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Ist „Fleabag“ die erste Millennial-feministische Britcom?

16. September 2016 3 Kommentare

Mitte vierzig bin ich nun bald und also nicht prädestiniert, Millennials und ihre Eigenheiten sofort verstehen und goutieren zu können. Aber seit „Fleabag“ (BBC3, seit heute auch als Amazon Original (?!), allerdings womöglich nur in den USA) meine ich, sie ein bisschen besser verstehen zu können.

Phoebe Waller-Bridge, bislang (oder sagen wir, bis zu ihrer anderen gerade erschienen Serie „Crashing“ (Channel 4), später mehr dazu) allenfalls als Anwältin in der zweiten Reihe bei „Broadchurch“ (ITV, seit 2013) aufgefallen, ist Jahrgang 1985, spielt die titelgebende weibliche Hauptrolle (angeblich ist auch im wahren Leben Waller-Bridges Spitzname Fleabag) und hat sowohl das der Serie zugrundeliegende Theaterstück geschrieben als auch die Serie selbst, die dementsprechend durch und durch ihre Handschrift trägt: die einer jungen Frau, die sich selbst sieht als „greedy, perverted, selfish, apathetic, cynical, depraved, morally bankrupt woman who can’t even call herself a feminist.“

Ob man das nun als modernisierte Version von „Bridget Jones“ sehen möchte, als „‚Miranda‘ mit Analsex“, wie David Baddiel lästert, oder als UK-Version von „Girls“: Fleabag erzählt jedenfalls tatsächlich auf eine neu-feministische, selbstsichere, selbstermächtigte Weise, u.a. von Analsex, und zwar währenddessen als aside, beiseite gesprochen, direkt in die Kamera — ein Stilmittel, das man nun tatsächlich eher aus dem Theater (und, wenn man David Baddiel ist, von „Miranda“) kennt –, von komplizierten Beziehungen — und sie hat nur komplizierte Beziehungen, nicht nur zu boyfriends (u.a. Hugh Skinner, „W1A“), sondern auch zu ihrer Schwester, ihrem Vater, ihrer Stiefmutter (Olivia Colman, als narzisstische Künstlerin fantastisch), ihrem Bankmanager (Hugh Dennis, „Outnumbered“) … und ihrer früheren Freundin und Café-Mitbesitzerin Boo (Jenny Rainsford).

Deren der Serie vorangegangener Tod, ebenso wie der von Fleabags Mutter, Trauer und Verlust sind die dramatischen Elemente, die „Flebag“ erst die Tiefe und Dreidimensionalität geben, die die Serie so herausragend machen — und die ansonsten überaus spröde, promiske, dauerironische Fleabag überhaupt nahbar, menschlich, einer Identifikation zugänglich.

Sie ist nämlich ansonsten gar nicht mal so sympathisch, sondern, wie es sich für die konfliktbeladene Hauptfigur einer britischen Sitcom gehört, durchaus opportunistisch, beziehungsunfähig und nicht zuletzt grenzkriminell; jedenfalls bekommt der Diebstahl einer kleinen Büste, die ihre Stiefmutter gemacht hat, schnell ein anderes Gewicht als die reine Rachsucht und Böswilligkeit einer egomanen Vaterräuberin gegenüber, die er zunächst zu sein scheint. Denn Fleabag klaut die Büste nicht nur, sondern versucht sie auch zu Geld zu machen — und zu nicht wenig, denn wie sich herausstellt, ist das Ding keinswegs wertlos.

Wie soll sie auch ahnen, dass ihr Schwager, dem sie die Hehlerware überlässt, diese Büste, statt sie zu verkaufen, seiner Frau, Flebags Schwester Claire (Sian Clifford) schenkt, die die Herkunft des Schmuckstücks natürlich sofort durchschaut und daraufhin Flebag zwingen möchte, sie ihrer Stiefmutter zurückzuerstatten? Hilarity ensues.

