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Artikel Tagged ‘Dominic West’

Pro und contra High-Concept

23. November 2015 2 Kommentare

Die zweite Staffel „The Affair“ (Showtime, seit 2014) ist noch besser als die erste.

Das ist deshalb etwas besonderes, weil ich das Gimmick, mit dem Sarah Treem und Hagai Levi („In Treatment“) ihre Serie gepimpt haben, schon während der ersten Staffel schwierig fand: die Erzählweise, in zweimal einer halben Stunde dieselben Ereignisse mit den Augen der zwei Hauptprotagonisten, sprich: subjektiv zu erzählen. Ein Gimmick, dessen sich die Macher von „The Affair“ nurmehr sporadisch bedienen (gerade in der achten von zwölf Folgen wieder etwas mehr, weshalb ich vermutlich auch darauf aufmerksam geworden bin). Mittlerweile sind die Charaktere, die in der ersten Staffel je nach Perspektive mal mehr, mal weniger sympathisch waren, durch die Bank konsistenter, was die Serie zwar ein ganzes Stück weniger innovativ und experimentell macht, aber auch besser — weil man der Charakterentwicklung nun wieder leichter folgen kann, ohne sich dauernd fragen zu müssen, ob das, was man sieht, womöglich eben nur im Spiegel des Charakters selbst geschieht oder tatsächlich.

So haben Treem und Levi mit „The Affair“ eine Kurve gekriegt, die andere fortgesetzte Serien dieser Season leider nicht ganz so gut gekriegt haben — und weil diese ungewöhnlichen, speziellen Konzepte von Serien gerade Konjunktur haben, sind es leider auch (mindestens) zwei andere Serien, die von diesem Problem betroffen sind:

„The Last Man on Earth“ (Fox, seit 2015) etwa. Der war nun schon seit der zweiten Folge nicht mehr der letzte und einzige Mensch auf der Welt; ja, über den Verlauf der ersten Staffel wurde es ein ganzes Ensemble.

Zwar haben sich die Autoren hier zu Beginn der zweiten Staffel zunächst auf das ursprüngliche Konzept halbwegs zurückbesonnen und den Cast wieder auf zwei reduziert, aber nur mit Phil (Will Forte) und Carol (Kristen Schaal) alleine eine ganze Staffel zu füllen, das ging nun halt doch nicht. Also waren bald alle aus der ersten Season wieder zurück, und mit ihnen das Grundproblem der Serie: Wie oft kann man den einzigen Witz der Serie wiederholen? Wie oft kann es sich ein Soziopath wie Phil mit allen verscherzen, und wie oft können sich alle anderen mit ihm wieder versöhnen, bis auch der letzte Zuschauer gemerkt hat, dass in dieser Serie nichts vorangehen kann?

Leider nicht so oft, wie ich es mir gewünscht hätte.

Auch „You’re The Worst“ (FX, seit 2014) ist diesem Problem so halb erlegen. Die will they, won’t they-Mechanik, die in der ersten Staffel die bindungsunfähigen Narzisten Jimmy (Chris Geere) und Gretchen (Aya Cash) magnetisch gleichermaßen zusammengebracht wie voneinander abgestoßen hat, wurde in der zweiten Staffel ersetzt durch eine feste Beziehung, und schon war die Chemie der ersten Staffel perdu. Schade, und noch bedauerlicher, dass Stephen Falk beschlossen hat, Gretchen auch noch auf halbem Weg durch die Season eine Depression anzudichten, die sie mehr oder weniger aus der Serie hinausgekickt hat. Das sollte wohl wieder etwas von dem Zauber des Verkorksten herstellen, der die erste Staffel hindurch so gut funktioniert hat — allein, das klappt nicht so recht. Denn Jimmy müsste, zumindest empfinde ich das so, eigentlich zu schlau sein, um zu glauben, man könnte jemandes Depression heilen, indem man ihm einen lustigen Tag bereitet. Und Gretchen ist nurmehr reduziert auf einen Flunsch, der sich die Decke über den Kopf zieht und vom Moment an, in dem sie eingestanden hat, depressiv zu sein, tatsächlich nur noch das: ein Häufchen Elend.

