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Artikel Tagged ‘Jack Dee’

Blei-Ballon an der Zimmerdecke

2. Juni 2011 1 Kommentar

Darum funktionieren Filmfortsetzungen so gut: Man kennt die Hauptfiguren schon, keine ausführlichen Charakterisationen mehr nötig. Man weiß genau, was passieren wird. Und dann passiert es. Siehe „Hangover 2“, um nur mal ein aktuelles Beispiel zu erwähnen.

Ich habe mich gefreut, nach drei Jahren Abstinenz von „Lead Balloon“ (BBC2) endlich wieder den notorisch schlecht gelaunten Stand-Up-Comedian Rick Spleen (Jack Dee) zu sehen, seinen naseweisen amerikanischen Autor Marty (Sean Power), der im Gegensatz zu Rick tatsächlich witzig ist, Ricks geduldige Ehefrau Mel (Raquel Cassidy) sowie die vollkommen motivationslose Tochter Sam (Antonia Campbell-Hughes) und ihren weniger ambitionierten Freund Ben (Rasmus Hardiker). Oh, und die depressive osteuropäische Haushaltshilfe Magda (Anna Crilly) sowie den dauerbeleidigten Café-Besitzer Michael (Tony Gardner).

Die Zeit ist weder an Rick noch an Marty spurlos vorbeigegangen: Was Marty (bzw. Power) an Gewicht verloren hat, hat Rick zugelegt (bzw. Dee — ich will mal hoffen, nur für die Rolle des mittlerweile in einem Allzeit-Karrieretief angekommen Rick). Der sitzt, wie praktisch alle im Comedy-Business, gerade an einem Roman, das heißt: an einem Romananfang, der darin besteht, daß sich der Held umbringt. Was möglicherweise nicht der beste vorstellbare Romananfang ist. Wie sich Rick überhaupt offenbar eher nicht vorstellen kann, was in so einem Roman drinstehen könnte. Oder auch nur wie der Name der Hauptfigur ist.

Gut, daß sich die Presse für eine Homestory angekündigt hat: So kann Rick schon mal üben, was er der Reporterin, ganz beiläufig, versteht sich, über seinen Roman erzählen könnte. Nicht viel, leider, wie er bald feststellt. Also verlegt er sich darauf, wenigstens mit einem ungewöhnlichen Privatleben zu punkten, und kauft sich ein Hausschwein. Ja, ein Hausschwein. Warum das denn? fragt ihn seine Frau. Weil wir Leute sind, die ein Hausschwein haben könnten, sagt Rick. Wenn wir Leute wären, die ein Hausschwein haben könnten, dann hätten wir ein Hausschwein, sagt seine Frau. Und bittet ihn, das Schwein wieder verschwinden zu lassen, bevor die Journalistin und der Fotograf kommen. Die nämlich sind ausschließlich an Mel und ihrer erfolgreichen Agentur interessiert. Ricks Prahlereien dagegen interessieren überhaupt nicht. Und das Schwein, das derweilen versteckt werden muß — was könnte da wohl schiefgehen?

Man kennt die Figuren schon, man weiß, was passieren wird. Alles wie immer. Im Falle von „Lead Balloon“ ist das gut, denn „Lead Balloon“ war immer sehr komisch: Eine eigenständige englische Variation von „Curb Your Enthusiasm“, mit einer Figur in der Hauptrolle, die kein Fettnäpfchen auslassen kann, sich in immer ausweglosere Situationen hineinmanövriert und uneinsichtig genug ist, um dabei auch noch wie ein Arschloch auszusehen.

Bei „Curb“ allerdings hat sich über die Staffeln hinweg viel getan; abgesehen von mehreren Umzügen hat sich unter anderem Cheryl von Larry getrennt, dann hat eine Familie farbiger Überschwemmungsopfer bei Larry gewohnt, der mit Loretta zusammenkam und sich auch wieder von ihre trennte.

