Puppenhalblustig: „Die Wiwaldi-Show“

19. Juli 2012 6 Kommentare

Martin Reinl und seine Hundepuppe Wiwaldi waren für mich früher hin und wieder der Grund, bei „Zimmer frei!“ (WDR) hängenzubleiben: Wiwaldis respektlose Art, die Gäste von Götz Alsmann und Christine Westermann von hinter dem Sofa anzukötern, markierte oft den Höhepunkt der Sendung, die sonst allzu versöhnlich-bieder blieb. Im spontanen Schlagabtausch mit Wiwaldi zeigten sich die „Zimmer frei!“-Gäste nicht selten von einer anderen Seite, die weniger Selbstdarstellung war als der Rest des WG-Interviews. So etwa Christian Tramitz, der versuchte, Wiwaldi als Puppe zu entlarven und Reinl hinter dem Sofa bloßzustellen, was aber komplett auf ihn selbst zurückfiel und Tramitz plötzlich sehr unsympathisch dastehen ließ und kein bisschen überlegen-komisch, wie er sich das wohl selbst vorgestellt hatte.

Nun hat Wiwaldi seine eigene Talkshow „Die Wiwaldi-Show“, und die hat nach einigen Folgen im WDR den Sprung in die ARD geschafft, wo sie am Dienstag, versteckt umd 0:35 Uhr, zum ersten Mal gelaufen ist.

Gäste der ersten Sendung waren Barbara Schöneberger und Hennes Bender, und die Überlegung der Sendungsverantwortlichen, genau diese beiden als erstes einzuladen, dürften gewesen sein: Schöneberger ist lustig und lässt sich auch noch einen gewissen Sex-Appeal nachsagen, Bender ist immerhin noch lustig. Manchmal. Ein bisschen. Also wird die erste „Wiwaldi-Show“ mit diesen beiden Comedy-Nasen super-puppenlustig.

Das aber war die Misskalkulation, die die Show hinter das hat zurückfallen lassen, was sie eigentlich hätte sein können (und was die Stärke Wiwaldis bei „Zimmer frei!“ ausgemacht hat). Denn plötzlich war die Rollenverteilung nicht mehr: ein lustiger, provokativer Moderator und ein herausgeforderter Gast — plötzlich waren alle lustig. Oder versuchten es jedenfalls zu sein. Und Wiwaldi konnte nicht mehr glänzen, sondern war nur noch ein Komiker von nunmehr dreien auf der Bühne. Prompt fehlte die Fallhöhe, und mithin war alle Spannung weg, es könnte irgend etwas Spontanes geschehen, jemand könnte etwas Unvorhergesehenes sagen, das Wiwaldi aufschnappen und durchkauen könnte.

Stattdessen versuchte die Schöneberger, Wiwaldis Scherze noch zu toppen, ließ sich Wiwaldis Baggerversuche gerne gefallen, spielte mit ihrem Sexbombenimage (hat sie das eigentlich wirklich?), und am Schluss durfte sie sogar noch singen. Bender nahm sich dagegen vergleichsweise zurück und versuchte, den straight guy zu geben, der davon überrascht ist, dass er bei einem Quiz antreten muss, bei dem er selbst und sein Leben das Thema ist, nur um gegen sich selbst — in Form einer weiteren Puppe — zu verlieren, weil die alles besser weiß und schon während den Fragen die richtige Antwort reinblökt — eine durchaus komische Idee, schön durchexerziert. Aber halt erkennbar mit einem Comedian, der erkennbar sich selbst spielte und nicht etwa er selbst war, wie die „Zimmer frei!“-Gäste sie selbst waren.

Von den beiden Gast-Fehlgriffen abgesehen war die erste „Wiwaldi-Show“ (ich habe die Folgen im WDR nicht gesehen) ein durchwachsenes hit and miss. Manche Einspieler waren weder originell, noch waren die Scherze neu (ein Senioren-Ehepaar, das verzweifelt versucht, rechtzeitig zur Aufzeichnung der Show im Studio zu sein, und dabei allerlei Schwerhörigkeitsscherze vom Stapel lässt), andere waren tatsächlich recht komisch (Karl Lagerfeld beim Frisör und die immer sehr lustige Figur des „alten Zirkuspferds“ Horst Pferdinand). Den Gastauftritt von Herbert Feuerstein habe ich gerne gesehen, den Sketch mit den zwei Brötchen dagegen nicht; irgendwann sind eben alle Wortspiele gemacht, die man mit Nüssen, Keksen, steifer Sahne, brotloser Kunst, verkrümeln und nixgebackenkriegen so machen kann.

