Jack Bauer hatte wohl keine Zeit, als James Corden und Mathew Baynton (beide „Gavin & Stacey“-Alumni) sich ihre Agentenserie „The Wrong Mans“ (BBC2) ausdachten — zum Glück. So mussten sie nämlich selbst als Aushilfsagenten einspringen, und das ist sehr, sehr viel komischer geworden, als wenn ein Profi die Sache übernommen hätte. Denn Sam Pinkett (Baynton) und Phil Bourne (Corden) sind keine Agenten, sondern harmlose Verwaltungsangestellte in Bracknell, denen der Hochgeschwindigkeits-Thriller sofort über den Kopf wächst, in den sie verwickelt werden: ein schlimmer Autounfall, ein anschließend herumliegendes Handy, das klingelt, und Sam, der auch noch drangeht und in einen Entführungsfall verwickelt wird: das ist die Ausgangsposition für das ComedyDrama, das gerade die BBC2-Einschaltquote von „Extras“ (und das war schon 2005) erstmals übertroffen hat.
Sehr zu recht, denn „The Wrong Mans“ ist zu gleichen Maßen ein wasserdichter Thriller mit sehr solider Action und einer Geschichte, die auch ohne allzu viel Späßchen tragen würde, und schöner Comedy. James Corden darf wieder die gleiche Figur wie in „Gavin & Stacey“ spielen, nämlich den dicklichen, leicht überforderten komischen Underdog, zu dem Baynton den völlig überforderten, aber über sich hinauswachsenden straight man gibt, der sich nicht nur aus all dem Agenten-Schlamassel befreien, sondern auch noch seine Exfreundin und Chefin Lizzie (Sarah Solemani, „Him & Her“) zurückgewinnen will.
Was sich daraus entwickelt, ist eine Tour de Force mit rasant ausgewechseltem Personal, das oft nur für eine Folge tragende Rollen spielt, eine Geschichte, die tolle Haken schlägt und immer wieder für Cliffhanger sorgt, die einen überrascht auf die Uhr gucken lassen (schon wieder eine halbe Stunde vorbei?!), und die Befriedigung, dass es da jemand geschafft hat, die genau richtige Balance zwischen einem Plot, der absolut überzogen, aber im Moment glaubwürdig ist, und Komik herzustellen, die aus comic relief-Elementen, Slapstick und Charakter Comedy entsteht. Das erscheint mir die größte Leistung: dass „The Wrong Mans“ nicht nur auch ohne Comedy funktioniert hätte, sondern dass man es sich vermutlich sogar dann noch gerne angesehen hätte, wenn nichts davon komisch gemeint gewesen wäre. Mit all der Komik aber, die aus dieser Fallhöhe von echtem Thriller und sympathischen everyday people entsteht, ist „The Wrong Mans“ vermutlich das beste ComedyDrama des Jahres. (Allenfalls „Ambassadors“, die neue Mini-Serie mit David Mitchell und Robert Webb, könnte ihr diesen Rang streitig machen — mehr dazu demnächst.)
SchoneinigeMale habe ich hier im Blog „Skins“ (E4, seit 2007) gepriesen, das Comedydrama aus dem englischen Norden, in dem die jeunesse dorée, die vergnügungssüchtige Großstadtjugend, ihre problematischen Lebensverhältnisse mittels Sex, Drogen und lauter Musik zu bewältigen versucht. Bryan Elsley und Jamie Brittain, letzterer ist Sohn des ersteren, haben es geschafft, sehr glaubwürdige Charaktere zu erschaffen, die sie je in den letzten beiden Schuljahren begleiten — pro Episode mit einer der Hauptfiguren im Mittelpunkt. Diese Form der Erzählung wiederum hat es mit sich gebracht, dass der größte Teil des Casts je nach zwei Staffeln ausgetauscht wurde; nach sechs Staffeln hat die Serie also ganze drei Generationen verschlissen. Dass sie trotzdem das Niveau der ersten beiden Staffeln weitgehend halten konnte (leichte Schwächen wurden in den letzten beiden Seasons trotzdem sichtbar), zählt zu den große Leistungen der Show.
