The Episodes of „Free Agents“

24. September 2011 2 Kommentare

„Episodes“ (Showtime/BBC2, 2011) war die Sitcom-Aufarbeitung eines Traumas, das britische Fernsehschaffende davontragen, wenn ihre (britische) Erfolgsserie in den USA reproduziert wird: Dann werden grundfalsche Hauptdarsteller besetzt (in „Episodes“ war es Matt LeBlanc als gesetzter Internats-Leiter) und Nichtskönner in Nebenrollen, der Ton ändert sich (und zwar eher selten in Richtung sophistication), und überhaupt stimmt nichts mehr. Aber alle (Briten) machen alles mit, weil sie sich viel Geld und gute Nachfolgeaufträge in Amerika versprechen.

„Free Agents“ (Channel 4, 2009) war eine britische Sitcom, in der Stephen Mangan (mhm, der aus „Episodes“) und Sharon Horgan zwei Schauspiel-Agenten gaben, deren Leben aus verschiedenen Gründen in Trümmern lag, die aber trotzdem (oder deswegen) eine On-and-off-Beziehung pflegten, welche vom Zynismus ihres Arbeitsplatzes und der Kaputtheit ihres Privatlebens geprägt war. Ihm kamen postkoital gerne die Tränen, wenn er an seinen bei der Mutter lebenden Sohn dachte, sie hatte noch immer zwei Dutzend große Porträts ihres toten Verlobten in der Wohnung aufgehängt. Eine böse, kleine Serie mit dunkler Grundstimmung und ohne großen Publikumserfolg, produziert von Nira Park („Spaced“, „Black Books“).

https://www.youtube.com/watch?v=c1Mf93_2Hq0?version=3&hl=de_DE

Nira Park ist auch bei dem US-Remake von „Free Agents“ (NBC, 2011) mit an Bord, ebenso Christopher Anthony Head, der abermals den Agenturboß spielen darf. Die Hauptrollen aber sind gegangen an Hank Azaria („The Simpsons“) als Alex und Kathryn Hahn als Helen; Chris Niel, Autor des Originals, tritt hier als Co-Creator und Producer an. Der Rest ist wie bei „Episodes“ beschrieben: Alle strengen sich an, so gut sie können in unterschiedliche Richtungen zu ziehen, und das Ergebnis ist schauderlich.

Das beginnt bei der Hauptfigur: Hank Azaria ist nicht ganz zehn Jahre älter als Mangan. Sein Alex wirkt wie ein durchtrainierter Fünfzigjähriger mit dichtem, dunkel gefärbtem Haar — durch und durch dominant und insofern das genaue Gegenteil von Mangans Alex, der eher unsicher war und mit Mitte dreißig immer noch der ewige Nachwuchs, der niemals in die Chefetage aufrücken wird. Tatsächlich darf Azaria schon in der ersten Folge seine beeindruckenden Brustkorb oben ohne herzeigen — ein Schelm, wer immer noch nicht an LeBlanc denkt.

Dafür ist seine Partnerin Helen praktisch durchsichtig: mit Kathryn Hahn funkt aber mal so gar nichts. Auch zwischen Horgan und Mangan funkte es zu Beginn der Serie wie zwischen einem Handtuch und einem nassen Waschlappen, aber immerhin war so viel Chemie zwischen den Figuren vorhanden, daß es regelmäßig Momente gab, in denen man es sich wenigstens vorstellen konnte, daß das funktionieren könnte: In den Dialogen, in kleinen Gesten, die vermutlich schwierig zu spielen sind, aber hey, dafür werden Schauspieler ja bezahlt. Zwischen Azaria und Hahn aber ist nur Vakuum, und das ist vorwiegend: ziemlich langweilig. Dafür ist das Agentur-Brimborium aufgeblasener als in England — schließlich sind wir ja in den Vereinigten Staaten, wo bekanntlich alles größer, toller und lustiger ist.

Nun produziert Azaria das Ganze auch, nicht zuletzt deswegen wird er (sich) da so in Szene gesetzt (haben), und das macht „Episodes“ (US) noch unerträglicher: Daß man so mit der Nase drauf gestoßen wird, daß da kein Underdog, kein Verlierer am Ende doch noch eine Chance kriegt (oder auch nicht). Sondern daß sich abermals ein US-Comedian, der vermutlich genügend Geschmack und Geld hat, um britische Comedy zu goutieren und dann auch noch kaufen zu können, eine weitere Britcom unter den Nagel gerissen hat.

