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Ernsthaft komisch

4. Dezember 2018 Keine Kommentare

Eine der kleinsten Regeln guter Comedy ist: Die Figuren dürfen niemals wissen, dass sie in einer Comedy sind. Sobald ich als Zuschauer das Gefühl habe, ein Schauspieler liefert Pointen mit einem (ironischen) Gestus ab, der sicherstellen soll, dass der Witz auch wirklich ankommt, geht sofort jeder komische Funke verloren. Denn die komische Distanz muss zwischen mir, dem Zuschauer, und dem Stück entstehen, nicht zwischen dem Schauspieler und seiner Rolle. Die Figur muss, auch in Comedys, ihre Situation stets ernst nehmen. Wie sollte ich mich etwa vor Peinlichkeit kringeln bei „The Office“, wenn schon Tim und Dawn zu erkennen gäben, dass sie von David Brents zwischenmenschlicher Ahnungslosigkeit gar nicht wirklich betroffen sind? Tun sie zum Glück nicht, ebenso wenig wie die Figuren um Alan Partridge, Basil Fawlty und alle anderen Meisterwerke des dead pan und der cringe comedy.

Nichts ruiniert mir jede Freude an Comedy folglich mehr als die (sehr deutschen) Signale, dass hier gerade etwas Hochlustiges passiert — etwa die unvermeidliche komische Filmmusik, die unter jeder deutschen Filmkomödie liegt, damit nur wirklich kein Zuschauer von einer Pointe überrascht wird. (Der amerikanische Sitcomautor Ken Levine illustriert diesen Gedanken hübsch anhand des Films „Dr. Strangelove“.)

Umso peinlicher, dass ich an dieser Stelle zugeben muss: Auch mir passiert es, dass ich übersehe, wie komisch etwas ist — weil es so straight gespielt ist.

Zum Beispiel „This Country“ (BBC3, nur online, zwei Staffeln und ein Special seit 2017).

Tatsächlich hat sich mir im Verlauf der ersten Folge nicht erschlossen, was daran komisch sein soll, dass zwei Anfangzwanzigjährige, die Footballshirt und Jogginhosen tragende Kerry (Daisy May Cooper) und ihr Cousin Kurtan (Coopers Bruder Charlie Cooper), sich in einer sterbenden Kleinstadt der englischen Heartlands zu Tode langweilen, weil sie keine Chance noch überhaupt Bock auf einen vernünftigen Job haben und stattdessen lieber in einer Art fortgesetzter Kindheit weiter an Bushaltestellen abhängen, aus Schrott und Sperrmüll Bandenverstecke bauen und sich darum streiten, wer im Ofen seine Pizza oben oder seine Dino-Mini-Schnitzel unten backen darf.

Was ein Glück also, dass ich jetzt doch noch eine zweite Folge — und dann gleich sechs weitere — geguckt habe. Denn jetzt verstehe ich, warum „This Country“ zwei Baftas gewonnen und etliche Vergleiche mit, ja eben, „The Office“ eingefahren hat.

Ein großer, allzu großer Vergleich natürlich, vielleicht mehr Bürde als Anschub für eine solche Serie, die man viel lieber als eigenständig und zeitgemäß verstehen sollte denn als späte Anleihe an die paradigmatische Britcom der letzten 20 Jahre. Aber die Ähnlichkeiten liegen auf der Hand. Und das nicht nur, weil es ebenfalls eine Mockumentary der alten Schule ist (bei der zu Beginn Texttafeln erklären, dass Studien gezeigt hätten, wie marginalisiert junge Menschen auf dem Land sich fühlen und die BBC deshalb beschlossen hätte, zwei davon ein halbes Jahr lang zu begleiten), weil das Budget erkennbar minimal ist und Hauptdarsteller auch Autoren der Serie sind.

Sondern weil „This Country“ es wie „The Office“ geschafft hat, eine Fangemeinde hinter sich zu bringen, die quasi aus dem Nichts kam. Denn seit BBC3 nur noch online stattfindet, ist die Aufmerksamkeit darauf dementsprechend kleiner geworden. Und dennoch haben die Coopers mittlerweile Hardcorefans, die „This Country“ praktisch nur mit Mund-zu-Mund-Propaganda zum Hit gemacht haben.

Sehr zu recht. Es ist wirklich beeindruckend, mit wie minimalistischen Pinselstrichen da ein Universum aus Charakteren entworfen wird, die sich vornehmlich langweilen und ihr Leben am Rande der Kriminalität verschwenden — und dabei höchst komisch sind. Nichts ist ja schwieriger, als in Comedys Langeweile zu zeigen, ohne dabei selbst langweilig zu sein. Aber „This Country“ gelingt das, als ob die Coopers ihr ganzes Leben nichts anderes getan hätten, als Fernsehcomedy zu entwickeln. Was beileibe nicht der Fall ist.

Schon die zweite Folge, in der Kerry sich von der gefährlichen Kampflesbe ein Tattoo machen lässt, weil sie nicht mehr aus der Nummer rauskommt, ist ein instant classic, und die dritte nicht weniger, in der Kerry und Kurtan praktisch nichts tun als darauf zu warten, dass ihr Onkel Nugget aus dem Knast und bei ihnen vorbei kommt, nachdem er eingefahren war, „cos he was having a laugh“, konkret: weil er einen Linienbus entführt und damit vier Stunden lang durch einen Roundabout gefahren war. Aber hey, zwölf der 20 Insassen fanden es lustig, und zu Onkels Verteidigung sei gesagt: „He was just having a laugh.“

KURTAN
Shall I tell them about why he’s called Nugget?

KERRY
You can, but it’s a bit boring.

KURTAN
No. Right, Uncle Nugget, yeah? He’s called Nugget because he went in this nightclub and the DJ wouldn’t play this song he requested so he got a knife, yeah? Cut off half the DJ’s scratching thumb, threw it on the floor and some bloke came along who’s just fucked out of his brains, picked it up and ate it cos he thought it was a chicken nugget.

KERRY
(guckt einen Moment irritiert) He’s called Nugget because his second name’s Nuggins. Where the hell did that come from?

KURTAN
(lacht) Seriously?

KERRY
Yeah. (in die Kamera) I think that’s still part of … Kurtan went through a very bad lying phase.

KURTAN
Yeah, I did, yeah.

Ich bin wirklich gespannt, was Daisy May und Charlie Cooper nach der schon genehmigten dritten Staffel „This Country“ tun werden. Und freue mich, dass ich nach langer, langer Zeit wieder eine Britcom gefunden habe, über die ich Tränen lachen konnte und die ich hin und wieder pausieren musste, um über einen Lachanfall hinweg zu kommen, bevor der nächste sich anschleicht.

Wer aber noch kein Weihnachtsgeschenk hatte für alle Freunde, die etwas mit David Brent und Alan Partridge anfangen konnten: der hat jetzt eins.