Nun gehen, nach der Absetzung durch E4, die Digital-Tochter von Chanel 4, allmählich die Lichter aus bei den „Skins“ (die Serie heißt nach den Zigarettenpapierchen, aus denen hier ausschließlich Joints gebastelt werden). Zuvor allerdings gibt es eine ungewöhnliche siebte Staffel, bestehend aus sechs Folgen, in denen über drei Doppelfolgen hinweg je eine Figur begleitet wird, um zu zeigen, was aus ihr geworden ist.
In der ersten Folge, die nun gelaufen ist, ist es Effy Stonem (Kaya Scodelario), mittlerweile 21, die in ihrer eher aussichtslosen Karriere als Rezeptionistin einer Hedge-Fond-Bank in London festzustecken scheint — bis ihr in einem Geschäftsbericht eine Unregelmäßigkeit auffällt. In der Folge wird sie von ihrem (auch amourös interessierten) Boss (Kayvan Novak, „Facejacker“, „Four Lions“) entdeckt, muss aber wenig später feststellen, dass sie womöglich zu hoch gepokert hat.
Effy ist die einzige Figur, die es trotz der Neubesetzung des Hauptcasts geschafft hat, in mehr als zwei Staffeln dabei zu sein: in Series 1 und 2 war sie nämlich schon als jüngere Schwester von Tony Stonem (Nicholas Hoult) an Bord. Konsequenterweise kriegt sie hier unter dem Titel „Skins Fire“ zwei Folgen. Die anderen beiden Doppelfolgen werden sich um Cassie (Hannah Murray, „Game of Thrones“) drehen („Skins Pure“) und um Cook (Jack O’Connell) („Skins Rise“), beide Mitglieder der ersten (Cassie) bzw. zweiten Generation (Cook). Die schwächste dritte Generation geht leer aus.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Idee gut finde, das bewährte Schema von „Skins“ zu verlassen und dafür ein „Was aus ihnen wurde“ zu zeigen. Zwar ist Effys Story nicht schlecht, und die Vorstellung, dass die charakterlich eher nicht durchgehend einwandfreie Bande von Kindern aus früheren Staffeln nun plötzlich ihre Finger in Bankgeschäften haben, bei denen es um Millionen geht, ist schon ganz hübsch. Allerdings fehlen mir einige tragende Säulen früherer Staffeln, vor allem die Interaktion mit anderen Figuren der Serie (hier taucht nur noch Effys Mitbewohnerin Naomi aus der zweiten Generation auf). Auch eine staffelübergreifende Geschichte zeichnet sich hier nach der ersten Episode noch nicht ab.
Hoffentlich wird die siebte Staffel „Skins“ nicht zu einem überlangen Epilog, zu dem, was sonst vor den Credits am Schluss eines Filmes eingeblendet wird: „What happened to…“ — das könnte sich ziehen, und allzu große Lust auf viele neue Figuren, die nur für eine oder zwei Folgen eingeführt werden, habe ich nicht. Vielleicht kriegen die „Skins“-Macher aber die Kurve noch, ist die Enttäuschung über die strukturellen Änderungen in der letzten Staffel schon bei Folge zwei verflogen oder entwickelt sich noch ein Groß-Plot, der als Klammer funktioniert. Das würde mich freuen, denn einen würdigen Abschluss hätte diese großartige Serie auf jeden Fall verdient.
Offenbar hat die BBC eine neue Lust an provokativen Comedy-Settings entwickelt: Vor Monatsfrist war „Way To Go“ zu sehen, eine Serie, in der ein paar junge Männer auf unkonventionelle Weise bezahlte Sterbehilfe an alten und kranken Mitbürgern leisten, nun läuft seit drei Wochen „Bluestone 42“, in der ein paar junge Männer bezahlte Sterbehilfe an bewaffneten Afghanen leisten. In Afghanistan. Im Rahmen des britischen Auslandseinsatzes bei der Operation Herrick.