Sollten Wiwaldi und sein Schöpfer Reinl es dagegen gebacken kriegen, mal ernsthafte Gäste in die Sendung locken zu können, würde ich mir gerne noch eine Folge ansehen. Vielleicht mal einen Politiker (wenn es nicht gerade Petra Roth ist) und einen Fußballer? Hauptsache niemand, der versucht, lustiger als der Moderator zu sein.

Titanic und der Papst: Anatomie eines Skandals

13. Juli 2012 36 Kommentare

Nun ist also endlich mal wieder was los.

Es gab eine lange Zeit, von den mittleren Neunzigern bis ins neue Jahrtausend, in der es meistens eher still blieb, wenn die Titanic ihrem Kerngeschäft nachging, nämlich dem Witzemachen, das hin und wieder neben Politik und Medien eben auch Religion betrifft. Dass es nun wieder Wellen gibt, wenn jemand (Titanic) im Gottesdienst pupst und sich der Bischoff (Papst) prompt darüber so aufregt, dass er am liebsten jemanden exkommunizieren möchte, ist ja schön — aber auch wieder nicht. Denn es deutet darauf hin, dass die allgemeine Religionsbegeisterung wieder zunimmt, nicht nur bei Moslems, sondern im Gegenzug und um der vermeintlichen Muslimisierung des Abendlandes etwas entgegenzuhalten, auch bei Christen. Das ist durchaus bedauerlich, weil gegenaufklärerisch. Religiösem Fanatismus begegnet man nicht wirklich klug damit, selbst in die Kirche zu rennen und sich zu radikalisieren (talkin‘ to you, Martin Mosebach!).

Aber Skandale um Scherze auf Kosten der Religion gab es schon immer. Und es ist mit ihnen wie mit Eisbergsalat: Kennste einen, kennste alle. Das sagt sich natürlich leichter, wenn man schon ein paar aus der Nähe gesehen hat, und weil ich bei einigen zufällig anwesend war, möchte ich die Gemeinsamkeiten aller Empörungen nach vermeintlich blasphemischen Witzen kurz beschreiben.

1. Wann ist ein Skandal ein Skandal? Die Titanic mit dem inkriminierten Pipikackatitel lag etwa zwei Wochen lang am Kiosk, bevor jemandem aufgefallen ist, dass man da ja einen veritablen Skandal an der Hand hat. Warum eigentlich erst nach zwei Wochen? Antwort: Weil man bis dahin dachte, es sei ganz normal, dass ein Satiremagazin Satire für Satirefreunde macht.

Ist es ja auch. Es sind stets nur die, die von Anfang an keine Freunde der Satire waren, die sich empören. Die aber müssen erst erreicht werden, und zwar von anderen Medien (Titanic lesen sie ja nicht, aus gutem Grund). Einer der letzten größeren „Skandale“ war der um diese Bilder („Spielt Jesus noch ein Rolle?“) — aber nicht, als sie in Titanic veröffentlicht wurden, sondern in einem Kirchenmagazin. Dort, vor einem Publikum, für das sie nie gedacht waren, sorgten sie prompt für die Wirkung, die beabsichtigt war, nämlich für organisierte Empörung.

So auch hier: Nun erst, nach der Klage des Papstes, sind sich alle einig, was geht und was nicht.

2. Seit Religion in Deutschland weniger Selbstzweck als vielmehr Rüstzeug gegen den bösbösen Islam geworden ist, kommt auch regelmäßig der Anwurf: Das müsste mal einer mit Mohammed machen! Das traut ihr euch nicht, ihr Feiglinge! So im aktuellen Fall etwa von Bild-Wagner, SpOn-Fleischhauer und Kai „Penisverlängerung“ Diekmann. Ob das stimmt, kann man ganz leicht hier, hier, hier, hier, hier und hier überprüfen. — Nein, ich schreibs lieber explizit hin: Es stimmt nicht. Titanic macht Witze über alles, was der Redaktion relevant scheint. Das ist der Islam allerdings nur bedingt — Titanic ist schon ein deutsches Satiremagazin, und in Deutschland ist es nach wie vor in erster Linie das Christentum, mit dem Autoren wie Leser sozialisiert sind.

Und so sehr es Gewohnheit von Bild und SpOn ist, so deutsch es insgesamt auch ist, Witze über „die anderen“ zu machen, am besten über Ausländer, Schwächere und alle, die nicht so sind wie „wir“ — Titanic tut das nicht, sondern kehrt vor der eigenen Haustür. Wäre der Islam tatsächlich in Deutschland so verwurzelt, dass auch in der Titanicredaktion Muslime säßen, sähe die Sache vermutlich anders aus: die würden dann auch regelmäßig Witze über ihre Themen machen.

