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Archiv für die Kategorie ‘Sitcom’

Der unsichtbare Zweite

17. September 2012 7 Kommentare

Es gibt Sitcoms, die haben eine so gute Grundidee, dass man sich in ihnen sofort zuhause fühlt. Eine Idee, die so brillant ist, dass sie naheliegend erscheint (obwohl dann ja auch schon mal jemand anderes hätte draufkommen können). Wenn diese Idee dann auch noch so schön umgesetzt ist, dass man als Zuschauer das Gefühl hat, genau diese Serie hätte man lange vermisst, obwohl man sie noch gar nicht gesehen hat —

dann könnte es sich um Chris O’Dowds „Moone Boy“ handeln (gerade angelaufen bei Sky1, die einmal mehr ein Händchen für Comedy beweisen). „Moone Boy“ erzählt die Geschichte einer Kindheit: Martin ist elf und hat, wie viele Kinder, einen unsichtbaren Freund. Unsichtbar aber nur für die Menschen in der Story; wir können ihn durchaus sehen: Es ist Sean (Chris O’Dowd, „The IT Crowd“), der ihm immer zur Seite steht. Mal mit klugen, mal mit weniger klugen Ratschlägen, manchmal nur, um allzu derbe Schimpfworte mit seinem Banjo zu übertönen. Einmal hilft er Martin (David Rawle) bei einem Liebesbrief: „You smell even nicer than…“ — „Crisps.“ („I smell like crisps?“ fragt später die Adressatin. Martin: „Nicer!“) Und Sean ist genauso uncool wie Martin, das sieht man schon daran, dass sie beide die gleiche schlimme Wollmütze tragen.

Patina erhält „Moone Boy“ dadurch, dass es ins Irland der Achtziger verlegt ist; es ist nämlich tatsächlich halb autobiographisch von O’Dowd angelegt, und obwohl die Zeiten rau sind (wann waren sie das nicht in Irland) und die Schulkameraden von Martin sich als echte Bullies erweisen, sind ihre Väter das genaue Gegenteil: der Vater der Bullies, von Martins Dad zur Rede gestellt, erweist sich als Softie, mit dem sich gut trinken und Karten spielen lässt, was Martin nicht weiterhilft, aber der ersten Folge zu vielen Lachern Anlass gibt: Immer mehr butterweiche und überforderte Väter schließen sich zusammen, tun so, als ob sie Angeln oder Karten spielen, sind aber in Wirklichkeit echte Herzchen („Be dad, not sad!“), die sich von ihren Kindern herumschubsen lassen. Etwa wenn sie gerne ihr „Water-Colouring Programme“ (was auch immer das sein soll) sehen wollen, die Kinder aber „Dynasty“ gucken möchten: „Switch over please!“ versucht Martins Dad vor versammelter Vätermannschaft sich gegen einen älteren Sohn durchzusetzen. „No Dad, Dynasty’s on!“ gibt der zurück, und „I think we should leave“ wispert sofort einer der eingeschüchterten Väter den anderen zu.

Zwar habe ich mich nicht wenig gewundert, als schon in der zweiten Folge Sean, der unsichtbare Freund, gar nicht richtig eingesetzt wurde; womöglich ist er in der Rolle des Sidekicks aber schon ganz gut aufgehoben. Dafür hatte Steve Coogan einen sehr guten Auftritt, und auch Johnny Vegas soll sich noch im Verlauf der Serie blicken lassen. Die ist mitproduziert von Baby Cow und wagt sich an nichts weniger als die Nachfolge von „Father Ted“ (1995 – ’98, Channel 4), unternimmt also den Versuch, genauso warm und komisch zu sein wie das große irisch-englische Vorbild. „Feck off, ducks!“ ruft Martin einmal, als ob es das father ted’sche Schimpfwort in den Achtzigern schon gegeben hätte.*

Diese Latte liegt hoch, aber „Moone Boy“ ist so schlafwandlerisch sicher im Ton, so eigenständig und rund, dass es sicher das Zeug zum kleinen Bruder von „Father Ted“ hat. Den Regisseur teilen sich die Serien jedenfalls: Declan Lowney, den sich Coogan auch als Regisseur des kommenden Alan Partridge-Films (2013 ist es so weit) ausgesucht hat.

