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Archiv für die Kategorie ‘Drama’

Zurück in der dritten Dimension

Vor fünf Jahren habe ich hier über „The Missing“ (BBC1, 2014 – 16) geschrieben und über „The Affair“ (Showtime, seit 2014), zwei Serien, die mit konventionellen Erzählweisen gebrochen hatten, um experimenteller zu verfahren: „The Affair“ mit den unterschiedlichen Perspektiven der Protagonisten auf die gleichen Ereignisse, was dazu führte, dass oft in der ersten Hälfte einer Folge die Ereignisse aus der Sicht der einen Hauptfigur erzählt wurden, und in der zweiten die gleichen Ereignisse aus Sicht der anderen Figur manchmal ein bisschen, manchmal doch recht anders aussahen.

„The Missing“ dagegen sprang zwischen den Zeitebenen hin und her, wie es zuletzt „True Detective“ (HBO, seit 2014) in der dritten Staffel gemacht hat (sehr erfolgreich, die dritte dürfte die beste Staffel der Serie gewesen sein).

Nun habe ich schon damals, wie es so meine Art ist, ein bisschen geunkt: dass diese Experimente zwar produktiv, aber auch gefährlich sein können. Gefährlich, weil sie den Zuschauer schnell ermüden, wenn sich das Neue an solchen Gimmicks abgenutzt hat, wie der unzuverlässige Erzähler in „The Affair“ es ist. (Interessanterweise kam „True Detective“ ja nun auch noch darauf, genau diesen unzuverlässigen Erzähler auch noch einzusetzen, und hat damit aber voll ins Schwarze getroffen.)

„The Affair“ und „The Missing“ aber: haben diese Experimente wieder eingestellt.

„The Affair“ wurde im Laufe der Staffeln immer konventioneller; mittlerweile erzählt die Serie oft einzelne Episoden mit je einer ihrer vielen Figuren im Mittelpunkt, wie es ungezählte andere Serien auch tun. „This Is Us“ etwa; auch hier gibt es zwar Rückblenden, die Experimente aber, Figuren aus der Vergangenheit plötzlich in die Gegenwart zu versetzen, hat aber auch „This Is Us“ schnell wieder sein lassen.

Von „The Missing“ aber gibt es nun einen Spinoff, der zwar „Baptiste“ heißt (BBC1, drei Folgen seit Mitte Februar), aber im Grunde doch „The Missing“ ist — mit dem großen Unterschied, dass nun wieder der klassische Ermittler im Mittelpunkt steht, der Maigret oder Poirot der Gegenwart: der alternde (nicht belgische, aber) französische Ex-Kommissar Julien Baptiste (Tchéky Karyo), der auch in „The Missing“ schon ermittelt hat. Und nicht etwa die Opferangehörigen.

Baptiste ermittelt nämlich auch in „Baptiste“ wieder einem verschwundenen Mädchen hinterher, dessen Onkel ihn um Hilfe bittet; diesmal in Amsterdam. Und es ist so fesselnd wie „The Missing“ es in beiden Staffeln auch schon war.

Ohne nun allzu viel zu spoilern: Es gibt selbstverständlich dennoch interessante Perspektivwechsel, allerdings mehr, was unsere Wahrnehmung einer der zentralen Figuren angeht, nämlich Edward Stratton, gespielt vom brillanten Tom Hollander. Der ist sehr gut in freundlich-harmlosen Rollen (etwa in „Rev.“, BBC2 2010 – 14, neben Olivia Colman), kann aber auch schillernd bösartig spielen, wie man etwa in „The Night Manager“ (BBC1, 2016) sehen konnte.

„Baptiste“ ist also konventioneller als „The Missing“, aber das ist nichts schlechtes. Ganz im Gegenteil. High Concept fesselt zwar auf die schnelle das Publikum, aber solides, altmodisches Erzählen erweist sich doch fast immer als tragfähiger, wenn man langfristig denken möchte. Und bei Serien, selbst wenn sie staffelweise so abgeschlossen sind wie „The Missing“, ist das die bessere Wette.