Bzw., um etwas weniger polemisch zu sein: Es geht bei „Bluestone 42“ (gesprochen „four-two“) um die gleichnamige Militäreinheit rund um Captain Nick Medhurst, die vorwiegend mit dem Entschärfen von Bomben und Minen auf afghanischen Feldwegen beschäftigt ist. Was, zumal im Rahmen einer Sitcom, gewiss ehrenhafter ist, als in die Landsitze irgendwelcher Warlords einzudringen und dort alles wegzuballern, was sich bewegt. Genau das tun die Jungs von „Bluestone 42“ allerdings ebenfalls. Was immer noch kein grundlegendes Problem wäre, wenn wir beispielsweise eine Satire von Charlie Brooker und/oder Chris Morris vor uns hätten, die so wie „Four Lions“ (2010) funktioniert. „Bluestone 42“ aber will gar nicht böse, schwarz und entlarvend sein — im Gegenteil. Und genau hier beginnen meine Probleme mit der Serie.
Vorderhand ist „Bluestone 42“ nämlich betont harmlos. Es gibt den gutaussehenden Lead Nick (Oliver Chris, „The Office“), zwei Kompanietrottel aus Schottland, einen farbigen und so begriffsstutzigen wie eifrigen Adjutanten für Nick, einen Möchtegern-Offiziersanwärter mit Aggressionsproblemen (Stephen Wight, „Whites“), einen gutwilligen, aber merkwürdigen Chef (Tony Gardner, „Lead Balloon“), eine toughe Frau im Team und eine attraktive, aber für Nick unerreichbare außerhalb des Teams; sprich: einen wohlüberlegt zusammengesetzten, fein austarierten Cast für eine klassische Sitcom.
Ebenso wohlüberlegt sind die Autoren James Cary (Betreiber des Blogs „Sitcom Geek“) und Richard Hurst an die Details von „Bluestone 42“ gegangen: sie haben sich ausführlich beraten lassen, um nur ja der Situation echter Soldaten in Afghanistan gerecht zu werden, realistisch zu bleiben und ein glaubwürdiges Bild vom Einsatz zeichnen zu können. Alles in der Serie schreit „angemessen“, wo nicht sogar „ausgewogen“. Alle sind nett zueinander. Streckenweise hat man das Gefühl, man schaut nur zu, um Teil dieser sympathischen Truppe sein zu können und mit dabei zu sein, wenn die Jungs sich beim allgegenwärtigen banter gegenseitig necken.
Was sie auf durchaus hohem Niveau tun: Cary und Hurst sind altgediente Sitcom-Recken, „Vollprofis“, wie wir Vollprofis sagen. Auf ihr Konto geht, und nun wird es interessant, unter anderem „Miranda“ (BBC2/1 seit 2009), also jene Sitcom um eine erwachsene Frau, die mit dem Gemüt einer Elfjährigen und dem Körper eines übergewichtigen Clowns gesegnet ist, ständig über ihre eigenen Füße fällt und permanent „Behave!“ ruft, wenn jemand etwas auch nur halbwegs anzügliches sagt. Diese Serie ist absoluter Mainstream und unglaublich erfolgreich in Großbritannien; wenn auch meiner Vermutung nach nicht bei einem jungen Publikum, das sonst nur tiefschwarze Fäkalhumorserien guckt. „Miranda“ ist nett, und genauso nett ist „Bluestone 42“ auch, wenn auch mit einem vollkommen anderen Charakter als „Miranda“, versteht sich.
„Bluestone 42“ ist, mit anderen Worten, an der Oberfläche keineswegs schlecht, sondern durchaus guckbar, und die Kritiken in England loben es (überwiegend) sehr: das Ensemble ist hochkarätig besetzt und wunderbar synchron, die Dialoge sind pfiffig, die Dramaturgie läuft wie ein Uhrwerk — aber in mir bleiben Zweifel, ob man einen bewaffneten Konflikt — ach, sagen wir doch: Krieg, einen Krieg wie den in Afghanistan mit den Mitteln einer Mainstream-Sitcom (die „Bluestone 42“ sein möchte, obwohl sie ein BBC3-Comedydrama ist) anpacken kann. In der es dann eine Pointe ist, dass ein Haus, aus dem ein afghanischer Scharfschütze auf die Briten schießt, einfach mit einer Panzerfaust in die Luft gesprengt wird.