3. Am deutschsten aber, wenn man das so sagen kann, ist die Diskussion, die sich jetzt schon wieder an den „Skandal“ anschließt und die jedes Mal auf einen so gelagerten Fall folgt: die moralische Bewertung, an die prompt Regeln und Vorschriften geknüpft sind. Dürfen die das? Sollte denen nicht die Satirelizenz entzogen werden? Wo ist die Grenze dessen, was erlaubt ist? Daran schließt sich natürlich die Gegenfrage an: Wer will das entscheiden? Thomas Goppel? Die Grenzen des Witzes lege immer noch Titanic fest, heißt es bei solchen Diskussionen sofort polemisch aus der Redaktion, was natürlich wiederum eine satirische Wendung ist als Reaktion auf die moralische Überlegenheit, die Wagnerfleischhauerdiekmann aus allen Poren tropft.

Da dient dann auch gleich alles zur Empörung: Titanic sei pennälerhaft und pubertär, das seien doch Furzkissenwitze, wie Fleischhauer mosert, nur um im gleichen Atemzug zu behaupten, das seien politische Witze, wie sie das Kabarett pflegt, und die seien von vorneherein nicht lustig. Was denn nun? Da geht doch was durcheinander. Aber die strengsten Urteile fällen nun einmal die am wenigsten humorbegabten Menschen darüber, was komisch ist und was nicht. Zu pubertär, zu politisch, jaaaa, früher, Tucholsky, das war noch Satire! Von Seneca mal ganz zu schweigen. Was gute Witze sind und was nicht, beurteilen stets diejenigen am strengsten, die noch nie einen Witz gemacht haben. Warum aber soll ich Urteile darüber, wie man richtig radfährt und warum man nicht so und so radeln darf, von jemandem entgegennehmen, der selbst noch nie auf einem Fahrrad gesessen ist?

Ich will mich aber über die Pressereaktionen auf den Vorgang Papst vs. Titanic nun nicht selbst empören. Zu gut ist die PR für Titanic, die da kostenlos gemacht wird. Und zu lustig finde ich nach wie vor die Vorstellung, dass der Stellvertreter Gottes auf Erden Titanic liest.

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Flying AIDS

28. Juni 2012 11 Kommentare

Es ist aus mindestens zwei Gründen schön, Steve Coogan abermals als Alan Partridge in „Alan Partridge: Welcome to the Places of My Life“ (Sky Atlantic) zu sehen. Zum einen, weil sich Sky durch immer mehr Comedy profiliert und so die Missgeschicke der BBC wenigstens ein wenig aufwiegt. Zum anderen, weil man über die letzten zehn Jahre befürchten musste, Steve Coogan sei seine Paraderolle als gleichermaßen narzisstischer wie unsicherer Fernseh- und Radiomoderator leid — die letzte ganze TV-Serie mit Alan in der Hauptrolle lief immerhin schon 2002 (die zweite Staffel „I’m Alan Partridge“, BBC2). In den Jahren danach sah es so aus, als würde Coogan vor seinem immensen Erfolg in Großbritannien, der hauptsächlich auf Alan Partridge beruhte, geradezu weglaufen. Der Durchbruch in den USA blieb ihm, der schon als Nachfolger Peter Sellers‘ gehandelt wurde, allerdings verwehrt; über ein paar Nebenrollen in großen Filmen (etwa in „Around the World in 80 Days“, 2004, neben Jackie Chan, und den beiden „Night at the Museum“-Filmen 2006 und 2009) und Hauptrollen in kleineren Filmen („Hamlet 2“, 2008) ging seine US-Karriere nicht hinaus.

Doch nun scheinen Coogan und Alan zurück zu sein: seine jüngste Miniserie „Mid Morning Matters With Alan Partridge“ (2010), ursprünglich von einem Hersteller entfernt bierähnlicher Flüssigkeit fürs Internet gedreht und schließlich vom Fernsehsender Sky übernommen, war vielversprechend, allerdings in erkennbar kleinem Rahmen produziert. Das einstündige One-Off „Welcome to the Places of My Life“ aber zeigt: Alan ist zurück. Und wie!

