Als ich sechzehn, siebzehn war, war Titanic mehr für mich als nur leichte Unterhaltung. Das war die Zeit vor Internet und Smartphones; meine Informationen bekam ich aus der örtlichen Tageszeitung (wenn ich sie denn las) und aus der „Tagesschau“. Hin und wieder schmökerte ich in der Schulbibliothek in den wöchentlichen und monatlichen Zeitungen und Magazinen, aber das war im Grunde mehr Pflicht, die Erfüllung eines bildungsbürgerlichen Auftrags — tatsächlich fand ich das meiste, was ich da las, fürchterlich langweilig.
Als ich aber Titanic entdeckte, war das der Schlüssel zu einer Schatzkiste: In den „Briefen an die Leser“ erfuhr ich, wer was Dummes gesagt oder getan hatte, und vor allem, wer überhaupt so relevant war, daß er da auftauchte. Und in den Artikeln bekam ich nicht nur die satirische Einordnung und den komischen Kommentar zu Politik, Medien und Literatur, sondern vor allem erstmal die Nachrichten selbst: wenn ich das neue Heft gelesen hatte, fühlte ich mich besser informiert als nach der Lektüre von Zeit, SZ und Spiegel zusammen.
Hunting down the news and beating the truth out of it nennen sie das bei „10 O’Clock Live“ (Channel 4). Eine gute Dreiviertelstunde lang präsentieren Charlie Brooker, Jimmy Carr, Lauren Laverne und David Mitchell immer Mittwochs eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Mischung aus Information, Talk und Comedy, die deutlich von der Attitüde der drei Comedians getragen wird: Da darf zunächst Jimmy Carr, üblich schwarzhumorig, in einem Stand Up-Solo die Meldungen der Woche durchgehen (ja, die schnelle, kurze Form am Anfang bewährt sich halt immer wieder, egal ob in Print- oder TV-Magazinen). Danach variiert die Reihenfolge, aber immer gibt es ein Gespräch, in dem David Mitchell entweder schön konfrontativ mit Bänkern (und ihren Kritikern) über ihre Bonus-Zahlungen reden darf oder in Einzelgesprächen die britische Grünen-Vorsitzende Caroline Lucas oder Alastair Campbell in die Zange nimmt, den vormaligen Spin Doctor von Tony Blair (der auch die Vorlage für Malcolm Tucker abgeben durfte). Charlie Brooker wirft einen deutlich „Screenwipe“-geprägten Blick auf Ägypten oder Sarah Palin und welches Bild jeweils die Medien vermitteln, Jimmy Carr beleuchtet ein aktuelles Thema quasi kabarettistisch, Mitchell gibt in die Kamera hinein einen Kommentar ab, in dem er sein ganzes kolumnen-geschultes Talent für politische Leitartikel zeigen darf, und die Radio-DJane und Moderatorin Lauren Laverne hält alles zusammen.
https://www.youtube.com/watch?v=JoQ4Shg29zo?fs=1&hl=de_DE
Die ganze Show ist bunt und schnell; manchmal vielleicht ein bißchen zu schnell — viele Gespräche sind zuende, bevor alle Diskutanten Betriebstemperatur erreicht haben. Und vielleicht auch ein bißchen zu bunt, und damit meine ich nicht nur die regenbogenartig blinkende Neon-Kulisse, die macht, daß einem die Augen bluten, sondern auch die Atemlosigkeit, die womöglich dem Druck des „live“-Elements geschuldet ist und dem Anspruch, möglichst tagesaktuell zu sein. Und Jimmy Carr, so gut sein Stand Up ist, war im Gespräch mit dem Klimawandel-Scharlatan Bjørn Lomborg gegenüber dem rhetorisch geschulten Dänen schnell ein wenig überfordert.
Aber es sind ja nun erst drei Folgen gelaufen, und der Spaß an unverblümter Meinung, Direktheit und satirischer Feuerkraft ist deutlich größer als eventueller Ärger über Kinderkrankheiten der Show, die zum ersten Mal im Mai 2010 in ähnlicher Form lief als „Channel 4’s Alternative Election Night“. Klar, Jon Stewarts „Daily Show“ läßt grüßen und überstrahlt „10 O’Clock Live“ im Moment noch deutlich. Aber nicht nur haben die Amerikaner mehr Zulieferer im Rücken, sondern auch über zehn Jahre Erfahrung mehr, insofern ist der (unausweichliche) Vergleich vielleicht ein wenig ungerecht.
Die politische Situation in England aber, eine unfähige rechtsliberale Regierung, dramatische Budgetkürzungen, die Einführung von Studiengebühren, das ganze politische Klima in Großbritannien sind, so schrecklich sie für den Einzelnen sein mögen, natürlich Wind unter den Flügeln einer solchen Show. Schlechte Zeiten sind gute Zeiten für Satiriker. Schon deshalb erwarte ich noch einiges von „10 O’Clock Live“.
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