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Artikel Tagged ‘Graham Linehan’

Count Arthur not so Strong

Es ist so eine Sache mit Kultfiguren. Von einigen heiß geliebt, erschließt sich einem großen Publikum die Begeisterung nicht, mit der Fans ihren Lieblingen zujubeln. Am Ende ist es möglicherweise genau der Kultstatus, der eine breite Rezeption verhindert, weil alle, die nicht rechtzeitig zur Abfertigung am Bahnhof waren, irgendwann glauben, für sie sei der Zug ohnehin abgefahren. Und natürlich tun die Fans der ersten Stunde alles dafür, ihren Vorsprung zu erhalten und sich abzugrenzen („Damals war er noch lustig, da hättest du dabei sein müssen!“).

Ich habe so die Vermutung, dass genau das mit „Count Arthur Strong“ (BBC2, seit dem 8. Juli) passiert ist.

Count Arthur Strong, hinter dem der Comedian Steve Delaney steckt, ist die Karikatur eines alternden Show-Mannes, der nie so erfolgreich war, wie er selbst denkt. Mittlerweile in seinen 70ern, glaubt er immer noch, es könnte jeden Moment ein Anruf kommen, der ihm Variete-Auftritte und Ruhm einbringt. Arthur scheint einerseits an einem ausgewachsenen Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom zu leiden, andererseits ist er offenbar äußerst vergesslich, dabei auch noch grenz-unhöflich und tollpatschig. Also eine Comedy-Figur der alten Schule.

Entwickelt hat Delaney Arthur schon als Schauspielstudent für Shows zum Semesterende, namentlich das alljährliche Edinburgh Festival und das Fringe verhalfen Arthur seit 1997 zu einer kleinen Fangemeinde, und seit Arthurs Radioshow bei Radio 4 (über 40 Folgen seit 2005) hat er eine eigene Gemeinde; die Show gehört zu den festen Pfeilern der Radio-4-Comedy.

Zu dieser Gemeinde gehört auch „Father Ted“- und „IT Crowd“-Schöpfer Graham Linehan, der zusammen mit Delaney seit 2008 an der Serie arbeitet, deren erste Folge nun endlich, endlich zu sehen war —

— und mich vollkommen kalt gelassen hat. Mehr noch: die mich irritiert hat. Denn die große Publikumsbegeisterung (Delaney und Linehan haben erwartbarerweise die altmodische Live-on-Stage-Produktionsweise mit fünf Kameras gewählt) hat sich mir nicht ganz erklärt: die Scherze erschienen mir schal, das ganze Set-up altbacken, die Figuren leblos, wo nicht hölzern. Hat sich also die Figur Arthurs schon zu weit entwickelt, als dass ich (als neues Publikum, mir war er vorher kein Begriff) noch hätte Anschluss finden können? Oder war wiederum genau dieses oben geschilderte Problem der Kultfiguren Delaney und Linehan so bewusst, dass sie für die exzentrische Figur Arthurs eine möglichst altmodisch-anschlussfähige Umgebung schaffen wollten, nämlich die einer altbackenen Sitcom, und dabei über das Ziel hinausgeschossen sind? Interessieren mich alternde Varietekünstler einfach nicht? Oder war es die Transformation einer One-Man-Show aus Liveauftritten und Radioshows ins Fernsehen?

Denn um die Monologe Arthurs, aus denen die Fringe-Shows und die Radioshows bestehen, ins Fernsehen zu übersetzen, haben Delaney und Linehan eine zweite Figur erfunden: Michael (Rory Kinnear) ist der Sohn eines ehemaligen Showpartners Arthurs und möchte die Biographie seines (ungeliebten) Vaters schreiben; zu diesem Zweck begleitet er Arthur und gerät dadurch in dessen bizarre Lebenswelt. Kennt man die Umstände, unter denen die Figur Michaels entstanden ist, liegt die Vermutung nahe, sie habe keine eigene Daseinsberechtigung, sie existiere nicht aus sich selbst heraus. Das stimmt zwar ein bisschen, tatsächlich ist Michael oft Stichwortgeber und Pappkamerad neben Arthur, sozusagen die Personifikation der normalen Welt, durchschnittlich und etwas farblos, neben der Arthur noch mehr schillern kann, noch lauter und noch larger than life wirken.

