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Artikel Tagged ‘Annie Griffin’

Erlesene Britcom

22. Juli 2009 4 Kommentare

The Book GroupKomisch, wie sehr man doch unwillkürlich vom Cover auf das Buch schließt: Ich habe Annie Griffins „The Book Group“ (Channel 4, 2002) lange links liegen lassen, weil mir das DVD-Cover so billig erschien (wie die DVD selbst es bei Amazon auch war) — und weil ich ihren Film „Festival“ so schwach fand. Eine schwere Fehleinschätzung! Channel 4 hat „The Book Group“ nach dem Ende der zweiten Staffel „Black Books“ auf deren Sendeplatz programmiert — und auf diesem Level befindet sie sich auch.

Denn „The Book Group“ ist sophisticated. Es beginnt als Kammerspiel: Die Amerikanerin Clare (Anne Dudek, das „eiskalte Biest“ aus „House“) ist neu in Glasgow. Um Freunde zu finden, gründet sie eine Lesegruppe, zu der sich in der ersten Folge eine bunte Truppe zusammenfindet: Ein extrem gutaussehender, stets ernster Querschnittgelähmter, drei vom Alltag unterforderte Gattinnen von Profifußballern (eine davon Holländerin, eine Schwedin sowie, in der Rolle der Janice, Michelle Gomez („Green Wing“)), ein blasierter Literaturstudent sowie ein offenbar berufsloser Trainingsanzugträger, von dem man bis zum Schluß nicht sicher sein kann, daß er überhaupt alphabetisiert ist. Dieser Haufen liest nun pro Folge ein Buch, zunächst Kerouacs „On The Road“, und in der ersten Folge geht es sogar noch erstaunlich viel um Literatur: „I think he was saying something about the superficialness of American culture. The American Dream, that anyone can go on a trip“, brilliert die Holländerin in ihrer Analyse.

In der zweiten Episode nehmen sie sich Paul Coelhos „Alchemist“ vor; nun gibt es schon viel mehr Schauplätze als nur ein Wohnzimmer, und es geht auch viel weniger um den Roman. Stattdessen bäckt Janice lieber eine Torte mit einem schönen Marzipan-Buch obendrauf und übt vor dem Spiegel Autoren-Interviews („Do you prefer a typewriter or the human hand?“). In der dritten Folge dann arbeitet „The Book Group“ mit dem Stilmittel des magischen Realismus, schließlich geht es um Márquez‘ „Liebe in Zeiten der Cholera“: „As the weeks go by, watching The Book Group is like watching something gently unfold. A flower maybe. Or a book“, lobpreist der Guardian.

Tatsache: In jeder weiteren Folge gewinnen die Figuren an Tiefe, werden immer vielschichtiger, überraschen mit Wendungen, die ihre Charaktere aber nicht brechen, sondern spannender machen; insbesondere für den Studenten Barney, dargestellt von James Lance („Moving Wallpaper“, „Boy Meets Girl“) hält das Drehbuch einige Überraschungen bereit. Das Drehbuch nimmt seine Figuren und ihre Twists sogar so ernst, daß sich die Serie unter der Hand beinah in ein Comedy-Drama verwandelt. Da bedauert man es einmal mehr, daß britische Serien immer nur sechs Folgen haben, und auch hier nur eine weitere, zweite Staffel das Licht der Mattscheibe erblickt hat. Wer sich diesen Monat aber nur eine DVD zulegen möchte: Der greife bitte zu „The Book Group“. Es wird sein Schaden nicht sein.

Who cares about funny?!

12. Juni 2009 1 Kommentar

Es klingt wie eine gute Idee: Eine entlarvende Komödie über Comedians, die sich auf der Bühne locker und cool geben, im Privatleben aber bestenfalls als humorlos, eitel und aufgeblasen durchgehen. Eine kleine Independent-Produktion, ein Ensemble-Film über ein Festival, bei dem auch Comedy aufgeführt und ausgezeichnet wird, gedreht auf dem Edinburgh Festival Fringe. Ein Film, in dem man es esoterischen Schauspielern und selbstverliebten Agenten reinreichen kann, nach Höherem strebenden Lokalradiomoderatoren und höheren Töchtern, die so gerne auch frei und kreativ wären wie die von Festival zu Festival vagabundierenden Schauspieler. Ein Film, der einen Blick hinter die Kulissen der Gaukler ermöglicht, auf schalen Sex und unmäßigen Alkoholkonsum, vergeigte Karrieren und permanente Sucht nach Aufmerksamkeit.

Ein solcher Film wäre „Festival“ (2005) gerne, und die Anlagen dazu hat er auch: Gute Schauspieler/Comedians wie Stephen Mangan („Green Wing“), Amelia Bullmore („Jam“, „I’m Alan Partridge“, „Big Train“), Raquel Cassidy („Lead Balloon“) und Chris O’Dowd („The IT Crowd“). Jubel und Trubel eines Festivals, das Gelegenheit für Improvisationen mit ahnungslosen Festivalbesuchern bietet. Und ein Drehbuch, das dem ewig angeekelten und überdrüssigen Star-Comedian Sean Sullivan (Mangan) wie der Radiomoderatorin Joan Gerard (Daniela Nardini) finstere Ausbrüche zuschreiben kann — ihm, weil ihn sein Job längst anekelt, ihr, weil sie gerne ihre Position als Comedy-Jurorin sexuell ausnutzen würde, aber eher selbst ausgenutzt wird:

„Arsehole comedians! ‚Look at me, look at me, laugh at me, laugh at me.‘ Christ, haven’t we not had enough?! Who cares about funny? What’s all the fuss about funny?!“

„Oh, this is the comedy awards, Joan…“

Und natürlich ergeben sich auch Gelegenheiten, es den Größen des Metiers zu besorgen:

„Eddie Izzard — he can’t do voices. Only got one accent: Tranny London Pothead.“

Leider schafft es „Festival“ aber nicht, sein Potential auszuspielen: Der Film kann sich nicht entscheiden, ob er Komödie, Melodrama oder doch sogar Tragödie sein will. Die Erzählstränge sind zu belanglos nebeneinandergestellt und bleiben weitgehend unverknüpft. Keine Figur schafft es, sympathetisch zu werden. Nicht einmal das Aufgebot von Comedians, die kleinere Auftritte haben, von Richard Ayoade (ebenfalls „The IT Crowd“) über Tom Goodman-Hill (der Polizist aus „Ideal“) bis Neil Fitzmaurice (Sophies Arbeitskollege aus „Peep Show“), reißt es raus, und auch nicht die Fülle an expliziten Sexszene inklusive Fistfuck: „Festival“ bleibt irgendwie schal, hinterläßt keinen bleibenden Eindruck außer dem, daß man einer vertanen Chance zugesehen hat. Vertan von Annie Griffin, deren Buch und Regie hier gefloppt sind. Was mich nicht sehr zuversichtlich stimmt, daß ihre Sitcom „The Book Group“ der Burner ist, der mir bislang entgangen ist. Na, schaumermal.