*** Achtung, es folgt ein kleinerer Spoiler! ***
In der ersten Folge schon greifen die Autoren (Profis, wie gesagt) genau dieses Dilemma auf und führen ein amerikanisches Großmaul von der CIA ein, das mit Anekdoten vom zweiten Golfkrieg prahlt. Für diesen Supertrottel ist Falludscha sein „Nam“, und als der Depp prompt erschossen wird (eine gar nicht schlechte Wendung, direkt am Anfang der ersten Episode), wird „Falludscha“ prompt zu einer eigenen Pointe, einer kleineren Catchphrase; und das darf man dann schon mal ein bisschen problematisch finden. Selbstverständlich bremst Captain Medhurst seine Mannschaft sofort mit einem „Too soon!“, wenn der Tod des CIA-Heinis allzu schnell Gegenstand von Unernst wird, aber auch dieses „Too soon!“ ist klarerweise eine eigene Punchline, die auch als solche eingesetzt wird und die uns Publikum sagen soll: Jaja, wir wissen, wie heikel es ist, einen noch andauernden Krieg zur Grundlage einer Sitom zu machen. Ein Minenfeld, nicht wahr? Harr, harr.
*** Ende des Spoilers ***
Vielleicht, nein, ziemlich sicher hat die britische Öffentlichkeit ein grundsätzlich anderes Verhältnis zu Auslandseinsätzen ihrer Armee als die deutsche zu Auslandseinsätzen von deutschen Soldaten. (Die deutsche scheint mir im Grunde gar keines zu haben, ich kann mir nichts als leere Gesichter vorstellen, wenn man in Deutschland eine Comedyserie rund um deutsche Soldaten im Ausland vorschlüge.) Vielleicht bestimmt dieses andere Verhältnis auch meine Perspektive auf „Bluestone 42“. Vielleicht, und das ist natürlich ein unbefriedigendes Ende für einen Blogeintrag, ist also auch alles ganz anders und „Bluestone 42“ tatsächlich jetzt schon ein kleiner Klassiker, ein neues „M*A*S*H“ oder ähnliches. Dann müsste ich meine Meinung natürlich revidieren.
Andererseits halte ich Oliver Chris einfach nicht für Hauptrollenmaterial. Also: ätschibätschi!
„The Manual (How to Have a Number One the Easy Way)“ hieß ein kleines Handbuch der Timelords (respektive von The KLF), die darin beschrieben, wie man ohne musikalisches Talent oder Geld einen Song produziert, der es in der Hitparade auf Platz eins schafft. Offenbar gibt es eine ähnliche Anleitung auch für Comedyserien, und Mark Bussell und Justin Sbresni haben sie gefunden.
Das neue groß angekündigte ITV-ComedyDrama „Great Night Out“ (gerade sind die ersten beiden Folgen gelaufen) scheint jedenfalls so entstanden zu sein: Man nehme vier am Reißbrett entworfene Charaktere (vier Kumpels, die auf die Vierzig zugehen: einer wäre gerne der Anführer, einer ist absolut normal und frisch geschieden, einer ewig deprimiert und einer der ewige Underdog), stelle sie in einen möglichst eindeutigen Referenzrahmen (die Lad Culture von Fußball, Bier und Sex) und lasse sie burleske Abenteuer erleben: Wie die Jungs mal aus Versehen mit dem Zug nach London gefahren sind und so fast einen gemeinsamen Abend mit ihren Frauen verpasst hätten. Wie einmal einer der Jungs einen Job als Fahrer bei einem Unterwelt-Boss angenommen hat und dann dessen betrunkene Frau nach Hause bringen musste. Haha! Man kann sich jetzt schon vorstellen, was da alles passiert.
Und genau das passiert dann auch.
