Solidarity forever

Was haben walisische Bergarbeiter und Londoner Homosexuelle gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel. Doch zumindest Mitte der 80er hatten sie: den gemeinsamen Feind Margaret Thatcher und die gemeinsame Verfolgung durch Staat und Obrigkeit, namentlich die Polizei. Eine Gemeinsamkeit, die so stark war, dass die englischen Schwulen und Lesben sich organisierten und begannen, aus Solidarität mit den streikenden Minenarbeitern Geld für diese zu sammeln und Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Was, wie man sich denken kann, vor allem auf Seiten der walisischen Kumpel zunächst einmal auf Argwohn stieß.

Das ist die wahre Geschichte, die „Pride“ (2014) zugrunde liegt, der Ende letzten Jahres wohl kurz auch in deutschen Kinos war, mir aber vollkommen entgangen ist. Bedauerlicherweise, denn „Pride“ ist auf Augenhöhe mit Filmen wie „Brassed Off“ (1996) — komisch und kurzweilig, und er gibt einem zumindest für zwei Stunden den Glauben an die Menschheit zurück, wie es nur englische Filme können.

Denn es könnte ja so schön sein: wenn die Menschen erkennten, wie leicht alles wäre, wenn man Seit‘ an Seit‘ stünde. Und wenn schon mal die, die für die Rechte der einen Minderheit kämpfen, sich mit anderen Minderheiten solidarisierten. Wie kann man für die Rechte von Homosexuellen kämpfen, aber nicht für die von Frauen? Wie kann man gegen Rassismus sein, aber nicht gegen Ausbeutung? Unterdrückte aller Couleur müssten doch gemeinsame Sache machen, wenn sie wirklich etwas erreichen wollten.

Das ist der Gedankengang von Mark Ashton (Ben Schnetzer), dem Londoner Schwulenrechtler, der empört ist darüber, dass Margaret „there is no such thing as a society“ Thatcher die 1984 streikenden Bergbauarbeitern am liebsten am langen Arm verhungern lassen würde — und zwar so ziemlich im Wortsinne, denn Thatcher lässt sogar die Konten der Bergbaugewerkschaft pfänden, so dass die Streikenden nicht einmal auf diesem Wege Geldzuwendungen erhalten können, also tatsächlich vor dem Nichts stehen und schließlich vom Hunger getrieben wieder an die Arbeit gehen müssten — wenn nicht auf anderen Wegen Geld herbeigeschafft werden könnte.

Genau daran machen sich Ashton und sein Freund Mike Jackson (Joe Gilgun, „Misfits“ Rudy): Sie gründen L.G.S.M., Lesbians and Gays Support the Miners, und sammeln Geld für die Waliser. Ein walisischer Abgesandter nach London wird freundlich aufgenommen und lädt die Londoner nach Wales ein, und die Schwulen und Lesben schicken tatsächlich eine Delegation aus ihrem Hauptquartier, dem Buchladen „Gay’s the Word“, in die kleine Gemeinde Onllwyn — unter anderem den recht flamboyanten Jonathan (Dominic West). Die treten dort im örtlichen Social Club auf und treffen dort auf die Einheimischen, bei denen Homophobie die Norm ist.

Zum Glück jedoch vermeidet „Pride“ bei allen dramaturgisch vorhersehbaren Konflikten jedes Klischee: Es gibt keine dumpfen Provinzler-Karikaturen, genausowenig, wie es schrille Tunten und lesbische Amazonen auf dem Kriegspfad gibt. Freilich gibt es eine murrende Mehrheit von Konservativen und eine intrigante Schachtel, die diese Mehrheit zu organisieren weiß, und es gibt Frauenrechtlerinnen, die schon mal den Schnabel aufreißen, wenn man besser schweigt — nämlich beim Bingospielen.

Aber die Atmosphäre in „Pride“ ist doch deutlich geprägt von einer freundlichen Annäherung völlig verschiedener sozialer Schichten — or are they? Natürlich sind sie das nicht; einer der Londoner stammt selbst aus Wales und hat die bedrückende Engstirnigkeit seines Elternhauses dort im Schlechten hinter sich gelassen, um nun gegen seine inneren Widerstände dorthin zurückzukehren.

