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Die Charaktermasken des Martin Hurdle

29. März 2013 1 Kommentar

Kürzlich führte Harald Schmidt in einem Interview mit der F.A.Z. aus, wie sehr es ihn anstrenge, „authentisch“ zu sein, und ließ durchblicken, dass es ihn so etwas wie gefreut hat, als Elfriede Jelinek ihn als Charaktermaske bezeichnet hat:

Charaktermaske, Standardbegriff aus dem Marxismus, kann ich voll unterschreiben, denn ich denke meinen Tag genau wie folgt: So, nun bin ich in Köln im Excelsior-Hotel für ein Interview, dann geh ich raus, dann bin ich der Parkplatz-Gänger, der sein Ticket löst, und eventuell der joviale Köln-Bewohner: „Hey Schmidtchen, Du hier!“ Und dann bin ich wieder der Bahnreisende oder der Kinder-vom-Kindergarten-Abholer. Wenn Sie das jemandem erzählen, der vom Authentizitätswahn befallen ist, der sagt dann natürlich: Um Gottes Willen, wann bist Du denn einmal Du selbst? Ich finde es aber gerade anstrengend, dass so viele Leute permanent sie selbst sind oder besser: das, was sie glauben zu sein.

Dass Menschen sich auflösen hinter den unterschiedlichen Rollen, die sie im Alltag spielen, dass ihr Ich verschwindet hinter den Masken, die das Freund sein, Kunde sein, Angestellter, Mitreisender oder Vater sein mit sich bringt, hat zunächst einmal etwas eher Melancholisches.

Wenn sie aber hinter den Rollen von Prominenten, Filmfiguren und Popreferenzen verschwinden, kann das ohne weiteres ins Komische kippen.

Eine Melancomedy, eine Sadcom im besten Sinne, die genau diese Schwermut und diese Komik in sich vereint, ist „The Mimic“ (Channel 4, seit 13. März). Hier ist es Martin Hurdle (Terry Mynott, sehr gut schon in „Very Important People“), der aus seinem Alltag als kompletter Versager am liebsten durch seine perfekten Imitationen, seine parodistischen Miniaturen großer Stars verschwindet. Eigentlich ist er eine traurige Gestalt, hängt mit fast vierzig immer noch in einem Aushilfsjob fest, wo ihn selbst neue Kolleginnen im Teenageralter innerhalb weniger Wochen überholen. Aber sobald er im Stau auf dem Weg zur Arbeit Terry Wogan parodiert, das provinzielle Leben mit der Stimme David Attenboroughs zur großen Naturdokumentation überhöht oder auch nur Bikinimodells mit der Stimme von Christopher Walken anruft, um sie dazu zu überreden, ihm Nacktfotos zu schicken, entkommt er seiner Tristesse. Wenn auch nur sekundenweise.

Zum Glück passiert dann doch recht schnell etwas, bevor wir als Zuschauer bemerken, dass eine Hauptfigur ohne Charaktermerkmale schnell in einem Vakuum verschwinden könnte: Martin erfährt, dass er Vater ist — und zwar schon seit 18 Jahren. Sein Sohn Steven (Jacob Anderson) ist also halb so alt wie er, dafür aber ungefähr dreimal so erfolgreich. Und weil Martins beste Freundin, seine Vermieterin Jean (Jo Hartley) plötzlich einen Lover und deshalb keine Zeit mehr für ihn hat, während Steven und Martin sich in einer Vater-Sohn-Beziehung mit umgekehrten Vorzeichen näher kommen, gerät doch noch etwas Dynamik in Martins Leben.

„The Mimic“ ist eine kleine, sehr ruhige Sitcom, die es hinter dem großen parodistischen Talent Mynotts und brillanten Buchideen gut zu verstecken weiß, dass sie ein großes Thema hat: Wenn Martin erzählt, dass er jedesmal zum Iren wird, wenn er in einen Irish Pub geht (und zwar zu einem Iren namens Michael), und es sehr genießt, dort quasi eine Auszeit vom Martin-Sein zu haben, dann ist das (wenn wir es ausgespielt sehen) ziemlich komisch. Und doch geht es um nicht weniger als Entfremdung.

Wenn also „Mimic“-Creator und Autor Matt Morgan nicht mit dem Arsch (den letzten zwei Folgen) noch einreißt, was er mit den Händen aufgebaut hat, dann wird „The Mimic“ auf einer Stufe stehen mit „Happiness“ (BBC2, 2001 – 03), in der Paul Whitehouse mit vergleichbarer Traurigkeit seine Identitätskrise als Mensch hinter einer bekannten Fernseh-Knetpuppe bearbeitet: eine äußerst liebenswerte Serie, zu hintergründig für den großen Erfolg im Mainstream, aber ein Highlight für alle, die Charaktere wie Rick Spleen in „Lead Balloon“ (BBC4/2, 2006 – 11) mögen und Joanna Lumleys Davina in „Sensitive Skin“ (BBC2, 2005 – 07).