Aber mir erscheint dieser Kniff trotzdem legitim und auch nicht ohne Beispiel, schließlich stehen in Sitcoms oft absichtlich sehr normale, geerdete Figuren neben glamourös-verrückten (man denke etwa an den Kontrast zwischen Frasier und seinem Vater Martin). Was also ist es, das „Count Arthur Strong“ so schwer und mühsam macht?

Ich glaube, es ist die Figur Arthurs selbst. Ich kann nur noch nicht sagen, ob sie mir zu exzentrisch-verrückt ist oder zu wenig. Vielleicht hatten Linehan und Delaney auch Manschetten, alte (gute) Witze Arthurs zu wiederholen und damit die alten Fans zu indignieren, und haben lieber zu neuen (schwächeren) Witzen gegriffen. Vielleicht sind die besten Zeiten einer so traditionellen Comedy-Figur wie der Arthurs auch einfach vorbei — schließlich entstammt Arthur schon den 80er-Jahren, und auch Linehans Begeisterung für derartige Retro-Comedy könnte mehr Reminiszenz denn künstlerisches Konzept sein. Womöglich sehe ich ja nach der zweiten Folge schon klarer. Dann gebe ich Bescheid.

„Cuckoo“ revisited

19. Februar 2013 Keine Kommentare

Es ist ja oft gut, Sachen zwei-, dreimal anzusehen. Erst wenn man die Handlung und die Witze schon kennt, kann man sich nämlich auf die Mechanik hinter Serien und Filmen konzentrieren und gucken, wo die Fäden laufen, an denen die Puppen tanzen. Ich habe kürzlich noch einmal die ganze Staffel „Cuckoo“ (BBC3, 2012) gesehen, dabei festgestellt, dass die Serie auch beim zweiten und dritten Mal noch wunderbar funktioniert. Insbesondere die erste Folge ist mir noch eine Weile im Kopf herumgegangen.

In „Cuckoo“ geht es um den titelgebenden jungen Mann (Andy Samberg), einen hippiesken Amerikaner, der die 18jährige Rachel (Tamla Kari), Tochter einer englischen Mittelklasse-Familie, in Thailand kennen- und liebengelernt hat und nun mit ihr zusammen bei ihren Eltern in den englischen Midlands einzieht — zum Missfallen ihres Vaters Ken (Greg Davies). Denn Cuckoo ist eine veritable Landplage, faul und selbstgefällig, dabei allerdings gutaussehend und nicht uncharmant: nicht nur auf Rachel, auch auf ihre Mutter Lorna (Helen Baxendale) macht er durchaus Eindruck.

Die Konflikte und Spannungen sind also klar: hier der Silberrücken der Familie (Greg Davies ist ca. 2,95 Meter groß), da der freche Jungaffe, der dem Alten Revier und Weibchen streitig machen kann.

Wo nun beginnt man als Autor, diese Geschichte zu erzählen? Was ist Backstory? Wo beginnt die eigentliche Serie?

Es gibt zwei Arten von ersten Folgen bzw. Piloten: den sogenannten Premise Pilot im Gegensatz zu einer regulären ersten Folge, die sich von den anderen Folgen einer Serie nicht unterscheidet. Beide Möglichkeiten haben bestimmte Vor- und bestimmte Nachteile.

Der heute beliebtere Weg, eine Serie zu beginnen, ist der des Premise Pilot, in dem erzählt wird, wie die Hauptfiguren in die Lage kommen, aus der heraus die Serie anschließend erzählt wird: Wie die jungen Straffälligen in „Misfits“ durch ein mysteriöses Gewitter zu Superkräften kommen, mit denen sie anschließend umzugehen lernen müssen. Wie ein Werwolf und ein Vampir in einer WG ziehen, wo schon ein Geist wohnt, und was sich aus dieser Konstellation ergibt („Being Human“). Wie zwei junge Londoner umziehen wollen bzw. müssen und, um überhaupt eine Wohnung zu bekommen, ihrer Vermieterin in spe vorspielen müssen, sie seien ein Paar, obwohl sie sich überhaupt nicht kennen („Spaced“).