* Tatsächlich gibt es „feck“ als (milderen) Ersatz für „fuck“ wohl schon länger, „Father Ted“ hat dem Wort nur größere Bekanntheit auch außerhalb von Irland eingebracht. Zumindest „feck off“ dürfte allerdings  trotzdem eine Anspielung auf „Father Ted“ sein.

Parasitecom

10. September 2012 1 Kommentar

„Boomerang Generation“ wird sie im angelsächsischen Raum mittlerweile genannt: die Kohorte der Krisenverlierer, die zwar längst erwachsen ist, nun aber vor den Trümmern ihrer Existenz steht und deshalb wieder bei ihren Eltern einzieht, sprich: wieder dort landet, von wo sie dereinst ins Leben gestartet ist. Die Eltern wiederum, die sich schon auf ein leeres Nest eingerichtet hatte, stehen plötzlich vor einem „crowded nest“, in dem wie in früheren Zeiten drei Generationen unter einem Dach leben. 500.000 Haushalte sind in Großbritannien von diesem Phänomen schon betroffen, Tendenz selbstverständlich steigend.

Kein Wunder, dass die Comedy dieses Thema zunehmend für sich entdeckt: Die Konflikte, die entstehen, wenn 40jährige plötzlich wieder in ihrem Kinderzimmer wohnen, sind ja offensichtlich komikträchtig. Und die Familie war immer der Ort der Sitcom („Domcom“) schlechthin, schließlich lassen sich auch die meisten Sitcoms, die am Arbeitsplatz spielen, im Grunde auf familiäre Strukturen zurückführen.

Nun gibt es schon die dritte Sitcom, die den Plot des Wiederzuhauseeinziehens aufgreift; die ersten beiden waren das weitgehend unbeachtet gebliebene „Home Time“ (BBC2, 2009), in dem eine Dreißigjährige (Emma Fryer) zwölf Jahre nach ihrem überstürzten Auszug wieder bei ihren Eltern aufschlägt, die zweite war Simon Amstells „Grandma’s House“ (BBC2, 2010 – ’12). Die hatte den zusätzlichen Clou, dass Simon Amstell sich darin quasi selbst spielte: den jungen Comedian und Panel-Show-Host, der sich mit derben Scherzen auf Kosten seiner Gäste unbeliebt gemacht und dann von der Mattscheibe vorübergehend verabschiedet hat, um wieder bei Großmama einzuziehen (und dort, Amstell ist offen schwul, sechzehnjährige Jungs in seinem Kinderzimmer zu empfangen und zu hoffen, dass die Familie das nicht spitzkriegt). Parasitecom hat der Independent dieses neue Subgenre der Sitcom getauft.

„Parents“ (Sky1, 2012) will keinen Zuschauer im Unklaren lassen über die Vorgeschichte der Serie. Darum wird die Backstory in jedem Vorspann rekapituliert: Wie Jenny Pope (Sally Phillips) von zuhause aus- und nach London zieht, einen Bürojob findet, heiratet und zwei Kinder hat, die gerade Teenager sind, als Sally gefeuert wird. Daraufhin verlieren sie das Haus an die Bank und gehen zurück in die Provinz — wo sie zu Beginn von „Parents“ dementsprechend zu sechst in dem eher kleinen Häuschen ihrer Eltern einziehen und fortan miteinander auskommen müssen.

Das fällt nicht immer leicht. Am leichtesten noch Sallys Mutter Alma (Susie Blake), die sich für ihre Tochter ohnehin ein Leben am Herd vorgestellt hat und nur wenig überrascht scheint, dass aus Sallys Karriere nichts geworden ist. Ihr Vater Len (Tom Conti, „The Dark Knight Rises“) hat da schon mehr zu knabbern, vor allem an Nick (Darren Strange, „The Armando Iannucci Shows“), dem nichtsnutzigen, aber stets optimistischen Ehemann von Sally, der mit seinem Startup gescheitert ist — offenbar ist es gar nicht so einfach, einen Energydrink für Topmanager („X-celsior“) zu entwickeln. Und dann ist da noch Sallys Schwester (Daisy Haggard, „Episodes“), die sich ihren Erfolg im Leben stets anmerken lässt.