Glücklicherweise vermeidet Stephen Beresford (Drehbuch) genau die Scherze allesamt, die auf die Bestätigung von Klischees aufgebaut hätten. Und das macht „Pride“ wahnsinnig sympathisch.

JUNGE WALISERIN
(zu zwei Londoner Schwulen)
So, you live together like, you know, husband and wife. But what I want to know is …

SCHWULER
I know what you’re going to say.

WALISERIN
Wich one does the housework?

SCHWULER
Oh, well, that’s … that’s not what I thought you was going to say.

Vor allem die walisischen Frauen, allen voran Hefina Headon (Imelda Staunton), finden Gefallen an den jungen Menschen mit dem ungewöhnlichen Lebensstil. Und sie sind es auch, die sich beim nächsten Gegenbesuch in London mit Begeisterung durch sämtliche Gay Clubs führen lassen. Eine Gelegenheit, bei der der Film dann die ganze Fallhöhe zwischen übermütigen Landeiern und schwuler Großstadt-Szene auskostet, bevor er dann wiederum eine ernste Saite anschlägt.

Matthew Warchus (Regie) ist mit einem erstklassigen Cast (vor allem der phantastische Bill Nighy als schüchtern-verstaubter Waliser spielt mit größtmöglicher Zurückhaltung wieder einmal alle an die Wand) ein Film gelungen, dem hierzulande die Aufmerksamkeit versagt geblieben ist, die ihm eigentlich gebührt. Zumindest bei den Filmfestspielen in Cannes hat „Pride“ den Queer Palm Award gewonnen (von dem ich allerdings noch nie etwas gehört habe), und bei Rotten Tomatoes glänzt er mit verdienten 92 Prozent Zustimmung.

Vielleicht liegt die fehlende Aufmerksamkeit in Deutschland daran, dass es eine sehr britische Geschichte ist: zum einen historisch, natürlich, weil die sozialen Unruhen der 80er auf die Gesamtverfasstheit der politisch denkenden Schicht Englands bleibenden Eindruck hinterlassen haben, den man hier nicht voraussetzen kann. Zum anderen aber vielleicht auch, weil es in Großbritannien einen Sinn für Gleichheit und Solidarität gibt, der uns Deutschen fehlt, die wir Solidarität gleich für Kommunismus und jeden Kommunisten für den Leibhaftigen halten.

„Pride“ aber ist ein großer Film über eben das: Solidarität. Da werden Arbeiterlieder gesungen, die einem das Wasser in die Augen treiben, so schön sind sie, Billy Bragg darf „There’s a Power in a Union“ singen, und gerade die Absurdität, die in einer Unterstützung streikender walisischer Bergarbeiter durch Londoner Schwule und Lesben liegt, und dass diese Allianz trotzdem erfolgreich ist, auch wenn der Erfolg primär in eben der Solidarität und der daraus entstehenden Freundschaft zwischen so wesensverschiedenen Menschen liegt — in Wales spricht man angeblich von Mark Ashton immer noch wie von einer Jeanne d’Arc — gerade die Absurdität dieser Freundschaft, dieser Solidarität macht „Pride“ zu einem Film, aus dem der Humanismus nur so herausleuchtet, warm und hell und strahlend. Am Ende marschieren die walisischen Bergarbeiter bei der Gay Pride-Parade in London mit Transparenten vorneweg.

Was aber die Arbeiterlieder angeht: Nicht zuletzt der prima Soundtrack, in dem selbstverständlich auch die ikonographischen schwulen Songs der 80er von Queen über Bronski Beat bis Franky Goes to Hollywood nicht fehlen dürfen, und die sagenhaften Aufnahmen des verschneiten Wales, das hin und wieder fast nach Island oder einem anderen von Elfen und Kobolden bewohnten skandinavischen Land aussieht, machen aus diesem Sozialfilm, den man problemlos auch als „kleinen“ Film hätte inszenieren können, einen richtig großen.

Scherze nach dem Ende der Welt

20. März 2015 3 Kommentare

Diese Sitcom dürfte eigentlich nicht funktionieren. Ein Mann, „The Last Man on Earth“ (Fox), alleine auf der weiten Welt? Wie kann das komisch sein — abgesehen davon, dass da vorher ja erst einmal die Welt untergegangen und also eine Katastrophe von unermesslicher Größe passiert sein muss?

Die Überraschung ist: Es kann. Es ist. Ziemlich lustig sogar.

