Rätselhafte Isländer

29. August 2014 1 Kommentar

Im April d.J. hatte ich einem Fan Jón Gnarrs versprochen, mich mit dessen Sitcom »Næturvaktin« eingehender zu beschäftigen — und, freuen Sie sich: Endlich bin ich dazu gekommen. Festzustellen ist: Der isländische Komiker (und zwischenzeitliche Bürgermeister von Reykjavík) Gnarr muss etwas sehr richtig gemacht haben mit seiner Figur des Georg Bjarnfreðarson. Sonst hätte er wohl kaum drei eigene Sitcoms im isländischen Fernsehen bekommen (»Nachtschicht«, »Tagschicht«, »Gefängnisschicht«, 2007 – 09) und einen Spielfilm noch dazu (»Herr Bjarnfreðarson«, 2009). Von einem vor Jahren geplanten US-Remake der Serie allerdings hat man schon lange nichts mehr gehört. Das ist schade.

Denn einerseits ist es knifflig, »Nachtschicht« auf DVD zu sehen. Zu viel komisches Timing, zu viele Feinheiten im Wortwitz gehen verloren, wenn man Comedy auf Isländisch mit englischen Untertiteln sehen muss. Wenn es sie denn gegeben haben sollte. Das halte ich nicht für ausgeschlossen, aber mein Wissen über isländische Kultur und Sprache bewegt sich auch in engen Grenzen. Andererseits aber fehlt mir, universal gesprochen, bei »Nachtschicht« zu deutlich ein Alleinstellungsmerkmal. Die Grundsituation ist sehr geläufig: ein unfähiger, selbstverliebter Chef, hier der (Nacht-)Schichtleiter einer Tankstelle, der seine Umwelt schikaniert, allen voran seine Angestellten und seinen zehnjährigen Sohn. Das habe ich in Variationen schon sehr, sehr oft gesehen, und die vorliegende Variation ist zwar eine isländische, aber eben nicht mehr. Und ihre konkrete Umsetzung fügt ebenfalls nichts hinzu: das ewig gleiche Setting an der Tankstelle, ohne jeden Schauplatzwechsel, noch dazu bei Nacht, viele Dialoge und wenig visuelle Reize – das macht es sehr schwierig, sich als deutscher Fernsehgucker für die Serie zu erwärmen.

Ich vermute aber stark, dass für Isländer schon die englische Humorfarbe genügt hat, »Nachtschicht« zwischen anderen isländischen Fernsehproduktionen angenehm hervorstechen zu lassen; so, wie das hierzulande »Stromberg« geschafft hat. Gleiches dürfte womöglich für den »Bjarnfreðarson«-Film gelten: Er hatte eventuell einfach wenig Konkurrenz und konnte deshalb auf der kalten, dunklen, unwirtlichen Insel als komisches Erweckungserlebnis wahrgenommen werden.

Um so lieber würde ich tatsächlich ein US-Remake sehen. In den Händen von erfahrenen Produzenten und Autoren würde sich zeigen, ob Gnarrs Geschichten um den despotischen Tankstellenchef tatsächlich tragen. Wenn man zu den Momenten von Charakter-Comedy ordentlich Gags zuschießt, das Profil einiger Nebenfiguren schärft und mit größerem Budget auch ein paar optische Reize bietet: womöglich.

Dass von diesem Remake aber weit und breit nichts zu sehen ist, legt den Verdacht nahe: Gnarrs komisches Werk ist vielleicht für isländische Verhältnisse neu, unerwartet, wer weiß sogar revolutionär – für den Rest der Welt aber nicht ganz so sehr.

zuerst erschienen in der Humorkritik in Titanic 9/2014.

Geschwisterhiebe

19. August 2014 Keine Kommentare

Dass man „Siblings“ (BBC3) mit „It’s Always Sunny in Philadelphia“ (FX, seit 2005) vergleichen könnte, darauf hat mich erst der Guardian gebracht. Aber es stimmt schon: nicht nur der Easy-Listening-Soundtrack (den ich bei „It’s Always Sunny“ äußerst schätze), auch die cringe comedy ist sehr ähnlich — m.a.W.: beide Serien leben genau von dem Kontrast zwischen behaupteter Harmlosigkeit und tatsächlicher Gemeinheit der Geschichten.