Netto gute vierzig Minuten lang begleiten wir Alan hier durch die Stadt, wo er, der frühere BBC-Fernsehmoderator, nun bei einem InternetDigitalradiosender ganz unten angekommen ist: in Norwich, tief in der ostenglischen Provinz („the Wales of the east“). Klar, die Wege sind viel kürzer dort als in London, und so kann Alan nach seiner Arbeit (also am frühen Nachmittag) schnell mal ins Leisure Center, um ein paar Bahnen zu schwimmen — ein herrliches Leben will Alan uns da vorgaukeln; in Wirklichkeit aber ist alles erbärmlich und mitleiderregend. Wo nicht peinlich, etwa wenn Alan uns die City Hall zeigt mit den zwei „Nazi-Hunden“ davor und davon berichtet, wie Hitler angeblich Norwich schon ausgesucht hatte als Ort für seine erste Ansprache an die Briten nach dem Sieg der Deutschen über England. Wenn Alan uns auf dem Markt erklärt, was diese Pest war, unter der die Stadt zu leiden hatte: eine tödliche Seuche, aber nicht wie HIV durch Küssen übertragbar, sondern durch die Luft: „Flying Aids!“ Oder wenn Alan ausführlich einen Landrover „probefährt“, um ihn möglichst prominent in die Dokumentation einzubauen — schließlich spekuliert er ganz offen, dass Prominenten ja hin und wieder Fahrzeuge geschenkt würden, nachdem sie sie probegefahren haben. Dumm nur, dass der Boss des Autohändlers keine Ahnung hat, wer Alan Partridge überhaupt ist.

Dabei produziert Alan, so die Fiktion, sogar seine Dokumentation selbst, die von Anfang an als „Pear Tree Production“, „written by Alan Partridge“, „starring Alan Partridge“ firmiert. Und in der, ganz der ungeschickten Eitelkeit ihres Protagonisten entsprechend, sich etliche komische Produktionsfehler finden. Etwa wenn ein alter Priester, der den örtlichen Friedhof vorstellt, so langsam spricht, dass Alan ihn erst anfährt, schneller zu sprechen, und dann im Schnitt erkennbar alle Pausen herausschneidet, oder wenn Alan bei einem Interview im Schwimmbecken beim Wassertreten die Luft ausgeht und man schnell bemerkt, dass er seine Fragen offenbar nachgedreht hat, diesmal sicher stehend und souverän, und nicht gurgelnd und plantschend, wie man ihn bei den Antworten seiner Interviewpartnerin im Hintergrund hört.

Wenige Figuren altern so gut wie Alan (Edina und Patsy aus „Ab Fab“ wären ein Beispiel für zwei andere Figuren, denen ihr Älterwerden gut steht), und so ausgelutscht das Genre der Mockumentary insgesamt ist, so brillant funktioniert es immer noch für Coogan und Armando Iannucci, der auch hier wieder mit im Team war. Und kaum eine Figur zeigt so fantastisch wie Alan Partridge, was britische von us-amerikanischer Comedy unterscheidet: nämlich die Charakterzeichnung, aus der hier Komik entsteht; viel mehr als aus einzelnen nacherzählbaren Gags. Das ist es, was englischen Sitcoms ihre Tiefe verleiht: dass man Figuren wie Alan Partridge so gut kennt, dass ihr unangemessenes Verhalten im Umgang mit ihren Mitmenschen einen tatsächlich berührt. Sei es, dass Alan aus dem Auto heraus einen anderen Verkehrsteilnehmer anschreit, von dem sich erst später herausstellt, dass er eine Oma auf dem Fahrrad war, sei es, dass Alan einen Gemüsehändler beleidigt ob seines schlichten Jobs, um dann in eben diesem Job vor der Kamera sofort zu scheitern. Charakter-Comedy und der kalte, ja böse Umgang mit ihren Protagonisten, das ist das britische Rezept für Komik, das süchtig machen kann.

„Welcome to the Places of My Life“ macht vor allem eines: Lust auf den Spielfilm mit Alan, um den es schon seit Ewigkeiten Gerüchte gibt und der jetzt endlich auch offiziell angekündigt worden ist. Für August 2013.

Sitcom auf Bewährung

16. Juni 2012 1 Kommentar

Seit es Double Acts in der Comedy gibt, existiert die komische Rollenverteilung von straight guy und funny guy. Einer möchte die Stimme der Vernunft sein, ist verbindlich, womöglich etwas autoritär, wo nicht humorlos, jedenfalls erkennbar normal — und der andere lässt ihn auflaufen, versteht ihn nicht oder nimmt ihn allzu sehr beim Wort, macht sich über den Ersten lustig und ruiniert mit seinem Wahnsinn die guten Absichten des straight guy.

Auch für Sitcoms funktioniert dieses Rezept, in einer etwas erweiterten Version: Entweder ist die Hauptfigur der einzige Irre in einem Haufen Normaler, oder die Hauptfigur ist der einzige Normale unter Verrückten. Beispiel für die erste Variante wäre, logo, „The Office“ und alle von Steve Coogans „Alan Partridge“-Serien sowie sein „Saxondale“ (BBC2, 2006), aber auch der Uralt-Klassiker „Fawlty Towers“ (BBC2, 1975 – ’79) und „How Not to Live Your Life“ (BBC3, 2007 – ’11) sowie „Curb Your Enthusiasm“ (HBO, seit 2000), wo Larry David den Irren geben darf, an dem sich alle Konflikte entzünden. Überhaupt funktioniert diese Variante natürlich am Besten, wenn der Hauptdarsteller schon per se ein glaubwürdiger Wahnsinniger ist — sei es ein cholerischer Diktator (John Cleese), ein peinlicher Profilneurotiker (Ricky Gervais) oder ein Soziopath (Coogan).