Kleiner Spoiler: Phil Miller (Will Forte, auch Creator der Show) ist nur eine Folge lang wirklich allein, und auch die nur bis kurz vor ihrem Ende. Diese erste Folge aber ist so verblüffend komisch, dass er von mir aus auch noch zwei Episoden lang damit hätte zubringen können, Sachen kaputtzumachen, zu trinken, Kunstschätze aus aller Welt zusammenzutragen und sich ordentlich zugrunde zu richten.

Eine pubertäre Wendung des postapokalyptischen Schreckensszenarios ist das also erst einmal: Endlich allein zuhause auf der Welt — woohoo! Party like it’s 1999! Nie mehr Salat essen, mit dem Auto durch Schaufenster semmeln, den ganzen Tag besoffen! So muss das Paradies sein. Wenn man zwölf ist (innerlich).

Allerdings wird es Adam im Paradies bzw. Phil in seinem postapokalyptischen Bällebad doch recht schnell langweilig, denn er merkt: Tom Hanks war in „Cast Away“ vielleicht doch nicht der Trottel, für den ihn Phil zunächst gehalten hat. Man(n) braucht etwas mehr, um glücklich zu sein — eine Frau.

Phil hat Glück: Diese letzte Frau auf der Welt, Carol (Kristen Schaal), gibt es — sie ist seinen Schildern gefolgt, mit denen er auf sich aufmerksam machen wollte. Leider stellt sich schnell heraus, dass Carol nicht so hübsch ist, wie Phil seine Eva fantasiert hätte, und außerdem anstrengend konservativ bis spießig. Sex erst nach der Hochzeit, wenn überhaupt. Bzw.: Sagt dir die Formulierung „nicht einmal, wenn du der letzte Mensch auf der Welt wärst“ etwas?

Aber auch dieses schon etwas gewohntere Terrain für eine Sitcom, sozusagen die kompakteste, reduzierteste Form für Männer-sind-so-und-Frauen-sind-so-Witze, halten Forte und seine Produzenten Phil Lord und Christopher Miller („Cloudy With a Chance of Meatballs, „21 Jump Street“) nur zwei Folgen lang durch.

Dann tritt eine weitere Frau auf den Plan: Melissa („Mad Mans“ January Jones), und Phil bereut es sehr schnell, auf Carols alberne Hochzeitspläne eingegangen zu sein …

So verblüffend wie die erste Folge, in der Fox unerklärlicherweise Dinge wie betrunken Autofahren und versuchten Selbstmord durchgehen lässt, sind die anschließenden Episoden zwar nicht mehr. Dazu ist die Dreiecksbeziehung zwischen Phil, Carol und Melissa doch zu konventionell. Aber es ist immer noch außergewöhnlich komisch, was Will Forte („Saturday Night Live“, „30 Rock“) aus der Prämisse herausholt, eine Sitcoms nach dem Ende der Zivilisation anzulegen (eine Idee, die das britische „Cockroaches“, ITV2, leider längst nicht so gut umgesetzt hat).

Denn dass kein gesellschaftliches Korrektiv mehr da ist (die Menschheit soll von einem Virus ausgelöscht worden sein, aber es gibt keine sichtbaren Toten, alle Menschen scheinen — ohne dass die Show das je erklären würde — schlicht von der Erdoberfläche verschwunden), dass also keine Kontrollinstanz mehr existiert, wirkt wie ein Vergrößerungsglas auf die kleinen und großen Schrullen der letzten Menschen: Phil lässt sich vollkommen gehen, nutzt einen Swimmingpool als Toilette und richtet sich ein Margherita-Planschbecken ein, und Carols Liebe zu Ordnung und Regeln gibt ihr Halt in einer ansonsten haltlosen Umgebung.

Das aber führt zu lustig überdramatisierten Konflikten, die dementsprechend komisch sind. Und hoffentlich auch bleiben. Da wird es nun sehr drauf ankommen, ob die Serie eine sich weiterentwickelnde Geschichte erzählen will (was zumindest die Entwicklung der ersten Folgen andeutet), oder ob sie nun, da das komplizierte Dreieck angelegt ist, frozen in time weitergeht und die Konflikte der drei stets aufs Neue variiert. Das könnte dann ein bisschen wie die „Flintstones“ in einer Zukunfts-Steinzeit werden.

