„Pardon“: Das untote Magazin kehrt zurück

9. Dezember 2012 53 Kommentare

Ich habe von der neuen Pardon, mittlerweile zum zweiten Mal exhumiert und wiederbelebt, natürlich nicht wirklich erwartet, dass sie im Wortsinne satirisch oder auch nur komisch sein würde. Nicht mal unterhaltsam. Interessiert hat mich, als ich sie gekauft habe, eigentlich nur, wie und wie sehr dieses Nebenprojekt des Ex-Cicero-Chefs Wolfram Weimer (Ex-Focus-, Ex-Welt-Chef) scheitern würde. Die Indizien dafür, dass es scheitern würde, häuften sich dann allerdings schneller als gedacht. Ich zähle sie mal auf.

Das Heft ist auf Einmaligkeit angelegt. Das ahnt man jedenfalls, wenn man sich nur den Titel ansieht: Da stehen (neben dem Cartoon eines lächelnden Gottvaters — wie oft habe ich mittlerweile darüber geschrieben, dass deutscher Humor sich v.a. dadurch auszeichnet, dass er sich immer plakatieren muss, dass er immer mit einem lächelnden oder lachenden Gesicht darauf verweisen muss, dass es hier was zu lachen gibt, dass es gleich lustig wird?), da stehen also neben dem Covermotiv nicht etwa die Themen des Heftes, sondern die Autoren: Martenstein, Kinski, Beetlebum, Nuhr, Barbie, Karasek, Hirschhausen, Loriot, Böll, Langhans, Woody, Obama, Schnutinger, Glück. Dann war kein Platz mehr, sonst wären da noch Vince Ebert, Matthias Matussek, Peter Härtling, Gerhard Zwerenz und, ja doch: Hilmar Klute gelandet, die ebenfalls im Heft vertreten sind.

Kein gutes Zeichen, wenn drei annoncierte Autoren schon lange tot sind, und viele andere so omnipräsent, dass man sich fragt, wer für Pardon Geld ausgeben möchte, wo er doch nur den Fernseher einschalten muss, um sie kostenlos sehen zu können. Abgesehen davon, dass man ahnt: kaum einer der Prominenten, schon gar nicht Woody Allen (der es sich gefallen lassen muss, nur mit Vornamen genannt und angekumpelt zu werden), hat speziell für Pardon zum Stift gegriffen — vermutlich könnte Pardon schon froh sein, wenn es nur Zweit- und nicht Viert- und Fünftverwertungen der Promiautoren wären.

Neu oder anders, irgendwie alternativ kann Pardon also schon mal nicht sein, im Gegenteil: da wird die größtmögliche Nähe zum Mainstream gesucht, von dem man sich wohl erhofft hat: der hat schon so viel gewichtloses Humor-Balsaholz mitgenommen, da wird es für ein weiteres Magazin auch noch reichen.

Alternativ möchte dieses Satiremagazin, das speziell auf die Humorbedürfnisse von Hilmar Klute zugeschnitten scheint, auch allenfalls zu Titanic sein. Zwar bedient man sich da in der Formgebung und kopiert etwa die „Briefe an die Leser“, die hier „Schreiberbriefe“ heißen (o Gott!), dafür hat man auch nur drei zusammenbekommen, in denen dann Wladimir Kaminer, Florian Schroeder und Hans A. Nikel irgendwas schreiben dürfen (obwohl zwei der drei nicht mal „Schreiber“ sind, sondern Kabarettist und Exverleger/Bildhauer). Aber gerade Hans A. Nikel, Herausgeber der alten Pardon, schafft es, seine Meriten und die alten Pardon-Autoren zu erwähnen, dabei aber konsequent alle späteren Titanic-Granden unter den Tisch fallen zu lassen: Erich Kästner wird da aufgezählt, Loriot, Werner Finck, Iring Fetscher, Peter Härtling, Erich Fromm, Robert Jungk, Carl Amery, Karlheinz Deschner, Elke Heidenreich, Ephraim Kishon, Alexander Kluge, Eugen Kogon, Robert Neumann, Wolfgang Neuss, Peter Rühmkorf, Wolf Wondratschek, Günter Wallraff und Gerhard Zwerenz — halt alle, die einem sofort einfallen, wenn man das Stichwort „deutsche Satire“ hört.