„Parents“ ist in jeder Hinsicht eine Familiensitcom: durchaus an den Mainstream gerichtet, nicht die Neuerfindung der Comedy, dafür aber mehrheitsfähig und liebenswürdig. Letzteres ist vor allem Sally Phillips zu verdanken, die hier in ihrer ersten Hauptrolle zu sehen ist. Britcom-Fans aber ist sie keineswegs unbekannt: Seit „I’m Alan Partridge“ (BBC2, 1997 – 2002), wo sie als giggelnde Hotel-Rezeptionistin zu sehen war, und „Hippies“ (BBC2, 1999) gehört sie zu den besseren Nebendarstellern, und neben Doon Mackichan und Fiona Allen machte sie sich bei der ersten komplett weiblichen Sketch-Comedy „Smack the Pony“ (Channel 4, 1999 – 2003) auch noch einen Namen als Mit-Autorin.

Hier war sie am Drehbuch zwar nicht beteiligt (das stammt von Lloyd Woolf und Joe Tucker), aber ihre Fähigkeit, in Sekundenbruchteilen von grundsympathisch auf superbiestig umschalten zu können, verleiht ihrer Figur Tiefe, die den anderen Charakteren hin und wieder ein bisschen abgeht. Vor allem die Kinder Becky und Sam Pope (Jadie Rose Hobson und Christian Lees) sind ein wenig zu zweidimensional.

Wenn man der Serie überhaupt einen Vorwurf machen wollte, dann wäre es vielleicht der, dass das Buch sich ein wenig zu sehr auf die Gags verlässt, statt den Figuren Tiefe zu geben. Vom selbsterklärten Vorbild „Modern Family“ jedenfalls ist „Parents“ weit entfernt. Das macht aber nichts — dafür ist bei „Parents“ die Underdog-Perspektive viel sympathischer. Und es hatte offenbar jemand ein Händchen für die Musikauswahl. Die nämlich ist, von The Cure bis Badly Drawn Boy, durch die Bank gelungen.

Sky wird „Parents“ hoffentlich eine zweite Staffel geben; daran zweifle ich aber nicht, schließlich hat Rupert Murdochs Bezahlfernsehen zumindest in den letzten zwölf Monaten schon zu viel Geld in gute Comedy gesteckt: von „The Cafe“ bis „Stella“ hatte Sky in letzter Zeit die wesentlich besseren Sitcoms und ComedyDramas als die BBC.

Louis C.K.: der Jazzer unter den Comedians

30. August 2012 3 Kommentare

Lange schon wollte ich etwas über Louis C.K. und „Louie“ (FX, seit 2010) schreiben. Vielleicht habe ich zu lange gewartet. Denn spätestens seit Anfang der laufenden dritten Staffel ist mir die „Sitcom“ (bzw. das „ComedyDrama“), man kann sie schon nur noch in Anführungszeichen so nennen, dann doch fast ein bisschen zu sehr… nun ja, Jazz.

Dabei hat alles so gut begonnen: Der Stand-Up Comedian Louis C.K. spielt in „Louie“ einen Stand-Up Comedian namens Louie, der (wie Louis C.K.) in New York lebt und wirkt, geschieden ist (wie Louis C.K.) und deswegen seine beiden Töchter (im Vorschulalter bzw. gerade eingeschult) vorwiegend an den Wochenenden bei sich hat (ebenfalls wie Louis C.K.).

Die Trailer zu den drei Staffeln zeigen schon die Entwicklung von „Louie“ ganz gut, darum sind sie hier alle drei: Das ist der erste (2010)

Die Show selbst erzählt meist unaufgeregt kleine Episoden aus Louies Alltag: wie es ist, als Über-Vierzigjähriger noch bzw. wieder Dates haben zu müssen, obwohl einem die Haare ausgehen und die Wampe wächst. Gegen wie viele verzweifelte, neurotische Singlefrauen in seiner Umgebung Louie zu kämpfen hat. Über die Comedy-Kollegen, mit denen er sich die Abende und Nächte in Comedyclubs um die Ohren schlägt. Und über Louies schwieriges Verhältnis zu seiner gesamten Verwandtschaft. (Die ganzen Brüder, Schwestern, Mütter usw., die Louie über die letzten Staffeln für nur eine Folge oder zwei aus dem Hut gezaubert hat, hätten ein erster Hinweis sein können auf den Charakter der Show, denn die waren erkennbar ausgedacht und als reine Vehikel eingesetzt.) Dabei zeigen die meisten Folgen zwei kleine Geschichten, manche nur eine etwas größere Story, zwischengeschnitten mit Louies Auftritten und Stand Up-Monologen; ein bisschen wie bei „Seinfeld“.