Das mögen amerikanische Zuschauer nun besonders mutig finden, dass sich eine Serie dem Tabuthema Depressionen so offen stellt — ich fand es eine Charakterentwicklung, die jemand offenbar mit einer Brechstange und einem großen Holzhammer ins Werk gesetzt hat.

Nun haben diese High-Concepts deswegen gerade Erfolg, weil sie mit einem ungewöhnlichen „Was wäre wenn …“-Setup viele Zuschauer schnell in ihren Bann ziehen: Was wäre, wenn eine junge Frau herausfindet, dass sie nur einer von ziemlich vielen Klonen ist? wenn ein junger Mann einen Hund hätte, der (nur) mit ihm spricht? wenn Tote sich unter die Lebenden mischen und die Lebenden das einfach hinnehmen, weil sie so ihrer Trauer aus dem Weg gehen können?

Das Risiko allerdings ist groß, dass Showrunner mit dieser Form von Konzept zu hoch pokern, dass die dieses Konzept zulasten der Charaktere geht, die Serien ja später einmal tragen müssen, wenn sich der Neuigkeitswert des Gimmicks abgenutzt hat — dass Serien also „keine Füße“ haben und in der Folge mehr stolpern und sich dahinschleppen, als wirklich laufen zu können.

Umso beeindruckender, dass „The Affair“ seine Füße gefunden hat und Dominic West („The Wire“), Ruth Wilson („Orange is The New Black“) und Maura Tierney in die Lage versetzt hat, ihre Charaktere zu entwickeln. Und mit den Charakteren und ihren amourösen Verstrickungen auch noch einen kriminalistischen Plot, der immer noch, in der Mitte der zweiten Staffel, gerade erst beginnt, Konturen zu entwickeln, und dabei doch spannender ist, als es der Taschenspielertrick mit den zwei Perspektiven langfristig je hätte sein können.

Solidarity forever

Was haben walisische Bergarbeiter und Londoner Homosexuelle gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel. Doch zumindest Mitte der 80er hatten sie: den gemeinsamen Feind Margaret Thatcher und die gemeinsame Verfolgung durch Staat und Obrigkeit, namentlich die Polizei. Eine Gemeinsamkeit, die so stark war, dass die englischen Schwulen und Lesben sich organisierten und begannen, aus Solidarität mit den streikenden Minenarbeitern Geld für diese zu sammeln und Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Was, wie man sich denken kann, vor allem auf Seiten der walisischen Kumpel zunächst einmal auf Argwohn stieß.

Das ist die wahre Geschichte, die „Pride“ (2014) zugrunde liegt, der Ende letzten Jahres wohl kurz auch in deutschen Kinos war, mir aber vollkommen entgangen ist. Bedauerlicherweise, denn „Pride“ ist auf Augenhöhe mit Filmen wie „Brassed Off“ (1996) — komisch und kurzweilig, und er gibt einem zumindest für zwei Stunden den Glauben an die Menschheit zurück, wie es nur englische Filme können.

Denn es könnte ja so schön sein: wenn die Menschen erkennten, wie leicht alles wäre, wenn man Seit‘ an Seit‘ stünde. Und wenn schon mal die, die für die Rechte der einen Minderheit kämpfen, sich mit anderen Minderheiten solidarisierten. Wie kann man für die Rechte von Homosexuellen kämpfen, aber nicht für die von Frauen? Wie kann man gegen Rassismus sein, aber nicht gegen Ausbeutung? Unterdrückte aller Couleur müssten doch gemeinsame Sache machen, wenn sie wirklich etwas erreichen wollten.