Das ist nicht das Who-is-who der deutschen Satire, das ist nur das Who?.

So wie es sich, wie Nils Minkmar in der FAZ schreibt, mit einer Neuauflage von Pardon ohne WimS (deren Macher Nikel beim Namedropping ignoriert) so verhält, als würde man „nur jene BBC-Sendungen, die umittelbar vor und nach ‚Monty Python’s Flying Circus‘ ausgestrahlt wurden, auf DVD vertreiben, nicht aber die Sketche der Komikertruppe“.

Wer aber ein Satiremagazin von Menschen vollschreiben lässt, die „politisch in der Nähe jeder Fernsehkamera stehen“ (Wiglaf Droste), der darf vor allem eines nicht erwarten: Haltung. Die einzige Haltung von Peter „Bulo“ Böhling und Daniel Häuser, den Verantwortlichen für die Neuausgabe — die übrigens aussehen, als kämen sie frisch aus einer Werbeagentur — ist die: dass sie möglichst dabei sein wollen beim großen Gesamtscheißdreck; und ihre Kränkung darüber, dass sie das nicht jederzeit und überall schaffen, halten sie schon für die Verzweiflung am System, die für Satiriker Grundlage ihres Schaffens ist.

Wenn sich nämlich Daniel Häuser „erbärmlich“ fühlt, dann weil er am Münchner Flughafen steht (wo sich Satiriker ja praktisch dauernd begegnen) und nur nach Köln-Bonn fliegt statt nach „JFK“, wie der Kollege, dem er begegnet. Der frühstückt ihn mit den Worten „Wir telefonieren!“ ab — und ruft dann aber nicht an. Frustrierend!

Wolfram Weimer hat es da besser, der darf zwar auch nicht nach „JFK“ fliegen, dafür nach Moskau. Und anschließend in einem „offenen Brief“ an (den Leser?) Wladimir Putin seinem Publikum mitteilen: „Vor einigen Tagen habe ich Sie im prächtigen Alexandersaal Ihres karminroten Kreml erlebt“; er, Weimer, durfte also dabeisein beim Jetset, aber gefallen hat es ihm nicht, schließlich ging es zu so einem Ausländer da, der vermutlich auch nicht anrufen würde, selbst wenn er es verspräche. Die Welt ist schlecht.

„Put in jail“ sagt auf der gleichen Seite ein (von „Bulo“ gezeichneter) Putin (warum und zu wem eigentlich?); das unterbietet locker noch das SZ-Karikaturenunwesen.

Was bleibt, sind Nachdrucke aus alten Kalendern (Tiere, die als Promis verkleidet sind), ganzseitige Fotos, die Häuser und Böhling offenbar irgendwie komisch vorkamen (Plastikprodukte, die kurz im Toaster waren, Promis, die fast unsichtbar werden vor einem zusammengephotoshopten Hintergrund aus Elementen ihrer Oberbekleidung) und Nachdrucke aus alten Ausgaben der Pardon. Warum aber heute eine Haitzinger-Karikatur vom Dezember 1973 ganzseitig ins Heft gerückt werden muss, auf der zu sehen ist, wie sich Richard Nixon auf Strümpfen ins Haus schleicht, wo schon die Freihheitsstatue mit dem Nudelholz auf ihn wartet — das bleibt vollkommen rätselhaft.

Wer noch einen Beleg braucht, dass die Macher dieses „Satiremagazins“ nicht nur praktisch Stümper sind, sondern auch in der Theorie versagen, dem liefern sie diesen Beleg gerne und gleich doppelt. Einmal im Editorial, wo die Herausgeber über ihre „spitze Feder“ schreiben, „mit der sich Menschen viel trefflicher wachrütteln lassen als mit dem Holzhammer“.

Eine spitze Feder, mit der man Menschen wachrütteln kann. Statt sie mit einem Holzhammer wachzurütteln.