Es wäre sehr leicht, jetzt eine Überleitung zu finden, die auf „Show about nothing“ abzielte, als die „Seinfeld“ immer wieder dargestellt wurde — fälschlicherweise, denn tatsächlich konnte man bei „Seinfeld“ ja meistens eine Geschichte ausmachen, die durchaus nacherzählbar war. Anders als bei späteren z.B. englischen Serien („The Royle Family“), wo das nicht mehr ging. Aber gegen „Louie“ war „Seinfeld“ der reinste Pop: mit einer Band, in der jeder eine erkennbare Funktion hatte, mit Songs, die einer klaren Struktur folgten. „Louie“ aber ist Jazz.

Jazz ist auch der bevorzugte Soundtrack von „Louie“. Vermutlich eher nicht zufällig. Denn es gibt zu viele Parallelen zwischen Musik und Comedy in dieser Serie. Das beginnt damit, dass wir zwar noch einen formalen Rahmen haben: eine klassische 22-Minuten-Single-Camera-Show, die mit Louies Stand-Up beginnt und aufhört und dazwischen meist die Ereignisse eines Tages, einer Nacht oder höchstens einiger weniger Tage erzählt.

Doch die Melodie, der Inhalt, die Story jeder Folge der Show wird immer freier, immer improvisierter; die gleichen Themen von Einsamkeit, Sex, Kindern und Altwerden werden von Louis C.K. immer freier interpretiert. Mittlerweile hängen die beiden einzelnen kleinen Geschichten einer Folge schon gar nicht mehr zusammen, und auch die Stand-Up-Schnipsel haben manchmal gar keinen erkennbaren Bezug mehr zur restlichen Folge.

Interessanterweise ist mir das als Zuschauer aber lange gar nicht aufgefallen. Zu sehr habe ich mich darauf verlassen, dass da schon ein zugrundeliegendes Thema sein wird, das in zwei disparaten Plots auf unterschiedliche Weise behandelt wird (wie es „Modern Family“ beispielsweise tut, wo gerne das selbe Thema von den drei Familien in drei Varianten paraphrasiert wird). Ich dachte, ich sei nur zu faul, darüber eingehender nachzudenken, was die gemeinsamen Wurzeln der jeweiligen Folge sind.

Bis ich irgendwann darauf kam, dass da kein gemeinsames Thema ist. Es ist nur die formale Klammer, die alles zusammenhält. Das wiederum bedeutet aber, dass eine große Kunstfertigkeit im Spiel sein muss, weil ich sonst als Zuschauer ja nur verwirrt und gelangweilt wäre. Bin ich aber nicht. Noch bin ich nicht so weit, „Louie“ von meinem Fernsehprogramm zu streichen — obwohl ich mittlerweile nicht mehr sicher bin, warum eigentlich.

Denn mit Comedy haben die meisten Folgen der laufenden Staffel schon kaum mehr zu tun. Zwar gibt es viele oft schwarzhumorige Momente, und oft genug ist der Ton der Show so uneigentlich, dass sie unterhaltsam genug ist. Gags im engeren Sinne gibt es aber schon länger kaum noch.

Aber „Louie“, die Serie, hat einen so starken eigenen Charakter, eine solche Distinktion, eine so eigene Humorfarbe, dass ich gerne zusehe. Louis C.K. hat von FX wohl weitgehend freie Hand für seine Serie, was eine große Ausnahme für us-amerikanisches Fernsehen ist: Er schreibt, führt Regie, produziert und spielt die Hauptrolle — das kennt man zwar aus vielen britischen Fernsehcomedys. Aus amerikanischen aber eigentlich nicht.

