It’s so offshore!
Als Redakteur einer namhaften deutschen Satirezeitschrift war ich nie besonders glücklich, wenn es darum ging, sogenannte „Aktionen“ zu machen. „Aktionen“ bestanden meistens hauptsächlich daraus, dass man einen Tapeziertisch einpackte und einen Haufen Bücher (ganz egal welche), sich damit an einem belebten Teil der Frankfurter Zeil aufbaute, und dann Leuten mit Fragebögen auf die Nerven ging. Zu besseren Aktionen verkleideten wir uns zusätzlich, als Postboten, SPD- oder FDP-Mitglieder, und gingen dann Leuten mit Fragebögen auf die Nerven. Fragebögen, weil die das Mittel der Wahl waren, an Textbausteine zu kommen, die uns später das Artikelschreiben erleichterten. Bis heute sind einzelne ehemalige Titanic-Mitarbeiter sehr gut in dieser Art der Guerilla-Satire.
Meins war das nie, weil ich furchtbar schlecht darin bin, mich zu verstellen und in die Rolle von Nervensägen zu schlüpfen, die harmlosen Zeitgenossen auf den Sack gehen — ich bin für sowas zu konfliktscheu und leider auch nicht besonders schlagfertig. Außerdem schien es mir manchmal ein bisschen beliebig, sich zufällige Opfer auf der Straße zu suchen — das machten irgendwann alle, vor allem viele halblustige Comedians in halblustigen Fernsehshows, die Menschen drangsalierten, denen sie jederzeit deutlich überlegen waren. Aktionssatire war also kein Alleinstellungsmerkmal für Titanic mehr; wie das Heft sowieso immer mehr gegen ubiquitäre (und kostenlose) Comedy zu kämpfen hatte, die erst vom Fernsehen, dann auch noch via Internet verbreitet wurde.
Doch wenn man sich die richtigen Opfer sucht und ihnen richtig auf die Nerven geht: dann kann Aktionssatire noch funktionieren. Das beweist gerade die neue Prank-Clipshow „The Revolution Will Be Televised“ (BBC3). Dort such sich Heydon Prowse und Jolyon Rubinstein Opfer, die größer sind als sie: Banker, steuerhinterziehende Milliardäre, den MI6. Und Botschafter in London, die sich die Congestion Charge sparen, weil sie wegen diplomatischer Immunität nicht belangt werden können. Prowse und Rubinstein, in Verkleidung als männliche Politessen, bringen ein paar Wegfahrsperren an Botschaftswagen an und versuchen dann, von den Botschaftsmitarbeitern die aufgelaufenen Congestions Charges einzutreiben: bei der finnischen Botschaft (133 000 Pfund), und bei der deutschen (3,6 Millionen Pfund (!)). Besonders die Deutschen kommen, Überraschung, bei dieser Konfrontation nicht so gut weg:
The guy at the Finnish embassy is a very jovial chap. Whereas the high-ranking German diplomat is a total Arschloch. He, and his scary henchmen, are pretty stupid too – how can they really think that a guy in a Day-Glo bib turning up asking for a cheque for £3.6m is anything but a joke?
Vielen Dank dafür, dass wir das im Guardian über Deutsche im Ausland lesen dürfen, die ja aufgrund ihres Berufes eigentlich irgendwie diplomatisch und politisch geschult sein sollten.
Hier ist die komplette Show, die Deutschen werden ab 4:18 vorgeführt:
… leider offline.
Aber die beiden schleichen sich auch als Verkäufer bei Topshop ein, dessen Besitzer über ein paar Steuertricks, die vor allem mit seiner Ehefrau und ihrem ersten Wohnsitz in Monaco zu tun hatten, 285 Millionen Pfund gespart hat. In seinen Läden führen sie lustige Verkaufsgespräche („It looks so offshore!“) und stellen eine Schaufensterpuppe in die Auslage, die ein T-Shirt „Hate Taxes — Love Monaco“ trägt.
Und sie sammeln Spenden von Londoner Innenstadtbankern, die sich mit öffentlichem Geld hatten retten lassen. Ihre Aktion heißt GUBOFMYC: „Give us back our fucking money, you cunts“. Erfrischend direkt, könnte man sagen.
Vor allem aber ist es politisch, zutiefst aufklärerisch und doch komisch — meistens jedenfalls. Hin und wieder merkt man schon, dass das Format nicht ganz neu ist. Aber die Dreistigkeit, mit der Prowse und Rubinstein bei Tony Blairs Wohnung auflaufen, um eine Hinterglasmalerei vom „heiligen Tony“ über seiner Tür anzubringen (die sie im Zuge ihrer Kampagne für die Heiligsprechung von Tony Blair haben anfertigen lassen), ist sehr lustig. Überhaupt ist es meistens komisch, wenn die Polizei kommt, wie etwa zum Sitz des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6, vor dem eine Meute „holländischer“ Partypeople Einlass begehrt zum SM- und Bondage-Club, von dem sie schon so viel gehört haben. Oder wenn die Polizei schon da ist und mitten während Occupy-Demos dumme Fragen beantworten muss, die ihnen ein extrem konservativer, sensationsgeiler Reporter stellt. Sein Name: Dale Maily.
Über „The Revolution Will Be Televised“ werden sich vor allem die freuen, denen das „post“ in „postmoderne Satire“ auf die Nerven geht. Geeignete Ziele für Satire gibt es mehr denn je.
Neueste Kommentare