Das ist auf so vielen Ebenen Quatsch und nicht mal ein halber Gedanke, dass ich gar nicht weiß, wo ansetzen: dabei, dass die „spitze Feder“ etwas für Autoren ist, die sich selbst „Schreiberlinge“ nennen? Dass die Angst vor dem „Holzhammer“ die ist, dass man anschließend nicht mehr von Kollegen angerufen wird, die nach „JFK“ fliegen? Dass das Vorhaben, mit Satire Menschen wachzurütteln, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist? Zumal wenn man im Heft erkennbar keinen Gedanken ans Wachrütteln von Menschen verschwendet hat?

Aber Häuser und Böhling übersetzen Satire ja auch mit „mit Früchten gefüllte Schale“, haben also in etwa den Wissensstand über Satire, den ein Oberstüfler nach dem ersten Besuch der entsprechenden Wikipediaseite hat.

Wie es um das Satireverständnis von Häuser und Böhling wirklich bestellt ist, hat sich mir aber spätestens auf Seite 23 erschlossen, wo die Frage „Hat Gott Humor?“ erörtert wird. Diese Verquickung von Humor (ein Begriff, den die Herren natürlich nicht von „Komik“ unterscheiden können) und Hierarchie als Gegenstand für einen Essay (bzw. eine Essay-Parodie) ist ungefähr das Deutsch-Humorloseste, was man sich überhaupt nur denken kann. Bezeichnenderweise ist aber schon begrifflich alles falsch, etwa wenn von „weltbefreiender Offenheit als Folge wahren Sinns für Humor“ schwadroniert wird. Weltbefreiende Offenheit, weil ich über etwas lachen muss? Ach so, ja, es geht ja um den „wahren“ Sinn für Humor.

Bzw. „Der Sinn für Humor beruht auf der existentiellen Situation des Nicht-Wissens, also dem Sinn für Neues“. Say what? Die These, dass „alles, was Menschen komisch finden, auf der Enttäuschung einer Erwartung“ beruht, hat heutzutage ja nicht mal mehr Proseminarniveau: Wenn dem so wäre, wie kommt es dann, dass Menschen bei Comedy-Liveauftritten über Witze immer und immer wieder lachen, obwohl sie sie schon -zigmal gehört haben? Lache ich über die drei Stooges, weil ich nicht damit gerechnet habe, dass Moe Curly auf den Kopf haut? Bei Catchphrases, weil es mich überrascht, dass Bart Simpson „Eat my shorts“ sagt? Oder lache ich am Ende gerade WEIL Frasier und Niles sich vollkommen erwartbarerweise wieder einmal über irgend eine Kleinigkeit in eine snobistische Konkurrenzsituation begeben haben, aus der sie nicht mehr herauskommen?

Nein, bei den Pardon-Machern ist es weder mit der Theorie noch mit der Praxis weit her. Und dabei habe ich jetzt noch keine halbe Zeile darüber geschrieben, dass auch Hellmuth Karasek in dieser Pardon vertreten ist. Es geht da um den Unterschied zwischen „gefiederten Freunden“ und „Vögeln“, glaube ich. Leider kann ich jetzt nicht weiterschreiben, sonst wird mir vor Kopfschütteln schwindelig.

Auch Hellmuth Karasek übrigens berichtet zwischen den Zeilen, wie gerne er „mit dabei“ sein möchte: er durfte immerhin Loriot besuchen. Genutzt hat es offenbar nichts.

Jahresendabstimmung

3. Dezember 2012 9 Kommentare

Gleich 24 25 Britcoms stehen dieses Jahr zur Auswahl bei der Jahresendabstimmung: Rekord! (Auch wenn diese Abstimmung erst zwei Mal stattgefunden hat…) Auch dieses Jahr sind mir bestimmt einzelne Serien entgangen, dann bitte ich um Hinweis, dafür habe ich etwa „A Touch of Cloth“ aufgenommen, obwohl das mit zwei Teilen á 45 Minuten nicht wirklich eine Sitcom ist. Gleiches gilt für „Dirk Gently“, das ebenfalls nicht als lupenreine Sitcom gezählt werden kann. Was soll’s. Sketch-Shows und ComedyDramas allerdings fehlen sonst; ähm, na ja, wenn man von „Fresh Meat“ absieht, das angeblich ein ComedyDrama ist, in Wirklichkeit aber eine Sitcom mit etwas längeren Folgen als üblich.