Guilty Pleasure

21. Februar 2019 Keine Kommentare

Ja, ich gebe es zu: Ich sehe sehr gerne diese ganzen historischen Adelsdramen britischer Provenienz: „The Crown“ (Netflix, seit 2016) etwa, oder derzeit die dritte Staffel „Victoria“ (ITV, ebenfalls seit 2016).

Eine Leidenschaft übrigens, bei der mich die Frau, ansonsten „Downton Abbey“ nicht abgeneigt, dann doch schön alleine lässt; zu sehr geht ihr die Feudalismusverherrlichung gegen den Strich. Und natürlich hat sie recht: So wie Krimis das Narkosemittel der Bürokratiegesellschaft sind, ist diese Aristokratieanbetung die Rechtfertigung einer ständischen Gesellschaft.

Aber wenn diese Serien dann eben die ganzen Königinnen und ihre mehr oder weniger schwachen Männer (Albert, das empfindsame Würstchen aus Coburg! Prinz Philip, der ewig an seiner Bedeutungslosigkeit knabbernde Möchtegernplayboy!) so menschlich zeichnen! Wie soll man da kein Herz für die Monarchie entwickeln.

Das ich ja ohnehin habe. Denn ich finde das Konzept, dass sich ein Volk eine Familie von Arbeitslosen hält, die sie in einem Schloss ausstellt und zur Anbetung freigibt, eigentlich ganz überzeugend. Überzeugender jedenfalls als die deutsche Lösung, sich stattdessen einen bürgerlichen Grüßaugust von Bundespräsidenten in ein Schloss zu setzen, dem der göttliche Auftrag zum Faulenzertum völlig fehlt.

Der sogar gewählt wird! Braucht man denn zur absoluten Faulheit ein demokratisches Mandat?!

Nein, so lange die parlamentarische Demokratie funktioniert — und die englische ist ja nun mal sogar die älteste der Welt, wenn ich mich nicht täusche –, finde ich diese Idee sehr schön: Wer will nicht so sein wie diese Langzeitarbeitslosen, die es sich auf Kosten des Staates ein Leben lang gut gehen lassen! Die vorleben, dass man in der sozialen Hängematte leben kann wie die Made im Speck und Kinder kriegen wie die Kaninchen! Victoria hatte allein, das lernt man dann nebenbei eben auch, sieben Stück.

Das finde ich sehr gut, und ich sehe Jenna Coleman beim höfischen Ausdemfenstergucken genauso gerne zu wie ich Claire Foy dabei zugesehen habe, die in „The Crown“ ja nun offenbar von Olivia Colman abgelöst werden soll.

Weiter so, mehr davon, ich gucke das alles weg. Lang lebe die Monarchie!

Die Banalität des Guten

5. Februar 2019 Keine Kommentare

Als „Bürokraten mit Waffen“ beschreibt der Anthropologe David Graeber in seinem Buch „Bürokratie. Die Utopie der Regeln“ (Klett-Cotta 2016) Polizisten und erklärt den enormen Bedarf unserer Gesellschaft an Polizei- und Kriminalfiktion ganz schlicht mit dem Fetisch, der unser aller Leben mehr bestimmt, als wir es gerne wahrhaben möchten: mit Bürokratie.

Will heißen: Graeber diagnostiziert — noch bevor er sich in seinem nächsten Buch explizit auf die „Bullshit-Jobs“ stürzt, die einen Gutteil der aktuellen Lohnarbeit ausmachen — eine horrende Verwaltungsapparatur am Werk, die uns verpflichtet, Regeln zu befolgen, die wir nur noch zu einem Bruchteil verstehen (Steuererklärung, „Akzeptieren“-Buttons, Mobilfunkverträge, Altersvorsorge, Projektmanagement), und dann Berichte über die Ausführung von Regeln und die zukünftige Anwendung von Regeln anzufertigen, was im Wesentlichen alle in den Wahnsinn treibt, auch wenn sie es nicht merken.