Zu Unrecht vergessene Sitcoms (1): „Happiness“

20. September 2010 Keine Kommentare

Er ist keineswegs gescheitert im Leben: Danny Spencer (Paul Whitehouse) ist der Mann hinter einer beliebten Kinderfernsehsendung, in der ein Bär aus Knetgummi, eine Mischung aus Kung-Fu-Kämpfer und Krankenschwester in einer riesigen Herrenunterhose, die Hauptrolle spielt. Danny schreibt die Texte und spricht den Bär mit Namen Dexter, und hat es so zu einer C-Prominenz gebracht, die ihm einen komfortablen Lebensstandard erlaubt. Doch Danny ist nicht glücklich: Er feiert gerade seinen vierzigsten Geburtstag (sieht aber aus wie fünfzig), niemand erkennt ihn als Promi (es sei denn, er spricht mit der albernen Stimme Dexters), seine Freunde sind langweilig oder Alkoholiker (oder beides), und noch bevor die erste Episode beginnt, wird seine Frau auf dem Zebrastreifen von einem Eisverkaufswagen überfahren und stirbt. Ein erschütterndes Ereignis, aber was Danny mehr zu schaffen macht als der Tod seiner Frau selbst, ist die Tatsache, daß er gar nicht angemessen traurig deswegen ist.

„Happiness“ (BBC2, 2001 – 03) ist, in diametraler Entgegensetzung zum Titel, eine veritable Sadcom, denn Danny ist eine traurige Figur. Seine große Liebe Rachel (Fiona Allen) hat längst mit seinem besten Freund Terry (Mark Heap) zusammen Kinder, obwohl sie vom bürgerlichen Leben an der Seite eines Angestellten der London Library nicht immer begeistert ist. Die beiden Flatmates Charlie (Johnny Vegas) und Sid (Pearce Quigley), weitere Stammgäste in Dannys Pub, sind immer schmuddelig und meistens breit, obwohl sie für diese Art von studentischem Hänger-Leben längst zu alt sind. Angus (Clive Russell) ist über fünfzig und geschieden, benimmt sich aber konsequent, als wäre er zwanzig, fährt Motorrad und hüpft mit Betthasen in die Falle, die seine Töchter sein könnten. Und die beiden Tobys, die im Tonstudio arbeiten, wo Danny seine Texte einspricht, sind genau so hip und jung, wie Danny nicht ist: Während er (in der zweiten Staffel) etwa eine Szene aus „Fawlty Towers“ (schlecht) nachspielt, stehen die beiden Tobys ratlos daneben („Wer spielt denn da mit bei ‚Fawlty Towers‘?“), kommen dann aber auf ihre Lieblingsserie „Spaced“ zu sprechen und machen prompt die Shootout-Pantomime nach, die wiederum Danny konsterniert zurückläßt. (Doppelt komisch, dieser Moment, weil mit Heap und Russell gleich zwei Schauspieler aus „Spaced“ auch in „Happiness“ mitspielen.)

Überhaupt: Fernsehreferenzen! In beinahe jeder Folge tauchen in Dannys Studio Stargäste auf, und meistens führt das zu peinlichen Momenten. Sei es, weil sie Danny sagen, wie gerne sie auch mal auf der Straße nicht erkannt würden, oder weil sie einem Date mit ihm zustimmen — schließlich haben sie es sich ja nur zur Regel gemacht, niemals andere Promis zu daten. Oft erkennen sie ihn nicht einmal. Oder wollen sofort wieder weg, wie etwa Ricky Gervais, über den Danny sich kaputtlacht, weil er glaubt, der spreche mit ihm in der rechthaberischen David-Brent-Rolle. Tut er aber gar nicht.

Möglicherweise war „Happiness“ ein wenig zu düster, um ein größerer Erfolg zu werden. Möglich, daß es auch deswegen heute so in Vergessenheit geraten ist: An die erste Staffel ist auf DVD praktisch nicht mehr heranzukommen (die zweite ist aber ohnehin die stärkere und deshalb eine doppelte Empfehlung meinerseits). Der Aufwand lohnt aber, denn „Happiness“ hat Stil: die Figuren sind komplexer, als man es erwartet, es gibt die eine oder andere lustige Slapstick-Einlagen, die meistens auf das Konto des brillanten Johnny Vegas gehen, und die Storys sind zwar minimalistisch, aber bis ins Detail durchgeschrieben. Die zweite Staffel baute zusätzlich auf einen Handlungsbogen, was ein wenig zu Lasten der ersten Folge geht, die dadurch mehr Exposition als eigenständige Episode ist, aber der ganzen Serie sehr zuträglich ist. Insgesamt ist „Happiness“ ein weiterer Höhepunkt im an Höhepunkten nicht armen Leben Paul Whitehouses („The Fast Show“, „Help“, „Harry And Paul“) — wenn auch eben ein etwas vergessener.