Nun denn: Abermals hat jeder drei Stimmen, die gleich gewichtet werden, und abermals bin ich gespannt, welche Show das Rennen machen wird.

UPDATE (9.12., 16.45 Uhr) Öhm… ich hätte es rechnerisch merken können, dass bei über 100 Leuten, die abgestimmt haben, insgesamt ca. 300 Stimmen gezählt hätten werden müssen statt nur etwa 160, weil ja jeder angeblich, wie ich schrieb, drei Stimmen hatte. Hatte er aber nicht, weil nach der letzten Poll-Änderung (der Aufnahme von „Grandma’s House“) sich die maximale Anzahl erlaubter Stimmen wieder auf die standardmäßge 1 zurückgesetzt hat. Ist aber offenbar niemandem aufgefallen, bzw. niemand wollte darauf hinweisen. Jetzt steht sie wirklich bei drei, aber jetzt ist die Woche auch bald rum…

Beste Britcom 2012

  • Moone Boy (18%, 51 Votes)
  • The Thick of It (Series 4) (12%, 33 Votes)
  • Episodes (Series 2) (11%, 32 Votes)
  • Peep Show (Series 8) (9%, 26 Votes)
  • Dirk Gently (8%, 21 Votes)
  • Fresh Meat (Series 2) (6%, 16 Votes)
  • Cuckoo (5%, 14 Votes)
  • Friday Night Dinner (Series 2) (5%, 13 Votes)
  • Spy (Series 2) (4%, 12 Votes)
  • Parents (3%, 9 Votes)
  • Grandma's House (3%, 9 Votes)
  • Bad Education (3%, 7 Votes)
  • Getting On (Series 3) (2%, 6 Votes)
  • Twenty Twelve (Series 2) (2%, 5 Votes)
  • A Touch Of Cloth (2%, 5 Votes)
  • Him & Her (Series 3) (1%, 4 Votes)
  • Me & Mrs Jones (1%, 3 Votes)
  • Citizen Khan (1%, 3 Votes)
  • Hunderby (1%, 3 Votes)
  • Pramface (1%, 3 Votes)
  • Life's Too Short (1%, 3 Votes)
  • Gates (1%, 2 Votes)
  • Hebburn (0%, 0 Votes)
  • Walking And Talking (0%, 0 Votes)
  • Some Girls (0%, 0 Votes)

Total Voters: 173

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Familienpest

28. November 2012 Keine Kommentare

Hier das Humorkritik-Spezial aus der aktuellen Titanic mit allen Kaufempfehlungen für’s Weihnachtsfest. Von einer mal abgesehen: Ich würde außer den Sitcoms natürlich jederzeit und dringlichst zu Stewart Lees neuer Stand Up-DVD „Carpet Remnant World“ raten. Ich habe das Programm im Januar in London gesehen, und es ist wieder mal sehr gut — sollte mich wundern, wenn die DVD schlechter wäre.

Es ist trüb und kalt geworden draußen vor der Tür, und das ist nicht nur der wirtschaftlichen Gesamtlage geschuldet, aber auch. Und so wie in Großbritannien das Wetter traditionell noch ein bißchen schlechter ist als hierzulande, so verhält es sich auch mit der Konjunktur: Sie ist auch auf der lustigen Insel nur noch mit viel Alkohol und einer stiff upper lip zu ertragen. Was sich durchaus in der Comedyproduktion niederschlägt.