Erst allmählich lässt einen die Serie, lässt einen die Hauptfigur einen Blick hinter die zugegeben oft lustige und pointiert komische gesellschaftliche Fassade werfen, hinter der sie den dunklen Fleck auf ihrer Seele so gut versteckt wie das Muttermal auf ihrer Stirn, das zumeist von einer Haartolle verdeckt wird und doch da ist, als Makel, der unübersehbar wäre, würde Fleabag nicht so viel Kraft und Aufwand darauf verwenden, ihn zu verstecken.

Zu der schwarzen Komik kommen in „Fleabag“ also, vergleichsweise spät, aber dafür umso wirkmächtiger, eine anrührende Aufrichtigkeit und Menschlichkeit, die den Erfolg von Phoebe Waller-Bridges Theaterstück perfekt erklären (Fringe First Award 2013, The Stage Best Solo Performer 2013, Off West End Award For Most Promising New Playwright 2013, Off West End Award For Best Female Performance 2013, Critics’ Circle Award For Most Promising Playwright) und zuversichtlich stimmen, dass von Waller-Bridge auch in Zukunft Großes zu erwarten ist.

Wer, wie ich, zuerst „Fleabag“ und dann „Crashing“ gesehen hat, kommt nicht umhin, von Letzterem, nun, nicht enttäuscht, aber nicht ganz so begeistert zu sein wie von Ersterem: denn „Crashing“ erzählt um einiges konventioneller die Ensemble-Geschicht einer Handvoll Twenty-bis-Thirty-Somethings, die in einem leerstehenden Krankenhaus als property guardians, also als Zwischenmieter wohnen dürfen, solange sie die Bausubstanz erhalten. Auch hier haben wir es mit emotional defizitären und schwierigen Millennials zu tun, auch hier spielt Waller-Bridge eine vergrößerte Version ihrer selbst (wenn man das einmal unterstellen darf), auf eine ebenfalls komische, allerdings nicht ganz so düstere Art; „Crashing“ ist modern und schnell und voll mit guten Charakteren und Ideen — aber nicht ganz neu, wenn man z.B. „Fresh Meat“ (Channel 4, 2011 – 16) schon gesehen hat.

Phoebe Waller-Bridge aber darf schon mal als britische Comedy-Entdeckung des Jahres gelten (was dieses Jahr zugegeben nicht besonders schwierig ist). Ich freue mich darauf, mehr von ihr zu sehen.

Guter böser Laurie

29. März 2016 3 Kommentare

Abermals hat das britische Fernsehen (diesmal in Zusammenarbeit mit dem us-amerikanischen) eine Serie hervorgebracht, die so gut ist, dass man ihr keine zweite Staffel wünscht: „The Night Manager“ (BBC1/AMC; seit gestern in Deutschland via Amazon Prime zu sehen), die aktualisierte Verfilmung eines John-le-Carré-Thrillers um den erfolgreichen, charismatischen und höchst kriminellen Waffenhändler Richard Roper (Hugh Laurie) und den Nachtportier eines Kairoer Hotels und ehemaligen britischen Soldaten Jonathan Pine (Tom Hiddleston), der in den Wirrungen des arabischen Frühlings zufällig an ein Dokument gerät, das die Machenschaften Ropers aufdeckt. Woraufhin Pine in Zusammenarbeit mit Angela Burr (Olivia Colman), der Leiterin einer MI6-Unterabteilung, sich in die Kreise Ropers einschleicht — gefährlich, weil weite Teile des MI6 selbst in die Waffenschiebereien verwickelt sind, und verführerisch, weil nicht nur der Charme Ropers, sondern auch dessen Luxusleben ihre Wirkung auf Pine nicht verfehlen. Wird also Pine, von Roper zu seinem persönlichen Assistenten gemacht, die Seiten wechseln? Oder einen dummen Fehler begehen und sich in die Geliebte seines Chefs, Jed (Elizabeth Debicki), verlieben?