Gegen einen sich weiterentwickelnden Plot der Serie spräche, dass dafür vermutlich noch weitere Figuren nötig wären, die ihrerseits aber die Prämisse („last man on earth“) noch weiter verwässern würden, als es jetzt schon der Fall ist (immerhin sind es jetzt schon drei letzte Menschen auf der Erde).

Das Dilemma, das sich da abzeichnet, lässt mich leise befürchten, dass „The Last Man on Earth“ noch im Laufe der zehn Folgen dieser ersten Staffel (vier sind bereits gelaufen) schal werden könnte.

Andererseits hat diese Show in den ersten Folgen so viele gute Einfälle gehabt, dass ich hoffe, sie haben auch einen, wie das alles weitergehen soll.

Parks and Recs and Kimmy Schmidt

16. März 2015 6 Kommentare

Groß war meine Trauer nach dem Ende von „Parks and Recreations“ (NBC, 2009 – 15): Gerade die siebte Staffel, mit 13 Folgen knapp halb so lang wie die Mehrheit der Staffeln (nur die erste hatte lediglich sechs Folgen und die dritte 16, alle anderen bestanden aus 22 bzw. 24 Folgen), gerade diese Staffel also, die NBC statt am Donnerstag nun Dienstags ausgestrahlt hat, und zwar zum größeren Teil in Doppelfolgen, war noch einmal ein Beleg dafür, welch enormes Potential Amy Poehler und das Ensemble hatten (insbesondere Nick Offerman und Aubrey Plaza), und mit welch brillant komischen Einfällen Greg Daniels und Michael Schur aufwarten konnten.

Allein die Idee, die letzte Staffel zwei Jahre (bzw. drei in der erzählten Zeit) in die Zukunft zu verlegen, so dass sie 2017 spielt, war Gold wert: all die lustigen technischen Gimmicks (allen voran die Smartphones mit Holoscreens), von Gryzzl, einer Firma, die sich zwar wie der Orwellsche big brother verhält, inklusive Datensammeln und Totalüberwachung, aber eben wie ein extrem cooler, hipstermäßiger großer Bruder, dem keiner böse sein kann (Firmenmotto: „Wouldn’t it be tight if everyone was chill to each other?“)!

Auch die persönlichen Veränderungen — Ben (Adam Scott) und Leslie sind nun Dreifacheltern, allerdings sieht man die Drillinge kaum, stattdessen aber die Schneisen der Zerstörung, die sie in der elterlichen Wohnung hinterlassen, Ron führt eine Baufirma namens „Very Good“, Andy (Chris Pratt) hat seine eigene Fernsehshow — erlauben es den Figuren, noch einmal über sich hinauszuwachsen und ihre komischen Seiten noch stärker vergrößert auszuspielen.

Figuren und Stories so stark zu überzeichnen, dass ihr Wahnsinn noch heller strahlt, ohne dabei zu Karikaturen zu werden: das hätte sicher nicht länger als diese eine Staffel lang funktioniert (womöglich nicht einmal über 24 Folgen). So aber, eine halbe Staffel lang, war es der beste Abschluss, den sich „Parks and Recs“ wünschen konnte.

Es wird für Amy Poehler sicher nicht einfach, über Leslie Knope hinwegzukommen. Leslie war ein so guter Charakter — komisch, charmant, durch und durch positiv, was für eine Comedy-Figur eine echte Ausnahme ist: man konnte sich mit Leslie einwandfrei identifizieren — dass die Versuchung groß sein wird, wieder in eine ähnliche Rolle zu schlüpfen, oder eben in eine komplett andere. Beides wäre schade, wie es überhaupt schade ist, dass Leslie Knope nun nie mehr neuen Herausforderungen mehr mit telefonbuchdicken Aktenordnern mit Strategiepapieren begegnen soll.

Ich werde Leslie Knope vermissen, ich werde Ron Swanson, die humane Erscheinungsform der grumpy cat, vermissen, und ich werde die weirdness von April Ludgate vermissen.

Zum Glück allerdings ist genau in dem Moment, wo der Comedygott die Tür hinter „Parks and Recs“ zugemacht hat, auch ein Fenster aufgegangen: das zu „Unbreakable Kimmy Schmidt“.