Tatsächlich haben etliche britische Sitcoms des vergangenen Jahres die Wirtschaftskrise direkt oder indirekt thematisiert: in „The Café“ (Sky1) etwa arbeiten Großmutter, Mutter und Tochter in ihrem kleinen Promenaden-Kaffeehaus am Strand von Weston-super-Mare — bzw. arbeiten eben die meiste Zeit eher nicht, weil kaum noch Gäste kommen. Die jüngste Tochter des Café-Klans ist gerade aus London in ihre kleinstädtische Heimat zurückgekehrt, weil es als Kinderbuchautorin doch nicht geklappt hat, und genau dieses Motiv (hier bearbeitet von Craig Cash und Ralf Little, die schon mit „Royle Family“ Maßstäbe gesetzt haben) findet sich dieses Jahr in verblüffend vielen Sitcoms: die Rückkehr der Boomerang-Generation in ihr Elternhaus.

In „Parents“ (Sky1) ist es eine ganze Familie, nämlich Jenny (Sally Phillips), Nick und ihre Teenager-Kinder, die bei den Großeltern einziehen (müssen), nachdem sie ihren Job verloren hat und seine Geschäftsidee (ein Energydrink für Topmanager) nicht so richtig funktioniert, und in „Cuckoo“ (BBC3) ist es die gerade volljährige Tochter, die nach einem Gap Year aus Thailand zurückkommt — und ihren frisch angetrauten us-amerikanischen Hippiegatten Cuckoo (Andy Samberg, in den USA ein „Saturday Night Live“-Star) gleich mit einziehen lässt.

Der „IT Crowd“-Veteran Chris O’Dowd schließlich verlegt die Krise in seiner ersten eigenen Sitcom gleich dahin, wo sie historisch vertraut ist: ins Irland der späten Achtzigerjahre, wo der „Moone Boy“ (Sky1) Martin, 11, seine Kindheit mit zahllosen Geschwistern verbringt – und mit seinem unsichtbaren Freund (O’Dowd). Der gibt nicht immer kluge Ratschläge, steht Martin aber jederzeit für lange Gespräche zur Verfügung, ganz wie Martins gleichalten Nachbarskindern deren unsichtbare Freunde (u.a. Johnny Vegas als Wrestler). Eine brillante Idee, schön umgesetzt von O’Dowd als Autor, der eigenen Angaben zufolge etliche autobiographische Details verarbeitet hat, und Regisseur Declan Lowney, der mit „Father Ted“ (Channel 4, 1995 – ’98) schon eine unsterbliche irisch-britische Sitcom in seinem Lebenslauf stehen hat. „Moone Boy“, mitproduziert von Steve Coogans Firma Baby Cow (Coogan hat auch einen Gastauftritt) ist herzlich warm und trotzdem höchst komisch — und hat in diesem Text die dringlichste Kaufempfehlung.

Fällt Ihnen eigentlich etwas auf? In der Tat: drei von vier Top-Sitcoms des Jahres 2012 stammen nicht von der BBC, sondern von Sky1. Tatsächlich mausert sich Rupert Murdochs Bezahlkanal in Großbritannien gerade zum Comedylieferant Nummer eins. Das dürfte vor allem auf Lucy Lumsden zurückzuführen sein, die den bis dahin praktisch gesichtslosen Sender als Head of Comedy direkt an die Spitze katapultiert hat. Lumsden war über zehn Jahre Programmchefin der BBC-Comedy, und sie hat es geschafft, überraschend viele überraschend prominente Comedians mitzunehmen, obwohl sie bei diesem bislang doch eher unsympathischen Sender nur noch von einer eingeschränkten Öffentlichkeit wahrgenommen werden.

Zu diesen Stars gehört auch Ruth Jones, Nebendarstellerin und Coautorin der BBC3-Erfolgssitcom „Gavin & Stacey“ (2007 – ’10). Jones hat mit „Stella“ (Sky1) das wohl beste ComedyDrama des Jahres lanciert: eine abermals von Wirschaftsdepressionen und Familienglück geprägte walisische Serie rund um eine alleinerziehende Mutter (Jones), deren Sohn (zu Beginn der Serie) im Gefängnis sitzt, deren Ex sich eine superprollige neue Flamme angelacht hat und deren beste Freundin und Schwägerin, Bestattungsunternehmerin Paula, stets ihre Blutalkoholwerte messen muß, bevor sie sich hinter das Steuer ihres Leichenwagens setzen kann. Wie „The Café“ und „Moone Boy“ zeichnet auch „Stella“ der realistische Stil und die genaue Charakterzeichnung aus; wie alle genannten Serien ist auch diese (für ComedyDramas ist das ohnehin die Regel) mit nur einer Kamera und ohne Livepublikum (also ohne Lacher) gedreht.