Allein dass Universitätsmitarbeiter mittlerweile einen beachtlichen Teil ihrer Arbeitszeit nicht mehr mit Forschen und Lehren verbringen, sondern mit Anträgen und Verwaltung, die auch die Ergebnisse noch gar nicht begonnener Untersuchungen schon im Vorhinein wissen möchten, um finanzielle Mittel zu bewilligen, sollte einen zum Haareraufen bringen: denn das bedeutet nichts anderes, als dass sich die Wissenschaft längst der Verwaltung, dem Bürokratentum gebeugt hat und von ihm abhängig ist statt andersherum.

Graeber kaut auf diesem Gedanken mit den schönsten Ergebnissen herum, aber mich haben vor allem seine Ausführungen zur Popkultur fasziniert und seine Erklärung, warum Science Fiction in den Sechzigerjahren eines der bestimmenden Genres war (und warum die Föderation in „Star Trek“ im Prinzip eine leninistisch-kommunistische Militärdiktatur abbildet), es aber seit dem Übergang einer produktionsbestimmten Gesellschaft in eine Informationsgesellschaft eher ein anderes Genre ist, das uns begeistert: nämlich Krimis.

Denn der Siegeszug von immer demokratischeren Modellen brachte ein Problem mit sich: Die Frage, was das Volk eigentlich will. Datenerhebung, Auswertung, Verwaltung, Gremien, Meetings, „Management“. Anträge, Projektbeschreibungen, Kästchenankreuzerei. Mit einem Wort: immer überbordendere Bürokratie — die sogar das Militär schlussendlich in die Knie zwingt, siehe die derzeitigen Probleme bei der Bundeswehr. Von der Deutschen Bahn mal ganz abgesehen. Oder von Bauprojekten (BER, Stuttgart 21). Es ist die Verwaltung, endlose sinnlose Aktenschubserei, die letztlich alles lahmlegt, die man aber nie wieder los wird, wenn sie sich erst einmal das System unterworfen hat. Die Dirigenten haben das Orchester übernommen, und mittlerweile kommen zwölf Dirigenten auf einen Bratschisten.

Der bewaffnete Arm des demokratischen Staates, der die Durchsetzung von Regeln zur Aufgabe hat, ist der Polizist. Er ist viel mehr mit der Aufgabe betraut, über die Einhaltung der öffentlichen Ordnung zu wachen — und, selbstverständlich, ebenfalls Berichte, Berichte, Berichte zu schreiben. Das nimmt einen viel größeren Teil seiner Arbeitszeit ein als eventuelle Verfolgung von schießwütigen Ganoven oder überhaupt tatsächliche Gewalttätigkeit. Die Hauptaufgabe eines Polizisten ist die Informationsbeschaffung: für seinen Vorgesetzten, für die Staatsanwaltschaft, für die Gerichte.

(Dort, wo die Informationsbeschaffung heimlich zu geschehen hat, ist der Spion zuständig — ein eigenes, dem Krimi aber anverwandtes Genre in der Popkultur.)

Kein Wunder also, dass der Polizist, der Ermittler, der Held unserer bürokratiegeprägten Zeit ist, dem ein nicht zu unterschätzender Teil der Bildschirmzeit im deutschen Fernsehen gehört.

Und umso bedauerlicher, dass wenige Krimis diesem Umstand Rechnung tragen.

Das wurde mir — ich bin wahrlich kein Fan von Krimis — einmal mehr deutlich, als ich gestern den ITV-Dreiteiler „Manhunt“ (2019) gesehen habe, in dem ein wahrer Fall von Anfang der Nullerjahre aufgerollt wurde: der scheinbar wahllose Mord an einer jungen Französin in London, der zur Aufdeckung einer ganze Mordserie an jungen Frauen führte.

