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Die entscheidende letzte Folge

20. Mai 2015 7 Kommentare

Können letzte Folgen ganze Serien ruinieren? Kann die letzte Episode einer Staffel alle elf oder 23 (oder auch nur fünf) Episoden vorher so irreparabel beschädigen, dass man sich ärgert, seine Zeit damit verschwendet zu haben?

Klar, können sie. Und umgekehrt: Letzte Folgen können ganze Serien im Rückblick in neuem Glanz erstrahlen lassen, wenn Schlüsselinformationen mit einem Mal dafür sorgen, dass man alles, was zuvor geschehen ist, in neuem Licht sieht.

Und während letzteres etwa bei der brillanten Serie „Broadchurch“ (ITV 2013, erscheint morgen auf DVD — siehe Ende des Eintrags) der Fall ist, ist es bei „Fortitude“ (Sky Atlantic, 2015) leider wie zuerst beschrieben: Das Ende enttäuscht schwer, weil es zwar das serienbestimmende Geheimnis lüftet (Wer hat den elfjährigen Danny Latimer getötet?/Was ist auf der kleinen arktischen Insel los?) — aber halt auch nicht mehr als das. Es gibt keine zweite Ebene, kein Thema, das unter der Oberfläche dafür sorgt, dem Rätsel im Vordergrund eine quasi literarische Bedeutung zu geben, ohne die jeder Krimi, jeder Thriller, jede Mysteryserie seelenlose Dutzendware bleiben muss, weil es ohne diese Ebene nämlich völlig wurscht ist, ob es nun der Gärtner oder der Chauffeur oder das Alien oder ein Geheimagent aus Moskau war.

Die Genialität von „Broadchurch“ und Autor Chris Chibnall („Doctor Who“) ist es, das Thema der Serie offen anzuspielen und dabei doch bis zum Schluss mit dem Clou hinter dem Berg zu bleiben. Denn es ist von Anfang an klar: Das Thema ist hier die kleinstädtische Nähe, das enge Beziehungsgeflecht der überschaubaren Gemeinschaft, in der jeder jeden zu kennen glaubt — und in der ein so skrupelloser Mord an einem Kind umso erschreckender offenbart, dass man über seine Mitmenschen eben doch lange nicht so gut bescheid weiß, wie man glaubt.

Was man so weiß, reicht den meisten Menschen ja auch — dass ein schon mal straffällig gewordener Pädophiler also ein leichtes Ziel abgibt für den Mob, ist keine Überraschung. Die Überraschung liegt vielmehr in der ständigen Neubewertung der Beziehungen, die die Figuren untereinander haben: die völlig überforderte und übergangene örtliche Polizistin Ellie Miller (die sensationelle Olivia Colman) zum von außen hinzugezogene Ermittler Alec Hardy (ebenfalls toll: David Tennant), der ihr zu ihrem Leidwesen bei der anstehenden Beförderung vorgezogen und ihr vor die Nase gesetzt wird, und all die mehr oder minder verdächtigen Provinzler samt lokaler Klatschpresse.

„Broadchurch“ macht also das denkbar beste aus dem ewiggleichen Whodunnit-Prinzip, das mich bei den meisten Krimis sofort ermüden lässt: denn hier überrascht nicht nur, wer am Ende der Täter war, sondern auch welche Auswirkung die Auflösung auf das der Serie zugrundeliegende Thema hat.

(Es hat mich dementsprechend verblüfft, wie Chibnall die zweite Staffel angelegt hat, die Anfang dieses Jahres gelaufen ist: Sie hat nicht etwa einen neuen Fall an den Anfang gestellt, sondern den Prozess gegen den Täter der ersten Staffel. Das war tatsächlich genauso riskant, wie es sich anhört: Weil es die Erwartung aller Krimifreunde zunächst einmal radikal zerstört hat — nämlich die, dass es einen ähnlich spannenden Fall gibt wie den, der der ersten Staffel Rekordquoten und großes Mitfiebern seitens der Zuschauer eingebracht hat. Angeblich war die Frage nach dem Täter während der ersten Staffel schon während noch gedreht wurde so ein großes Ding, dass selbst die Schauspieler bis zum letzten Moment nicht wissen durften, wie alles ausgeht. In der Tat sind die Quoten der zweiten Staffel schnell eingebrochen, obwohl sich doch noch ein zweiter Fall entwickelt hat, der seinerseits wieder gut, aber eben viel konventioneller war als bei der ersten Staffel.)

„Fortitude“ nun legt ein ähnliches Netz: Hier ist es eine kleine Insel, die zu Spitzbergen gehört und auf der ebenfalls nur eine Handvoll Menschen leben, die allerdings aus aller Herren Länder stammen: denn Fortitude lebt hauptsächlich von den Minen, die nun sukzessive geschlossen werden. Um die Insel am Leben zu erhalten, plant die Gouverneurin Hildur Odegard (Sofie Grabol), Touristen mit einem Hotel anzulocken, das komplett in einen Gletscher hineingebaut sein soll.

Nun passiert aber ein Mord, mit dem die lokale Polizei (auch hier eine Parallele zu „Broadchurch“) überfordert ist, weil sonst nie Gewaltverbrechen auf der Insel passieren. So findet der zwielichtige Sheriff Dan Andersen (Richard Dormer) auch zunächst keine Erklärung — weder was den Mörder angeht noch sein Motiv. Das könnte zwar darin bestehen, dass der getötete Wissenschaftler (Christopher Eccleston in einer Gastrolle) keinen Zugriff auf die gefrorenen Überreste eines prähistorischen Mammuts erhalten soll — aber genau weiß man es nicht.