Solche Piloten haben den Vorteil, dass wir die Figuren und ihre Charaktere ausführlich vorgestellt bekommen, und dass wir erfahren, wie und warum sie in welche Situation gekommen sind. Das ist besonders dann hilfreich, wenn die Prämisse so außergewöhnlich ist, dass sie ansonsten schwer zu erklären wäre (siehe „Misfits“ und „Being Human“). Sie sind vermutlich auch leichter zu schreiben, weil man so nicht viel in Dialogen verpackt erklären muss („Weißt du noch, wie wir damals Annie kennengelernt haben?“).

Sie haben aber den großen Nachteil, dass sie sich von den anderen Folgen einer Serie womöglich sehr unterscheiden: Wir wissen nach der ersten Folge als Zuschauer nicht unbedingt, wie die nächste Folge aussieht, weil sie konzeptuell anders sein muss als die erste. Das ist für eine Serie keine gute Voraussetzung.

Daher bin ich im Grunde ein Fan der anderen Möglichkeit: Einer regulären ersten Folge, in der schon alles so ist, wie es später auch ist. In „The Office“ etwa müssen wir nicht erfahren, wie David Brent Chef wurde oder wie und warum ein Kamerateam ihn im Alltag begleitet. Es ist einfach da, filmt ihn und seine Untergebenen, und gut ist. In „Seinfeld“ streiten sich George und Jerry in der ersten Szene, als hätten sie nie etwas anderes getan, und das haben sie auch nicht. Die Charaktere und ihre Konstellation erklären sich aus sich selbst.

Ein großer Freund dieser Variante ist auch Graham Linehan, der uns weder in „Father Ted“ in einer eigenen ersten Folge erklärt, wie drei Priester auf eine einsame irische Insel gekommen sind, noch in „Black Books“ die Eröffnung von Bernard Blacks Buchladen. In „The IT Crowd“ sind die ITler schon in ihrem Kellerverschlag, als Jen als ihre Chefin dazustößt — aber damit kommen wir schon zum cleveren Teil der Problemlösung, die auch die Autoren von „Cuckoo“, Robin French und Kieron Quirke, gewählt haben:

Eine Mischung aus beiden Möglichkeiten.

Im Falle von „Cuckoo“ ist das schön offensichtlich, denn die Serie beginnt an einem thailändischen Strand, wo ein Platzregen eine Party abrupt beendet und Rachel und Cuckoo sich zum ersten Mal begegnen: Rachel noch ein braves Mädchen, das aber prompt die Sekretärinnenbrille abnimmt, als es von einem äußerst charmanten, aber wahnsinnig verblasenen Cuckoo angesprochen wird: ihre Verwandlung, ihre Befreiung (auch von ihrer kotzenden Freundin, die sich im gleichen Moment zurückzieht und Rachel mit Cuckoo alleine lässt), zusammengefasst in einem einzigen Bild. Schnitt auf Ken, der zuhause eine Collage aus braven Papa-&-Tochter- und anderen Familienfotos betrachtet und sich dann mit Lorna auf den Weg zum Flughafen macht, um Rachel abzuholen. Schon bei Minute drei tauchen Cuckoo und Rachel zusammen am Gate auf — und in der fünften, sechsten Szene sind bereits alle Fallen gestellt, alle Stricke gelegt und alle Gruben gegraben, in die die Figuren anschließend laufen.

Bei Linehan ist es meist nur die Ankunft je einer neuen Figur in einem ansonsten festgefügten Tableau (in „Black Books“ ist es die Nebenfigur des Manny Bianco, der das „Book of Calm“ verschluckt und so zum Nebenberufsheiligen mutiert, in „IT Crowd“ ist es die neue Chefin Jen, der Moss und Roy die Lage verklickern müssen), die die erste Folge von allen anderen unterscheidet — zu wenig, um als Premise Pilot durchzugehen, aber zu viel Veränderung, um nur eine beliebige Folge innerhalb der Serie zu sein.