Im Mittelpunkt von „Manhunt“ steht der ermittelnde Inspektor (Martin“Doc Martin“ Clunes als DCI Colin Sutton), der so anders ist als andere vergleichbare Kriminaler, dass es eine Wohltat ist: nüchtern, unaufgeregt, sachlich. Weit entfernt von der toxischen Maskulinität eines „Luther“, die in Krimis oft die Heldenhaftigkeit ihrer Hauptfigur illustrieren soll. An Colin Sutton ist nichts Heldenhaftes. Er ordert die Auswertung aller verfügbaren Überwachungskameras in einem riesigen Areal, auch wenn es zehn Beamte drei Wochen in Anspruch nimmt, Bildmaterial auszuwerten, von dem man nicht einmal weiß, was man darauf sucht. Wenn 25.000 weiße Lieferwagen überprüft werden müssen, müssen eben 25.000 weiße Lieferwagen überprüft werden. Wenn Taucher einen halben Fluss nach einem Handy absuchen müssen, muss die Einheit eben den halben Fluss absuchen. Und wenn eine Supermarktquittung von vor vier Jahren ein wichtiges Indiz ist, muss im Supermarktbüro eben auf riesigen archivierten Quittungsrollen nach diesem einen Bon gesucht werden, auf dem 41,35 Pfund für Windeln, Reis und Olivenöl draufstehen.

Es ist, mit anderen Worten, die Banalität des Guten, die hier am Werk ist. Am Ende stellt sich heraus, dass die Mordserie schon vor den letzten Toten hätte beendet werden können, wenn sich nicht ein  — selbstredend bürokratischer — Fehler eingeschlichen hätte.

Dass der Täter ein Monster ist, wird dabei nur sehr am Rande thematisiert: das versteht sich von selbst. Warum er ein Monster (geworden) ist, ist vollkommen unwichtig. Die familiäre Belastung, die dieser Fall für Sutton darstellt, lässt ihn selbst kalt — er ist der preußischste Beamte des Vereinigten Königreichs. So beamtisch, dass er beinah blass wirkt. Die Dramaturgie ist klug genug,  genau diese trockene Ermittlerarbeit zu problematisieren, denn Sutton eckt mit seiner peniblen Art bei Untergebenen wie Vorgesetzten selbstverständlich an.

Aber wenn schon Krimi, dann so: keine Psychologie, keine persönlichen Motive zwischen Täter und Ermittler (wie sie längst nicht mehr nur in Thrillern zuhause sind); wenn schon deutsche Krimis, dann lieber Derrick als Nick Tschiller. Da weiß man wenigstens, dass Horst Tappert in der Waffen-SS war, bevor er so knochentrocken im Münchener Reichenmilieu ermitteln durfte. Die Staatsformen ändern sich, ihre Identifikationsfiguren bleiben gleich.

Gute Krimis aber legen ihre Bürokratenverherrlichung offen. Über die Wucherungen dieser staatlichen Gewalt, die in Großbritannien etwa eine ubiquitäre Videoüberwachung mit sich gebracht hat, darf man da freilich entsetzt sein: Omnibusse mit Kameras, die nicht nur das Innere, sondern auch den Verkehr vor und hinter dem Bus aufzeichnen etwa. Dass man als Zuschauer aber gezwungen ist, diese überwachungsstaatliche Perspektive einzunehmen und sehr stark für Totalüberwachung zu sein, weil sie die Verstöße gegen ihre staatlichen Regeln verfolgen hilft: das ist lobenswert, denn erst dieser innere Konflikt hält mich als Krimizuschauer überhaupt wach.

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Ms. Wilson als Mrs. Wilson in „Mrs Wilson“

18. Dezember 2018 Keine Kommentare

… und Alison heißt sie auch wieder: Ruth Wilson, Hauptdarstellerin in der guten bis sehr guten Showtime-Dramaserie „The Affair“ (vier Staffeln seit 2014), ist in ihre britische Heimat zurückgekehrt, um die Geschichte ihrer eigenen Großmutter in einen beklemmenden Dreiteiler zu verwandeln — und spielt die titelgebende „Mrs Wilson“ (BBC1) logischerweise selbst.