Das ist der Gedankengang von Mark Ashton (Ben Schnetzer), dem Londoner Schwulenrechtler, der empört ist darüber, dass Margaret „there is no such thing as a society“ Thatcher die 1984 streikenden Bergbauarbeitern am liebsten am langen Arm verhungern lassen würde — und zwar so ziemlich im Wortsinne, denn Thatcher lässt sogar die Konten der Bergbaugewerkschaft pfänden, so dass die Streikenden nicht einmal auf diesem Wege Geldzuwendungen erhalten können, also tatsächlich vor dem Nichts stehen und schließlich vom Hunger getrieben wieder an die Arbeit gehen müssten — wenn nicht auf anderen Wegen Geld herbeigeschafft werden könnte.

Genau daran machen sich Ashton und sein Freund Mike Jackson (Joe Gilgun, „Misfits“ Rudy): Sie gründen L.G.S.M., Lesbians and Gays Support the Miners, und sammeln Geld für die Waliser. Ein walisischer Abgesandter nach London wird freundlich aufgenommen und lädt die Londoner nach Wales ein, und die Schwulen und Lesben schicken tatsächlich eine Delegation aus ihrem Hauptquartier, dem Buchladen „Gay’s the Word“, in die kleine Gemeinde Onllwyn — unter anderem den recht flamboyanten Jonathan (Dominic West). Die treten dort im örtlichen Social Club auf und treffen dort auf die Einheimischen, bei denen Homophobie die Norm ist.

Zum Glück jedoch vermeidet „Pride“ bei allen dramaturgisch vorhersehbaren Konflikten jedes Klischee: Es gibt keine dumpfen Provinzler-Karikaturen, genausowenig, wie es schrille Tunten und lesbische Amazonen auf dem Kriegspfad gibt. Freilich gibt es eine murrende Mehrheit von Konservativen und eine intrigante Schachtel, die diese Mehrheit zu organisieren weiß, und es gibt Frauenrechtlerinnen, die schon mal den Schnabel aufreißen, wenn man besser schweigt — nämlich beim Bingospielen.

Aber die Atmosphäre in „Pride“ ist doch deutlich geprägt von einer freundlichen Annäherung völlig verschiedener sozialer Schichten — or are they? Natürlich sind sie das nicht; einer der Londoner stammt selbst aus Wales und hat die bedrückende Engstirnigkeit seines Elternhauses dort im Schlechten hinter sich gelassen, um nun gegen seine inneren Widerstände dorthin zurückzukehren.

Glücklicherweise vermeidet Stephen Beresford (Drehbuch) genau die Scherze allesamt, die auf die Bestätigung von Klischees aufgebaut hätten. Und das macht „Pride“ wahnsinnig sympathisch.

JUNGE WALISERIN
(zu zwei Londoner Schwulen)
So, you live together like, you know, husband and wife. But what I want to know is …

SCHWULER
I know what you’re going to say.

WALISERIN
Wich one does the housework?

SCHWULER
Oh, well, that’s … that’s not what I thought you was going to say.

Vor allem die walisischen Frauen, allen voran Hefina Headon (Imelda Staunton), finden Gefallen an den jungen Menschen mit dem ungewöhnlichen Lebensstil. Und sie sind es auch, die sich beim nächsten Gegenbesuch in London mit Begeisterung durch sämtliche Gay Clubs führen lassen. Eine Gelegenheit, bei der der Film dann die ganze Fallhöhe zwischen übermütigen Landeiern und schwuler Großstadt-Szene auskostet, bevor er dann wiederum eine ernste Saite anschlägt.

Matthew Warchus (Regie) ist mit einem erstklassigen Cast (vor allem der phantastische Bill Nighy als schüchtern-verstaubter Waliser spielt mit größtmöglicher Zurückhaltung wieder einmal alle an die Wand) ein Film gelungen, dem hierzulande die Aufmerksamkeit versagt geblieben ist, die ihm eigentlich gebührt. Zumindest bei den Filmfestspielen in Cannes hat „Pride“ den Queer Palm Award gewonnen (von dem ich allerdings noch nie etwas gehört habe), und bei Rotten Tomatoes glänzt er mit verdienten 92 Prozent Zustimmung.