„The Night Manager“, eine sechsteilige Miniserie, sieht gut aus, denn offenbar ist viel Geld schon allein in die Drehs in aller Welt geflossen, und es macht Spaß, denn von Regie (die die Dänin Susanne Bier übernommen hat, die bislang vorwiegend für’s Kino gedreht hat) und Buch bis hin zu dem exzellenten Cast stimmt hier alles: Laurie genießt es sichtbar, einen Bösewicht zu spielen, der geistreich, jugendlich, sympathisch und attraktiv sein kann, Colman darf einmal mehr die (hier auch noch schwangere) Frau spielen, die als Polizistin/Agentin von allen unterschätzt wird wie schon in „Broadchurch“, und nicht zuletzt Tom Hollander als Ropers rechte Hand Lance Corkoran ist es gestattet, funkelnd bösartige Facetten zu zeigen, die man nach „Rev.“ (BBC2, 2010 – 14) nie an ihm vermutet hätte.

Einziger Wermutstropfen: „The Night Manager“ war so erfolgreich, dass eine zweite Staffel schon ausgemacht ist — und erzählt doch eine so abgeschlossene Geschichte, dass es schwer fällt sich vorzustellen, wie eine zweite Staffel da noch mithalten soll. Ein Problem, das immer mehr gute Fernsehserien haben: das oben schon erwähnte „Broadchurch“ etwa, das einen (sehr) abgeschlossenen Kriminalfall erzählte — und sich in der zweiten Staffel darauf verlegte, chronologisch weiter zu erzählen, nämlich die Gerichtsverhandlung des überführten Mörders und alles, was sich aus ihr für die kleine namensgebende Gemeinde ergibt, in der er stattfindet.

Das fand ich damals recht brilliant; im Nachhinein muss man aber einräumen, dass die Serie an die Qualität der ersten Staffel damit nicht mehr anschließen konnte, die tatsächlich enorm spannend war — ein dramaturgisches Element, das in der zweiten Staffel zwangsläufig (oder jedenfalls in der Dosierung der ersten) fehlte.

„Happy Valley“ (BBC1 seit 2014) hingegen, von dem ebenfalls kürzlich die zweite Staffel lief, obwohl ich es nach der sensationellen ersten hätte gut sein lassen, hat den Spagat geschafft und abermals einen Kriminalfall geschildert, ebenfalls in einer eher überschaubaren Stadt, der für die alternde Polizistin Catherine Cawood (Sarah Lancashire) wiederum mit höchst persönlichen Elementen verkompliziert wird, ohne dass das in der Wiederholung dieser sehr speziellen Umstände unangenehm aufgefallen wäre. Autorin Sally Wainwright, die ich schon nach der ersten Folge der ersten Staffel „Happy Valley“ für ihr Können bewundern musste, ist es gelungen, dieses Rezept zu variieren, so dass es sowohl der ersten Staffel treu bleiben als auch genügend Neues bieten konnte, ohne als Selbstplagiat oder zu weit vom Original entfernt empfunden zu werden.

Und, gna gna, natürlich hängt auch hier das Damoklesschwert einer weiteren Staffel abermals über der Serie — kann man diesen Zaubertrick denn nun ein drittes Mal …?

Für „The Night Manager“ könnte dieser Trick besonders tricky werden, denn wenn ich das richtig sehe hat le Carré keinen weiteren Jonathan-Pine-Roman geschrieben, so dass es hier nicht nur den Grundgedanken der ersten Staffel, sondern auch noch den Geist des Originalautors zu bewahren gilt. Das hat, trotz einiger mittelgroßen Eingriffe in das Buch, in der ersten Staffel gut funktioniert, weil le Carré selbst als kreativer Berater der Produktion zur Seite stand.

Vielleicht fühlt sich le Carré ja so geschmeichelt, dass er auch bei der zweiten Staffel „The Night Manager“ selbst mit Hand anlegt. Und wenn sie es dann noch schaffen, auch den fabelhaften Hugh Laurie wieder mitspielen zu lassen … toi, toi, toi.