Daß kaum noch altmodische Multikamera-Sitcoms gedreht werden, ist fast ein bißchen schade: bei „Me And Mrs Jones“ (BBC1) hätten die Produzenten sonst vielleicht gleich gemerkt, daß die Gags längst nicht so gut sind, wie die Autoren vielleicht dachten. Diese britische Cougar-Variation spielt abermals mit einem Generationenkonflikt: die eigentlich fantastische Sarah Alexander („Coupling“, „Green Wing“) als alleinerziehende Mutter (ja, noch eine alleinerziehende Mutter) und der beste Freund ihres zwanzigjährigen Sohnes, Billy (der ebenso brillante Robert Sheehan, „Misfits“), machen das Leben vieler Menschen unnötig kompliziert, weil sie sich zueinander hingezogen fühlen. Tatsächlich aber glaubt man als Zuschauer keine Sekunde an diese Konstellation, schon weil Alexander tatsächlich alt genug sein könnte, um einen Sohn von 20 Jahren zu haben, aber viel jünger aussieht. Und so gibt es zwar einige hübsche Pointen (daß an der Schule etwa von einem alleinerziehenden Mann als „DILF“ die Rede ist), aber die Figurenzeichnung ist doch eher schwach. Und das, obwohl Autorinnen wie Produzentinnen (ja, eine rein weibliche Serie) es von „Smack The Pony“ und „Green Wing“ her noch besser wissen und können müßten.

Besser wissen und können müßte es auch Ricky Gervais: dessen Zwergen-Sitcom „Life’s Too Short“ (BBC2) mit Warwick Davis bemüht nicht nur abermals den mittlerweile wirklich antiquierten Mockumentary-Stil, sondern auch all die alten Peinlichkeits-Witze, die zwar hin und wieder noch funktionieren, meistens aber genauso flach fallen wie der kleinwüchsige Davis, wenn er aus seinem SUV steigt.

Wenn schon vorlaute Zwerge, dann doch bitte wie in „Spy“ (abermals Sky1), einer eher schnellen und schön bunten Agenten-Sitcom, in der Tim (Darren Boyd) wie die Jungfrau zum Kind plötzlich zu einem Job als Spion kommt, was er seinem äußerst dominanten zehnjährigen Sohn aber genausowenig anvertrauen kann wie seiner Ex. In der Folge darf Boyd seine bewährte John-Cleese-Komik mit viel unterdrückter Wut und Verblüffung spielen, die schon „Whites“ und „Green Wing“ sehr unterhaltsam gemacht hat, wenn er sich, seinem schwachen Charakter folgend, immer wieder der Autorität seines Bankerts unterwerfen muß. Darren Boyd ist es auch, der zusammen mit Stephen Mangan „Dirk Gently“ (BBC4) vor dem Totalreinfall bewahrt hat, obwohl aus der Douglas-Adams-Adaption von Howard Overman („Misfits“) doch etwas mehr zu machen gewesen wäre. Genau wie aus „A Touch of Cloth“ (ja doch, schon wieder Sky1), dem Versuch von Charlie Brooker, eine Art „Nackte Kanone“ auf britisch zu machen: diese zweiteilige Parodie auf praktisch alle englischen Krimiserien darf als zwar ambitioniert und streckenweise sogar recht lustig gelten, hat aber keinen so bleibenden Eindruck auf mich hinterlassen, daß ich sie zur Einkaufspriorität erklären würde. Ebensowenig wie Brookers zweite Serie des Jahres, „Black Mirror“ (Channel 4), die in drei Folgen (von je anderen Autoren) mediale Dystopien entwirft, finstere Science-Fiction-Medienkritik, die für Fans von Brookers bösem Humor womöglich taugen, aber eher nicht mehrheitsfähig sind.