Was die Serien außerdem gemein haben: eine eher simple Prämisse. Bei „It’s Always Sunny“ ist es die Absicht der fünf underachiever (darunter ebenfalls Bruder und Schwester), eine gemeinsame Bar zu führen; bei „Siblings“ gibt es nicht einmal diese Bar, da wohnen Hannah (Charlotte Richie) und ihr Bruder Dan (Tom Stourton) einfach zusammen und machen ihren Mitmenschen das Leben in zwei parallel geführten Erzählsträngen schwer, die natürlich in jeder Folge miteinander verbandelt werden.

In der ersten Episode (von zweien, „Siblings“ läuft immer nach „Cuckoo“) ist das einmal der Versuch der äußerst faulen Hannah, ihre neue Chefin im Büro um den Finger zu wickeln, und einmal die Suche von Dan nach neuen mates. Diesen neuen Freund scheint er in dem Sohn von Hannahs neuer Chefin zu finden. Problem: der ist querschnittsgelähmt, also muss auch Dan einen Rollstuhlfahrer spielen. Wer jetzt so eine Ahnung hat, worauf das hinausläuft (wird es wohl herauskommen, dass Dan nicht körperbehindert ist?): jepp, genau so.

Ab hier aber hat Writer/Creator Keith Akushie (Coautor einer Folge „Fresh Meat“, aus der man auch Richie alias Oregon kennt) ein Problem: denn zumindets der Rollstuhl-Plot ist wahnsinnig unoriginell. (Hannahs Plot allerdings, der sie auf eine Tagung mit ihrer Chefin führt, die mit einem flotten Dreier mit einem Barkeeper endet, ist schon origineller.) Flache Prämisse plus unoriginelle Story aber werden zu einer schwachen Sitcom, da können auch die durchaus komischen Oneliner („I’m sorry about the food. But in my defence, I didn’t think I’d get caught“) und die trockenen Dialoge nur noch wenig rausreißen. Da hatte „It’s Always Sunny in Philadelphia“ die wesentlich besseren Geschichten.

Die können aber durchaus noch kommen. Akushie wäre gut beraten, lieber etwas realistischer zu bleiben (ich meine mich erinnern zu können, dass es genau der knochentrockene, fast dokumentarische Realismus war, der „It’s Always Sunny“ so schmerzhaft lustig gemacht hat) und seine beiden Protagonisten eher ernst spielen zu lassen als ihnen allzu viele Zwinker-zwinker-Momente zu geben. (Gleiches gilt auch für die Nebenrollen: James Lance als Tierarzt Rich überspielt seine Rolle auch schmerzhaft, aber nicht schmerzhaft lustig.)

Und nicht zuletzt beim Soundtrack könnte „Siblings“ noch zulegen: „It’s Always Sunny“ hat sich da vorwiegend bei zwei Deutschen bedient, Heinz Kiessling und Werner Tautz, die in den Sechzigern und Siebzigern fantastische Bilbliotheksmusik gemacht haben, u.a. für Kiesslings Label Quadriga. Großbritannien aber ist dahingehend sehr viel besser aufgestellt, wenn ich allein an die riesige Musikbibliothek von KPM denke. Da gibt es ungehobene Schätze, die so teuer auch für die BBC nicht sein können. Sicher hat sogar die BBC selbst noch Unmengen Easy Listening-Schätze in ihren Bibliotheksbeständen, die es wert wären, gehoben zu werden.

Kuckuck wird zum Phoenix

18. August 2014 Keine Kommentare

Damit hätte ich nicht gerechnet: die zweite Staffel „Cuckoo“ (BBC3) lässt sich besser an als gedacht — trotz des Weggangs von Andy Samberg und Tamla Kari.