Und Louie bzw. Louis, der Stand-Up Comedian, hat ebenfalls einen so eigenen und starken Charakter, dass ich ihm meistens gerne zusehe: Wie er es schafft, so sympathisch rüberzukommen, dass er die schlimmsten Gedanken in seinen Stand Up einbauen kann, ohne verprügelt und/oder verhaftet zu werden, das ist schon ziemlich sensationell. Immer wieder überschreitet er Grenzen, wenn er davon berichtet, wie sehr er seine Kinder hasst, wenn er Gedankenspielen nachgeht, wie schlimm Mord eigentlich ist, wenn ihn keiner bemerkt, und natürlich wenn er erbärmlichste Sex-Übungen alleine und zu zweit vollführt — und doch ist er das Gegenteil von zynisch, doch identifiziert man sich in jeder Sekunde mit ihm.

Allerdings muss man, wenn man die aktuellen Folgen „Louie“ sieht, die Figur Louie und die Regeln der Show schon gut kennen, um noch etwas davon zu haben. Man muss Jazz-Fan sein. Der Comedyautor und Blogger Ken Levine berichtet, Louis C.K. habe sich mit seiner Bewerbungs-DVD für die Emmys eher selbst geschadet (gerade sehe ich, ich habe darüber schon einmal geschrieben):

Personally, I thought his screener DVD hurt him. There were better, funnier episodes he could have submitted. The first one he offered opens with him waiting at a subway platform. There’s a violinist playing furiously for five minutes and a homeless guy showering by pouring bottled water on himself. This goes on endlessly. Then the subway arrives. We see the refuge of New York City. On a seat there is some disgusting sludge. People stare at it. Louie finally gets us, takes off his jacket, and mopes up the disgusting mess. If you’re a LOUIE fan, I’m fan (sic) this was all rollicking. But if you’re not, or you’ve heard good things but were sampling the show for the first time, I think by the seven-minute mark you were done.

Wenn diese Szene nicht Jazz ist, dann weiß ich auch nicht. Kann natürlich verwirrend sein, wenn man Pop erwartet hat: Weil man bei Comedy immer wissen muss, in welchem Bezugsrahmen man gerade ist. Falsche Erwartungen sind tödlich für Komik. Womit wir letztlich bei einer Kommunikationstheorie für Komik gelandet wären. Darüber, und über das herausragende Buch „What Are You Laughing At?“ von Dan O’Shannon, das genau eine solche Kommunikationstheorie für Comedy entwickelt hat, ein andermal mehr.

Flying AIDS

28. Juni 2012 11 Kommentare

Es ist aus mindestens zwei Gründen schön, Steve Coogan abermals als Alan Partridge in „Alan Partridge: Welcome to the Places of My Life“ (Sky Atlantic) zu sehen. Zum einen, weil sich Sky durch immer mehr Comedy profiliert und so die Missgeschicke der BBC wenigstens ein wenig aufwiegt. Zum anderen, weil man über die letzten zehn Jahre befürchten musste, Steve Coogan sei seine Paraderolle als gleichermaßen narzisstischer wie unsicherer Fernseh- und Radiomoderator leid — die letzte ganze TV-Serie mit Alan in der Hauptrolle lief immerhin schon 2002 (die zweite Staffel „I’m Alan Partridge“, BBC2). In den Jahren danach sah es so aus, als würde Coogan vor seinem immensen Erfolg in Großbritannien, der hauptsächlich auf Alan Partridge beruhte, geradezu weglaufen. Der Durchbruch in den USA blieb ihm, der schon als Nachfolger Peter Sellers‘ gehandelt wurde, allerdings verwehrt; über ein paar Nebenrollen in großen Filmen (etwa in „Around the World in 80 Days“, 2004, neben Jackie Chan, und den beiden „Night at the Museum“-Filmen 2006 und 2009) und Hauptrollen in kleineren Filmen („Hamlet 2“, 2008) ging seine US-Karriere nicht hinaus.