Deren Geschichte ist in der Tat bemerkenswert, war sie doch die Ehefrau von Alexander Wilson, einem englischen Autor und Geheimdienstagent. Bzw. nicht die, sondern eine Ehefrau Wilsons, denn der hatte mehrere. Allerdings nicht nacheinander, sondern gleichzeitig.

Ein Geschichtenerzähler also, dieser Wilson (in der Serie: Iain „Ser Jorah Mormont“ Glen), der sich nach traumatischen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg in die Fiktion rettet, privat wie beruflich. Beruflich sogar im doppelten Sinne, einmal für seine Karriere als Schriftsteller und einmal für den MI6, den Auslandsgeheimdienst, in dessen Diensten er in verschiedenen Identitäten tätig ist. Wie praktisch!

Welche Ausmaße sein Doppel-, wo nicht Dreifachleben hatte, erfährt Alison erst nach seinem Tod. Da nämlich taucht eine zweite Mrs. Wilson auf, älter als sie und mit einem erwachsenen Sohn: Alecs erste Frau — von der er allerdings offiziell nie geschieden wurde. Obwohl Alison Scheidungspapiere gesehen hat. Die allerdings damals von geschickten Geheimdienstlern unschwer zu fälschen waren.

So dringt Alison immer tiefer in die wahre Vergangenheit eines Mannes ein, den sie zu kennen geglaubt hat, der ihr nun aber zunehmend fremd wird. Ganz anders als all die neuen Familienmitglieder, die sie nun kennenlernt (und deren ganz reale Vorbilder am Ende der dritten Folge sich vor der Kamera in einem englischen Wohnzimmer versammeln, das sie komplett ausfüllen). Denn auch bei einer dritten Affäre ihres Mannes (Keeley Hawes, „Line of Duty“, „The Missing“, „Bodyguard“) bleibt es am Ende nicht.

Bis heute hält der britische Geheimdienst Teile seiner Unterlagen über Alexander Wilson unter Verschluss. Möglich also, dass er tatsächlich irgendwann rehabilitiert wird. Vielleicht gibt es dann ja eine Fortsetzung von „Mrs. Wilson“. Bis dahin ist das jedenfalls schon mal ein solider Dreiteiler für die Vorweihnachtszeit, für den die BBC, wie es aussieht, tief in die Tasche gegriffen hat.

Von der Geschlechterrolle (2)

12. Dezember 2018 Keine Kommentare

In den ersten vier Minuten „Killing Eve“ (BBC America, 2018) kommt in drei Szenen genau ein Mann mit Sprechrolle vor. Zunächst sehen wir die bis zum Psychopathischen hin charmant-kalte Serienkillerin Oksana Astankova alias Villanelle (Jodie Comer), wie sie in einem Wiener Eiscafé erst lächelnd Blickkontakt mit einem Mädchen aufnimmt, das mit seiner Mutter ein Eis isst, um ihm anschließend im Vorbeigehen den Eisbecher in den Schoß zu stoßen. Hübsch rätselhaft.

Dann sehen wir Eve Polastri (Sandra Oh) schreiend aufwachen, noch nicht wissend, dass sie die MI5-Beamtin sein wird, die später hinter Vilanelle her ermitteln wird. Sie schreit allerdings nicht wegen eines Albtraums oder einer echten Gefahr, sondern weil sie auf ihren beiden Armen eingeschlafen und in der Folge mit tauben Armen aufgewacht ist — ein Scherz, der schon schön mit Erwartungen und ihren Enttäuschungen spielt, was Schrecken und Bedrohung angeht, denn natürlich ist sie die namensgebende Eve in „Killing Eve“.