Vielleicht liegt die fehlende Aufmerksamkeit in Deutschland daran, dass es eine sehr britische Geschichte ist: zum einen historisch, natürlich, weil die sozialen Unruhen der 80er auf die Gesamtverfasstheit der politisch denkenden Schicht Englands bleibenden Eindruck hinterlassen haben, den man hier nicht voraussetzen kann. Zum anderen aber vielleicht auch, weil es in Großbritannien einen Sinn für Gleichheit und Solidarität gibt, der uns Deutschen fehlt, die wir Solidarität gleich für Kommunismus und jeden Kommunisten für den Leibhaftigen halten.

„Pride“ aber ist ein großer Film über eben das: Solidarität. Da werden Arbeiterlieder gesungen, die einem das Wasser in die Augen treiben, so schön sind sie, Billy Bragg darf „There’s a Power in a Union“ singen, und gerade die Absurdität, die in einer Unterstützung streikender walisischer Bergarbeiter durch Londoner Schwule und Lesben liegt, und dass diese Allianz trotzdem erfolgreich ist, auch wenn der Erfolg primär in eben der Solidarität und der daraus entstehenden Freundschaft zwischen so wesensverschiedenen Menschen liegt — in Wales spricht man angeblich von Mark Ashton immer noch wie von einer Jeanne d’Arc — gerade die Absurdität dieser Freundschaft, dieser Solidarität macht „Pride“ zu einem Film, aus dem der Humanismus nur so herausleuchtet, warm und hell und strahlend. Am Ende marschieren die walisischen Bergarbeiter bei der Gay Pride-Parade in London mit Transparenten vorneweg.

Was aber die Arbeiterlieder angeht: Nicht zuletzt der prima Soundtrack, in dem selbstverständlich auch die ikonographischen schwulen Songs der 80er von Queen über Bronski Beat bis Franky Goes to Hollywood nicht fehlen dürfen, und die sagenhaften Aufnahmen des verschneiten Wales, das hin und wieder fast nach Island oder einem anderen von Elfen und Kobolden bewohnten skandinavischen Land aussieht, machen aus diesem Sozialfilm, den man problemlos auch als „kleinen“ Film hätte inszenieren können, einen richtig großen.

Erzählen in der fünften Dimension

28. November 2014 Keine Kommentare

Zwei aktuelle Serien wagen erzählerische Experimente, die ich aus mehreren Gründen für gleichermaßen fruchtbar wie gefährlich halte: „The Missing“ (BBC1/Starz, gerade sind fünf von acht Folgen gelaufen) und „The Affair“ (Showtime, sieben von zehn Episoden waren schon zu sehen).

Beide Serien arbeiten nämlich mit unterschiedlichen Ebenen, auf denen erzählt wird: „The Missing“, angelehnt an die Ereignisse um das Verschwinden von Madeleine McCann 2007, erzählt eher konventionell auf zwei Zeitebenen abwechseln einmal vom Verschwinden des fünfjährigen Oliver Hughes während eines Urlaubs in Frankreich im Jahr 2006 und von den unmittelbar daran anschließenden Ereignissen, und zum anderen von Tony Hughes (James Nesbitt), Olivers Vater, der in der Gegenwart, also acht Jahre später, immer noch nach seinem Sohn sucht.

In „The Affair“ dagegen, von den Machern der brillanten Psychoanalyse-Serie „In Treatment“ (HBO 2008 – ’10), wird die gleiche Geschichte aus zwei verschiedenen Perspektiven erzählt (und auch hier gibt es eine zweite Zeitebene). Nämlich aus denen von Noah („The Wires“ Dominic West) und seiner Geliebten Alison („Orange is the New Blacks“ Ruth Wilson). Das heißt konkret: innerhalb der (fast) 60 Minuten einer Episode wird in der Regel in den ersten 30 Minuten eine Story aus Noahs Sicht erzählt, und dann die gleiche Story noch einmal, aber aus Sicht von Ruth — und zwar nicht selten mit deutlichen Unterschieden, meist eher kleinen (andere Kleidung, unterschiedliche Tageszeit, andere Außenwirkung einzelner Figuren), manchmal aber auch großen (es passiert etwas entscheidend Anderes).