Nun, uns bleibt ja noch das Original. Das ist übrigens neulich bei ZDF neo gelaufen und wird deshalb im November auf deutsch auf DVD erscheinen.

Schneekugel, unter Wasser

18. September 2011 2 Kommentare

Irgendwo mitten im Film steht, nicht wirklich im Zentrum der Aufmerksamkeit, ein Aquarium hinter dem Küchentisch, an dem Oliver sitzt, und strahlt blau. Gleichmäßig steigen Luftbläschen im Wasser auf, weiß und geräuschlos, und so statisch, wie dieser Moment ist, könnte man denken, es sei Schnee, der auf eine Winterlandschaft fällt. Nur daß er eben von unten nach oben fällt, und es ist kein Schnee, und es ist auch keine Winterlandschaft.

Oliver Tate (Craig Roberts) ist fünfzehn und lebt in einer Kleinstadt in Wales. Dem Harold aus „Harold and Maude“ nicht ganz unähnlich, träumt er im Prolog, während er im Unterricht sitzt, von seinem Tod, von einer Schuldurchsage mit brüchiger Stimme, untröstlichen Klassenkameraden, einem Tor, das mit Blumen, Porträts und Kerzen geschmückt ist, einem Kamerateam, das berichtet, und beispiellosen Szenen, in denen ein Trauerzug für ihn durch die nächtliche Stadt abgehalten wird. Ein Verlust, wie größer noch keiner war. Herzergreifende Szenen.

In anderen Momenten träumt er von Jordana Bevan (Yasmin Paige), dem bösartig-rätselhaften Mädchen in seiner Klasse, und geht sogar so weit, beim Trietzen einer dicken, tumben Mitschülerin mitzutun, um Jordana zu beeindrucken. Jordana ist tatsächlich beeindruckt, und schnell nimmt Oliver an, sie seien nun zusammen.

Unterdessen braut sich aber zuhause etwas zusammen: Olivers Eltern, der bis zur Depression in sich zurückgezogene Vater Lloyd (Noah Taylor) und seine über die Jahre spießig gewordene Mutter Jill (Sally Hawkins) haben kaum noch Sex. Jedenfalls findet Oliver bei seinen Überwachungstouren den Schlafzimmer-Dimmer immer seltener auf halb gedreht vor. Und dann zieht nebenan auch noch der Motivations-Guru und Vollidiot Graham T. Purvis ein, der in billig dekorierten städtischen Sälen seinem Publikum erzählt, jeder Mensch sei ein Prisma und Licht das wichtigste überhaupt. Ach ja, und Olivers Mutter war, ganz früher, mal mit Graham zusammen, bevor sie auf den Marinebiologen Lloyd getroffen ist.

https://www.youtube.com/watch?v=P-WCCdkVDr4?version=3&hl=de_DE

Vieles hätte ich von Richard Ayoade erwartet, dem Maurcie Moss aus „The IT Crowd“ (Channel 4, seit 2006), der auch „Garth Marenghi’s Darkplace“ (Channel 4, 2004) mitgeschrieben hat und zur erweiterten Belegschaft von „The Mighty Boosh“ (BBC3, 2004 – 07) gehörte — nicht aber eine so brillante Regie, einen so schönen Film wie „Submarine“ (2010). „Submarine“ ist ein Coming-of-Age-Film, wie es lang keinen gab: mit glaubwürdigen Figuren (prima gespielt vor allem von den Nachwuchstalenten Roberts und Paige), einer realistischen Handlung in einer halb-realistischen Erzählform, und Meta-Elementen, die an der Grenze zum Allzu-Cleveren sind, aber gerade so noch dem Film einen eigenen Tonfall geben: Die Schrift-Einblendungen etwa, die Prolog, ersten und zweiten Akt sowie Showdown ankündigen, oder Olivers Wunsch, ein Kamerateam möge seinen Alltag begleiten.

Es stimmt alles in diesem Comedy-Drama, und der Soundtrack, die erste  Solo-Arbeit des Arctic Monkeys-Gitarristen und -Songwriter Alex Turner, trägt nicht zuletzt zu der Atmosphäre bei, die diesen Film genauso wie der meist trübe Himmel aufs Feinste unterstützt. Letzteres nicht ganz freiwillig; die Dreharbeiten in Wales waren mißgünstigem Wetter ausgesetzt, das der Filmarbeit nicht förderlich war — dem fertigen Film aber doch.

Richard Ayoade als Regisseur, das könnte Zukunft haben. Geübt hat er jedenfalls schon ein bißchen: Von ihm stammen diverse Arctic-Monkeys-Videos, dito Videos zu Songs von den Super Furry Animals, Vampire Weekend, Kasabian und den Yeah Yeah Yeahs.