Die entscheidende letzte Folge

20. Mai 2015 7 Kommentare

Können letzte Folgen ganze Serien ruinieren? Kann die letzte Episode einer Staffel alle elf oder 23 (oder auch nur fünf) Episoden vorher so irreparabel beschädigen, dass man sich ärgert, seine Zeit damit verschwendet zu haben?

Klar, können sie. Und umgekehrt: Letzte Folgen können ganze Serien im Rückblick in neuem Glanz erstrahlen lassen, wenn Schlüsselinformationen mit einem Mal dafür sorgen, dass man alles, was zuvor geschehen ist, in neuem Licht sieht.

Und während letzteres etwa bei der brillanten Serie „Broadchurch“ (ITV 2013, erscheint morgen auf DVD — siehe Ende des Eintrags) der Fall ist, ist es bei „Fortitude“ (Sky Atlantic, 2015) leider wie zuerst beschrieben: Das Ende enttäuscht schwer, weil es zwar das serienbestimmende Geheimnis lüftet (Wer hat den elfjährigen Danny Latimer getötet?/Was ist auf der kleinen arktischen Insel los?) — aber halt auch nicht mehr als das. Es gibt keine zweite Ebene, kein Thema, das unter der Oberfläche dafür sorgt, dem Rätsel im Vordergrund eine quasi literarische Bedeutung zu geben, ohne die jeder Krimi, jeder Thriller, jede Mysteryserie seelenlose Dutzendware bleiben muss, weil es ohne diese Ebene nämlich völlig wurscht ist, ob es nun der Gärtner oder der Chauffeur oder das Alien oder ein Geheimagent aus Moskau war.

Die Genialität von „Broadchurch“ und Autor Chris Chibnall („Doctor Who“) ist es, das Thema der Serie offen anzuspielen und dabei doch bis zum Schluss mit dem Clou hinter dem Berg zu bleiben. Denn es ist von Anfang an klar: Das Thema ist hier die kleinstädtische Nähe, das enge Beziehungsgeflecht der überschaubaren Gemeinschaft, in der jeder jeden zu kennen glaubt — und in der ein so skrupelloser Mord an einem Kind umso erschreckender offenbart, dass man über seine Mitmenschen eben doch lange nicht so gut bescheid weiß, wie man glaubt.

Was man so weiß, reicht den meisten Menschen ja auch — dass ein schon mal straffällig gewordener Pädophiler also ein leichtes Ziel abgibt für den Mob, ist keine Überraschung. Die Überraschung liegt vielmehr in der ständigen Neubewertung der Beziehungen, die die Figuren untereinander haben: die völlig überforderte und übergangene örtliche Polizistin Ellie Miller (die sensationelle Olivia Colman) zum von außen hinzugezogene Ermittler Alec Hardy (ebenfalls toll: David Tennant), der ihr zu ihrem Leidwesen bei der anstehenden Beförderung vorgezogen und ihr vor die Nase gesetzt wird, und all die mehr oder minder verdächtigen Provinzler samt lokaler Klatschpresse.

„Broadchurch“ macht also das denkbar beste aus dem ewiggleichen Whodunnit-Prinzip, das mich bei den meisten Krimis sofort ermüden lässt: denn hier überrascht nicht nur, wer am Ende der Täter war, sondern auch welche Auswirkung die Auflösung auf das der Serie zugrundeliegende Thema hat.