In der dritten Szene schließlich kommt Eve (zu spät) zu einer Lagebesprechung beim MI5, zusammen mit einer Kollegin, und trifft dort auf Carolyn Martens (Fiona Shaw), MI6-Abteilungsleiterin der russischen Sektion, der sie von ihrem eher unfähigen Supervisor Haleton (Darren Boyd, „Spy“) zugewiesen wird.

Ein ausgesprochen weiblicher Cast also, und das serienbestimmende Duell von charismatischer Serienkillerin und tolpatschiger Ermittlerin ist selbstverständlich ohnehin weiblich — und dennoch eines, das von Verführung, ja Obsession gekennzeichnet ist. Von einer comic- bis superheldenhaft überzeichneten Obsession noch dazu.

Das Katzundmaus-Spiel, das sich dann entwickelt, führt über zahlreiche pittoreske Schauplätze, phantasievolle Verkleidungen und Auftragsmorde zu einem Psycho-Showdown, bei dem die Sympathien immer wieder neu abgewogen und verteilt werden — aber so gut wie nie bei einem Mann liegen.

Bleibt sich Phoebe Waller-Bridge also treu, die „Killing Eve“ (nach den Romanvorlagen von Luke Jennings „Vilanella“-Büchern) als Drama mit sehr komischer Unterströmung adaptieren durfte und über deren erste Serie „Fleabag“ (BBC3, 2016) und ihre angenehm zeitgemäß feministische Perspektive ich in dem zwischenzeitlich letzten Beitrag dieses Blogs 2016 schrieb.

Wie schnell doch gerade Geschlechterrollen sich bis in Mainstream-Produktionen ändern! Zuletzt in „Bodyguard“ (BBC1, 2018), einer bis zur Humorlosigkeit ernsten Dramaserie um die moralischen Dilemmas eines Personenschützers (Richard „Robb Stark“ Madden), der in der ebenfalls ersten Szene eine weibliche Selbstmordattentäterin in spe aufhalten möchte und dabei mit einer Zugführerin, einer OP-Team-Leiterin, einer Polizistin, einem ganzen Team weiblicher bewaffneter Einsatzkräfte und einer Scharfschützin zu tun hat. So vielen Frauen in typischerweise männlichen Rollen also, dass bei Twitter ein (kleinerer) Shitstorm der Marke „political correctness gone mad“ losbrach, während etwa meine Frau nicht einmal bemerkte, wie viele Frauen da um den einen Helden herumgestellt waren.

(Meine Argumentation war übrigens, dass die BBC es hier lediglich vermeiden wollte, eine weibliche, bis auf den Sprengstoffgürtel unbewaffnete muslimische Selbstmordattentäterin von schwerst bewaffneten, weißen, nichtmuslimischen Männern überwältigen zu lassen, was einer im Grunde moralisch richtigen Handlung doch einen unangenehmen Beigeschmack gegeben hätte.)

Interessanterweise spielt die andere Serie des Jahres um einen sympathischen Serienkiller ebenfalls mit Geschlechterstereotypen, denn in „Barry“ (HBO, 2018) entstehen die komischen Konflikte aus der Spätberufung, die der Auftragsmörder Barry (Bill Hader, auch Creator der Serie) für die eher innerlich-weibliche Schauspielerei entdeckt. Was recht schnell die Welten von skrupulöser Schauspielschule und skrupelloser Tschetschenenmafia aufeinanderprallen lässt. Barrys weiches Herz jedenfalls, seine Empfindsamkeit, die hier mit seinem Pflichtbewusstsein seinem Auftragsvermittler gegenüber kollidiert, ist das genaue Gegenteil der männlichen Härte einer Villanelle.

Während allerdings „Barry“ mir trotz erheblicher Schau- und Produktionswerte als eher kleine Sitcom in Erinnerung bleibt (die dennoch eine der besseren dieses Jahres war), darf „Killing Eve“ ruhig als „das Beste, was dieses Jahr aus Großbritannien gekommen ist“ gelten, wie es mein britischer Gewährsmann in diesen Dingen Tom Harris bezeichnet hat: eine große Serie, die sehr zu Recht sehr erfolgreich ist und bereits vor Serienstart eine zweite Staffel erhalten hat, was dennoch zum Glück nicht verhindert, dass Phoebe Waller-Bridge in einer zweiten Staffeln „Fleabag“ auch selbst wieder vor der Kamera steht.