Doch nun scheinen Coogan und Alan zurück zu sein: seine jüngste Miniserie „Mid Morning Matters With Alan Partridge“ (2010), ursprünglich von einem Hersteller entfernt bierähnlicher Flüssigkeit fürs Internet gedreht und schließlich vom Fernsehsender Sky übernommen, war vielversprechend, allerdings in erkennbar kleinem Rahmen produziert. Das einstündige One-Off „Welcome to the Places of My Life“ aber zeigt: Alan ist zurück. Und wie!

Netto gute vierzig Minuten lang begleiten wir Alan hier durch die Stadt, wo er, der frühere BBC-Fernsehmoderator, nun bei einem InternetDigitalradiosender ganz unten angekommen ist: in Norwich, tief in der ostenglischen Provinz („the Wales of the east“). Klar, die Wege sind viel kürzer dort als in London, und so kann Alan nach seiner Arbeit (also am frühen Nachmittag) schnell mal ins Leisure Center, um ein paar Bahnen zu schwimmen — ein herrliches Leben will Alan uns da vorgaukeln; in Wirklichkeit aber ist alles erbärmlich und mitleiderregend. Wo nicht peinlich, etwa wenn Alan uns die City Hall zeigt mit den zwei „Nazi-Hunden“ davor und davon berichtet, wie Hitler angeblich Norwich schon ausgesucht hatte als Ort für seine erste Ansprache an die Briten nach dem Sieg der Deutschen über England. Wenn Alan uns auf dem Markt erklärt, was diese Pest war, unter der die Stadt zu leiden hatte: eine tödliche Seuche, aber nicht wie HIV durch Küssen übertragbar, sondern durch die Luft: „Flying Aids!“ Oder wenn Alan ausführlich einen Landrover „probefährt“, um ihn möglichst prominent in die Dokumentation einzubauen — schließlich spekuliert er ganz offen, dass Prominenten ja hin und wieder Fahrzeuge geschenkt würden, nachdem sie sie probegefahren haben. Dumm nur, dass der Boss des Autohändlers keine Ahnung hat, wer Alan Partridge überhaupt ist.

Dabei produziert Alan, so die Fiktion, sogar seine Dokumentation selbst, die von Anfang an als „Pear Tree Production“, „written by Alan Partridge“, „starring Alan Partridge“ firmiert. Und in der, ganz der ungeschickten Eitelkeit ihres Protagonisten entsprechend, sich etliche komische Produktionsfehler finden. Etwa wenn ein alter Priester, der den örtlichen Friedhof vorstellt, so langsam spricht, dass Alan ihn erst anfährt, schneller zu sprechen, und dann im Schnitt erkennbar alle Pausen herausschneidet, oder wenn Alan bei einem Interview im Schwimmbecken beim Wassertreten die Luft ausgeht und man schnell bemerkt, dass er seine Fragen offenbar nachgedreht hat, diesmal sicher stehend und souverän, und nicht gurgelnd und plantschend, wie man ihn bei den Antworten seiner Interviewpartnerin im Hintergrund hört.

Wenige Figuren altern so gut wie Alan (Edina und Patsy aus „Ab Fab“ wären ein Beispiel für zwei andere Figuren, denen ihr Älterwerden gut steht), und so ausgelutscht das Genre der Mockumentary insgesamt ist, so brillant funktioniert es immer noch für Coogan und Armando Iannucci, der auch hier wieder mit im Team war. Und kaum eine Figur zeigt so fantastisch wie Alan Partridge, was britische von us-amerikanischer Comedy unterscheidet: nämlich die Charakterzeichnung, aus der hier Komik entsteht; viel mehr als aus einzelnen nacherzählbaren Gags. Das ist es, was englischen Sitcoms ihre Tiefe verleiht: dass man Figuren wie Alan Partridge so gut kennt, dass ihr unangemessenes Verhalten im Umgang mit ihren Mitmenschen einen tatsächlich berührt. Sei es, dass Alan aus dem Auto heraus einen anderen Verkehrsteilnehmer anschreit, von dem sich erst später herausstellt, dass er eine Oma auf dem Fahrrad war, sei es, dass Alan einen Gemüsehändler beleidigt ob seines schlichten Jobs, um dann in eben diesem Job vor der Kamera sofort zu scheitern. Charakter-Comedy und der kalte, ja böse Umgang mit ihren Protagonisten, das ist das britische Rezept für Komik, das süchtig machen kann.