Sitcoms, in denen die Haupfigur normal, die Welt aber verrückt geworden zu sein scheint, gibt es in noch größerer Zahl; vielleicht, weil sie ein bunteres Universum zeigen können. „The Fall And Rise of Reginal Perrin“ (BBC, 1976 – ’79), obwohl schon bald vierzig Jahre alt, spielt bereits mit dem Klischee des Normalen im alltäglichen Irrsinn: Hier flippt der extrem durchschnittliche kleine Angestellte Reginald Perrin (Leonard Rossiter) aus, der seinen sinnlosen Job bei Sunshine Desserts nicht mehr erträgt, und eröffnet (mit der Absicht zu scheitern) einen Laden, in dem es nur Trash gibt, mit dem er aber wider Erwarten erfolgreich wird — weil er sich der verrückten Welt um sich herum angepasst hat.

Auch „The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“ (BBC2, 1981) beruht auf diesem Schema des Normalen (Arthur Dent) in einer durchgeknallten Galaxie (und nirgends war die Galaxie größer und durchgeknallter als bei Douglas Adams); gerade im Moment läuft die zweite Staffel „Episodes“ (Showtime/BBC2, seit 2011), in der zwei „normale“ Engländer sich im „durchgeknallten“ Hollywood bewähren müssen (die zweite Staffel scheint mir besser zu sein als die erste, btw), und bei „Peep Show“ (Channel 4, seit 2003) ist es Mark (David Mitchell), der den Normalen gibt und der sogar seine anfangs erwähnte Komplementärfigur in Jeremy (Robert Webb) hat, der sich in der eher schrägen Welt der Show ultimativ besser zurechtfindet als der Spießer Mark. Nicht zuletzt „The League of Gentlemen“ (BBC2, 1999 – 2002) zehrte von der inzestuösen, provinziell-höllischen kleinen Welt, in der Außenseiter oft nicht lange lebten („You’ll never leave“ stand auf dem Schild am Ortseingang).

Es ist also kein neuer Trick, den Sharon Horgan in ihrer gerade angelaufenen Sitcom „Dead Boss“ (BBC3) einsetzt. Horgan („Pulling“) alias Helen Stephens findet sich hier plötzlich zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt im Frauengefängnis Broadmarsh wieder, obwohl sie den Mord an ihrem Boss (vermutlich) nicht begangen hat. Doch irritierenderweise scheint es eine Verschwörung gegen sie zu geben, denn weder ihr inkompetenter, feiger Anwalt Tony (Geoffrey McGivern) scheint ein großes Interesse daran zu haben, sie aus dem Knast zu bekommen („No win, no some fee“), noch ihre schlampige Schwester Laura (Aisling Bea), die Helens Wohnung und Arbeitsplatz einfach übernimmt, noch ihr undurchschaubarer ehemaliger Arbeitskollege Henry (Edward Hogg). Von der äußerst launenhaften Gefängnisdirektorin Margaret (Jennifer Saunders) ganz zu schweigen.

https://www.youtube.com/watch?v=Aupc3P1DqOE?version=3&hl=de_DE

Das Frauengefängnis (und die Firma, in der Helen gearbeitet hat) übernimmt dabei die verrückte Welt, in der sich „Normalo“ Helen nicht zurechtfindet: ihre Zellenkollegin, die Brandstifterin Christine (Bryony Hannah), ist ebenso lieb und einfältig wie unheimlich, die Bullies um die Frauen-Gangchefin sind unberechenbar in ihren Aggressionen, und die Wärter (u.a. Tom Goodman-Hill, der schon in „Ideal“ den Polizisten spielen durfte) extrem grob — und allenfalls teilalphabetisiert. Ebenso scheint Helens vormaliger Arbeitsplatz ein Hort von Wahnsinnigen zu sein, angefangen bei ihrer ältlichen, hysterischen Exkollegin, die mit ihrem Status als graue Maus nicht zurechtkommt, über die junge, intrigante, etwas zu gut aussehenden Witwe von Helens Ex-Boss bis hin zu Henry, den Helen erst einmal gar nicht aus dem Büro zu kennen scheint und der seinerseits sowohl ein sexuelles Interesse an Helen hat als auch daran, sie möglichst lange inhaftiert zu lassen.

