Jetzt nimmt er sich auch noch Computerspiele vor: Charlie Brooker, der brillante Kopf hinter der Medienkritiksendung „Screenwipe„, hat per Twitter bestätigt, daß es nach „Newswipe With Charlie Brooker“ einen weiteren Spin Off geben wird: „Charlie Brooker’s Gamewipe“. Hooray! Ahnung hat der Mann, soviel steht schon fest, denn begonnen hat er seine Karriere tatsächlich als Rezensent von eben Computer- und Konsolengames. Vielleicht ist ja ein Tip für ein gutes PS3-Spiel dabei, irgendwie finde ich schon seit geraumer Zeit nämlich keines, das mich wirklich interessieren würde. Warum eigentlich nicht, Charlie Brooker?
Ich kann mittlerweile weite Teile auswendig mitsprechen, so sehr liebe ich „Nathan Barley“ (2005, Channel 4), die Mediensatire-Serie der nuller Jahre von Chris Morris und Charlie Brooker rund um selbstverliebte junge Medienaffen, die coole Websites, hippe Stadtmagazine und ganz generell „was mit Medien“ machen. Nathan Barley (Nicholas Burns) ist der Oberaffe, dessen Webpage trashbat.co.ck (dot cock, got it?) ihm als Ort der Selbstdarstellung dient, an dem er seine Gratismeinungen über George W. Bush neben „lustige“ Videoschnipsel mit gemeinen Streichen stellt, die er seinem Praktikanten spielt. Ein ganzer Affenfelsen für Hipster-Medienprimaten ist die Redaktion des Untergrund-Magazins „Sugar Ape“ (das „Suga“ steht klein im Bauch des R von „RAPE“): Dort sieht man sie mit ihren lustigen Hütchen auf ultramodernen Handys herumspielen, während sie schaukeln oder albern mit Tretautos herumfahren, sich in Hipster-Speak unterhalten und „Cock, Muff, Bunghole“ spielen, eine obszöne Variante von „Stein, Schere, Papier“ — so habe ich mir die Spex-Redaktion in den späten Neunzigern immer vorgestellt (bestimmt sehr zu Unrecht!). Permanent grinsende Idioten, die sich für etwas Besseres halten, für „in“ und „vorne“.
Für „Sugar Ape“ schreibt Dan Ashcroft (Julian Barratt, „The Mighty Boosh“), dem allerdings diese Idioten sehr auf den Sack gehen. „The Rise of the Idiots“ heißt sein wegweisender Essay über die Spezies, als deren Spitzenkraft Barley gelten kann:
Doch kaum ist Dans Leitartikel erschienen, gratulieren ihm ebendiese Idioten herzlichst zu seinen kritischen Auslassungen, jubeln ihm nach Kräften zu und beginnen ihn regelrecht als Preacher zu verehren. Eine Rolle, die er aus Sachzwängen (Geldnot) annimmt, um in der zweiten Folge auf einer Club-Bühne als Prediger verkleidet aufzutreten. Ein Auftritt, der ihm zutiefst widerstrebt, bei dem er schließlich aus der Rolle fällt und alle als Idioten beschimpft: „You are all idiots!“ — „Yes, we are all idiots!“ schallt es zurück; was sonst.
„Nathan Barley“ (die Figur geht auf Brookers satirische Website TVgohome zurück, hier gesammelte Barley-Einräge) ist atmosphärisch dicht, so voller böser, lustiger Details, daß man erst beim wiederholten Sehen alle wahrnimmt: Wie etwa ein Plakat im Hintergrund, das für „Email the Musical“ wirbt („Ross Kemp as Pixel, Lyrics by Ben Elton“). Es geht um die Sorte Kunst, die meine Frau als „Kunscht“ bezeichnet, wenn etwa eine Vernissage von Schwarzweißfotos vorkommt, in der Prominente beim Urinieren (z.B. in einen Toaster) ausgestellt werden („When you urinate you are actually a lot more relaxed than when you sleep!“) und um einen Klamottenladen namens „bumphuk“ — alles spot on gezeichnet. Allen voran die Figur des Nathan Barley, der über einen Beischlaf prahlt: „Kicked the brown door in, painted it white on the way out.“
Drastisch und hochkomisch, das alles. So nimmt es kaum Wunder, daß im Abspann praktisch nur Menschen stehen, denen ich jederzeit mein gesamtes Erspartes ausleihen würde, bräuchten sie denn Geld für eine neue Serie: Neben den Giganten Chris Morris („Jam“, „The Day Today“, „Brass Eye“) und Charlie Brooker („Dead Set“, „Charlie Brooker’s Screenwipe“, „Newswipe With Charlie Brooker“) u.a. Noel Fielding (wie Barratt in „The Mighty Boosh“), Oliver Chris („The Office“, „Green Wing“) und Richard Ayoade („The IT Crowd“); für die Musik zeichnet neben Morris selbst (der auch „Jam“ bereits zu Radiozeiten selbst mitvertont hat) auch Jonathan Whitehead verantwortlich, der seinerseits etwa den perfekten „Green Wing“-Score komponiert und eingespielt hat und immer phantastisch ist, wenn es um parodistische Musik geht.
Weiteres „Nathan Barley“-Material, das gerüchteweise in der Pipeline ist, würde ich aufs Entschiedenste begrüßen, selbst wenn es so schrecklich erfolglos sein sollte, wie es die Serie zu ihrer Zeit leider war. „Nathan Barley“ ist, soweit ich das überblicken kann, so ziemlich komplett bei YouTube zu sehen, und weil ich die Schnipsel hier nicht einbetten kann, gibts halt nur einen Link — mit der dringenden Empfehlung, sich die DVD zu kaufen, die ihrerseits ein veritables Gesamtkunstwerk mit aufwendigem Booklet und tollen Menüs und allem ist. Kaufzwang!