Da würde ich doch all die Serien vorziehen, die in diesem Jahr eine schöne zweite, dritte oder vierte Staffel auf den Schirm gebracht haben: die zweite Season der Olympia-Sitcom „Twenty Twelve“ (BBC2/BBC4), der Puppen-Comedy „Mongrels“ (BBC3), der Sitcomautorensitcom „Episodes“ (BBC2/Showtime) oder die Specials des Uralt-Klassikers „Absolutely Fabulous“ (BBC1), „Ab Fab At 20“, die dieses Jahr gezeigt haben, dass das Comedykonzept von Jennifer Saunders auch zwanzig Jahre nach der ersten Folge noch tadellos funktioniert. Fast so alt ist die Figur des Alan Partridge (Steve Coogan), und auch seine neue Miniserie „Alan Partridge: Midmorning Matters“ (Sky Atlantic) macht Spaß und läßt darauf hoffen, daß der lange angekündigte Partridge-Kinofilm im nächsten Jahr endlich Formen annimmt. In diesem Sinne: Happy New Year!

In eigener Sache: „101 Dinge, die Sie sich sparen können“

26. November 2012 3 Kommentare

Hermann Bräuer und ich haben ein Buch geschrieben! Es heißt „101 Dinge, die Sie sich sparen können“, ist bei dtv erschienen, hat 300 Seiten, kostet trotzdem nur schlappe 9,90 Euro und beinhaltet dafür 101 Einträge über Ratschläge, Tipps und Modetrends, die Sie sich getrost sparen können im Leben.

Ein Antiratgeber also, der ein- für allemal klärt, warum man weder Bungeejumping machen muss noch ein Tattoo braucht, welche Orte man nicht bereist haben muss (Venedig), warum man die Steuererklärung nicht selbst machen sollte und nicht am Strand (mit jemandem) geschlafen haben braucht, warum man es sich sparen kann, Wählen zu gehen, Politiker zu werden, Pantomime, Zauberer oder Weinexperte (von Zigarrenexperte zu schweigen), warum man kein Haus gebaut, kein Kind gezeugt und keinen Baum gepflanzt zu haben braucht im Leben, und warum man tunlichst die Finger lassen soll von Kreuzfahrten, Whale Watching, Oktoberfest und Silvester. Und von Zorbing. Es steht auch drin, was das überhaupt ist, Zorbing.

Es hat großen Spaß gemacht, das zusammen mit Hermann aufzuschreiben (und dass Hermann ein Guter ist, wird Lesern dieses Blogs bestimmt sofort klar, wenn sie erfahren, dass Stewart Lee, DER Stewart Lee, über Hermann gesagt hat, er sei „a talented comedy writer“, und wenn Stewart Lee, DER Stewart Lee! das sagt, dann stimmt das auch! Ich wünschte, Stewart Lee hätte über mich gesagt, „he is a talented comedy writer“!), und jedesmal, wenn ich das Buch wieder aufschlage und reinlese, muss ich wieder lachen, was ein gutes Zeichen ist, weil man bis zur Veröffentlichung eines Buches die Texte, die drinstehen, ja sehr, sehr oft gelesen hat.

Wenn Sie mir immer noch nicht glauben, dann glauben Sie doch bitte Dieter Nuhr, der über unser Buch schreibt:

Endlich der Ratgeber, auf den alle gewartet haben. Hier wird vor allem gewarnt, was einem das Leben zur Hölle macht: Vegetarier, Memoiren und Disneyland. Meiden Sie alles, wovon in diesem Buch abgeraten wird, und Sie werden glücklich, reich und sexuell befriedigt sterben. Tot sind Sie dann trotzdem. Aber glücklich. Wunderbar!

Offiziell erscheint das Buch erst am 1. Dezember, aber weil Amazon es schon seit über einer Woche ausliefert und ich gestern auch den ersten Stapel hier in München am Ostbahnhof in der Buchhandlung habe liegen sehen, empfehle ich: Jetzt kaufen, lesen, lachen, dann noch eines kaufen, verschenken und das eigene nochmal lesen! Hurra!

Ach so, und man findet uns auch bei Facebook. Obwohl man sich Facebook auch sparen kann. Steht zumindest in unserem Buch.

