgeschrieben — schon durch die natürlichen Grenzen der lustigen Insel. Die deutschen Grenzen allerdings verschieben sich alle paar Jahre, sogar ohne Krieg. Und einen deutschen Staat gibt es, historisch gesehen, erst seit sehr viel kürzerer Zeit als die meisten anderen europäischen Staaten.
So hätte dem SZ-Autor ja durchaus auffallen können, dass er da implizit einen bayerischen Humor (Polt) anspricht, Humor, der von unterschiedlichen sozialen Faktoren und solchen der Herkunft geprägt ist, und (mit Georg Schramm) auch einen, der insofern tatsächlich deutsch ist, als er staatstragend ist: der Humor des Kabaretts.
Dieser Humor beschäftigt sich mit dem Staat und mit den Deutschen, und auch wenn Schramm selbst eine Ausnahme im deutschen Kabarett ist, weil er nämlich im Gegensatz zu den meisten Kabarettisten polarisiert: der Humor des Kabaretts setzt, ganz wie der deutsche Staat („Einigkeit und… so weiter“) auf Einigkeit. Selten ist sich das Publikum einiger, als wenn ein Kabarettist „Angela Merkel“ sagt (früher: „Kohl“).
Genau das ist zentral: so wie die deutschen Länder irgendwann einmal begriffen haben, dass sie nur eine Chance haben in Europa, wenn sie sich zusammenschließen zu einem starken, großen Staat, der z.B. gegen durchreisende Schwedenhorden zusammenhält oder gegen französische Soldaten, so ist auch der ursprüngliche deutsche Stadtbürgerhumor (der in der frühen Neuzeit etwa in Nürnberg und den Schwänken Hans Sachs‘ durchaus ausgeprägt war) abgelöst worden durch einen Staatsbürgerhumor.
Der Staatsbürgerhumor nun ist aber einer, der, ich sagte es schon, auf Einigkeit setzt, auf Gemeinsamkeit, auf Gemütlichkeit. Es sollen im deutschen Humor möglichst keine Unterschiede diskutiert werden, jedenfalls keine individuellen, dann schon lieber solche zwischen Mann und Frau — universale Unterschiede. (Mann-Frau-Humor ist ja auch nach wie vor Hauptthema des erfolgreichsten deutschen Comedians.) Über sich selbst aber kann der Deutsche nicht lachen. Schon weil er gar nicht weiß, wer er selbst ist.
Der Bayer (Polt) (und natürlich auch der Sachse, Hamburger, Ostfriese) kann das, der Migrationsdeutsche (Yanar) weiß auch sehr spezifisch, wer er ist (läuft allerdings Gefahr, dem Staatsdeutschen wiederum zum Gegenstand, zum Objekt zu werden), und Cindy aus Marzahn sagt schon in ihrem Namen, wer sie ist und woher sie kommt (auch wenn Cindy aus Marzahn mit der Frau, die die Cindy spielt, natürlich längst nicht mehr deckungsgleich ist). Das sind alles Ausschnitte aus dem deutschen Humor, aber nicht „der“ deutsche Humor.
Weil „der“ deutsche Humor nun aber ein Staatsbürgerhumor ist, funktioniert er von oben nach unten: eine starke Autorität bestimmt, wer „wir“ sind und was unsere Werte sind; das ist am stärksten immer noch und abermals im Kabarett zu spüren, das ja auch mit einer starken Autorität von der Bühne herab seine Werte verkündet und Urteile fällt, die bitteschön für alle zu gelten haben. Diese starke Autorität ist auch in anderen Momenten zu bemerken, etwa wenn sie festlegt, wann und wo Humor ausgeübt werden darf (Karneval, Köln). Und sie ist am stärksten da, wo sie bestimmen möchte, was komisch ist und was nicht.
Das ist womöglich das deutscheste am deutschen Humor: dass die, die sich für humorbegabt halten, am liebsten Vorschriften darüber erlassen würden, was komisch ist. Auch das natürlich eine Folge der ausgeprägten Hierarchien, die im starken deutschen Staat immer wichtig waren und sind. Man versuche einmal, gegenüber einem deutschen Polizisten, Richter, Oberst oder Arbeitsagenturmitarbeiter einen Witz zu machen. Oder gegenüber einem SZ-Redakteur.
Zum Glück aber irrlichtert diese ganze „deutscher Humor“-Debatte selbst ja nur noch durch Feuilletons, wo sich die Fürsprecher des Deutschtums Scheindebatten liefern, die keinen interessieren. Schon gar nicht Comedians. Mich interessieren sie ja selbst nur, weil ich irgendwann durch die Beschäftigung mit britischem bzw. englischem Humor drauf gekommen bin, dass man durchaus sagen kann, was deutscher Humor ist, und nicht immer so tun soll, als wäre das absolut unmöglich zu bestimmen. Es ist nur bestimmten Feuilletonisten unmöglich, und die projizieren das dann nach außen („Krise“).
Heute ist vom deutschen Humor allerdings wenig und immer weniger zu bemerken. Zu stark ist längst der angloamerikanische Einfluss, und Gott sei Dank dafür. Heute wird man allenfalls noch auf die letzten Zuckungen protodeutschen Humors aufmerksam, wenn samstagnachmittag irgendwelche schlimmen deutschen Komödien aus den Fünfzigern und frühen Sechzigern im Fernsehen laufen, die beworben werden mit den Worten „Es darf gelacht werden!“.
Ja, es gab mal Zeiten, da brauchten die Deutschen eine Erlaubnis, lachen zu dürfen. Damals wurde sie von Filmverleihen erteilt, heute versucht sich das SZ-Feuilleton daran. Aber we don’t need no education.
Neueste Kommentare