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Große Schule, kleine Lacher

29. September 2013 Keine Kommentare

Ich wollte diese Sitcom mögen. Und das, obwohl — oder gerade weil? — ich weder mit David Walliams („Little Britain“) noch mit Catherine Tate („The Catherine Tate Show“) je sonderlich viel anfangen konnte. In „Big School“ (BBC 1) aber schienen beide gut aufgehoben zu sein: Tate als die neue Französischlehrerin Sarah Postern, die kein Französisch kann (und noch nie in Frankreich war), und Walliams (auch der Autor von „Big School“) als verklemmter Chemielehrer Keith „Churchy“ Church, der nur wegen der neuen Lehrerin an der Schule bleibt und sich plötzlich als Konkurrent des Sportlehrers Trevor Gunn (Philip Glenister, „Mad Dogs“) um die Gunst Posterns wiederfindet.

„Big School“ ist von Anfang an eine altmodische Sitcom ohne bemühten Dokumentarstil oder verwackelte Handkamera (allerdings auch ohne Lacher), erzählt die Geschichten, die man erwartet (Church will Postern bei der jährlichen Talentshow beeindrucken, Church will Postern beim Iron Man beeindrucken, Church will Postern beim Schulausflug nach Frankreich beeindrucken), verwendet dabei die richtige Mischung aus dialogischem Witz und Slapstick, und es spielen auch noch etliche gute Schauspieler in guten Rollen mit: Frances de la Tour (zuletzt sehr gut in „Vicious“) als misanthrope Direktorin mit Drogenproblemen, Joanna Scanlan („The Thick of it“, „Getting on“) als stoffelige und lesbische Schauspiellehrerin, Steve Speirs („Stella“) als trotteliger Erkdundelehrer und Daniel Rigby als Mod-Boy und Musiklehrer. Letzterer darf als neue Entdeckung für die britische Comedy gelten; umso bedauerlicher, dass seine Auftritte die kleinsten in der Show waren und er in einigen Folgen überhaupt nicht vorkam. (Philip Glenisters erster Ausflug in die Comedy muss allerdings als misslungen gelten. So gut er als ernster Schauspieler ist, hier war das Bemühen zu spürbar, es jetzt auch noch im komischen Fach zu Ruhm und Ehre bringen zu wollen.)

Ich wollte „Big School“ also mögen, und die zweite Folge (oft ja die entscheidende, meiner Meinung nach) war auch tatsächlich recht komisch, wie es überhaupt durchaus kurzweilige Momente, ja, ganze Episoden gab.

Dann aber gab es auch zähe Folgen, in denen unmotivierte Dinge geschahen, und selbst wenn die Plots funktionierten, waren die richtig lauten Lacher an einer Hand abzählbar. Das alleine macht britische Sitcoms nicht schlechter — britische Fernsehshows haben nun einmal nicht die finanzielle Möglichkeit, ein Dutzend Autoren an einer einzigen Serie arbeiten zu lassen (wenn man sich dagegen die gerade angelaufenen neuen Staffeln von „Modern Family“ und „Parks and Recreation“ ansieht, weiß man sofort, was ich meine: da folgt Gag auf Gag auf Gag). Aber hier, bei einer Mainstream-Show auf BBC1, die Freitag abends um neun zur besten Sendezeit läuft, waren es ja schon mindestens drei: Walliams und die Dawson Bros., und immerhin David Baddiel als Script Editor war auch noch mit an Bord.

Doch sie alle konnten den zweidimensionalen Charakteren nicht genügend Leben einhauchen: da war nichts als Klischee, keine Brechung, keine unerwartete Tiefe, nichts von dem, was für gewöhnlich britische von amerikanischer Comedy unterscheidet: dass Witze, dass Komik aus dem Charakter heraus entstehen, mehr als aus noch so komischen Onelinern.

Exemplarisch konnte man das an den Schülern sehen. Die spielten für die meisten Plots nur eine untergeordnete Rolle als desinteressierter Pöbel (weswegen sie gleich mit richtigen Schülern besetzt wurden statt mit Schauspielern) und entsprachen so genau der Vorstellung, die man von heutigen Sechzehnjährigen auf Secondary Schools hat. Das aber ist für eine Comedy eigentlich ein bisschen zu wenig, Vorurteile und Erwartungen eins zu eins zu übernehmen, statt sie — und sei es nur ein bisschen — zu brechen, oder immerhin zu übertreiben.