„Cuckoo“ war eine der besten neuen Britcoms 2012: die Geschichte der amour fou zwischen einem braven britischen Mädchen, das noch zuhause bei seinen Eltern lebt, und einem hippiesk bekloppten, aber einnehmenden Amerikaner auf Selbsterfahrungstrip lebte von dem Wirbelwind, der in Gestalt von Andy Samberg durch das beschaulich bürgerliche Leben einer englischen Durchschnittsfamilie fegte. Wie Cuckoo sich am Familienoberhaupt Ken (Greg Davies) rieb und sie sich während eines gemeinsamen Drogenabenteuers schließlich doch nahe kamen, wie er Mutter Lorna (Helen Baxendale) um den Finger wickelte und Rachels Bruder Dylan (Tyger Drew-Honey, „Outnumbered“) freundlich ignorierte, das machte die Serie äußerst sehenswert. Ohne Samberg aber, so prophezeite ich damals, würde die Serie wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen.

Dementsprechend groß war die Enttäuschung der „Cuckoo“-Fans, als Andy Sambergs Abschied von der Serie bekannt wurde, nachdem er seine eigene US-Sitcom „Brooklyn Nine-Nine“ (Fox, seit 2013) bekommen hatte. Im Grunde hätten Robin French und Kieron Quirke ihre Serie ohne die titelgebende Hauptfigur gleich einstampfen können — „Cuckoo“ ohne Cuckoo, das wäre wie „Frasier“ ohne Frasier gewesen.


Dann kam die Meldung, dass es nicht nur eine zweite Staffel geben würde, sondern dass Samberg ersetzt würde durch Taylor Lautner, den erwachsene Menschen eigentlich nur vom Wegschauen kennen können: nämlich als Vampir Werwolf aus den „Twilight“-Filmen, und aus der Enttäuschung wurde Irritiation. Wie sollte das denn gehen — ein Schönling statt eines Vollblutcomedians?

Nun, es geht. Zumindest halbwegs. Die erste Folge der zweiten Staffel war noch car crash tv: Ich musste zumindest sehen, wie schlimm der Unfall sein würde, auf den diese Serie hinsteuerte. Und ein Unfall war es dann, wenn auch kein so schlimmer, wie ich befürchtet hatte. Zwar will ich bis jetzt nicht so recht glauben, dass Dale (Lautner) Cuckoos Sohn sein soll — selbst wenn Samberg 13 Jahre älter als Lautner ist und die Fiktion irgendwie aufgehen sollte, dass Cuckoo Dale in diesem zarten Alter gezeugt haben sollte: och nö, das scheint mir immer noch zu weit hergeholt.

Aber der zweiten Folge (mehr sind noch nicht gelaufen) ist dann doch das Unerwartete gelungen: sie hat funktioniert — und war sogar verblüffend komisch.

Zum einen hatte diese Folge die gute Idee, nicht Dale in den Mittelpunkt zu stellen, sondern Dylan. Dylan und eine Party, bei der er sein Jungfrauendasein beenden will, die aber stattdessen in einem der widerlichsten und lustigsten Desaster endet, die ich im Zusammenhang mit Hauszerstörungen durch Partys seit Blake Edwards‘ „Partyschreck“ gesehen habe. Dale spielt da nur eine Nebenrolle und darf lediglich der Auslöser dieser Katastrophe sein — was ich wiederum Lautner zugute halte, der als unbestreitbarer Star der Serie sicher in der Lage gewesen wäre, darauf zu bestehen, dass er in jeder Folge im Mittelpunkt zu stehen hat.

Zum anderen spricht Dale bislang auch in der zweiten Folge Rachel konsequent als Mom an und hat offenbar keinerlei Antennen dafür, dass Rachel sofort bereit wäre, ihren äußerst biederen Verlobten dranzugeben (und dass auch Lorna ein Auge auf ihn geworfen hat). Diese will they/won’t they-Situation könnte der zweiten Staffel „Cuckoo“ einen hübschen neuen Drive geben.