(Es hat mich dementsprechend verblüfft, wie Chibnall die zweite Staffel angelegt hat, die Anfang dieses Jahres gelaufen ist: Sie hat nicht etwa einen neuen Fall an den Anfang gestellt, sondern den Prozess gegen den Täter der ersten Staffel. Das war tatsächlich genauso riskant, wie es sich anhört: Weil es die Erwartung aller Krimifreunde zunächst einmal radikal zerstört hat — nämlich die, dass es einen ähnlich spannenden Fall gibt wie den, der der ersten Staffel Rekordquoten und großes Mitfiebern seitens der Zuschauer eingebracht hat. Angeblich war die Frage nach dem Täter während der ersten Staffel schon während noch gedreht wurde so ein großes Ding, dass selbst die Schauspieler bis zum letzten Moment nicht wissen durften, wie alles ausgeht. In der Tat sind die Quoten der zweiten Staffel schnell eingebrochen, obwohl sich doch noch ein zweiter Fall entwickelt hat, der seinerseits wieder gut, aber eben viel konventioneller war als bei der ersten Staffel.)

„Fortitude“ nun legt ein ähnliches Netz: Hier ist es eine kleine Insel, die zu Spitzbergen gehört und auf der ebenfalls nur eine Handvoll Menschen leben, die allerdings aus aller Herren Länder stammen: denn Fortitude lebt hauptsächlich von den Minen, die nun sukzessive geschlossen werden. Um die Insel am Leben zu erhalten, plant die Gouverneurin Hildur Odegard (Sofie Grabol), Touristen mit einem Hotel anzulocken, das komplett in einen Gletscher hineingebaut sein soll.

Nun passiert aber ein Mord, mit dem die lokale Polizei (auch hier eine Parallele zu „Broadchurch“) überfordert ist, weil sonst nie Gewaltverbrechen auf der Insel passieren. So findet der zwielichtige Sheriff Dan Andersen (Richard Dormer) auch zunächst keine Erklärung — weder was den Mörder angeht noch sein Motiv. Das könnte zwar darin bestehen, dass der getötete Wissenschaftler (Christopher Eccleston in einer Gastrolle) keinen Zugriff auf die gefrorenen Überreste eines prähistorischen Mammuts erhalten soll — aber genau weiß man es nicht.

Nun entwickelt sich auch in „Fortitude“ ein psychologisches Spiel, das von überragenden Schauspielern (u.a. Michael Gambon, Stanley Tucci und Darren Boyd, der auch in ernsten Rollen etwas kann), toll inszenierten und teils ziemlich brutalen Bildern lebt — und doch am Ende der großen Eröffnungsnummer nicht gerecht wird: weil die Auflösung zwar nach den Maßstäben moderner Thriller durchaus plausibel ist, aber eben kaum etwas mit dem Thema zu tun hat, das sich (wie bei Broadchurch) auch erst am Ende offenbart.

Das ist schade, weil man bis dahin schon so viel Zeit investiert hat (insgesamt sind es zwölf Episoden à netto 45 Minuten) — und sich dabei ja auch gut unterhalten gefühlt hat –, dass man einfach mehr erwartet hätte als eine solide, aber eben nicht überragende Auflösung des Ganzen. Doch wenn sich die zahlreichen Nebenhandlungen (die, wie gesagt, jede für sich ziemlich gut und auch sehr spannend sind) als eben genau das erweisen: Nebenhandlungen, die mit dem großen Plot am Ende nicht verknüpft sind — dann regiert (zumindest bei mir) schon eine leise Enttäuschung.

Sehenswert ist, das möchte ich festhalten, „Fortitude“ nun auf jeden Fall trotzdem: die fast 90% bei Rotten Tomatoes sprechen für sich. Aber eben weil Cast und Dramaturgie bis zum Schluss so vielversprechend sind, es nach den ersten Folgen ziemlich schnell ziemlich spannend wird, fällt das flache Ende umso mehr ins Gewicht.

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Eine „Broadchurch“-DVD der ersten Staffel habe ich zu verschenken — der erste Interessent in den Kommentaren kriegt sie!