Tina Feys 13teilige Netflix-Serie hat sich als das perfekte Betäubungsmittel für die Trauer um „P&R“ erwiesen: und die Figur der Kimmy Schmidt (Ellie Kemper aus dem US-„The Office“) mich zunächst auch verblüffend an Leslie Knope erinnert.

Denn auch Kimmy ist eine durch und durch optimistische, aufgekratzt-fröhliche, zur Identifikation einladende weibliche Hauptfigur, für die das Glas immer halb voll und auch noch das schönste Glas auf der ganzen Welt ist. Sie ist ähnlich unerschütterlich, will jedem Menschen Freund sein und sieht die Welt durch die Augen einer Fünfzehnjährigen.

Denn Kimmy ist eine von vier Frauen, die ihr halbes Leben von einem irren Sektenführer (als Gast: „Mad Mans“ Jon Hamm) in einem unterirdischen Bunker in Indiana gefangengehalten worden sind im Glauben, die Welt sei bei einer atomaren Apokalypse vernichtet worden. Erst als Kimmy schon fast 30 ist, werden die „Mole Women“ (wie die Presse sie geringschätzig bezeichnet) befreit — und Kimmy, der sofort klar wird, dass sie sich von diesem Stigma befreien muss, zieht umgehend nach New York und fängt ein neues Leben an. Von nun an ist alles für sie neu — nicht nur, weil sie 15 Jahre von der Welt abgeschnitten war, sondern auch, weil sie die ersten 15 Jahre ihres Lebens in der tiefsten Provinz verbracht hat.

„Unbreakable Kimmy Schmidt“ trägt unverkennbar die Handschrift von Tina Fey (und Robert Carlock, auch bei „30 Rock“ schon als Showrunner mit dabei): unglaublich schnell erzählt, vollgepackt mit absurdistischen Gags, getragen von einem Netz von guten Figuren und deren Beziehungen untereinander. Kimmy lernt die Welt nämlich zunächst durch die Augen ihres Mitbewohners Titus Andromedon kennen (Tituss Burgess), eines arbeitslosen, schwarzen, homosexuellen Musicaldarstellers — das Paradebeispiel einer Figur, die larger than life ist. Und da ist Jacqueline Voorhees (Jane Krakowski, „30 Rock“), die rich bitch, alleinerziehende Manhattanbewohnerin, bei der Kimmy als Nanny arbeitet.

Schon nach wenigen Folgen aber ergibt sich ein ganzes Geflecht von Figuren, die „Kimmy Schmidt“ zu einem Ensemble erweitern, das dem von „30 Rock“ und „Parks and Recs“ in nichts nachsteht: die verzogenen Plagen von Mrs. Voorhees, ein reicher Schnösel sowie Dong, ein koreanischer GED-Kollege Kimmys, die um ihre Liebe konkurrieren.

Und es gibt etliche Gastauftritte, von Kiernan Shipka („Mad Men“) als Kimmys schlecht gelaunte Halbschwester über „Breaking Bads“ Dean Norris als Titus‘ straight coach bis hin zu Fey selbst als Parodie einer unbegabten Rechtsanwältin.

Aber Ellie Kemper als Kimmy Schmidt ist sicher die beste Besetzung, die man sich vorstellen kann: ihre Präsenz, ihr perfektes Timing, und welch komischen Effekte sie allein mit ihrem Gesicht erzielen kann, mit einem Schmollmund, einem Augenaufreißen, einem ratlosen Augenrollen, ist sensationell. Kemper ist eine große Entdeckung, und sollte „Kimmy Schmidt“ zu dem Erfolg werden, den es verdient, wird sie in acht oder neun Jahren vor dem selben Problem stehen wie Amy Poehler: sie wird mit Kimmy Schmidt verschmolzen sein zu einer der ganz großen weiblichen Comedyfiguren.

„Unbreakable Kimmy Schmidt“ ist, was viele andere Sitcoms nicht sind: hysterically funny. Für einen guten Gag schlägt das Drehbuch da nicht einen Haken, sondern drei, und nach dem dritten läuft es dann einfach mal eine Weile in eine vollkommen unerwartete Richtung und kommt nicht mehr zurück — sondern kippt, nur zum Beispiel, in einen schwarzweißen Musical-Film aus den 30ern über schwule Seemänner.