Am Besten ist Charlie Brooker, wenn er sich aufregt. In seinen Guardian-Kolumnen über alle Facetten des öffentlichen Lebens (und ihre mediale Vermittlung — gibt’s auch in Buchform), in „Charlie Brooker’s Screenwipe“ über das Fernsehen, in„Newswipe with Charlie Brooker“ neuerdings über, ratenSiemal, richtig: die Nachrichten; genauer: die Fernsehnachrichten. In seinem gerechten und meist recht komischen Zorn über mediale Zumutungen ähnelt er dabei von ferne Oliver Kalkofe, doch Brookers Ambitionen erstrecken sich nicht nur auf die spöttische Zurschaustellung mehr oder weniger offensichtlicher Unzulänglichkeiten des Fernsehens und seiner Protagonisten, er betreibt gleichzeitig feuilletonistisch kluge Kritik und will infomieren: darüber, wie Fernsehen, wie die Nachrichten funktionieren.
In „Screenwipe“ nahm sich Brooker der Selbstverliebtheit des Fernsehens und seiner zahlreichen Selbstauszeichungsshows an, beschrieb am eigenen Beispiel, warum Fernsehen immer sehr teuer ist und was alles bezahlt werden muß, bevor die erste Minute einer Show über den Bildschirm gehen kann, räsonierte über Angst- und Prangerfernsehen („Crimewatch“, eine Art britisches „Aktenzeichen XY“, und „Big Brother“) und über Gameshows, die neuerdings so tun, als wäre ihr Inhalt eben kein Spiel, sondern ernst — obwohl sie weder Superstars noch Topmodels machen, sondern lediglich so tun als ob. Brooker reflektierte klug über Vergangenheit und Zukunft des Fernsehens („You probably watch this show not on television but on a notebook“ — erwischt!), experimentierte selbst mit unterschiedlichen Fernsehformaten und gab DVD-Tips für Fortgeschrittene, immer wieder (vor allem zu Beginn des Hypes) besprach er „24“, das für ihn bald zu einer Obsession wurde, und zu einer, bei deren Auswüchsen ich immer gerne zusah.
Keine Überraschung also, daß auch „Newswipe“ kompetent und unterhaltsam ist; in der ersten Folge sogar mit einer deutschen Geschichte, aber zu einem Thema, das Briten vertraut ist: das allzu hemmunglose mediale Dauerfeuer, hier nach dem Amoklauf in Winnenden:
Zwar rennt auch Brooker hin und wieder offene Türen ein, zumindest bei etwas wacheren Zeitgenossen, die schon wissen, daß auch die Nachrichten ihrer Zurichtung zur Unterhaltung nicht entkommen können und deshalb immer mehr zu einer Ton- und Bildschnipselparade werden. Und natürlich schimpft Brooker auch deshalb so laut und so unflätig, damit manche eher banale Erkenntnis noch einen gewissen Unterhaltungswert bekommt. Aber ich mag „The Week in Bullshit“:
Und mir gefällt’s, wenn etwa der Trend beschimpft wird, die „öffentliche Meinung“ zur Nachricht zu machen — da könnte ich noch viel länger zuhören. Aber Brooker beschimpft ihn ja nicht nur: Er ordnet ihn historisch ein (nach dem Tod Dianas wurde erstmals die öffentliche Meinung und ihr Transport durch die Medien so übermächtig und so sehr zentraler Punkt der Berichterstattung, daß selbst die Queen nicht umhin konnte zu reagieren), kommentiert ihn klug (daß es nämlich scheint als ob es einen Großteil normaler Leute und einen kleinen Teil emotional überreagierender Leute gibt, letztere aber überproportional häufig in den Medien vorkommen) und schließt ein sehr komisches Beispiel an: Denn der letzte Winter hat nicht nur hierzulande für „Brennpunkte“ gesorgt, deren journalistischer Inhalt gegen null tendierte, sondern auch in Großbritannien Infotainment-Beiträge hervorgebracht, in denen etwa eine Onlineredakteurin im Interview erzählen durfte, die BBC habe noch nie in ihrer Geschichte so viel Zuseherreaktion erhalten wie im Falle des Wintereinbruchs, der zeitweise zu 35 000 eingeschickten Fotos am Tag geführt hätte. „How do you wade through that amount of pictures?“, fragt der Moderator, und Brooker merkt an: „Yeah, how — and why?“, und hält nebeneinander: Ein Bericht von der Hinrichtung Saddam Husseins — Nachricht. Ein Bild von einem Schneemann — keine Nachricht. Und nochmal, um es ganz klar zu machen: Ein Bericht von der Hinrichtung Saddam Husseins — Nachricht. Ein Bild von einem Schneemann — keine Nachricht. Doch gegen den user generated content ist kein Kraut gewachsen, und wenn die Redaktion es befiehlt, bitten auch seriöse Nachrichtenmänner ihre Zuschauer, Selbstgemachtes einzuschicken. Doch sie kommentieren es immerhin schön böse wie in diesem Clip Jeremy Paxman (via):
So gerne ich allerdings „Newswipe“ sehe: noch lieber wäre mir eine weitere Staffel „Screenwipe“ – oder gar noch eine Brooker-Serie wie das bereits gelobte „Dead Set“. Und ein ähnlich gewieftes, polemisches und pointiertes deutsches Pendant zu „Screenwipe“ und „Newswipe“ wäre natürlich ein Traum. Daß ich nicht daran glaube, ihn wahr werden zu sehen: Keine Nachricht.
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