Das glückliche Tal der schwachen Männer

Habe ich gestern geschrieben, dass „Happy Valley“ (BBC1, 2014) mich schon nach der ersten Folge überzeugt hatte, weil die sehr gut erzählt war, so ist mir im Laufe der weiteren fünf Folgen aufgefallen, was konkret mir an der (auch im Weiteren exzellent geschriebenen) Serie gefällt: nämlich ihre weibliche Perspektive und wie sie von schwachen Männern erzählt und davon, dass es vorrangig Frauen sind, die diese Schwächen ertragen müssen. Weil es vorrangig Männer sind, die kriminell werden, und weil ihre Taten Auswirkungen auf Familien haben, ob sie das wollen oder nicht — auf fremde Familien wie auf die eigene.

Dabei ist die größte Schuld der Männer (ich werde keine Inhalte erzählen, weil ich Spoiler vermeiden möchte) ihre Schwäche: Neid, Feigheit, Gier, Gewalttätigkeit — um nur mal vier zu nennen. Aus den Schwächen der Männer entsteht Verbrechen: Entführung, Vergewaltigung, Mord. Und die Verbrechen wirken sich auf Familien aus, auf Frauen, auf Kinder. „Happy Valley“ ist genauso sehr Drama- wie Krimiserie, und die Gewalttätigkeiten, die hier so explizit gezeigt werden, wie es derzeit eben erzählerischer Standard ist, in ein Familiendrama hineingetragen zu sehen, das macht „Happy Valley“ mitunter schwer erträglich. Und zu einer fantastischen Serie.

Starke Polizistinnen haben derzeit offenbar Konjunktur. Nicht nur in den USA („Fargo“), auch in Großbritannien gibt es mittlerweile einige: In „The Fall“ (RTÉ1/BBC2, 2013) ermittelte Gillian Anderson in Belfast in einer äußerst düsteren Atmosphäre einem Serienmörder hinterher, in „Broadchurch“ (ITV, 2013) war es Olivia Colman, die neben David Tennant in ihrem eigenen kleinstädtischen Umfeld den Mord an einem Kind aufklären musste. Mit erschütterndem Ergebnis.

Aber Sarah Lancashires Catherine Cawood in „Happy Valley“ ist weder die toughe, selbstbestimmte Ermittlerin, wie Anderson sie spielt, noch die schwache Ellie Miller aus „Broadchurch“. Sie ist beides: eine selbstbewusste, sehr professionelle Kriminalerin (die sich öfter gegen ihre tendenziell korrupten und faulen Kollegen durchsetzen muss), und alleinerziehende Oma, die unter dem Selbstmord ihrer Tochter beinah zusammenbricht. Auch sie ist also schwach, und auch aus ihrer Schwäche erwächst Schuld, wenn sie etwa mit einer jungen Polizistin strenger umspringt, als es der Situation angemessen gewesen wäre. Oder mit ihrem Exmann eine Affäre beginnt, obwohl der wieder in festen Händen ist.

Sally Wainwright, die „Happy Valley“ geschrieben hat, schafft es durch die Bank, Figuren zu zeichnen, die ungeahnte Tiefen und Untiefen haben. Keiner ist ganz böse oder ganz dumm und schon gar nicht ganz unschuldig; sie kompromittiert nicht einmal die übelsten Burschen unter ihren Figuren durch platte, zweidimensionale Darstellung, sondern gibt auch ihnen Momente, in denen sie uns nahe kommen. Näher als uns lieb ist sogar. Selbst das erbärmlichste Wiesel, der wachsweiche Kevin Weatherill (der brillante Steve Pemberton), der zwischendurch zur Witzfigur mit comic relief-Momenten wird, kriegt eine Szene, in der er eine böse Wahrheit aussprechen darf und uns damit klar macht, wie sehr wir uns vor moralischer Überlegenheit hüten sollten. Weil es womöglich gerade die Selbstgerechtigkeit ist, die uns schuldig werden lässt. Böse Ironie also.

Diese böse Ironie ist bei „Happy Valley“ schon im Titel zu spüren: happy valley nennen die Cops die Gegend, in der die Serie spielt, wegen des massiven Drogenkonsums dort.