Comedy im Sommerloch

16. August 2010 4 Kommentare

Der August ist traditionell der Monat, in dem die BBC all die Shows verklappt, an die sie nicht mehr so recht glaubt, die aber schon produziert sind und versendet werden müssen. Gut versteckt vor allen, die Ferien haben und im Urlaub sind — aber natürlich nicht gut genug für dieses Blog. Die Comedy-Flut, die in den letzten Wochen losgebrochen ist, verheißt da nichts Gutes. Und in der Tat: Das meiste davon kann man sich sparen. Insbesondere

„Roger and Val Have Just Got In“ (BBC2). Alfred Molina und Dawn French in einem Comedy-Kammer- bzw. Kummerspiel der besonderen Art — nämlich der besonders langweiligen. Der Zuschauer darf dem „middle aged“ (BBC) Ehepaar (btw: Molina ist 57, Dawn French 52) bei der Erörterung alltäglicher Themen zusehen: Muß man alle Quittungen für alle Haushaltsgegenstände über Jahre hinweg aufbewahren? Und gelten Garantien noch, wenn man sie aus Versehen zerrissen und dann mit Tesa geklebt hat? Mildly amusing für alle, deren bevorzugte Saunatemperatur bei 23,5 °C liegt; mir ist allerdings nicht ganz klar, was Molina an den Dialogen so superspitze fand, daß er (der immerhin einer der allerbeliebtesten Schauspieler der Briten ist) sofort zugesagt hat. Dabei war er in „An Education“ doch so gut! Für Dawn French gilt ähnliches, jedenfalls in der Hinsicht, daß sie in England unfaßbar beliebt ist. Ihr letzter sehenswerter Auftritt liegt allerdings schon etwas länger zurück.

„Grandma’s House“ (BBC2). Welchen Schluß soll man aus dem Erfolg von x Staffeln „Larry Sanders“, sieben Staffeln „Curb Your Enthusiasm“, drei Staffeln „Lead Balloon“ und der zweiten Staffel „Extras“ ziehen? Daß es nun langsam langt mit Comedians, die, sobald das Rotlicht erloschen ist, sauertöpfisch, unleidlich und/oder merkwürdig werden? Oder daß man jetzt endlich mal eine Serie machen sollte, in der ein Comedian sich im Privatleben als verschroben, distanziert und unsympathisch herausstellt? Simon Amstell, bis vor kurzem Host der Comedy-Panelshow „Never Mind The Buzzcocks“, war eben dort berühmt dafür, noch recht jung, dafür aber schon sehr fies zu seinen Gästen zu sein. Dann warf er das Handtuch, um vielleicht ein bißchen schauzuspielen. Und tataa: schon sehen wir ihn in einer Sitcom, wo er sich selbst spielt und wo im Kreise von Mutter (Rebecca Front) und weiterer Verwandtschaft erörtert bzw. nicht erörtert wird, ob es klug war, die Fernsehkarriere hinzuwerfen, um ein bißchen schauzuspielen. Sehr meta. Ob es klug war, wird sich noch zeigen — schauspielen scheint jedenfalls nicht Amstells größtes Talent zu sein.

Eine überraschend gute Variante des Themas Comedians, die im Privatleben voll unlustig sind ist übrigens (ausführliche Kritik folgt, sobald ich die zweite Staffel gesehen habe) „Happiness“ (BBC2, 2001 – 03). Zu unrecht vergessen, spielt darin Paul Whitehouse einen Comedian mit Identitätskrise: Er schreibt und spricht einen Fernseh-Knetgummibär (den Ninja-Krankenschwester-Bär Dexter), den alle Welt liebt — aber ihn, den Mann hinter dem Bär, kennt niemand… Sehr melancholisch, fast eine Melanchomedy (aua!), und top besetzt nicht nur mit Whitehouse, sondern auch mit dem jungen und sehr guten Johnny Vegas, Fiona Allen und Mark Heap, den man zuletzt gesehen hat in

„The Great Outdoors“ (BBC4). Die haben sich zuletzt leider als doch nicht so great entpuppt, muß ich einräumen. Mark Heap ist zwar immer gut als Mark Heap, die Drehbücher aber mäanderten doch recht ziellos herum und zogen sich wie, nun ja, Wanderungen bei Regen. Nicht schlimm, daß BBC4 davon nur drei Folgen in Auftrag gegeben hat.