Nichts davon bei „Lead Balloon“. Mel erträgt (warum nochmal?) den erfolglosen Rick stoisch weiter und verdreht die Augen, wenn er allzu peinlich wird. Magda läßt sich wie gehabt vom Hausherrn schikanieren. Nicht einmal Sam hat sich von Ben getrennt, um wenigstens in der zweiten Reihe ein paar Regler neu zu justieren und ein bißchen Spannung aufkommen zu lassen. Durch die Decke geht die vierte (und allem Anschein nach letzte) Staffel „Lead Balloon“ nicht.

Wie gesagt: Nicht, daß Neujustierungen zwingend nötig wären. Ich habe sehr gelacht, als das Schwein Rick schließlich ins Gesicht geschissen hat. Und im Moment freut mich die Rückkehr einer so soliden, verläßlich lustigen Britcom sehr.

Die Staffeln eins und zwei sind bereits auf DVD erhältlich, die dritte erscheint am Montag.

Die Top-10-Britcoms der 00er-Jahre: Platz 5

13. November 2009 7 Kommentare

Große Budgets — kleine Budgets; viele Autoren — wenige Autoren; Fachleute für jeden Pups — Personalunion von Autor und Hauptdarsteller: Das sind die augenfälligen Unterschiede zwischen US- und britischen Sitcomproduktionen, leicht vereinfacht dargestellt.

Kleine Budgets bedeuten: Wenige Schauplätze, kaum Spezialeffekte, niedrige Gagen und hoher kreativer Druck, diese Handicaps auszugleichen. Wenige Autoren bedeuten: Weniger Episoden pro Staffel (sechs oder sieben vs. zwölf bis 24), niedrigere Gagdichte, dafür mehr Komik, die aus Charakteren entsteht. Personalunion von Autor und Hauptdarsteller zusammen mit hohem kreativem Druck bedeuten: Serien, die höchst individuelle Handschriften tragen und von (vergleichsweise) großer künstlerischer Freiheit geprägt sind.

Auf Platz fünf meiner höchst privaten und extrem willkürlich zusammengestellten Britcom-Top-Ten findet sich eine Serie, der man all die oben genannten Charakteristiken deutlich ansieht: Kleines Budget, Autor ist auch Hauptdarsteller, eigene Handschrift. Und sie spielt auch noch im Comedy-Zirkus zwischen Live-Gigs und Fernsehwerbung, Panel- und Talkshows, im writer’s room eines Comedians, der auch im wirklichen Leben einer ist.

Platz 5: „Lead Balloon“ (2006 — , BBC4/2)topten05

Rick Spleen (Jack Dee) ist ein Stand Up-Comedian und Autor, dessen Karriere nicht ganz so verlaufen ist, wie er sich das gedacht hatte: Er hat den Breakthrough nie geschafft, und statt einer eigenen Fernsehshow darf er allenfalls die Texte für das englische Äquivalent von „Ups — die Pannenshow“ schreiben. Sein sauertöpfisches Wesen, seine notorischen Lügen und geklauten Witze, seine ganzen Neurosen und kleinlichen Beschwerden erleichtern ihm das Leben genauso wenig wie sein amerikanischer Coautor Marty (Sean Power), der mit seinem aufgeräumten Sonnyboy-Wesen das genaue Gegenteil von Rick ist. Dessen Leben wiederum, das sich größtenteils bei ihm zuhause abspielt, wird bestimmt von seiner Familie, i.e. seiner ihn stets unterstützender Frau Mel (Raquel Cassidy), seiner nutzlosen Tochter Sam (Antonia Campbell-Hughes) und ihrem unmotivierten Freund Ben (Rasmus Hardiker) sowie der griesgrämigen osteuropäischen Haushaltshilfe Magda (Anna Crilly).