Klischees also, wo man hinschaut, und gar nicht mal neu interpretierte. „Dead Boss“, von Horgan und der Newcomerin Holly Walsh geschrieben, könnte leicht seicht werden und versickern, verließe es sich allzu sehr auf die geschilderten Mechanismen. Doch nach der ersten Doppelfolge ist noch alles offen: Die Mystery-Elemente des ungeklärten Mordes und der Verschwörung könnten für hübsche Wendungen sorgen (hier ahnt man die Regie von Steve Bendelack, der auch bei „League of Gentlemen“ Regisseur war), Horgan, Bryony Hannah und Jennifer Saunders spielen fabelhaft, und es mögen nicht die originellsten Scherze sein, die da gemacht werden, aber es sind genügend und so gut erzählte dabei, dass jedenfalls ich auf meine Kosten gekommen bin.

Richtig angenehm an „Dead Boss“ fand ich aber, dass da zur Abwechslung mal keine Schmonzette rund um eine dysfunktionale Familie in Nordengland versucht wurde, sondern eine reguläre, halbdunkle Sitcom mit richtigen Lachern drin. Dafür jetzt schon mal vielen Dank!

Flügellahme Stare

10. Juni 2012 5 Kommentare

Vor mittlerweile über zehn Jahren begann in England die Phase der dunkelsten Comedyshows aller Zeiten. „The Office“ (BBC2, 2001 – 03) war so eine Serie, und womöglich die prominenteste, aber sicher nicht die böseste, die damals entstand. Allen gemein war, dass sie ihre Zuschauer zwangen, halbstundenweise in menschliche Abgründe zu schauen und in die Abgründe zwischen Menschen, sei es zwischen dem Boss und seinen Angestellten, zwischen einem Moderator und seinen Gästen („I’m  Alan Partridge“, BBC2, 1997 – 2002) oder zwischen Ehepaaren („Human Remains“, BBC, 2000). Das war ungemütlich und trostlos, und wenn man als Zuschauer berührt war, dann allenfalls von einer eiskalten Hand.

Cringe Comedy war der heiße Scheiß der Stunde, je böser, desto besser. Selbst eine narzisstische Soziopathin wie Jill Tyrell (Julia Davis in „Nighty Night“, BBC3, 2004 – 05) konnte als Sitcomheldin taugen; eine „Heldin“, die den langsamen Krebstod ihres Ehemannes ausnutzt, um der Nachbarin, die selbst unter Multipler Sklerose leidet, den Mann auszuspannen.

In nicht wenigen dieser Shows spielte Steve Coogan mit, und wo er nicht mitspielte, produzierte er. Schon 1999 gründete er zusammen mit Henry Normal seine eigene Firma Baby Cow, die fortan vorwiegend eben diese düstere Comedy hervorbrachte: Neben „Human Remains“ und „Nighty Night“ waren das etwa „Ideal“ (BBC3, 2005 – 11), die Kiffersitcom mit Johnny Vegas, die allerdings nicht nur düster war, sondern auch eine heiter-surreale Note hatte, das psychedelisch-dämmrige „The Mighty Boosh“ (BBC3, 2004 – 07) sowie nicht zuletzt „Sensitive Skin“ (BBC2, 2005 – 07), ein schwarzes Comedydrama mit Joanna Lumley („Absolutely Fabulous“), in dem sie sich als arbeitende, älter werdende Frau ihren Zukunftsängsten stellen musste. Harter Tobak; geistreiches, aber sehr unterkühltes Fernsehen.

Heute aber ist alles anders. Die Zeiten, nicht nur in Großbritannien, sind selbst kühl geworden. Nichts mehr ist zu spüren von damaligen politischen Aufbruchsstimmung und der darauf folgenden Enttäuschung von New Labour. Und niemand will auch noch über so explizites menschliches Leid in Comedyshows lachen, wenn er es schon täglich in den Nachrichten sehen muss.

Darum schwingt seit einigen Jahren das Pendel in die andere Richtung. Nun sind es die heiteren Familienshows, in denen fiktionale Nestwärme und Zuversicht Zuflucht bieten angesichts realer Rezession, Arbeitslosigkeit und Randale auf der Straße. „Gavin & Stacey“ (BBC, 2007 – 10) war die Antwort von Baby Cow; eine Serie, in der sich Boy und Girl (Mathew Horne und Joanna Page) finden, trotz großer räumlicher wie gesellschaftlicher Distanz.