Was aber die beiden Großthemen Sex und Auftragskillerei miteinander verbindet, was in der Folge also auch sexuelle Identität und Auftragsmördertum in der Popkultur so aneinander bindet, dass bereits 2012 eine leider kurzlebige Serie von „Shameless“-Autor Paul Abbott um eine transsexuelle Killerin (Chloë Sevigny) in „Hit & Miss“ (Sky Atlantic) entstehen konnte: darüber würde ich gerne mal ein Uniseminar sehen.

Dramatische Höhepunkte

28. November 2018 Keine Kommentare

An britischen Dramaserien herrschte dieses Jahr gewiss kein Mangel. Und an guten noch dazu. Jed Mercurios „Bodyguard“ (BBC1) konnte für BBC1 die besten Quoten seit zehn Jahren einfahren, Hugo Blicks „Black Earth Rising“ (BBC2) und Mike Bartletts „Press“ (BBC1) bei der Kritik zumindest die etwas under par gebliebenen Dramaserien des Frühjahrs ausgleichen, von denen etliche allerdings immer noch recht sehenswert waren — etwa David Hares „Collateral“ (BBC2 & Netflix, mit Carey Mulligan), „McMafia“ (BBC1 & AMC), eine Serie, die so gut in der Darstellung russisch-britischer Geldströme war, dass ein eigenes Gesetz nach ihr benannt wurde, und „Trust“, wenn man diese als britische Serie werten möchte, denn trotz britischer Autorenschaft (Simon Beaufoy), Regie (Danny Boyle) und Thematik (der Getty-Clan wurde zwar in den USA stinkend reich, stammte aber aus Großbritannien) ist sie natürlich eine FX-Serie.

Um Comedydrama war es 2018 schon nicht mehr ganz so gut bestellt: da fallen mir zunächst eigentlich nur „Killing Eve“ ein (BBC America), Phoebe Waller-Bridges stylishe Serie um die enigmatische Profikillerin Villanelle (Jodie Comer), die schon beinah Züge von Superhelden hat, und ihren gänzlich unglamourösen Widerpart, die MI5-Innendienstmitarbeiterin Eve Polastri (Sandra Oh). Dann war da noch die Miniserie „A Very English Scandal“ (BBC1), die den Jeremy-Thorpe-Skandal von 1976 – 79 um einen liberalen englischen Parlamentarier (Hugh Grant) und die Folgen seiner homosexuelle Affäre mit dem leicht persönlichkeitsgestörten Norman Josiffe (Ben Whishaw).

Und „Wanderlust“ (BBC1 & Netflix, seit September).

Ja, wanderlust ist ein Germanismus, ein ins Englische entlehntes deutsches Wort wie wunderkind, wiederganger und weltschmerz, und hier steht es für das Fernweh in langjährigen Beziehungen wie der zwischen Joy und Alan Richards (Toni Collette und Steven Mackintosh). Die Sehnsucht nach dem Fremden also, wenn die sexuelle Anziehungskraft des einen Menschen, mit dem man sich für immer und ewig gebunden hat, irgendwann eingeschlafen ist. Wie es bei langjährigen Ehepaaren vorkommen soll.

Wanderlust attestieren auch Joy und Alan sich, immerhin ist sie ohnedies Psychotherapeutin und kennt sich also aus, und schlägt in der Folge vor, dieser wanderlust doch ganz unverbindlich nachzugeben, sprich: eine sogenannte „offene Beziehung“ zu führen, in der man sich nicht gleich trennt, sondern erst noch im gegenseitigen Einverständnis Affären hat, über die hier dann auch noch die (schon halbwegs erwachsenen) Kinder unterrichtet werden.