„Great Night Out“ ist keine ungenießbare MarketingErfindung aus der Marketingabteilung, das nicht. Etliche Gags funktionieren, und die Besetzung kann sich sehen lassen: prominentester Gast ist „Royle Family“-Mitglied Ricky Tomlinson als Pub-Wirt, aber auch Stephen Walters (der als Mad Twatter bekannte Grasdealer aus den ersten Folgen „Skins“), Craig Parkinson (als Sozialarbeiter Shaun eines der vielen Opfer der „Misfits“), Rebekah Staton (die blonde Kollegin aus „Spy“) und viele andere können durchaus komisch und ernst. Die Autoren Bussell und Sbresni ihrerseits haben mit „Worst Week of My Life“ (BBC1, 2004 – 06) eine fantastische Sitcom (und mit „The Royal Bodyguard“, BBC1 2012, eine schreckliche) vorgelegt.
Aber bei „Great Night Out“ wirken die Plots dünn und die Wendungen erwartbar, die Figuren ausgedacht und ihre Beziehungen wie Klischees — und ich bin geneigt, das gegen die Serie zu halten, obwohl ich nicht grundsätzlich gegen einfache Plots bin, auch Erwartbarkeit nicht per se ablehne und Klischees ja immer Klischees sind, weil sie eben in der Wirklichkeit so oft vorkommen. Wenn aber der eine Funke fehlt, der Frankensteins Monster zum Leben erweckt — dann wirkt alles wie aus Plastik, künstlich und unoriginell. So auch hier. Die Absicht, einen Mainstream-Hit zu erzielen, wird zu deutlich.
Da hat also offenbar ITV eine Million Britische Pfund verbrannt. Womit wir wieder bei The KLF wären.
Lange schon wollte ich etwas über Louis C.K. und „Louie“ (FX, seit 2010) schreiben. Vielleicht habe ich zu lange gewartet. Denn spätestens seit Anfang der laufenden dritten Staffel ist mir die „Sitcom“ (bzw. das „ComedyDrama“), man kann sie schon nur noch in Anführungszeichen so nennen, dann doch fast ein bisschen zu sehr… nun ja, Jazz.
Dabei hat alles so gut begonnen: Der Stand-Up Comedian Louis C.K. spielt in „Louie“ einen Stand-Up Comedian namens Louie, der (wie Louis C.K.) in New York lebt und wirkt, geschieden ist (wie Louis C.K.) und deswegen seine beiden Töchter (im Vorschulalter bzw. gerade eingeschult) vorwiegend an den Wochenenden bei sich hat (ebenfalls wie Louis C.K.).
Die Trailer zu den drei Staffeln zeigen schon die Entwicklung von „Louie“ ganz gut, darum sind sie hier alle drei: Das ist der erste (2010)
Die Show selbst erzählt meist unaufgeregt kleine Episoden aus Louies Alltag: wie es ist, als Über-Vierzigjähriger noch bzw. wieder Dates haben zu müssen, obwohl einem die Haare ausgehen und die Wampe wächst. Gegen wie viele verzweifelte, neurotische Singlefrauen in seiner Umgebung Louie zu kämpfen hat. Über die Comedy-Kollegen, mit denen er sich die Abende und Nächte in Comedyclubs um die Ohren schlägt. Und über Louies schwieriges Verhältnis zu seiner gesamten Verwandtschaft. (Die ganzen Brüder, Schwestern, Mütter usw., die Louie über die letzten Staffeln für nur eine Folge oder zwei aus dem Hut gezaubert hat, hätten ein erster Hinweis sein können auf den Charakter der Show, denn die waren erkennbar ausgedacht und als reine Vehikel eingesetzt.) Dabei zeigen die meisten Folgen zwei kleine Geschichten, manche nur eine etwas größere Story, zwischengeschnitten mit Louies Auftritten und Stand Up-Monologen; ein bisschen wie bei „Seinfeld“.
Es wäre sehr leicht, jetzt eine Überleitung zu finden, die auf „Show about nothing“ abzielte, als die „Seinfeld“ immer wieder dargestellt wurde — fälschlicherweise, denn tatsächlich konnte man bei „Seinfeld“ ja meistens eine Geschichte ausmachen, die durchaus nacherzählbar war. Anders als bei späteren z.B. englischen Serien („The Royle Family“), wo das nicht mehr ging. Aber gegen „Louie“ war „Seinfeld“ der reinste Pop: mit einer Band, in der jeder eine erkennbare Funktion hatte, mit Songs, die einer klaren Struktur folgten. „Louie“ aber ist Jazz.