Doch seit diesem Riesenerfolg schwächelt die einstige Vorzeigeschmiede für junges Talent. Vor allem „Starlings“ (seit Mai auf Sky1), der neueste Versuch von Baby Cow, auf den Paradigmenwechsel zu reagieren, wirkt wie eine Auftragsarbeit.

https://www.youtube.com/watch?v=D4OUgZaIYTQ?version=3&hl=de_DE

Dabei hätte dieses Familien-Comedydrama in den englischen Midlands theoretisch das Zeug zum Erfolg: zwei gute und erfolgreiche Autoren/Darsteller, nämlich Matt King und Steve Edge, einen veritablen Star als Hauptfigur: Brendan Coyle, den Bates aus „Downton Abbey“ (ITV, seit 2010), sowie die übliche dysfunktionale Familie im Mittelpunkt, inklusive schwächelndem Familienbetrieb, exzentrischen Verwandten und einem Neugeborenen.

Warum geht das Rezept nicht auf? Vielleicht, weil man es allzu leicht durchschaut: Matt King (der auch die sehenswerte Koch-Sitcom „Whites“, BBC2, 2010, mitgeschrieben hat) spielt nach Super Hans in „Peep Show“ (Channel 4, seit 2003) einen weiteren von sich selbst eingenommenen Künstler, unter den gar nicht so dräuenden Familienproblemen liegt stets ein etwas zu geschmackvoller Folk-Soundtrack, oft sitzen die Familienmitglieder einfach beisammen und sind nett zueinander. Das ist, nun ja, nett — aber sehr komisch ist es leider nicht. Fernsehen als Lagerfeuerersatz.

Vor allem Brendan Coyle hat mich enttäuscht in seiner seifenoperflachen Rolle als stets supernetter Familienvater, der seine Herz- und Geldprobleme immer schön für sich behält, um seine Familie nicht zu belasten. Coyle hat leider nicht den kleinsten funny bone, und die Autoren scheinen ihm auch keinen zuzutrauen. Pointen haben sie ihm jedenfalls vorsorglich erst gar nicht ins Buch geschrieben.

„Starlings“ ist eine einzige Versicherung für den Zuschauer, dass das Happy End nur wenige Meter bzw. Minuten entfernt ist: der spinnerte Onkel darf auch noch bei uns wohnen, soll er halt in den Wohnwagen im Hof einziehen! Die kleinwüchsige Tochter darf davon träumen, Fußballtorwart zu werden — Träume sind ja nicht verboten! Sogar der quasi autistische Sohn, der sich nur für die Spinnen und Reptilien in seinem Nerd-Zimmer interessiert, kriegt eine Freundin ab: Alles wird gut. Ach wo, wird: alles ist gut.

Für Baby Cow aber ist nicht alles gut. Fragt sich, ob eine Produktionsfirma breiter aufgestellt und folglich in der Lage sein müsste, auch den Mainstream zu bedienen. Das hat mit „Gavin & Stacey“ ja schon einmal geklappt — allerdings womöglich nur, weil James Corden und Ruth Jones (die mit „Stella“ selbst gerade auf dem Gebiet der nordenglischen Wohlfühlfamiliencomedy unterwegs ist, und zwar gleichfalls auf Sky1), weil Corden und Jones also damals noch ihrer Zeit in puncto Comedygeschmack voraus waren und schon den Trend zum kleinen Glück vorwegnahmen, als noch das große Unglück en vogue war.

Oder täte Baby Cow besser daran, sich weiterhin zu spezialisieren und auch gegen den Zeitgeist das zu machen und zu fördern, womit sie groß geworden ist: düstere, eher avantgardistische Comedy. Womöglich sind die Nischen dafür nicht mehr groß genug, weil die englischen TV-Budgets schon immer legendär niedrig waren und immer weiter abnehmen. Vielleicht liegen die besten Zeiten für Baby Cow also schon hinter uns. Das wäre äußerst schade.

Von der Geschlechterrolle

6. Juni 2012 4 Kommentare

Phallische Frauen (in Film & Fernsehen) sind ein Klischee, das sich Männer für Männer ausgedacht haben. Da gibt es das kleine Mädchen mit der großen Kanone (Natalie Portman alias Mathilda in Luc Bessons „Léon – Der Profi“), das von einem viel älteren Mann in eine Welt der Waffen und des Tötens eingeführt wird. „G.I. Jane“ (Demi Moore im gleichnamigen Film von Ridley Scott), die in einem Militärverherrlichungsfilm wie aus der Werbeabteilung der U.S. Army zum besseren Soldaten wird. Und es gibt die ungezählten phallischen Frauen Quentin Tarantinos: Allen voran die rachebeseelte Braut in „Kill Bill“ (Uma Thurman), die den Gender-Spieß umdreht und mit einem richtig langen, scharfen Samuraischwert in Männer eindringt, dass es nur so spritzt. Die ebenfalls von Revanche besessenen Flintenweiber in „Death Proof“, Stuntfrauen ihres Zeichens, die mit einem sehr männlichen Instrument töten, nämlich mit dem Auto. Die Frauen in von Tarantino geschriebenen Nebenrollen, die mit Pflöcken (!) auf Männerjagd gehen (Juliette Lewis als Kate Fuller in Robert Rodriguez‘ „From Dusk Till Dawn“) oder mit ihren Männern zu einem Ausflug mit Todesfolge (für viele andere) aufbrechen (abermals Juliette Lewis, hier als Mallory Knox in Oliver Stones „Natural Born Killers“).