In eigener Sache (2)

16. September 2011 Keine Kommentare

Heute im Magazin der Süddeutschen Zeitung: Der große Persönlichkeitstest „Sind Sie ein Mann?“ von moi (S.34 – 39).

Hier drei Bonusfragen zum Ausschneiden und Ins-SZ-Magazin-Kleben:

Am nächsten Morgen gehen Sie joggen, und zwar
a) …mit kurzen, engen Hosen. (-3)
b) …mit einer Flasche Wasser am Gürtel. (-5)
c) …zum Bäcker um die Ecke, Brötchen, Zeitung und Zigaretten holen. (4)

Gesetzt den Fall, Sie wären gleichzeitig mit Babydienst dran: Wie würden Sie beim Joggen den Kinderwagen schieben?
a) mit beiden Händen (-2)
b) mit einer Hand (-4)
c) freihändig (-6)

Wo wir schon dabei sind: Nerven Ihre Kinder Sie?
a) ja (3)
b) O ja! (5)
c) Wer könnte von so hilflosen kleinen Geschöpfen denn genervt sein? (-3)

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In eigener Sache

14. September 2011 Keine Kommentare

 Heute abend in Frankfurt/M.? Noch nichts vor? Dann auf in die Berger Straße 228, wo um 21 Uhr Max Witzigmann und ich lesen werden! Die Frankfurter Rundschau berichtet! Restkarten an der Abendkasse; die weiteren Termine finden Sie auch auf dieser Seite.

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The days are (out-)numbered

10. September 2011 1 Kommentar

Die vierte Staffel „Outnumbered“ (BBC1) hat begonnen — und zwar mit einem sehr beunruhigenden Gefühl meinerseits. Denn einerseits liebe ich diese Familien-Sitcom, seit sie vor vier Jahren gestartet ist. Andererseits ist mittlerweile nicht mehr zu übersehen, daß die Premisse der ganzen Serie auf immer wackeligeren Beinen steht.

Denn die Spannungen, die Verhältnisse zueinander in einer Familie verschieben sich, wenn die Kinder älter werden. Und war es in der letzten Staffel Jake (Tyger Drew-Honey), der sich dank Pubertät und Stimmbruch überraschend schnell verändert hatte, so ist es in dieser Karen (Ramona Marquez), die jüngste, die mittlerweile neun ist — und einen irritierenden Schub weg von unschuldig-niedlich hin zu moppelig-hochgeschossen hinter sich hat.

https://www.youtube.com/watch?v=FQi-_geTobE?version=3&hl=de_DE

In der letzten Staffel hatten Andy Hamilton und Guy Jenkin Jakes Pubertät thematisch angemesse in die „Outnumbered“-Skripte eingebaut. Da ging es dann verstärkt um Freundinnen und illegale Musikdownloads, was seiner Figur des ältesten Kindes der Familie völlig entsprach, das mit dem Älterwerden andere und größere Probleme hat als seine Nachgeborenen.

Bei der ersten Folge der neuen Staffel aber kam es mir so vor, als hätte Karen ihre kindliche Phantasiewelt nicht verlassen dürfen, um weiterhin skurrilen und mädchenhaft versponnenen Quatsch reden zu dürfen, auf den Ben (Daniel Roche, mittlerweile elf) weiterhin mit seinen eher jungshaften Gewaltphantasien reagieren kann. Dafür, das zumindest war mein Eindruck, ist sie aber mittlerweile doch ein bißchen zu alt (vielleicht auch nur zu groß) — was im ersten Moment sehr befremdlich wirkte (um mal nicht das Wort „Zombie“ zu verwenden).

Andererseits habe ich selbst keine Kinder, kann also gar nicht angemessen beurteilen, wie erwachsen Kinder in welchem Alter so sind oder sein können — womöglich ist es schlicht meine eigene Übertragung eines ganz anderen Problems auf Karen: Nämlich daß ich ein immer verzweifelteres Festhalten an alten Sitcom-Ideen bemerke, statt daß langsam mal neue Serien mit neuen Ideen probiert werden. Nichts gegen die Fortsetzung beliebter Serien, aber die alte Tradition des englischen Fernsehens, Sitcoms nach zwei, spätestens drei Staffeln zu beenden, hatte schon ihren Sinn: Meistens sind die Serien an diesem Punkt nämlich auserzählt, und es schadet nie, dann aufzuhören, wenn es am schönsten ist. Schon um Platz für Neues machen zu können. Die letzte, vierte Staffel „Lead Balloon“ (BBC2) machte da keine Ausnahme.