Jazz ist auch der bevorzugte Soundtrack von „Louie“. Vermutlich eher nicht zufällig. Denn es gibt zu viele Parallelen zwischen Musik und Comedy in dieser Serie. Das beginnt damit, dass wir zwar noch einen formalen Rahmen haben: eine klassische 22-Minuten-Single-Camera-Show, die mit Louies Stand-Up beginnt und aufhört und dazwischen meist die Ereignisse eines Tages, einer Nacht oder höchstens einiger weniger Tage erzählt.
Doch die Melodie, der Inhalt, die Story jeder Folge der Show wird immer freier, immer improvisierter; die gleichen Themen von Einsamkeit, Sex, Kindern und Altwerden werden von Louis C.K. immer freier interpretiert. Mittlerweile hängen die beiden einzelnen kleinen Geschichten einer Folge schon gar nicht mehr zusammen, und auch die Stand-Up-Schnipsel haben manchmal gar keinen erkennbaren Bezug mehr zur restlichen Folge.
Interessanterweise ist mir das als Zuschauer aber lange gar nicht aufgefallen. Zu sehr habe ich mich darauf verlassen, dass da schon ein zugrundeliegendes Thema sein wird, das in zwei disparaten Plots auf unterschiedliche Weise behandelt wird (wie es „Modern Family“ beispielsweise tut, wo gerne das selbe Thema von den drei Familien in drei Varianten paraphrasiert wird). Ich dachte, ich sei nur zu faul, darüber eingehender nachzudenken, was die gemeinsamen Wurzeln der jeweiligen Folge sind.
Bis ich irgendwann darauf kam, dass da kein gemeinsames Thema ist. Es ist nur die formale Klammer, die alles zusammenhält. Das wiederum bedeutet aber, dass eine große Kunstfertigkeit im Spiel sein muss, weil ich sonst als Zuschauer ja nur verwirrt und gelangweilt wäre. Bin ich aber nicht. Noch bin ich nicht so weit, „Louie“ von meinem Fernsehprogramm zu streichen — obwohl ich mittlerweile nicht mehr sicher bin, warum eigentlich.
Denn mit Comedy haben die meisten Folgen der laufenden Staffel schon kaum mehr zu tun. Zwar gibt es viele oft schwarzhumorige Momente, und oft genug ist der Ton der Show so uneigentlich, dass sie unterhaltsam genug ist. Gags im engeren Sinne gibt es aber schon länger kaum noch.
Aber „Louie“, die Serie, hat einen so starken eigenen Charakter, eine solche Distinktion, eine so eigene Humorfarbe, dass ich gerne zusehe. Louis C.K. hat von FX wohl weitgehend freie Hand für seine Serie, was eine große Ausnahme für us-amerikanisches Fernsehen ist: Er schreibt, führt Regie, produziert und spielt die Hauptrolle — das kennt man zwar aus vielen britischen Fernsehcomedys. Aus amerikanischen aber eigentlich nicht.
Und Louie bzw. Louis, der Stand-Up Comedian, hat ebenfalls einen so eigenen und starken Charakter, dass ich ihm meistens gerne zusehe: Wie er es schafft, so sympathisch rüberzukommen, dass er die schlimmsten Gedanken in seinen Stand Up einbauen kann, ohne verprügelt und/oder verhaftet zu werden, das ist schon ziemlich sensationell. Immer wieder überschreitet er Grenzen, wenn er davon berichtet, wie sehr er seine Kinder hasst, wenn er Gedankenspielen nachgeht, wie schlimm Mord eigentlich ist, wenn ihn keiner bemerkt, und natürlich wenn er erbärmlichste Sex-Übungen alleine und zu zweit vollführt — und doch ist er das Gegenteil von zynisch, doch identifiziert man sich in jeder Sekunde mit ihm.