Dieses Erzählmuster ist deutlich ungewöhnlicher als das von „The Missing“; so ungewöhnlich, dass die Macher es auch innerhalb der Serienlogik motivieren müssen (während „The Missing“ das nicht muss): Wir sehen nämlich sowohl Noah als auch Ruth bald getrennt von einander bei einer polizeilichen Einvernahme — sie erzählen den Hergang ihrer Affäre also einem Kommissar, was Mehreres bedeutet: zum einen sind die unterschiedlichen Erinnerungen womöglich tatsächlich einfach honest mistakes, wie sich zwei verschiedene Menschen eben an die gleichen Ereignisse unterschiedlich erinnern. Es ist aber auch möglich, dass beide eine eigene Agenda haben, sich anders darstellen wollen oder gar etwas verheimlichen — denn es geht ja nun offensichtlich nicht mehr nur um die Geschichte einer Affäre, sondern auch um einen Kriminalfall. Auch wenn man lange nicht erfährt, worum genau.

Dieser Kunstgriff ist durchaus fruchtbar: es hält einen als Zuschauer gefesselt, wie die selben Figuren in der Außenwirkung deutlich anders sind als in der Selbstdarstellung. Zum Beispiel hält Noah sich in seinen Berichten für viel charmanter, als er in den Erzählungen von Ruth rüberkommt, während sie in seinem Gedächtnis verführerisch und bereit zu einem Flirt ist, während sie sich selbst eher als Aschenputtel, unattraktiv und traurig schildert.

Er ist aber auch sehr einengend, ein erzählerisches Korsett, das irgendwann zu drücken anfängt. 60-Minuten-Episoden sind sehr lange, und sobald man durchschaut hat, dass die zwei Protagonisten/Erzähler hin und wieder erratisch berichten, droht das Prinzip schnell, in seiner Dominanz langweilig zu werden. Darum tun die Macher Sarah Treem und Hagai Levi auch gut daran, die Struktur aufzubrechen und zu variieren: nicht nur wird dann einmal eine Geschichte in umgekehrter Reihenfolge erzählt (zuerst Ruth, dann Noah), sondern es wird auch eine einstundenlange Geschichte durcherzählt, nur dass der erste Teil Noah zur Hauptfigur hat und der zweite Teil Ruth.

Trotzdem wird sich noch erweisen, ob und wie sehr dieses Experiment ermüdet — spätestens bei der zweiten Staffel werden sich Treem und Levi etwas handfest Neues einfallen lassen müssen, sonst droht das Gleiche, das mir bei „In Treatment“ passiert ist: ich fand die erste Staffel fantastisch, war aber vom Erzählprinzip (das dort auf sehr viele Folgen pro Staffel hinauslief, die erste hatte 43) zu erschlagen, als dass ich die zweite durchgehalten hätte.

Davon abgesehen ist „The Affair“ allerdings überwiegend gut bis sehr gut: nicht nur spielen West und Wilson jeweils sehr gut (obwohl ich ihnen hin und wieder nicht abnehme, wie sehr sie voneinander angezogen sein sollen), auch darf West wieder gegen seinen alten „The Wire“-Widersacher John Doman antreten, der hier seinen stinkreichen Schwiegervater spielt. Dass das Hauptaugenmerk der Serie von der psychologischen Studie eines Familienvaters, der (wie er selbst sagt) ohne rechten Grund anfängt, im Urlaub seine Frau zu betrügen, und seiner Geliebten, die nicht über den Tod ihres Sohns hinwegkommt, weg gelenkt wird in Richtung eines Kriminalfalls, ist ebenfalls klug: denn das gibt der Serie erst die Spannung, die einen wirklich wissen lassen will, welche Folgen die Mesalliance von Ruth und Noah hat — juristisch wie familiär.