Zuletzt aber: dass Tamla Kari als Rachel durch Esther Smith („Uncle“) ersetzt wurde, ist zwar bedauerlich, aber längst nicht so ein großes Problem, wie ich es erwartet hätte. Allerdings hatte auch Rachel in der zweiten Folge wenig Screentime.

Insgesamt haben diese beiden ersten Folgen „Cuckoo“ meine (allerdings sehr niedrigen) Erwartungen weit übertroffen. Ich bin überrascht und freue mich — und empfehle aber trotzdem noch einmal die erste Staffel, denn die ist natürlich immer noch unübertroffen. (Die DVD erscheint am 1. September.)

Urlaubslektüre für Fernsehjunkies

8. August 2014 1 Kommentar

Ich war ein paar Tage weg, und weil es Urlaub war, habe ich in dieser Zeit nicht ferngesehen, sondern gelesen, wie es sich gehört — nämlich (unter anderen) ein Buch über Fernsehen: Alan Sepinwalls „Die Revolution war im Fernsehen“ (Luxbooks 2014).

Sepinwalls Fernsehkritiken auf hitfix.com verfolge ich schon lange, genauer gesagt, seit „Breaking Bad“ (das er zu Beginn noch hier besprochen hat), weil er nicht nur gut darin ist, einzelne Folgen zu analysieren und interpretieren, sondern auch noch Zugang zu Autoren, Schauspielern, Produzenten und Showrunnern hat, die er gerne und oft interviewt. Ich lese nicht alles, logischerweise, sondern nur Beiträge zu Serien, die ich auch sehe; außerdem aber gucke ich hin und wieder mit einem Auge auf Texte zu Serien, die ich (noch) nicht kenne. Vorsichtig allerdings, denn wie schnell ist man angefixt, und dann muss man sieben Staffeln à 34 Folgen einer SciFi-Serie über Hirnchirurgen auf dem Mars angucken oder sowas.

 Tja. Genau das (angefixt) ist mir dann allerdings mit „Die Revolution war im Fernsehen“ passiert. Denn hier schreibt Sepinwall in langen, fundierten Essays über die zwölf US-Serien, die das serielle, erzählende Fernsehen seit der HBO-geführten Revolution geprägt haben: Von „Oz“ und den „Sopranos“, „The Wire“, „Deadwood“ und „The Shield“, über „Lost“, „Buffy, the Vampire Slayer“ und „24“ bis zu „Battlestar Galactica“, „Friday Night Lights“, „Mad Men“ und „Breaking Bad“.

Und weil ich davon wohl gute zwei Drittel kannte, ein Drittel aber nicht, steht jetzt ein schönes großes Paket mit staffelweise DVDs hier noch ungeöffnet herum und wartet auf das Sommerloch.

Auch von den Geschichten, die Sepinwall zu erzählen hat, kannte ich zwar schon einige, aber nicht in dieser Tiefe, die meisten waren mir komplett neu, und im Zusammenhang haben sie ein aufschlussreiches Bild davon ergeben, wie Fernsehen funktioniert.

Zum einen nämlich immer wieder anders: Jeder Autor, jeder Showrunner tickt auf seine Weise, und die Umstände, unter denen Serien entstehen, sind genauso unterschiedlich wie die Serien selbst.

Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten bei allen großen, neuen, wagemutigen, „anderen“ Serien. Die größte Gemeinsamkeit: Sender wollen sie, die große, neue, wagemutige, „andere“ Serie. Kleine, unbekannte Sender wollen auf sich aufmerksam machen. Sender wollen eine Alternative zu den frei empfangbaren, großen Anbietern sein, wollen umgekehrt die Freiheiten von Bezahlkanälen für sich nutzbar machen, Sender wollen ein neues Profil oder überhaupt erst mal irgend ein Profil.