Nun entwickelt sich auch in „Fortitude“ ein psychologisches Spiel, das von überragenden Schauspielern (u.a. Michael Gambon, Stanley Tucci und Darren Boyd, der auch in ernsten Rollen etwas kann), toll inszenierten und teils ziemlich brutalen Bildern lebt — und doch am Ende der großen Eröffnungsnummer nicht gerecht wird: weil die Auflösung zwar nach den Maßstäben moderner Thriller durchaus plausibel ist, aber eben kaum etwas mit dem Thema zu tun hat, das sich (wie bei Broadchurch) auch erst am Ende offenbart.

Das ist schade, weil man bis dahin schon so viel Zeit investiert hat (insgesamt sind es zwölf Episoden à netto 45 Minuten) — und sich dabei ja auch gut unterhalten gefühlt hat –, dass man einfach mehr erwartet hätte als eine solide, aber eben nicht überragende Auflösung des Ganzen. Doch wenn sich die zahlreichen Nebenhandlungen (die, wie gesagt, jede für sich ziemlich gut und auch sehr spannend sind) als eben genau das erweisen: Nebenhandlungen, die mit dem großen Plot am Ende nicht verknüpft sind — dann regiert (zumindest bei mir) schon eine leise Enttäuschung.

Sehenswert ist, das möchte ich festhalten, „Fortitude“ nun auf jeden Fall trotzdem: die fast 90% bei Rotten Tomatoes sprechen für sich. Aber eben weil Cast und Dramaturgie bis zum Schluss so vielversprechend sind, es nach den ersten Folgen ziemlich schnell ziemlich spannend wird, fällt das flache Ende umso mehr ins Gewicht.

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Eine „Broadchurch“-DVD der ersten Staffel habe ich zu verschenken — der erste Interessent in den Kommentaren kriegt sie!

Total verkuppelt

7. August 2009 3 Kommentare

Ich hatte „Coupling“ (2000 – 04, BBC2) eigentlich mehr der Vollständigkeit halber geordert,  nicht, weil ich besonders viel davon erwartet hätte. Schon als sie auf Pro7 lief, hatte ich die Serie für zu mainstreamig befunden, und (wie so ziemlich jeder Kritiker) für zu nahe an „Friends“. Und wenn mich irgend etwas langweilt, dann das damals  besonders virulente „Frauen benutzen gerne Venus-Kaffeemaschinen, Männer essen lieber ein Mars“-Thema.

Dementsprechend überrascht war ich, als sich (nach einer etwas schleppenden ersten) vor allem die zweite und dritte Staffel als hervorragendes Popcorn-Fernsehen herausstellten: Vor allem die immer neuen und für Sitcoms eher ungewöhnlichen Formen, die den ewigen Ringelpiez mit Anfassen variierten, haben mich dann doch von den Qualitäten der Serie überzeugt. So etwa der Dreh, die selben zehn Minuten dreimal zu zeigen, allerdings mit je anderen Figuren im Mittelpunkt, so daß zunächst unverständliche Ereignisse beim zweiten und dritten Mal plötzlich Sinn ergeben; oder der Dreh, die selben 15 Minuten aus zwei unterschiedlichen Perspektiven zu rekapitulieren, so daß die gleichen Sätze, je nachdem, wer sich wie daran erinnert, auf einmal etwas ganz anderes bedeuten. Und fast eine ganze Folge extrem statisch als langes Telefonat bzw. als Telefonkonferenz aufzubauen, ist zumindest für eine Mainstream-Sitcom schon recht unkonventionell. Dabei fliegen einem die Gags in einer Frequenz um die Ohren, daß es nur so rauscht — bemerkenswert, daß dabei alles von einem einzigen Autor stammt, nämlich Steven Moffat, während etwa „Friends“ bei IMDB gute 40 Autoren verzeichnet, was bei 238 Folgen „Friends“ gegenüber 28 Episoden „Coupling“ relativ gesehen immer noch, äh, viel mehr „Friends“- als „Coupling“-Autoren bedeutet.

Apropos: Der Vergleich mit „Friends“ (1994 – 2004, NBC) liegt zwar in der Tat nahe, ist aber nicht ganz berechtigt. Sicher, die Aufstellung des Ensembles von je drei Frauen und Männer Anfang dreißig sowie das Setting Zuhause/Kneipe sind durchaus ähnlich, und auch die Figuren scheinen ihre direkten Pendants zu haben, vor allem Phoebe (Lisa Kudrow) und Jane (Gina Bellman) sowie Joey (Matt LeBlanc) und Jeff (Richard Coyle) sind einander in ihrer Überspanntheit gewiß nicht unähnlich. Allerdings ist nicht nur der Tonfall typisch britisch („You can’t just walk in through the front door, this isn’t an American sitcom!“), mithin viel schwärzer und unbekümmert, was sexuelle Tabus angeht. Die ganze Anlage von Plot und merkwürdigen Figureninteraktionen sind, nach Moffats eigener Aussage, eher an „Seinfeld“ orientiert als an „Friends“.

Moffat, der die Serie eigenen Angaben zufolge übrigens auf wahre Begebenheiten zwischen ihm und seiner damaligen Ehefrau Sue Vertue, der Produzentin der Serie aufbaute (die beiden „Coupling“-Hauptfiguren heißen Steve und Susan), schrieb anschließend einige Folgen „Doctor Who“, Sarah Alexander (Susan) wuchs in „Green Wing“ und „The Worst Week of My Life“ über sich hinaus, und Jack Davenport (Steve) heiratete immerhin Michelle Gomez („Green Wing“, „The Book Group“). Ist doch auch was.

Nachtrag: Würde ich Britcom-Blog-Preise vergeben, dann erhielte „Coupling“ auf jeden Fall einen: Nämlich den für die schlimmste Vorspann-Graphik ever. Uah, diese gräßlichen Pastell-Töne! Die runden Ecken…! Furchtbar.