„Big School“, um es in der Sprache von Zeugnissen zu sagen, war stets bemüht. Das ganze Potential aber konnte die Serie nicht ausschöpfen. Eine Britcom, die gerne ein bisschen britischer hätte sein dürfen, was die Charaktere angeht, und ein bisschen amerikanischer, was die Gags betrifft.

„Big School“ ist gerade auf DVD erschienen und kann per Import bestellt werden.

An den zweiten Folgen sollt ihr sie erkennen

Zwei neue Sitcoms hat ITV1 vor Wochenfrist ins Rennen geschickt: „Vicious“, die Geschichte eines alternden schwulen Glamour-Paares (Sir Ian McKellen und Sir Derek Jacobi, man möchte es kaum glauben), und „The Job Lot“, rund um die mehr oder weniger verzweifelten Angestellten einer Arbeitsagentur. Beide Shows laufen nun seit zwei Wochen, und zwar die eine direkt nach der anderen, so dass sich Vergleiche geradezu aufdrängen. Beide lagen in meiner Gunst nach der ersten Folge ziemlich gleichauf; „Vicious“ vielleicht etwas vor „The Job Lot“, aber nicht viel.

Nach der zweiten Folge hat sich das geändert. Und weil beide Shows, so verschieden sie auch sind, doch gewisse Parallelen haben, und ich außerdem neulich etwas über Pilotfolgen geschrieben habe, fand ich bemerkenswert, wie sehr es eben nicht die Pilotfolge war, die den Unterschied macht, sondern die zweite Folge.

„The Job Lot“ ist, wie der Name schon andeutet, eine Ensemble-Comedy, innerhalb derer Trish, die Managerin der Agentur, (Sarah Hadland, zweite Geige in „Miranda“) und vor allem Karl (Russell Tovey, „Being Human“, „Him and Her“) Schlüsselpositionen haben. Klassischer Pilot-Kniff bei beiden Serien: „Eine neue Figur kommt ins Spiel“. Karl, eigentlich studierter Kunsthistoriker, hat in der ersten Folge die Schnauze voll davon, arbeitslose Versager mit Scheißjobs versorgen zu müssen, und schmeißt hin — da kommt eine gutaussehende Aushilfe des Wegs, so dass er seine Entscheidung umgehend revidiert. (Umgekehrt so bei seiner Chefin: bei der ist es das [Wieder-]Auftauchen ihrer Nemesis, einer sturen, kleinkarierten Mitarbeiterin aus der Hölle, die sich ihren Arbeitsplatz zurückgeklagt hat und nun Trish das Leben schwermacht.)

Nicht ganz unähnlich bei „Vicious“: Obwohl wir hier eine klassisch-altmodische Mehrkamera-Comedy haben, vor Publikum und deshalb mit Gelächter und allem, und schon deshalb ein ganz anderes Look-and-Feel als bei „The Job Lot“ (das mit einer Kamera und ohne Gelächter produziert ist), ist doch der Dreh der Pilotfolge sehr ähnlich. Hier sind es Stuart (Jacobi) und Freddie (McKellen), die das Ensemble anführen. Die beiden sind sympathisch effeminierte alte Streithähne (Arbeitstitel der Show war „Vicious Old Queens“, das hätte auch besser gepasst). Besonders Freddie als alternder Schauspieler, dessen größter Erfolg (zehnt-beliebtester Superschurke bei „Doctor Who“) nun auch schon einige Jahrhunderte zurückliegt, teilt kräftig Beleidigungen gegen Stuart aus, der seinerseits aber stets mit passender Münze herausgibt. Tatsächlich lebt die Show sehr von den kunstvollen Invektiven, die die beiden Theater-Giganten mit ihrer sagenhaften Präsenz einander an die Köpfe werfen, und natürlich von den beleidigten Reaktionen.

Die neue Figur in der ersten Folge „Vicious“ ist Ash (Iwan Rheon, „Misfits“, „Game of Thrones“), der jugendliche neue Mieter, der zum Love Interest v.a. von Freddie, aber auch von Freddies und Stuarts gemeinsamer Freundin Violet (Frances de la Tour, „Rising Damp“) wird.