Allerdings muss man, wenn man die aktuellen Folgen „Louie“ sieht, die Figur Louie und die Regeln der Show schon gut kennen, um noch etwas davon zu haben. Man muss Jazz-Fan sein. Der Comedyautor und Blogger Ken Levine berichtet, Louis C.K. habe sich mit seiner Bewerbungs-DVD für die Emmys eher selbst geschadet (gerade sehe ich, ich habe darüber schon einmal geschrieben):
Personally, I thought his screener DVD hurt him. There were better, funnier episodes he could have submitted. The first one he offered opens with him waiting at a subway platform. There’s a violinist playing furiously for five minutes and a homeless guy showering by pouring bottled water on himself. This goes on endlessly. Then the subway arrives. We see the refuge of New York City. On a seat there is some disgusting sludge. People stare at it. Louie finally gets us, takes off his jacket, and mopes up the disgusting mess. If you’re a LOUIE fan, I’m fan (sic) this was all rollicking. But if you’re not, or you’ve heard good things but were sampling the show for the first time, I think by the seven-minute mark you were done.
Wenn diese Szene nicht Jazz ist, dann weiß ich auch nicht. Kann natürlich verwirrend sein, wenn man Pop erwartet hat: Weil man bei Comedy immer wissen muss, in welchem Bezugsrahmen man gerade ist. Falsche Erwartungen sind tödlich für Komik. Womit wir letztlich bei einer Kommunikationstheorie für Komik gelandet wären. Darüber, und über das herausragende Buch „What Are You Laughing At?“ von Dan O’Shannon, das genau eine solche Kommunikationstheorie für Comedy entwickelt hat, ein andermal mehr.
Vielleicht liegt es daran, dass ein Leben nun mal nicht der dreiaktigen Filmstruktur folgt, wie wir sie aus den meisten Filmen kennen. Möglicherweise war dieses Dilemma jeden Biopics, dass man sich immer zwischen einer halbwegs geradlinigen Dramaturgie und dem mäandernden Verlauf eines echten Lebens entscheiden muss, der Grund, „Permanent Midnight“ (1998) eine Schachtelstruktur zu geben, die der Geschichte wenigstens eine gewisse äußere Form gibt. Eine Entscheidung, die den Film unnötig künstlich und anstrengend und sehr, sehr schwer gemacht hat, obwohl er gerne leicht sein möchte. Dabei hätte er diese überambitionierte Verschachtelung gar nicht nötig gehabt.
Vielleicht hat es aber auch ganz andere Gründe, dass die Verfilmung von Jerry Stahls Leben (bzw. der ersten, drogengeschwängerten Hälfte davon) misslungen ist, obwohl Ben Stiller und Elizabeth Hurley von der Partie sind (ja, auch Owen Wilson ist mit dabei) und die „Natural Born Killers“-Produzenten Jane Hamsher und Don Murphy. Und obwohl Stahls Leben alles andere als das eines typischen Junkies war. Und doch auch wieder genau das eines typischen Junkies.
Denn Jerry Stahl war, als er ans Heroin geriet, Fernsehautor in Hollywood, und ein erfolgreicher dazu. Allerdings erfolgreich mit nichts, worauf er hätte stolz sein können: Stahl war (unter anderem) Autor für „Alf“ (NBC, 1986 – 90). Und er hat seine Abhängigkeit ignoriert, verleugnet, heimlich zelebriert, wie es alle Junkies tun, bis sie sich nicht mehr ignorieren und verheimlichen ließ.
Wo aber der Film versucht, ComedyDrama zu sein (woran er am kläglichsten scheitert), da ist die viel bessere Autobiographie von Stahl eindeutig: Wir haben es mit einem Drama zu tun. Wenn auch mit einem, innerhalb dessen immer wieder finstere, ja geradezu dämonische Momente des comic relief gesetzt sind.