Keine Überraschung, dass „Wanderlust“ denn auch stark von a) Dialogen und b) Sexszenen dominiert ist. Letztere sind in der Wahrnehmung der Serie denn auch sehr dominant, sowohl in der Kritik als auch in meiner Erinnerung, obwohl sie keineswegs freizügiger sind als englische Serien sonst, m.a.W.: gar nicht. Statt auf Entblößung setzt „Wanderlust“ auf mimische Reaktionen, so dass wir zwar sexueller Aktivität (und auch reichlich Passivität) beiwohnen, allerdings auf den Gesichtern der Beteiligten bleiben und uns so alles erspart bleibt, was außerhalb des Shots und unterhalb der Gürtellinie passiert.

Und, gute Güte, ist das oft peinlich. Absichtlich peinlich, versteht sich, cringe also, wenn Joy und Alan „es“ nach längerer Phase der Abstinenz gleich zu Beginn der ersten Folge mal wieder probieren. Sie hatte zuvor einen Fahrradunfall, der sie körperlich (und auch seelisch; darin liegt, wie wir später sehen werden, der Schlüssel der Serie) einschränkt, er einen Bart, der auch Frauen ohne Trauma im Zweifel lieber enthaltsam bleiben ließe.

Darüber (über Sex und den Unfall, nicht über den Bart) muss dann, siehe a), viel gesprochen werden. Und zwar so, wie es der leicht prätentiöse Titel „Wanderlust“ nahelegt: in pointierten Theaterdialogen. Tatsächlich liegt der Serie von Nick Payne sein gleichnamiges Theaterstück von 2010 zugrunde.

In diesen Dialogen, und auch hin und wieder in Monologen, wenn etwa von den Paaren, die bei Joy in Therapie sind, nur einer spricht (der sträflich unterbesetzte Andy Nyman), in diesen Dialogen also werden dann all die Konflikte verhandelt, die bei Beziehungsexperimenten wie diesen entstehen müssen: Selbstverständlich verliebt sich Alan dann doch in seine jüngere Kollegin Clare (Zawe Ashton, „Fresh Meat“). Klar lassen sich Jugendlieben wie die zwischen Joy und Lawrence (Paul Kaye, „Game of Thrones“) nicht ohne weiteres fortsetzen. Und selbstverständlich liegen unter der oberflächlich-sexuellen Dysfunktion nicht selten tiefere Konflikte, die Joy — in einer Episode, die wie eine bottle episode eine komplette Therapiesitzung bei ihrer Supervisions-Therapeutin Angela (Sophie Okonedo) abbildet — schließlich auch durchschaut.

Lediglich die Kinder scheinen unter den Eskapaden ihrer Eltern nicht zu leiden. Was nicht bedeutet, sie hätten keine sexuellen Probleme, nur haben diese offenbar keine direkte Verknüpfung mit denen ihrer Eltern. Das hätte wohl auch nicht in den, wie oft bei der BBC, leicht pädagogischen Subtext der Serie gepasst (den ich zuletzt bei „Press“ ein wenig zu aufdringlich fand).

Man merkt schon: Ich bin kein Fan geworden. Dabei ist „Wanderlust“ durchaus unterhaltsam, intelligent und schön gefilmt. Luke Snellins Regie tut ihr bestes, den Theaterdialogen kinogroße Bilder entgegenzusetzen. Toni Collette ist zu Recht eine große Schauspielerin, die seit „About a Boy“ (2002) immer wieder interessante, gebrochene Frauenrollen gespielt hat. (Und deren australische Herstammung man ihrem Englisch wohl selbst als Brite nicht anhört.)

Aber das Feld von Komödie und sexuellen Neurosen ist nicht zuletzt in Woody Allens Lebenswerk schon so oft beackert worden, dass diese — zugegeben sehr englische — Variante dann doch letztlich einen Ticken zu erwachsen war.