„Cuckoo“ ist, und das betrifft nicht nur die erste Folge, sehr schön erzählt und so selbstsicher, dass die Autoren sich sogar trauen, für eine Folge die Chemie zwischen Ken und Cuckoo völlig zu verändern, und zwar durch eine (zumindest von Ken) unbeabsichtigt eingenommene MDMA-Pille. Genau diese Folge ist prompt die beste der ganzen Staffel, an deren Ende eine weitere unerwartete Änderung in der Chemie zwischen den Figuren steht.

Das wiederum unterscheidet die kurzen britischen natürlich von den langen amerikanischen Serien. Und darin dürfte auch die Antwort auf die Frage liegen, welche Art von Pilot die beste ist: das hängt stark von der Serie ab. Je statischer, je mehr auf Unendlichkeit angelegt oder sogar frozen in time, desto mehr spricht für eine erste Folge, die so ist wie alle anderen. Je kürzer, je dominanter der Handlungsbogen über der ganzen Staffel ist und je mehr eine Serie ein High Concept verflogt, desto mehr spricht wohl für einen Premise Pilot. 

Ihre Bestellungen bitte

16. Oktober 2012 2 Kommentare

Die gute Nachricht: eine der besten Serien dieses Jahres, „Moone Boy“ (Sky 1) von und mit Chris O’Dowd („The IT Crowd“), gibt es jetzt auf DVD zu bestellen. Das sollte sich niemand entgehen lassen, der den irisch-britischen Humor von O’Dowd mag, den er mit Graham Linehan teilt — kein Zufall, dass „Moone Boy“ mehrfach auf die beste irisch-britische Sitcom aller Zeiten, „Father Ted“, anspielt, die ebenso von Linehan stammt wie „The IT Crowd“. (Von „Father Ted“ gibt es zu Weihnachten übrigens — schon wieder — ein neues Boxset, diesmal hoffentlich mit etwas intuitiver verständlichem Menü.) Beide Serien teilen sich darüberhinaus den gleichen Regisseur, nämlich Declan Lowney.

Die womöglich schlechte Nachricht: für gewöhnlich erscheinen die DVDs der ersten Staffel nicht schon direkt nach dem Ende der Erstausstrahlung, sondern dann, wenn die zweite Staffel anläuft — also in der Regel ein Jahr nach der ersten. Ich hoffe mal, dass diese schnelle Publikation in diesem Falle nicht bedeutet, dass es keine zweite Staffel geben wird, obwohl ich das nicht für ausgeschlossen halte. Denn die imaginären Freunde von Kindern, das zentrale Feature dieser Serie, überleben ja nur selten (und dann vermutlich eher in klinischen Fällen) die Pubertät, und Martin (David Rawle) steht direkt vor seiner. Das wäre durchaus schade. Aber vielleicht finden O’Dowd und sein Coautor Nick Vincent Murphy ja sogar einen Weg, auf die Figur des unsichtbaren Freundes zu verzichten, wer weiß.

Ladykillers

31. Januar 2012 Keine Kommentare

Ich war übers Wochenende in London und habe die Gelegenheit genutzt, seit gefühlten hundert Jahren mal wieder ins Theater zu gehen: „The Ladykillers“, mit Peter Capaldi, Ben Miller und Stephen Wight, in einer Neufassung von Graham Linehan. Ich bin weiß Gott kein Theaterfan (anachronistische Kunstform, meine Meinung), aber das war gut.

Im Gielgud Theatre im West End jedenfalls herrschte vom ersten Moment an aufgeräumte Stimmung unter den Besuchern der 19.45 Uhr-Vorstellung; offenbar waren die meisten direkt nach der Arbeit gekommen und dementsprechend auch nicht sonderlich herausgeputzt. Es war eine eher zwanglose Atmosphäre, in der verblüffend viel Veuve Clicquot gesüffelt wurde, die Ausgelassenheit war, kein Wunder, die einer Kindervorstellung, in der das Publikum auf die Ansprache des Polizisten in der ersten Szene („Good evening, folks!“) auch prompt unisono antwortete („Good evening, Constable!“). Toll.