HBO macht die schreckliche „Rome“-Erfahrung: eine Serie, die nach zwei Staffeln eingestellt wird, weil die erste Season in der Erstausstrahlung überhaupt nicht gesehen wurde. Ohne vernünftiges Finale, sondern mittendrin (wie ja auch „Deadwood“). Dummerweise ist nicht nur die zweite Staffel viel erfolgreicher als die erste, sondern die Leute beginnen auch noch, die erste auf DVD zu kaufen wie verrückt. Leider sind zu diesem Zeitpunkt schon alle Mitarbeiter entlassen, die Sets abgebaut. Keine Chance, die nun doch erfolgreiche Serie fortzusetzen. Ein potentieller Riesen-Hit — verschenkt, weil die Quoten der ersten Staffel zu mau waren, und ohne dass die Serie vernünftig zuende erzählt wäre. HBO beschließt also, auch vermeintlich erfolglose Serien lieber zuende zu erzählen, als noch einmal einen möglichen Erfolg zu verschenken.

Diese Entscheidungen sind es, die statt nur gutem wirklich brillantes Fernsehen hervorbringen: Manager, die Künstler machen lassen. Aus welchem Grund immer. Oft genug, weil sie als David gegen Goliath antreten und mutige Entscheidungen brauchen. Nach dem ersten Sieg Davids gegen den Riesen sieht es dann oft schon wieder anders aus: wenn der Außenseiter erst einmal in der Favoritenrolle ist, kommen dann auch die Anzugträger wieder und wollen mitreden.

So lange die Bosse lange Leine lassen, gibt es Hoffnung. Nie ist eine gute Serie gegen den Sender entstanden, der sie ausstrahlt. Höchstens trotzdem (wie etwa „Lost“, eine Serie, die es eigentlich nicht geben dürfte, so chaotisch war ihre Entstehungsgeschichte).

In den nächsten Wochen werde ich also etliche Grundlagenwerke der jüngeren US-Fernsehgeschichte nachholen (in der ich ja lange nicht so bewandert bin wie in der britischen). Ich bin sehr gespannt, ob die frühen Serien der Nach-Revolutionszeit das halten, was Sepinwall mir von ihnen versprochen hat. Ich werde auch den „Sopranos“ noch eine Chance geben — ich hatte mal ca. eineinhalb Staffeln gesehen, war und bin aber kein Freund des Mafia-Genres und hatte insgesamt zu hohe Erwartungen, glaube ich.

Möglicherweise werde ich dann berichten. Erst einmal aber empfehle ich allen Freunden der guten Fernsehunterhaltung noch einmal ausdrücklich Alan Sepinwalls „Die Revolution war im Fernsehen“, freue mich darüber, dass es ein deutscher Verlag überhaupt ins Programm genommen hat, weise dann aber doch noch darauf hin, dass Sepinwalls Original bereits von 2012 ist. Weshalb dann letzte Worte zu „Breaking Bad“ etwa fehlen, weil die Serie noch nicht zuende war, als Sepinwalls Buch in Druck gegangen ist.

Nun, aber so lange Fernsehserien an sich nicht auserzählt sind, wird man nie ein Resümee ziehen können — irgend eine tolle Serie läuft (im angelsächsischen Fernsehen) ja immer. Hoffentlich.

Die ausbleibende Revolution

16. Juli 2014 5 Kommentare

Schon ein paar Monate alt, dieser Text, aber ich habe ihn erst jetzt entdeckt: „Die ausbleibende Revolution. Eine Analyse, was die Qualität der neuen US-Serien eigentlich ausmacht und warum genau diese Qualität im deutschen Fernsehen auf unbestimmte Zeit nicht zu sehen sein wird“ von einem gewissen DJ Frederiksson (ein Pseudonym, versteht sich).

Selten habe ich eine so genaue Analyse gelesen, woher die Schwächen des deutschen Fernsehens rühren, jedenfalls die seines fiktionalen und seriellen Teils. Teile dessen, was da steht, kann ich bestätigen, jedenfalls kenne ich mehrere vertrauenswürdige Menschen, die mir Ähnliches berichtet haben, und manches habe ich auch schon selbst erlebt. Deprimierend, alles in allem.