„Welcome to the Places of My Life“ macht vor allem eines: Lust auf den Spielfilm mit Alan, um den es schon seit Ewigkeiten Gerüchte gibt und der jetzt endlich auch offiziell angekündigt worden ist. Für August 2013.

Sitcom auf Bewährung

16. Juni 2012 1 Kommentar

Seit es Double Acts in der Comedy gibt, existiert die komische Rollenverteilung von straight guy und funny guy. Einer möchte die Stimme der Vernunft sein, ist verbindlich, womöglich etwas autoritär, wo nicht humorlos, jedenfalls erkennbar normal — und der andere lässt ihn auflaufen, versteht ihn nicht oder nimmt ihn allzu sehr beim Wort, macht sich über den Ersten lustig und ruiniert mit seinem Wahnsinn die guten Absichten des straight guy.

Auch für Sitcoms funktioniert dieses Rezept, in einer etwas erweiterten Version: Entweder ist die Hauptfigur der einzige Irre in einem Haufen Normaler, oder die Hauptfigur ist der einzige Normale unter Verrückten. Beispiel für die erste Variante wäre, logo, „The Office“ und alle von Steve Coogans „Alan Partridge“-Serien sowie sein „Saxondale“ (BBC2, 2006), aber auch der Uralt-Klassiker „Fawlty Towers“ (BBC2, 1975 – ’79) und „How Not to Live Your Life“ (BBC3, 2007 – ’11) sowie „Curb Your Enthusiasm“ (HBO, seit 2000), wo Larry David den Irren geben darf, an dem sich alle Konflikte entzünden. Überhaupt funktioniert diese Variante natürlich am Besten, wenn der Hauptdarsteller schon per se ein glaubwürdiger Wahnsinniger ist — sei es ein cholerischer Diktator (John Cleese), ein peinlicher Profilneurotiker (Ricky Gervais) oder ein Soziopath (Coogan).

Sitcoms, in denen die Haupfigur normal, die Welt aber verrückt geworden zu sein scheint, gibt es in noch größerer Zahl; vielleicht, weil sie ein bunteres Universum zeigen können. „The Fall And Rise of Reginal Perrin“ (BBC, 1976 – ’79), obwohl schon bald vierzig Jahre alt, spielt bereits mit dem Klischee des Normalen im alltäglichen Irrsinn: Hier flippt der extrem durchschnittliche kleine Angestellte Reginald Perrin (Leonard Rossiter) aus, der seinen sinnlosen Job bei Sunshine Desserts nicht mehr erträgt, und eröffnet (mit der Absicht zu scheitern) einen Laden, in dem es nur Trash gibt, mit dem er aber wider Erwarten erfolgreich wird — weil er sich der verrückten Welt um sich herum angepasst hat.

Auch „The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“ (BBC2, 1981) beruht auf diesem Schema des Normalen (Arthur Dent) in einer durchgeknallten Galaxie (und nirgends war die Galaxie größer und durchgeknallter als bei Douglas Adams); gerade im Moment läuft die zweite Staffel „Episodes“ (Showtime/BBC2, seit 2011), in der zwei „normale“ Engländer sich im „durchgeknallten“ Hollywood bewähren müssen (die zweite Staffel scheint mir besser zu sein als die erste, btw), und bei „Peep Show“ (Channel 4, seit 2003) ist es Mark (David Mitchell), der den Normalen gibt und der sogar seine anfangs erwähnte Komplementärfigur in Jeremy (Robert Webb) hat, der sich in der eher schrägen Welt der Show ultimativ besser zurechtfindet als der Spießer Mark. Nicht zuletzt „The League of Gentlemen“ (BBC2, 1999 – 2002) zehrte von der inzestuösen, provinziell-höllischen kleinen Welt, in der Außenseiter oft nicht lange lebten („You’ll never leave“ stand auf dem Schild am Ortseingang).