Es war überhaupt alles toll: Graham Linehan, Autor von „Father Ted“, „Black Books“ und „The IT Crowd“, hat das Drehbuch zum Film von 1955 (damals mit Alec Guinness, Peter Sellers und Herbert „Inspector Dreyfus“ Lom in den Hauptrollen) fantastisch auf die Bühne übersetzt, sprich: auf seine charakteristische Art mit Wortwitz und Slapstick beschleunigt und mit surrealen Elementen ergänzt, wo die Handlung sonst nicht vorangekommen wäre. Capaldi („The Thick of It“), Miller („The Miller & Armstrong Show“) und Wight (der Skoose in „Whites“) sind auf der Bühne genauso gut wie vor der Kamera. Und Bühnenbild wie -Technik verdienen eigene Auszeichnungen: Wie sie das hinbekommen haben, das windschiefe Haus aus dem Film auf die Bühne zu stellen, war sensationell.

In „The Ladykillers“ vermietet die schrullige alte Mrs. Wilberforce ein paar Zimmer ihres vom Bombenkrieg in Mitleidenschaft gezogenen Häuschens an einen gewissen Professor Marcus (Guinness/Capaldi) und seine Spießgesellen (u.a. Sellers und Lom/Wight und Miller). Diese sind aber keineswegs, wie sie vorgeben, Musiker, die im Quintett Streichmusik machen, sondern Gauner, die es auf einen Geldtransport abgesehen haben. Mrs. Wilberforce‘ Häuschen liegt idealerweise nahe Kings Cross und direkt an der Bahnlinie, und Marcus‘ genialer Plan ist es, Mrs. Wilberforce ohne ihr Wissen als Fahrerin einzusetzen, die die Beute unter den Augen der Polizei in einem Koffer aus dem Bahnhof holt. Das gelingt ihr; es sind sogar Polizisten, die ihr dabei helfen, den schweren Koffer zu transportieren.

Allerdings stiftet die Alte nicht nur unabsichtlich immer wieder Chaos, sie ist, nachdem sie die Bande durchschaut hat, auch resolut genug, von den Gangstern zu verlangen, ihre Beute zurückzugeben. Was für die Räuber bedeutet, dass ihnen nichts übrig bleibt, als die zierliche, schwache, alte Lady aus dem Weg zu räumen. Nur: Wer macht’s? Am Ende, nach mehreren Verfolgungsjagden durch das Haus und über das Dach, sind alle Gangster tot, und die Polizei, die Mrs. Wilberforce von Anfang an kein Wort geglaubt hat, bittet sie, kein Wort mehr über ihre hanebüchenen Erlebnisse zu verlieren und das viele Geld doch bitte zu behalten.

Im Bühnenbild der Theaterfassung sind die minimal gekippten Senkrechten des Films zu schiefen Ebenen geworden; da gibt es keine einzige Waage- oder Senkrechte mehr, und das auf gleich drei Etagen. Mit Effekten wird nicht gespart: Wenn ein Zug vorbeifährt, flackert nicht nur das Licht und Rauch kommt zum Fenster herein, nein: da tanzen auch Stühle und Tische, und zwar auf die erkennbar unnatürlichste (und deshalb sehr komische) Weise. Der Raubüberfall, schlecht auf der Bühne zu zeigen, wird mit ferngesteuerten Autos nachgespielt, und zwar an der äußeren Hauswand der Drehbühne, die dank geschickter Beleuchtung im Handumdrehen zum Aufriss eines ganzen Stadtviertels wird. Und ganz am Ende, als der allein übrig gebliebene Professor Marcus fliehen möchte, wird die dritte Bühnenwand zum Tunnel, aus dem ein Zug herauszufahren scheint — wie sie das genau hinbekommen haben, ist mir bis jetzt nicht ganz klar. Verblüffend jedenfalls.