Das einzig Ärgerliche an „Kimmy Schmidt“ ist, dass es nur 13 Folgen sind, die man auch noch alle auf einmal gucken kann, und nicht, sagen wir, 130, von denen nur eine am Tag kommt. Dann hätte man nämlich viel länger etwas davon. So muss man darauf warten, dass Netflix die zweite Staffel online stellt. Was hoffentlich bald passieren wird, denn „Unbreakable Kimmy Schmidt“ gehört zu den besten, komischsten, genialsten Sitcoms der letzten Jahre.

In eigener Sache

Heute hat das neue Bühnenprogramm „So liegen Sie richtig falsch“ von Bernhard Hoëcker Premiere, in dem es um Wahrnehmungsfehler und -täuschungen geht. Es ist bestimmt sehr lustig, wie bis jetzt alles, was ich von Bernhard Hoëcker gesehen habe, aber ich muss das natürlich sagen, ich habe nämlich schon als Autor für ihn gearbeitet — und nicht zuletzt jetzt für das neue Programm.

Ich hoffe sehr, dass er auch diesmal wieder genügend Zeit für seine Improvisations-Nummern mit dem Publikum gelassen hat, die live eine noch ganz andere Wirkung entfalten als im TV/auf DVD, weil dort ja immer alles vorbereitet sein könnte, und nur live weiß man als Zuschauer: das ist wirklich alles aus der Lamäng, wie er da ganze Blöcke mit Scherzen einbaut, die sich auf Dinge beziehen, die erst wenige Minuten vorher im Zusammenspiel mit dem Auditorium entstanden sind.

Darum meine warme Empfehlung: „So liegen Sie richtig falsch“ von Bernhard Hoëcker — demnächst bestimmt auch irgendwo in Ihrer Nähe! (Tourdaten auf Bernhards Seite werden regelmäßig ergänzt.)

Bildgewalttätige Show

13. März 2015 3 Kommentare

Es sind die Farben und die Perspektiven der Bilder, die im Kopf bleiben. Kräftige Grundfarben, gelb, grün, blau, rot, mit starken Kontrasten, und immer wieder Zentralperspektiven: waagerechte Horizonte, tief ins Bild gerückt, Fluchten von Korridoren in Industriegebäuden, klare Linien, wie von einem Bauhaus-Aficionado in Szene gesetzt.

Ein überbordender Wille zur Ästhetik bestimmt also „Utopia“ (Channel 4, 2013 – 14), comichaft vergrößert ist hier alles: übersättigt gelb die Kornfelder, neongrün die Wiesen, chemisch blau der Himmel, nichts ist natürlich an der Natur. Die Charaktere sind mit Messern geschnitzt, die japanischen Schwertschmieden schlaflose Nächte bereiten könnten: das phallische Riot-Grrrl mit der großen Knarre, der gefühlstumpfe Killer-Creep, skrupellose Pharmaverbrecher, Elfjährige, die sich online als Banker mit Porsche und Supermodelfreundin ausgeben. Auch die Geschichte um das Manuskript eines Comics (was sonst), in dem sich Hinweise auf die wahren Wurzeln von Verschwörungstheorien finden lassen: die eines Comics, Verzeihung: einer graphic novel — freigegeben ab 18.

Denn dann ist da die Gewalt. Keine stumpfe Ballereien, höchstens mal zwischendurch, sondern Brutalität für Connaisseure, Folter, vorgetäuschte Suizide, Ausdemwegräumen im ganz großen Stil. Die Übermacht einer Geheimorganisation, die sich Mitwisser ohne Zögern entledigt, Beweise für ihre Machenschaften vernichtet, erfordert auf der anderen Seite ebensogroße Rücksichtslosigkeit, wenn man trotz elektronischer Totalüberwachung von Handys und Internet bis zur allgegenwärtigen Videoüberwachung am Leben bleiben möchte.

„Where is Jessicy Hyde?“ steht in „Catastrophe“ (Channel 4, 2015) einmal auf einem T-Shirt von Sharon (Horgan), und dass das komisch ist (und wie komisch), erschließt sich erst, wenn man weiß, wie oft der kurzatmige, dickliche Killer mit der Deppenfrisur diese Frage in „Utopia“ stellt und welch drastische Maßnahmen er ergreift, wenn jemand die Antwort auf diese Frage nicht weiß.