An Neuem aber hapert es gerade gewaltig. Was natürlich nicht zuletzt ein Grund dafür ist, daß dieses Blog in letzter Zeit so selten mit Lobeshymnen über neue Serien aufwartet. Weder „Trollied“ (Sky1) noch „Mount Pleasant“ (ebenfalls Sky1) haben meine Erwartungen erfüllt, und die größten Nachrichten aus dem britischen Comedybusiness heißen derzeit „The Fast Show“ kommt im Internet zurück (wie vor Jahresfrist „Alan Partridge“ gesponsert von der Brauerei eines bestenfalls mittelmäßigen Biers), „AbFab“ kommt mit einem Extra zurück, Ricky Gervais moderiert die „Golden Globes“ zumindest in einem Podcast doch noch einmal, ach je, kann bitte mal jemand das Fenster aufmachen und ein bißchen frische Luft reinlassen? Es wird langsam doch arg stickig. Danke!

Sitcom, doggystyle

1. September 2011 2 Kommentare

Kommt nicht oft vor, daß eine australische Sitcom den Sprung ins US-Fernsehen schafft. „Wilfred“ (FX, 2011) aber ist es gelungen, und mehr als das: die Hauptfigur, der titelgebende Wilfred, wird weiterhin von seinem australischen Schauspieler verkörpert, dem Co-Creator der Show Jason Gann.

Wilfred ist ein Hund. Na ja, nicht wirklich: Er ist ein unrasierter, leicht moppeliger Thirtysomething, der in einem grotesken Hundekostüm steckt, raucht, trinkt und kifft. Und spricht. Aber alle halten ihn für einen Hund. Alle bis auf Ryan (Elijah Wood — ja, richtig gelesen: Elijah Wood!).

Der versucht in der ersten Folge vergeblich, sich mittels Tabletten umzubringen — und hat dann, statt tot zu sein, einen neuen Buddy: Wilfred, der eigentlich der attraktiven neuen Nachbarin Jenna (Fiona Gubelmann) gehört. Wilfred verhält sich allerdings nur bedingt wie ein Buddy: Zwar bringt er Ryan bei, auf einiges zu scheißen (etwa auf einen Job, für den er buckeln müßte), bringt ihn aber auch ordentlich in die Bredouille, indem er die erstbeste Gelegenheit nutzt, mit Ryan zusammen bei seinem anderen Nachbarn, dem Motorrad-Proll Spencer (Ethan Suplee, „My Name is Earl“) einzubrechen, ihm die Marihuana-Stauden zu klauen und in die Stiefel zu scheißen. Was nicht so schlimm wäre, hätte Wilfred nicht Ryans Portemonnaie am Tatort hinterlegt.

Klingt nach lowbrow Comedy, und tatsächlich sind viele Gags eher einfach (nichtsdestoweniger lustig): Wenn Wilfred an Straßenlaternen pinkelt (im Stehen, nicht auf drei Pfoten), Kellnerinnen erst anschmust und dann ihr Bein bespringt, Motorrädern schreiend hinterherrennt oder während der Fahrt aus dem Beifahrerfenster Leute in Nachbarautos anspricht. Männer in Hundekostümen, das ist eins über Männern in Frauenkleidern.

https://www.youtube.com/watch?v=ZR1VdlLiNK8?version=3&hl=de_DE

Aber es bleibt nicht bei dieser Ebene. Sondern es geht in jeder Folge um ein quasi-philosophisches Thema: Ryans Ängstlichkeit, Sterben und Tod, „Carne diem“. Eine melancholische Stimmung liegt oft über der Serie, die dem Klamauk oft ungeahnt Tiefe verleiht. „You, me, what’s the difference?“ fragt Wilfred Ryan einmal, und schon vorher hat er ihn mit der Frage verunsichert, ob sie nicht in Wirklichkeit die selbe Person sind. Nur Spaß, natürlich.

Dieses philosophische Halbdunkel stammt aus der Originalserie, die in zwei Staffeln (2007 und 2010) auf SBS One in Australien gelaufen ist. Die Witze allerdings sind im Original spärlicher — die stammen (vermute ich) vom Developer und Produzenten des Remakes David Zuckerman („Family Guy“). Zusammen ergibt das eine schöne Serie mit Independent-Anmutung, bei der man sich wieder mal fragt: Wieso ist da noch nicht früher einer drauf gekommen? Und sagen Hunde wirklich so schöne Sachen wie „What are you, a Golden Retriever? What do you care what other people think“?