(Größter Schwachpunkt von „The Affair“ dürfte der grauenhafte Vorspann sein. Schlimmer ist nur das Jazzgedudel von „Homeland“. Warum legt Showtime offenbar Wert darauf, sich als Sender mit den furchtbarsten opening credits zu profilieren?!)

„The Missing“ hat andere Probleme (und einen tollen Vorspann): denn hier dürfen wir als Publikum zwar dabei zuschauen, wie ein Puzzle zusammengelegt wird, bei dem neue Puzzleteile in der Vergangenheit mit Teilen in der Gegenwart zusammengesetzt ein überraschend anderes Bild als erwartet ergeben. Aber durch die Informationen, die wir im Gegenwarts-Strang bekommen, geht auch ein Teil der Spannung auf der Ebene der Vergangenheit verloren. Wir wissen ja schon, dass Tony seinen Sohn 2006 nicht wiederfinden wird, dass sein Zerwürfnis mit einem französischen Polizisten 2006 nicht von Dauer sein wird, weil der ihm (obwohl mittlerweile im Ruhestand) in der Gegenwart wieder helfen wird, nach Oliver zu suchen, und dass Figuren, die 2006 in Lebensgefahr geraten, diese Situationen überleben werden, weil wir sie 2014 schon gesehen haben.

Das führt dazu, dass die Serie einerseits zwar emotional sehr dicht erzählt ist (Nesbitt ist großartig als verzweifelter Vater), hin und wieder aber durchhängt, weil wir dem suchenden Vater 2006 einfach zu weit voraus sind mit unserem Wissen. Oder besser gesagt: dass die Serie durchhing, denn mittlerweile haben Harry Williams und Jack Williams einen neuen Dreh gefunden, etwas Unerwartetes zu tun, indem sie das Prinzip zwar nicht brechen, aber doch verbiegen (wie, werde ich natürlich nicht verraten).

„The Missing“ besticht neben seiner anspruchsvollen Erzählweise durch seine Bilder: enorm düstere Locations (gedreht in Belgien), glaubwürdig gealterte Charaktere abhängig von der Zeitebene (offenbar war es den Machern wichtig, schon durch die Maske auf den ersten Blick klar zu machen, ob wir uns gerade im Jahr 2006 oder 2014 befinden) und ein heftiges Thema (Pädophilie und Kindsmissbrauch), das ohne Klischees und einfache Feindbilder erzählt wird.

Hoffentlich dürfen Williams und Williams diese Geschichte zuende erzählen, hoffentlich gibt es hier kein offenes Ende (das bei „The Affair“ schon abzusehen ist, weil eine zweite Staffel bereits in Auftrag gegeben worden ist) — diese Geschichte schreit einfach nach einem würdigen und erwartbar traurigen Ende. Denn anders als bei „Happy Valley“, das im Widerspruch zur abgeschlossenen Story fortgesetzt werden wird, gibt es hier nicht einmal eine Polizistenfigur, die auch in einem neuen Fall ermitteln könnte. Es gibt nur die zutiefst betroffenen Eltern, von denen ein Teil weitersuchen will, während das andere bereit wäre, mit der Vergangenheit abzuschließen. Und wie den Eltern geht es auch mir bei „The Missing“: lieber ein Ende mit Schrecken als ein offenes Ende ohne closure.

Beide Serien aber verschieben schön die Grenzen des Erzählens, wie man sie aus dem Gros der Serien kennt, die sich an erprobte lineare Erzählgesetze halten. Während „The Affair“ dafür eine inhärente Begründung mitliefert, kommt „The Missing“ bislang ohne äußeren Grund für seinen ungewöhnlichen Ansatz aus. Beide Serien aber profitieren von ihrer Bereitschaft zum Experiment — und sind also wieder einmal schöne Beispiele dafür, dass es noch innovative Fernsehformate gibt, dass das Medium Fernsehen das momentan sich am schnellsten entwickelnde ist, und wie viel Spaß Formate machen können, die ihre Zuschauer im Zweifel lieber über- als unterfordern.