Linehan war klug genug, sich von dem Film weit zu lösen und, statt sklavisch das Original zu reproduzieren, lieber mit den Charakteren zu spielen, ihnen Raum zu geben, der im extrem ökonomisch arbeitenden Film nicht möglich gewesen wäre. (Der Film ist übrigens nach heutigen Maßstäben sehr langsam, geradezu verschnarcht, aber das ist wohl auch kaum anders zu erwarten — nach mehr als einem halben Jahrhundert.) „Reservoir Dogs“ habe einen großen Einfluss bei der Entstehung gehabt, erklärt Linehan in einem Interview, und in der Tat hat das Stück fast mehr mit den psychologischen Verwicklungen der Gangsterbande in Tarantinos Film gemein als mit der Ealing-Studio-Comedy der Original-„Ladykillers“.

„I don’t really do subtlety“, erklärt Linehan, große Set Pieces, Farce und überraschende Verschränkungen von Storylines seien eher sein Ding. Militärs mit großen Schnurrbärten, Bösewichter, die herumschleichen wie Nosferatu, und kleine alte Ladys, die wie die Omis in „Sylvester und Tweety“-Cartoons sprechen und sich bewegen, würden ihn mehr reizen. Ideale Voraussetzungen also für Theaterkomödien. Jetzt würde ich noch gerne die neue Filmfassung von Linehan sehen. Na ja, unwahrscheinlich, nachdem die Coen-Brüder erst 2004 ihre Version in die Kinos gebracht haben.

Osama, ein „IT Crowd“-Fan?

Das wäre normalerweise eher ein Eintrag für den britcoms-Facebook-Account, aber der WTF?!-Faktor ist doch zu hoch: War Osama bin Laden „IT Crowd“-Fan?

Ein entsprechendes Gerücht kursiert jedenfalls, seitdem die Amerikaner bekanntgegeben haben, sie hätten große Mengen Speichermedien aus Osamas Versteck mitgenommen: Angeblich kann man auf einem der mittlerweile bei YouTube veröffentlichten Videos sehen, wie der Terroristenzausel vor seinem Fernseher sitzt und ganze Szenen aus der britischen Sitcom mitspricht. Was bedeuten würde, er hätte sich „The IT Crowd“ auf DVD, Video oder sonstwie besorgt. Tät ja zu der Information passen, auf seinem Grundstück sei Marihuana gefunden worden. (Seitdem ich das weiß, stelle ich mir die Szene, als die Navy Seals nach Abbottabad reingekommen sind, ungefähr so vor.)

Problem: keines der Videos hat eine Tonspur — bestätigt ist also mal gar nichts. Natürlich nicht. Graham Linehan schweigt mittlerweile, hat aber getwittert:

Does anyone have confirmation that Osama was watching The IT Crowd in these home movies? Amazing if true. Don’t know how to feel. Obviously, a monster, but still. Was he all bad?

Allerdings twitterte er auch
It is ‚Big Bang Theory‘! Why was it reported as ‚It Crowd‘? Fucking Osama. FUCKING ROT IN HELL, MOTHERFUCKER!
und
Mostly exhausted from laughing and freaked out that some still buying it.
In anderen Worten: Besser, man glaubt nix (schon gar nicht dieses „Beweisfoto“), aber lustig ist es allemal…

Große Momente

8. Januar 2011 4 Kommentare

„Drei große Momente“ seien es, so Graham Linehan neulich, die für das Gelingen einer Sitcom-Folge wichtig seien — viel wichtiger als ausgefuchste, konsistente Plots (wir berichteten). Tatsächlich konnte man sich kürzlich während der langen „Father Ted“-Nacht in gleich zwei Dokumentationen abermals davon überzeugen, wie viele solcher unvergeßlicher Momente es in „Father Ted“ gab. (Und wo der Punkt war, an dem diese Momente ein bißchen zu groß wurden, um noch in die eher traditionelle Sitcom-Narration der Serie zu passen: nämlich da, wo Teds Flugangst so überwältigend wird, daß er sich an das Fahrwerk eines Flugzeugs klammert, und wir ihn dann im Wohnzimmer des Pfarrhauses sehen — noch immer an das Fahrwerk geklammert.)