Es ist also kein neuer Trick, den Sharon Horgan in ihrer gerade angelaufenen Sitcom „Dead Boss“ (BBC3) einsetzt. Horgan („Pulling“) alias Helen Stephens findet sich hier plötzlich zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt im Frauengefängnis Broadmarsh wieder, obwohl sie den Mord an ihrem Boss (vermutlich) nicht begangen hat. Doch irritierenderweise scheint es eine Verschwörung gegen sie zu geben, denn weder ihr inkompetenter, feiger Anwalt Tony (Geoffrey McGivern) scheint ein großes Interesse daran zu haben, sie aus dem Knast zu bekommen („No win, no some fee“), noch ihre schlampige Schwester Laura (Aisling Bea), die Helens Wohnung und Arbeitsplatz einfach übernimmt, noch ihr undurchschaubarer ehemaliger Arbeitskollege Henry (Edward Hogg). Von der äußerst launenhaften Gefängnisdirektorin Margaret (Jennifer Saunders) ganz zu schweigen.

https://www.youtube.com/watch?v=Aupc3P1DqOE?version=3&hl=de_DE

Das Frauengefängnis (und die Firma, in der Helen gearbeitet hat) übernimmt dabei die verrückte Welt, in der sich „Normalo“ Helen nicht zurechtfindet: ihre Zellenkollegin, die Brandstifterin Christine (Bryony Hannah), ist ebenso lieb und einfältig wie unheimlich, die Bullies um die Frauen-Gangchefin sind unberechenbar in ihren Aggressionen, und die Wärter (u.a. Tom Goodman-Hill, der schon in „Ideal“ den Polizisten spielen durfte) extrem grob — und allenfalls teilalphabetisiert. Ebenso scheint Helens vormaliger Arbeitsplatz ein Hort von Wahnsinnigen zu sein, angefangen bei ihrer ältlichen, hysterischen Exkollegin, die mit ihrem Status als graue Maus nicht zurechtkommt, über die junge, intrigante, etwas zu gut aussehenden Witwe von Helens Ex-Boss bis hin zu Henry, den Helen erst einmal gar nicht aus dem Büro zu kennen scheint und der seinerseits sowohl ein sexuelles Interesse an Helen hat als auch daran, sie möglichst lange inhaftiert zu lassen.

Klischees also, wo man hinschaut, und gar nicht mal neu interpretierte. „Dead Boss“, von Horgan und der Newcomerin Holly Walsh geschrieben, könnte leicht seicht werden und versickern, verließe es sich allzu sehr auf die geschilderten Mechanismen. Doch nach der ersten Doppelfolge ist noch alles offen: Die Mystery-Elemente des ungeklärten Mordes und der Verschwörung könnten für hübsche Wendungen sorgen (hier ahnt man die Regie von Steve Bendelack, der auch bei „League of Gentlemen“ Regisseur war), Horgan, Bryony Hannah und Jennifer Saunders spielen fabelhaft, und es mögen nicht die originellsten Scherze sein, die da gemacht werden, aber es sind genügend und so gut erzählte dabei, dass jedenfalls ich auf meine Kosten gekommen bin.

Richtig angenehm an „Dead Boss“ fand ich aber, dass da zur Abwechslung mal keine Schmonzette rund um eine dysfunktionale Familie in Nordengland versucht wurde, sondern eine reguläre, halbdunkle Sitcom mit richtigen Lachern drin. Dafür jetzt schon mal vielen Dank!

Mehr „Episodes“

25. April 2012 9 Kommentare

Ab Juli wird die zweite Staffel von „Episodes“ (Showtime/BBC2, seit 2011) ausgestrahlt, der erfolgreichen Sitcom rund um zwei britische Drehbuchautoren (Tamsin Greig und Stephen Mangan), die in Hollywood auf ihre Nemesis treffen (Matt LeBlanc als er selbst). Hier ist das jüngst veröffentlichte Poster dazu:

Die gute Nachricht: Hat Trick, die britische Produktionsfirma der Show, hat die zweite Staffel in 150 Länder weltweit verkauft, darunter Frankreich, Spanien, Japan, Griechenland, Israel, Russland, die Türkei, Neuseeland, Norwegen, Portugal und Schweden. Auch von Lateinamerika ist die Rede, von Afrika, den Benelux-Ländern, Mittel- und Osteuropa.

Die schlechte Nachricht: Welches Land fehlt in der Liste? — ‚türlich!