Jessica Hyde (Fiona O’Shaughnessy) nämlich ist die kleine Schwester von Tank Girl, die sich gegen die Geheimorganisation The Network zu wehren weiß und dabei denen hilft, die in den heimlichen Krieg gegen alle Mitwisser nur hineingestolpert sind, weil sie sich für das Comic-Manuskript des zweiten Teils von „The Utopia Experiments“ interessieren, in dem Namen genannt und geheime Operationen aufgedeckt werden: Studentin Becky (Alexandra Roach), ITler Ian („Misfits“ Nathan Stewart-Jarrett), Verschwörungstheoretiker Wilson Wilson („Four Lions“-woman with a beard Adeel Akhtar) und Grant (Oliver Woollford), Schüler.

Sie sind fortan auf der Flucht, in erster Linie vor dem widerlichen Arby (Neil Maskell, der als Kioskbesitzer in „The Mimic“ zwar ein bisschen unheimlich, aber nicht ansatzweise so dämonisch war wie hier), und es ist eine Frage der Zeit, ob sie zuerst die Identität des geheimnisvollen „Mr. Rabbit“ lüften oder vom langen Arm der Geheimorganisation gefasst werden, die, so viel sei verraten, ebenso hinter BSE steckt wie hinter der Vogelgrippe. Und die, das wird in einem zweiten Handlungsstrang erzählt, Einfluss bis ganz oben im Gesundheitsministerium hat.

Dabei geht es um die sogenannte Bevölkerungsexplosion, Lebensmittelknappheit, den Kampf mit biologischen Waffen und die Pharmaindustrie, die aus alldem ihren Profit zieht, oder eben vielleicht doch nicht, wer weiß das schon. Es geht um den (typisch britischen) Kampf des „kleinen Mannes“ gegen „die da oben“, apokalyptische Angstphantasien von Totalüberwachung, staatlicher bzw. industrieller Allmacht, eine Art Orwell 2.0 also, um korrupte Politiker und, nun ja, eine Ästhetik des Widerstands, schließlich ist der Kampf gegen die faschistische Macht einer mit künstlerischen Mitteln, nämlich in Form eines Comics.

Es ist aber nicht die comic-typisch eher oberflächliche Geschichte, die die sechs einstündigen (brutto) Folgen der ersten Staffel ausmacht — es ist eben die Oberfläche. Dennis Kelly (der gemeinsam mit Sharon Horgan auch „Pulling“ geschrieben hat) hat „Utopia“ als Fest für Augenmenschen inszeniert. Die Ästhetik dieser Serie schließt an andere Channel-4-Serien wie „Skins“ (genau genommen E4, 2007 – 13), „Misfits“ (2009 – 13) und  „Black Mirror“ (seit 2011) an, die auch einen ähnlichen Ton haben: alle sind in erster Linie dunkle Dramen, haben aber komische Untertöne, und zusammen prägen sie eine recht distinktive Bildsprache des Senders.

Es ist mehr die Schönheit der Sprache, die „Utopia“ faszinierend macht, nicht das, was in dieser Sprache gesagt werden soll. Hier ist es dann wieder umgekehrt wie im Bauhaus: function follows form, aber was macht das schon, wenn die Form so ansprechend ist. Die Bilder, und nicht zu vergessen auch die Musik, denn die ist ebenfalls ziemlich gut, entwickeln eine fast schon hypnotische Macht, da will man nicht mit kleinkarierten Einwänden kommen, dass die „Aussage“ der Serie, die „Botschaft“ natürlich Käse ist. Aber wer braucht schon eine Botschaft — höchstens Staaten brauchen Botschaften.

Mächtige Bilder, viel Gewalt: passt also, dass „Utopia“ nun von David Fincher für HBO neu aufgelegt werden soll — von Gillian Flynn, die zuletzt das Buch für den ebenfalls ziemlich guten Thriller „Gone Girl“ geschrieben hat.

’s all really good, man!

11. März 2015 1 Kommentar

Mehr als die Hälfte der ersten Staffel „Better Call Saul“ (AMC) ist nun schon durch, und hätte es noch einer Episode bedurft um zu belegen, wie großartig diese Serie ist, wäre es die letzte, sechste Folge gewesen.