Auch Mia (Chloë Sevigny, „Big Love“) in „Hit & Miss“ (Sky Atlantic) fällt in die Kategorie phallische Frau: Eine Berufskillerin, die lautlos tötet. Mit einem, haha, kleinen Unterschied: sie ist wirklich phallisch. Denn Mia ist transsexuell, war früher ein Mann und ist es in einem entscheidenden Detail immer noch, wie wir gleich am Anfang der ersten Folge ausführlich sehen.

Wäre „Hit & Miss“ auf Quentin Tarantinos Mist gewachsen, wer weiß, wie die Geschichte weitergehen würde — mit der ganzen schönen Angstlust, die phallische Frauen für gewöhnlich bei den männlichen Zuschauern erzeugen, wäre es natürlich im selben Moment vorbei, in dem ein Penis zwischen den Schenkeln einer Frau baumelt. Oder jedenfalls mit dem „Lust“-Teil der Angstlust.

Doch weil „Hit & Miss“ nicht von Tarantino ist, sondern von Paul Abbott, der auch „Shameless“ gemacht hat, ist die grundlegende Wendung eine ganz andere: Mia entdeckt zu Beginn der Serie, dass sie Vater des elfjährigen Ryan (Jorden Bennie) ist, der zusammen mit seinen älteren Geschwistern Levi (Reece Noi), Riley (Karla Crome) und Leonie (Roma Christensen), aber ohne Mutter (Krebs) auf einer heruntergewirtschafteten, verlotterten Farm in Yorkshire lebt — und übernimmt, eher gegen den Willen der verlausten Kinderbande, die Verantwortung für diese dysfunktionale Familie.

Eine kaputte Familie also, Paul Abbotts Lebensthema: „Hit & Miss is about family, sexual identity and killing“,wie Sky Atlantic schreibt. Es gibt einen väterlichen Freund (und Auftraggeber Mias), einen potentiellen Liebhaber, der in den ersten zwei Folgen aber kaum in Erscheinung getreten ist, und einen missgünstigen Nachbarn (Vincent Regan), mit dem die älteste Schwester Riley zwar ein Verhältnis hat, dem Mia und die ganze Farm aber dennoch ein Dorn im Auge ist, den er am liebsten sofort loswäre. Leider kann Mia ihn nicht einfach umbringen; zu unklug wäre es, direkt vor die eigene Tür zu scheißen.

Man ist sprachlos zunächst, als Zuschauer, weil man so gar nicht weiß, in welche Richtung sich die sechsteilige Serie entwickeln wird: die Action, das berufsmäßige Töten, steht nicht im Vordergrund, ist aber eine stets präsente Option, was dem Familiendrama, das sich stattdessen zum zentralen Handlungsthema entwickelt, etwas latent Explosives verleiht: Immer kann auch alles in die Luft fliegen, immer besteht die Möglichkeit, dass jemand auf der Strecke bleibt — aber wenn trifft es? Oft stehen Szenen von erstaunlich unterschiedlicher Tonalität nebeneinander: im einen Moment verstörender Selbsthass der Protagonistin oder extrem unangenehme Konfrontationen (etwa wenn der Sohn Mia in der Badewanne überrascht und anschließend offensichtlich von der Situation überfordert ist), im anderen das Familienglück der Unterschicht, das „Shameless“ (zumindest in den ersten Staffeln) so sehenswert machte.

Aber Sprachlosigkeit ist ja nichts schlechtes, solange sie von Neugier begleitet ist. Die Neugier bleibt, denn nach der zweiten Episode ist immerhin das klar: von den (Film-)Klischees Tarantinos (die ich gar nicht kritisieren will, denn genau um solche geht es Tarantino ja) könnte „Hit & Miss“ nicht weiter entfernt sein. Eine Transsexuelle in einer gebrochenen, aber doch überwiegend als stark gezeichneten Rolle: das ist eine phantastische Idee; ein Berufskiller mit größten Problemen, was seine sexuelle Identität angeht, in einem nordenglischen Familiendrama: diese Idee ist so far out, dass ich (vielleicht nicht im wörtlichen Sinne, aber im übertragenen) mit offenem Mund vor dem Fernseher saß und dachte: Wow, so mutig muss man erst mal sein. Hut ab, Sky Atlantic!