In Filmen heißen solche großen Momente Setpieces. Jeder Actionfilm hat im dritten Akt ein Setpiece, viele auch schon eines am Anfang des ersten. Eines der schönsten Beispiele für Setpieces in Komödien habe ich gestern abend mal wieder bewundern dürfen: „The Party“ (1968, auf Deutsch: „Der Partyschreck“) vom immer noch unterschätzten Blake Edwards, der leider Mitte Dezember gestorben ist. Ganz abgesehen davon, daß der ganze Film ein reiner Werbeclip für Peter Sellers‘ Slapstick-Talente ist und eine Aneinanderreihung von kleinen und großen Setpieces, ist doch der Showdown im letzten Akt ein prima Beispiel dafür, wie richtig Graham Linehans Comedy-Konzept ist — und wie unwichtig nicht ganz logische Handlungselemente sind, wenn ihr Pay-Off nur schön inszeniert ist.

In „The Party“ spielt Sellers den äußerst ungeschickten, aber liebenswürdigen indischen Schauspieler Hrundi V. Bakshi, der zu Beginn der Handlung die Dreharbeiten zu einem Monumentalfilm ruiniert (erstes Setpiece): Erst ruiniert er eine Massen-Szene, dann löst er vorzeitig eine Explosion aus und zerstört so nicht nur die Kulissen, sondern den ganzen Film. Daraufhin wird er von den Studio-Bossen auf eine Schwarze Liste gesetzt — bzw. eben nicht, sondern versehentlich auf die Einladungsliste zu einer Party des Produzenten. Die findet in einer schicken, vollautomatischen Villa mit großer Pool-Landschaft statt und endet in vollkommener Zerstörung — durch Schaum. Wie ein riesiger Blob wächst dieses Schaum-Monster, droht die immer weiter dudelnde Jazz-Band zu verschlucken und Gemälde zu zerstören, läßt eine ganze Verfolgungsjagdgesellschaft einen nach dem anderen verschwinden, quillt und wabert immer mächtiger, bis alles, alles in einer weißen Wand aus Schaum verschwindet.

Beginnt man nun genau hier, von hinten, kann man sich schon recht lebhaft vorstellen, wie Edwards‘ (der auch das mit 60 Seiten eher dünne Drehbuch mitschrieb) Gedankenprozeß ablief: „Ich will, daß die ganze Villa in weißem Schaum versinkt, in Schaum, der die hilflose Wut der einen verschluckt wie der Londoner Nebel die Untaten von Jack the Ripper, und der die Ausgelassenheit der anderen noch steigert, die sich wie kleine Kinder über Schaumberge in der Badewanne freuen. Aber wie kommt das ganze Waschpulver in den Pool? Schüttet es jemand einfach hinein? Welches Motiv hätte er dafür? Nein, wir brauchen etwas, das im Pool gewaschen werden muß. Es muß etwas großes sein, so groß, daß es viele Leute mit Bürsten und Besen schrubben und große Mengen Schaum erzeugen können. Es muß so groß sein wie ein Elefant. Das ist es! Ein Elefant! Bakshi ist Inder, das würde schon mal passen. Aber warum muß der Elefant gewaschen werden? Hat ihn jemand bemalt? Na klar, wir haben die späten Sechziger, junge Leute machen die verrücktesten Sachen, wenn sie gegen das Establishment revoltieren. Wir behaupten einfach, da kommt die Tochter des Produzenten mit ihrer Hippie-Clique von einer Demonstration, sagen wir: von einem Love-In, und die haben einen Elefanten dabei, auf den sie allerlei psychedelische Muster und Sponti-Sprüche gemalt haben. Und Bakshi, dem Elefanten heilig sind, überzeugt die junge Frau davon, daß der Elefant sauber gemacht werden muß. Bingo! Werden uns die Leute glauben, daß eine Handvoll junger Hippies nur für ein öffentliches Happening irgendwo einen Elefanten besorgt hat? Und dann bemalt? Ach, egal, wird schon gehen…“

Ging ja auch. Sehr gut sogar. Ich habe das ganze Jahr noch nicht so gelacht wie gestern abend bei „The Party“ — und bin kurz davor, mir die „Pink Panther“-Box zu bestellen. Auch wenn ich die schon tausendmal gesehen habe: So schön inszenierter Slapstick wird auch beim tausendersten Mal sehen nicht alt.