Soviel erstmal als Sommer-Comedy-Zwischenbilanz. Vielleicht werden sie ja noch besser, die Comedy und das Wetter.

Bewanderte Sitcom

31. Juli 2010 7 Kommentare

Natürlich ist „The Great Outdoors“ (BBC4) jedem wirklichen Englandkenner von vorneherein verdorben, ja: auf das Fundament einer faustdicken Lüge gebaut. Denn in einer (der ersten, am Mittwoch ausgestrahlten) Folge dieser Sitcom um einen Wander-Club, dessen Leiter mit einem gewaltigen Lattenschuß allen Mitwanderern auf die Nerven geht, fällt einen ganzen Tag lang erkennbar kein einziger Regentropfen! Ja, die Wanderer kommen nach einer langen Wanderung trockenen Fußes nach Hause! Vollkommen ausgeschlossen, denn in England regnet es jeden Tag, und ganz besonders, wenn jemand wandern gehen möchte. Ich weiß, wovon ich rede! Sieht man über diese unwahrscheinliche Prämisse allerdings großzügig hinweg, ist „The Great Outdoors“ gut — und hat das Zeug dazu, noch besser zu werden.

Die Miniserie (leider auf nur drei Folgen angelegt) folgt dem Wanderleiter Bob (Mark Heap), dessen aufgeblasene, eitle und anmaßende Art schwer erträglich ist. Sein bester Freund Tom (Steve Edge) ist ein ausgemachter Simpleton, dem Bobs neurotische Anfälle daher auch nichts ausmachen; Bobs achtzehnjährige Tochter Hazel leidet da schon mehr unter ihrem Vater. Neue Mitglieder, die mal einen Tag lang mitwandern wollen, werfen schnell das Handtuch und setzen sich ab — bis auf Christine (Ruth Jones), die nicht nur eine Regenjacke (ha!) dabei hat, einen riesigen Rucksack, GPS und eine Leuchtpistole, sondern sogar Verpflegung. Um die gibt es prompt Verteilungskämpfe, als sich herausstellt, daß der von Bob angesteuerte Pub auf sündteure Gastronomie umgestellt hat. Logisch, daß Christine schnell und sehr zum Mißfallen Bobs zu einer ernsthaften Konkurrenz in der Club-Führung wird…

Prima, daß Mark Heap sich nie zu schade wird, seine Paraderolle zu spielen: die des tragikkomischen, von Obsessionen geplagten Soziopathen. Damit hatte er seinen Durchbruch in „Spaced“ als der krisengeschüttelte Künstler Brian, damit brillierte er als der Hochgeschwindigkeitsneurotiker Alan Statham in „Green Wing“, und gerade sehe ich ihn in „Happiness“, wo er eine ein wenig gedimmte Version dieses Charakters gibt, in der er ebenfalls glänzt. Prima aber auch, daß um Heap etliche weitere hervorragende Comedians aufgestellt sind: Ruth Jones darf mal eine andere Rolle spielen als Staceys dicke Freundin Nessa in „Gavin & Stacey“, Steve Edge („Star Stories“, „Phoenix Nights“) ist sowieso hervorragend, und Katherine Parkinson („The IT Crowd“, „Doc Martin“, „The Old Guys“, deren zweite Staffel gerade läuft) ist sich für eine kleinere Rolle in der zweiten Reihe ebenfalls nicht zu schade.

Das liegt vielleicht daran, daß die Autoren der Show, Kevin Cecil und Andy Riley, zwar noch keine Namen haben, bei denen es jedem Comedyfan in den Ohren klingelt, das das aber nur noch eine Frage der Zeit sein dürfte: die beiden haben schon nach Graham Linehans Abschied von „Black Books“ seinen Platz als Autoren eingenommen, für die „Armando Iannucci Show“ geschrieben, für „Little Britain“, „Armstrong & Miller“, „Smack the Pony“ und „Trigger Happy TV“. Ihre erste eigene Serie „Hyperdrive“ sei ihnen verziehen — zum Ausgleich für diese eher mittelgute Moppel-im-Weltall-Comedy (mit Miranda Hart und Nick Frost) hat ja Andy Riley etliche Comicbücher gezeichnet, die ich auf diesem Weg auch jedem ans Herz legen kann: „Bunny Suicides“ und „Great Lies to Tell Small Kids“. Kaufen! Jetzt sofort!