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Das glückliche Tal der schwachen Männer

Habe ich gestern geschrieben, dass „Happy Valley“ (BBC1, 2014) mich schon nach der ersten Folge überzeugt hatte, weil die sehr gut erzählt war, so ist mir im Laufe der weiteren fünf Folgen aufgefallen, was konkret mir an der (auch im Weiteren exzellent geschriebenen) Serie gefällt: nämlich ihre weibliche Perspektive und wie sie von schwachen Männern erzählt und davon, dass es vorrangig Frauen sind, die diese Schwächen ertragen müssen. Weil es vorrangig Männer sind, die kriminell werden, und weil ihre Taten Auswirkungen auf Familien haben, ob sie das wollen oder nicht — auf fremde Familien wie auf die eigene.

Dabei ist die größte Schuld der Männer (ich werde keine Inhalte erzählen, weil ich Spoiler vermeiden möchte) ihre Schwäche: Neid, Feigheit, Gier, Gewalttätigkeit — um nur mal vier zu nennen. Aus den Schwächen der Männer entsteht Verbrechen: Entführung, Vergewaltigung, Mord. Und die Verbrechen wirken sich auf Familien aus, auf Frauen, auf Kinder. „Happy Valley“ ist genauso sehr Drama- wie Krimiserie, und die Gewalttätigkeiten, die hier so explizit gezeigt werden, wie es derzeit eben erzählerischer Standard ist, in ein Familiendrama hineingetragen zu sehen, das macht „Happy Valley“ mitunter schwer erträglich. Und zu einer fantastischen Serie.

Starke Polizistinnen haben derzeit offenbar Konjunktur. Nicht nur in den USA („Fargo“), auch in Großbritannien gibt es mittlerweile einige: In „The Fall“ (RTÉ1/BBC2, 2013) ermittelte Gillian Anderson in Belfast in einer äußerst düsteren Atmosphäre einem Serienmörder hinterher, in „Broadchurch“ (ITV, 2013) war es Olivia Colman, die neben David Tennant in ihrem eigenen kleinstädtischen Umfeld den Mord an einem Kind aufklären musste. Mit erschütterndem Ergebnis.

Aber Sarah Lancashires Catherine Cawood in „Happy Valley“ ist weder die toughe, selbstbestimmte Ermittlerin, wie Anderson sie spielt, noch die schwache Ellie Miller aus „Broadchurch“. Sie ist beides: eine selbstbewusste, sehr professionelle Kriminalerin (die sich öfter gegen ihre tendenziell korrupten und faulen Kollegen durchsetzen muss), und alleinerziehende Oma, die unter dem Selbstmord ihrer Tochter beinah zusammenbricht. Auch sie ist also schwach, und auch aus ihrer Schwäche erwächst Schuld, wenn sie etwa mit einer jungen Polizistin strenger umspringt, als es der Situation angemessen gewesen wäre. Oder mit ihrem Exmann eine Affäre beginnt, obwohl der wieder in festen Händen ist.

Sally Wainwright, die „Happy Valley“ geschrieben hat, schafft es durch die Bank, Figuren zu zeichnen, die ungeahnte Tiefen und Untiefen haben. Keiner ist ganz böse oder ganz dumm und schon gar nicht ganz unschuldig; sie kompromittiert nicht einmal die übelsten Burschen unter ihren Figuren durch platte, zweidimensionale Darstellung, sondern gibt auch ihnen Momente, in denen sie uns nahe kommen. Näher als uns lieb ist sogar. Selbst das erbärmlichste Wiesel, der wachsweiche Kevin Weatherill (der brillante Steve Pemberton), der zwischendurch zur Witzfigur mit comic relief-Momenten wird, kriegt eine Szene, in der er eine böse Wahrheit aussprechen darf und uns damit klar macht, wie sehr wir uns vor moralischer Überlegenheit hüten sollten. Weil es womöglich gerade die Selbstgerechtigkeit ist, die uns schuldig werden lässt. Böse Ironie also.

Diese böse Ironie ist bei „Happy Valley“ schon im Titel zu spüren: happy valley nennen die Cops die Gegend, in der die Serie spielt, wegen des massiven Drogenkonsums dort.