Was Komödie schon wieder alles nicht darf

24. November 2012 2 Kommentare

Mag ja sein, ich bin überempfindlich. Oder aber die Kritiker, die sich mit komischen Film- und Fernseherzeugnissen beschäftigen, verstehen wirklich ihr Handwerk nicht.

Heute schreibt Christian Buß bei Spiegel online eine Kritik zum Münsteraner „Tatort“ morgen abend. Der hat ihm offenbar nicht so gut gefallen. Statt aber nun zu schreiben: Der Münsteraner „Tatort“ morgen abend hat mir nicht so gut gefallen, weil… wird er grundsätzlich:

Sexuelle Gewalt lässt sich … nicht in einer Komödie verarbeiten.

Punktum, Schluss, aus. Das ist einfach so: Sexuelle Gewalt lässt sich nicht in einer Komödie verarbeiten. Da sind die Grenzen der Komödie! So ein Glück, endlich hat sie jemand gefunden.

Kein Gedanke daran, dass etliche Filme von Quentin Tarantino sich mal mehr, mal weniger auch mit sexueller Gewalt beschäftigen. „Death Proof“ ziemlich ausschließlich, aber auch  „Pulp Fiction“, das Buch zu „Natural Born Killers“ usw.; auch Wolf Haas‘ „Silentium“ thematisiert sexuelle Gewalt; gewiss ließen sich noch mehr Beispiele finden, wenn ich die Geduld zu längerer Suche hätte.

Der Punkt ist: die meisten (und in meinen Augen die besseren) Komödien könnten genauso gut Dramen sein. Gute Komödien sind die, deren Stoff sich auch ernsthaft verfilmen ließe. Und genau deshalb sind gerade ernste Themen in Komödien gut aufgehoben.

Der Unterschied zwischen Komödie und Tragödie ist nämlich nicht der, dass Komödien einen anderen Plot hätten. Sie haben den gleichen Plot, sie erzählen ihn nur anders. Das ist der Unterschied zwischen Plot und Story. Mir hat mal jemand einleuchtend erklärt: Der Plot ist: Erst stirbt der König, dann die Königin. Die Story ist: Erst stirbt der König an Krebs, dann die Königin an gebrochenem Herzen. Das ist die Story, wenn man sie als Tragödie schreibt. Als Komödie ginge sie vielleicht so: Erst stirbt der König, dann verschluckt sich die Königin vor lauter Freude, dass der alte Esel endlich tot ist, an einem Stück Schinken und erstickt. Vielleicht nicht der lustigste Dreh, aber für dieses Beispiel muss es reichen.

Allerdings: in beiden Variationen sterben zwei Menschen. Dass das nicht alle komisch finden, vor allem nicht die, die gerade selbst jemanden verloren haben, versteht sich von selbst. Beim Thema sexuelle Gewalt ist das vielleicht ein bisschen heikler, aber das grundliegende Problem ist das gleiche.

Daraus aber eine Regel abzuleiten („…ist nie lustig“), ist, um es vorsichtig zu formulieren, total schwachsinnig. Das heißt nämlich nur, dass man sich noch nie, nie, nie mit Komik beschäftigt hat.

Gerade Kriminalkomödien leben davon, dass bitterernste Momente und Komik zusammengebracht werden. Wie könnte man da ein Regelwerk aufstellen, welche ernsten Themen einfach zu ernst sind für Komik? Vielleicht bin in in diesem Punkt ein bisschen überempfindlich, aber ich meine: Auf diese Idee können wirklich nur deutsche Feuilletonisten kommen.

Englischer Humor vs. amerikanischer Humor

22. November 2012 7 Kommentare

Selten hat jemand so schlüssig und einleuchtend erklärt, worin der Unterschied zwischen amerikanischem und englischem Humor besteht, wie hier Stephen Fry:

Fry erklärt  auch sehr schön, was überhaupt das spezifisch englische am englischen Humor ist: die Perspektive von unten nach oben. Der Blick des Verlierers, der keine der Erwartungen erfüllen kann, die in ihn gesetzt werden.

Vielen Dank an Jonas Cords für den Hinweis auf das Video!

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