Denn in „Five-O“ (dem amerikanischen Slangbegriff für Polizei, der angeblich auf „Hawaii Five-O“ zurückgeht) stand zum ersten Mal nicht Saul Goodman (Bob Odenkirk) im Mittelpunkt, sondern Mike Ehrmantraut (Jonathan Banks), und auch die Tonalität der Show, bis dahin mal mehr, mal weniger komisch, war zum ersten Mal deutlich dramatisch-düster, ging es doch nicht um die lustigen Abenteuer des noch jungen Rechtsanwalts James „Jimmy“ McGill, sondern um die rabenschwarze Backstory des ehemaligen Polizisten Mike.

Damit aber, dass sie es geschafft haben, diese plötzliche Ernsthaftigkeit, diese Dunkelheit, in eine ansonsten eher bunte Show zu integrieren, haben Vince Gilligan und Peter Gould das Fundament für ein viel größeres Haus gelegt, als ich zunächst vermutet hätte, und für eine Show, an die vermutlich schon bald niemand mehr als das Spinoff einer anderen denken wird.

Denn nun, nach einigen Folgen, die sehr gemächlich die Entwicklung des unbedarften Con-Artists McGill hin zum windigen Anwalt von Großkriminellen angedeutet haben, so gemächlich, dass man nach den ersten beiden Folgen noch gar keine Ahnung hatte, wo die Fahrt hingehen soll, nun, nach der Hälfte der ersten Staffel, zeichnet sich langsam ab, dass es genau diese Langsamkeit, mit der die Serie (wie auch schon „Breaking Bad“) Fahrt aufnimmt, ihr eben ein viel größeres Momentum verschafft, als es schnell erzählte, in sich geschlossene Episoden je könnten. Mit diesem Momentum, mit der erzählerischen Wucht, die „BCS“ erreicht, gewinnt die Serie erst einen völlig eigenen Charakter und damit Größe.

Natürlich gleicht „BCS“ dabei „Breaking Bad“ durchaus, wenn man sie doch noch einmal vergleichen möchte: darin nämlich, dass die Show sich ebenso viel (wo nicht mehr) Zeit nimmt, uns ihre Hauptfiguren vorzustellen. Und das aus dem gleichen Grund, wie „BB“ es getan hat: weil die Veränderung der Figuren gezeigt werden soll, weil die Charaktere sich stark entwickeln (Mike allerdings weniger als Jimmy). Sehr literarisch, fast wie in einem Roman breitet „BCS“ den Plot der Serie sehr langsam aus und gibt wichtige Informationen erst ganz allmählich preis, wo old school-Fernsehserien möglichst schnell erklärt hätten, warum welche Figur wo steht, wenn die Handlung beginnt.

Anders als bei „BB“ aber: Eine eigentliche Handlung, eine die Staffel überspannende Erzählung, gibt es (zumindest bislang) nicht (außer ich hätte etwas verpasst), genauso wenig wie die einzelnen Episoden klassische in sich abgeschlossene Handlungen hätten; oft ist es eher ein motivisches Erzählen à la „Mad Men“, Anekdoten, die Charakterzüge illustrieren oder Beziehungen zwischen den Charakteren.

Insofern entzieht sich „BCS“, und auch das macht einen Teil des Reizes dieser Serie aus, auch immer noch einer Beurteilung: Es könnte nämlich in jeder nächsten Folge wieder etwas ganz unerwartet anderes passieren, als man denkt, das womöglich alles in Frage stellt, was man bislang gesehen hat. Genau dadurch wird die Serie auch spannend, obwohl sie auf klassisch spannungserzeugende Cliffhanger und ähnliche Mätzchen völlig verzichtet.

Mein Tipp wäre, dass erst zum Ende der Staffel, vielleicht erst in den letzten beiden Folgen, klar wird, in welche übergeordnete Geschichte Jimmy und Mike verwickelt werden, die dann aber die nächste Staffel bestimmt. Ziemlich sicher wird es genau dann auch klassisch spannend, und ich wette auf einen Cliffhanger am Ende der letzten Folge dieser Staffel, der für Diskussionen und Spekulationen sorgen wird, bis die nächste Staffel beginnt.

Bis dahin ist es aber auf jeden Fall schon mal die beste Serie, die man sich von Gilligan und Gould nach „Breaking Bad“ hätte wünschen können.