Denn Stahl lebt nicht in dem Lemmy-Kilmister-Ronnie-Wood-Universum, wo Drogen zwar böse sind, aber im Grunde nur die Gesundheit ruinieren, nicht das Leben, weil der Star selbst nicht ersetzbar ist. Autoren sind ersetzbar und werden ersetzt, auch Stahl. Der lebt in einem Universum, in dem er auf Heroin von L.A. nach Pittburgh fliegen muss, zurück nach Hause, weil sich seine schwer depressive Mutter umgebracht hat. In ihrem Appartement ist alles voll mit ihrem Blut, und im Bad entdeckt er, immer noch im Heroinrausch, ihren Abschiedsbrief: ein „NO“, das sie mit ihrem eigenen Blut an den Spiegel geschrieben hat. (Eine Szene, die im Film nicht halb so eindringlich geschildert wird wie im Buch.) Dann schrubbt er das Blut weg und fliegt er zurück nach L.A., eine weitere Folge „Alf“ schreiben.
Besser noch als solchermaßen dramatische Szenen sind aber die eher leisen Beschreibungen Stahls, wie das Leben als hochfunktionierender Junkie zu Beginn seiner Karriere verläuft: wie er das Timing lernt, sich gerade einen Schuss auf der Toilette zu setzen, während die Gäste für den Abend an der Tür klingeln. Wie er ansonsten gesund und geregelt lebt: nur Biogemüse isst, regelmäßig joggt, eigenes Häuschen, sogar eine Frau, die ihn zwar mehr wegen der Greencard geheiratet hat, aber sich irgendwann in ihn verliebt. Wenn da nicht das Heroin wäre und später das Crack. Und Alf, der irgendwann beginnt, Stahl bis auf die Toilette zu verfolgen. Auch daraus macht Stahl wiederum eine Geschichte, über die die Leute lachen können.
Jerry (Ben Stiller) auf Crack
Und da ist noch das ganze restliche kaputte Leben mit viel Talent und wenig Willenskraft; ein Leben, das für Stahl professionell beginnt, als er semipornographische Kurzgeschichten für das Beaver Magazine schreibt, später für den Playboy, während ihn sein Talent rasch höheren Aufgaben zuführt. Immer ist da schon der Alkohol und verkorkste Frauengeschichten; die amour fou mit der Deutschen Dagmar etwa, die opiumabhängig ist und verheiratet mit einem Sohn der Familie Krupp, was für einen Juden wie Stahl recht eindeutige Assoziationen mit sich bringt:
She rolled her eyes and wailed at the faraway Fatherland, „Nein, nein, nein!“ And then, even louder, „Oi Gott!I’m fucked by a Jew!“
Selbstredend fügt sich da auch der Name Stahl bestens in die Geschichte: Krupp, Stahl, Jerry Steel, harter Sex… Da stimmt alles, es wird schon zum Klischee.
Doch während seiner äußert erfolgreichen Zeit beim Fernsehen, als er 5000 Dollar die Woche verdient, beginnen die Probleme: er hat ein 6000-Dollar-die-Woche-Hobby. Und dann wird er Vater.
Selbst diesen Moment, wie Stahl während der Geburt seines Kindes auf der Krankenhaustoilette fixt, ruiniert der Film leider komplett. Ben Stillers Charme ist das Gegenteil von Stahls Charakter im Buch: Stillers liebenswerte Naivität hat nichts mit der Persönlichkeit Stahls zu tun, die immer auf Distanz zur Welt bedacht ist, sich (und anderen) permanent zusieht und eben deshalb erfolgreiche Drehbücher schreiben kann.
Warum irgendjemand den Stahl Ben Stillers einstellen sollte, wird im Film leider nie klar. Der wirkliche Jerry Stahl dagegen schreibt eben nächtelang durch, sein allererstes Drehbuch für eine Folge „Alf“ wird doppelt so lang, wie es für 20 Minuten hätte sein dürfen. Der echte Stahl brennt für etwas. Ben Stillers Stahl brennt nicht.
Schade also, dass Jane Hamsher aus diesem Buch nicht mehr herausgeholt hat. Dabei ist sie selbst Autorin. Unter anderem hat sie ein Buch über die Entstehung von „Natural Born Killers“ geschrieben, in dem Quentin Tarantino nicht sehr gut wegkommt. Darüber ein andermal mehr. Anders vermutlich als über die Filmversion von „Alf“, die demnächst kommen soll. Das hier ist ein Blog über Comedy, nicht über Horrorfilme.
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