Nach der ersten Folge haben beide Serien das Zeug dazu, solide Sitcoms zu werden: gute Settings, die man noch nicht allzu oft gesehen hat (die Arbeitsagentur erlaubt schräge Gast-Figuren für einzelne Folgen, das Milieu verarmter homosexueller Snobs hat eine eingebaute Fallhöhe von beachtlicher Größe), sehr gute Schauspieler, und eine interessante „Chemie“ zwischen den Figuren — wobei ich vermutet hätte, dass die Chemie des Ensembles bei „Job Lot“ stärker ist, weil die Charaktere unterschiedlicher sind und von Sicherheitsleuten über Arbeitslosenhilfeempfänger bis zur Agenturchefin reichen. Bei „Vicious“ ist es der Freundeskreis von Stuart und Freddie (zu dem noch Penelope und Mason gehören, eine äußerst vergessliche und abwesende Greisin und ein Beschwerdeführer), der sozial aber doch recht homogen ist.

Deshalb war ich überrascht, dass „Vicious“ doch die weitaus bessere zweite Folge zu bieten hat als „The Job Lot“. [Achtung, jetzt kommen ein paar Spoiler!] Letztere nutzt das Angebot der Vielzahl möglicher Gastfiguren sofort und führt für nur eine Folge einen höherrangigen Militär ein, der so etwas wie ein Motivationsseminar leiten soll und prompt Konflikte im Team auslöst (der Sicherheitsmann fühlt seine Autorität unterminiert, die Frauen und Karl streiten um seine Aufmerksamkeit).

„Vicious“ hingegen thematisiert die Armut der beiden Hauptfiguren: Freddie braucht für einen Auftritt vor dem „Doctor Who“-Fanclub einen neuen Mantel, den er sich jedoch nicht leisten kann. Also arbeitet Stuart heimlich beim Herrenausstatter. Diese Heimlichkeit aber führt zu Verdächtigungen und hübschen Verwirrungen. Und sie gibt den Autoren Mark Ravenhill und Gary Janetti Gelegenheit, Szenen zu schaffen, in denen je zwei Figuren miteinander interagieren können, um so die jeweiligen Beziehungen zu beleuchten und zu vertiefen: Ash klagt Freddie sein Leid mit seiner Freundin, umgekehrt klagt Freddie Ash sein Leid mit Stuart, Violet konfrontiert Stuart mit ihrem Verdacht usw.

Die Folge ist, dass das „Vicious“-Ensemble sehr viel stärker und komischer wird, weil wir die Figuren und ihre Beziehungen zueinander intensiver kennenlernen — während bei „The Job Lot“ vorwiegend die Konflikte zwischen einer neuen (außerdem recht schwach gezeichneten) Figur und dem Cast gezeigt werden, statt die Verstrickungen zwischen den Hauptfiguren. In „Vicious“ sind es die Konflikte, die zwischen den Hauptfiguren angelegt sind, die für Komik sorgen — in „The Job Lot“ braucht es auch in der zweiten Folge eine Figur von außen, um die Konflikte in Gang zu bekommen.

Natürlich ist es ein bisschen ungerecht und recht willkürlich, die beiden zweiten Folgen dieser Serien zu vergleichen.  Und selbstverständlich kann man auch „Vicious“ kritisieren: Ich hatte etwa den Eindruck, dass die ganzen blumigen Beleidigungen, die da ausgetauscht werden, gar nicht so sehr von ihrem Wortlaut lebten, sondern eher von der Theatralik und Bühnenpräsenz von McKellen und Jacobi, die wiederum vom Publikum und dessen frenetischem Gelächter unterstützt werden. Und selbstverständlich ist „Vicious“ über die Maßen altmodisch.

Aber gerade das Altmodische, die Beschränkung auf ein Set und eine Nebenbühne (in der zweiten Folge: das Kaufhaus, in dem Freddie und Stuart den Mantel kaufen/wo Stuart jobbt), die Beschränkung auf einen Cast ohne viele Nebenfiguren, macht „Vicious“ stärker als das modernere „Job Lot“ mit all seinen One-Camera-Möglichkeiten.

Mal sehen, wie es nach der dritten Folge aussieht: Wird „The Job Lot“ abermals eine Figur nur für die eine Folge einführen? Vielleicht funktioniert die Show ja gerade dann wieder: Wenn dieses Prinzip erst einmal etabliert ist. Vielleicht wird „Vicious“ schwächer, wenn die Beschränkungen allzu deutlich werden und die Beschimpfungen zwischen Freddie und Stuart ihren Neuigkeitswert verloren haben. Vielleicht also sieht dann schon wieder alles ganz anders aus, und ich muss einen Eintrag schreiben, warum die dritten Folgen alles entscheiden.