Egal, ob es nun darum geht, daß Rick Gewicht zugelegt hat und beim Fitneß-Training unüberlegterweise behauptet, das liege an einem Medikament gegen Krebs, er habe nämlich Krebs!, oder ob er den Wirt seines Stammcafés bei einem Seilspring-Marathon für eine Wohltätigkeitsveranstaltung mit fünf Pfund sponsern will und erst zu spät begreift, daß das fünf Pfund pro Sprung bedeutet; ganz gleich, ob er während eines Fernsehquizes als prominenter Unterstützer einer Kandidatin die falsche Antwort vorgibt und sie damit um den Gewinn eines Autos bringt oder einen Selbstmörder rettet: Stets bugsiert er sich in das tiefste aller Fettnäpfchen. Es stellt sich heraus, daß sein Mitsportler im Club selbst Krebs hat und alles über das Krebsmedikament erfahren möchte, das Rick nimmt; er wird gezwungen, der erfolglosen Quizkandidatin von seinem Honorar ein Auto zu kaufen und entscheidet sich für das billigste, das er kriegen kann; der Selbstmörder entpuppt sich als Pädophiler.

„Lead Balloon“ (der Titel bezieht sich auf den sprichwörtlichen Blei-Ballon, der im Englischen so abstürzt wie im Deutschen die bleierne Ente untergeht) hat den Paradigmenwechsel durch „The Office“ und „Curb Your Enthusiasm“ mitgemacht und überzeugt als Sitcom der Nullerjahre durch die Dialoge, die so alltäglich-improvisiert und ungekünstelt laufen wie die von „The Office“, aber so kunstvoll mehrere anscheinend unzusammenhängende story lines verknüpfen und in großen Katastrophen kulminieren lassen wie „Curb“. In der dritten Staffel schließlich gibt es wie in „Curb“ auch noch mehrere Story-Bögen, die sich durch die ganze Series ziehen. Jack Dee wirkt so überzeugend wie Larry David, weil auch er tatsächlich aus dem Metier ist und vor „Lead Balloon“ schon als Stand Up-Comedian und Fernseh-Moderator in England recht prominent war; seine Bücher (zusammen mit Pete Sinclair) sind vor allem in ihrer Innenansicht der Comedy-Welt glaubwürdig.

Die ersten beiden Staffelnsind auf DVD erschienen, eine vierte Staffel ist für Herbst 2010 angekündigt.

Die wichtigsten Britcom-DVDs 2007

1. Dezember 2007 3 Kommentare

Schon eine Weile her, daß dieser Text erschienen ist: Nämlich ein gutes Jahr. An der Relevanz hat sich aber nichts geändert, darum hier nur leicht aktualisiert: Vier Mini-Rezensionen vier exzellenter Britcoms.

Gavin & Stacey

Absolut weihnachtskompatibel: Die Boy-meets-Girl-Sitcom um zwei Mittzwanzigjährige, die sich nach vielen jobbedingten Telefonaten ineinander verlieben, ohne den anderen je gesehen zu haben. Er lebt in Essex, sie im provinziellen Wales, wohin er ihr nach einem turbulenten gemeinsamen Wochenende in London folgt; am Ende wird geheiratet. Natürlich nicht ohne einige Konflikte zwischen Freunden und Familien.

Nicht übermäßig dicht an Lachern, dafür atmosphärisch warm ist diese Produktion aus Steve Coogans Comedyschmiede Baby Cow, in der neben der Comedy-Neuentdeckung Mathew Horne Altstars wie Rob Brydon („Human Remains“) und Alison Steadman („The Worst Week Of My Life“) mitspielen. Ein feiner Soundtrack rundet das ganze zur Feelgood-Britcom des Jahres ab, von der 2008 eine zweite, ebenso gute Staffel auf DVD erschienen ist.

The IT Crowd – Version 1.0 & Version 2.0

Was für Nerds: Die ersten beiden Staffeln der Abenteuer von Roy und Moss, zwei typischen Systemadministratoren, und ihrer neuen Vorgesetzten Jen, die von Computern keine Ahnung hat. Alle drei fristen ein Leben am unteren Ende der sozialen Leiter im Rumpelkeller von Reynholm Industries, wo jeder Anruf mit der Frage „Have you tried turn it off and on again?“ beginnt – und nicht selten auch schon endet.

Die geteilten Meinungen, auf die „The IT Crowd“ in England stieß, dürften nicht zuletzt Folge der hohen Erwartungen an die Serie gewesen sein, schließlich mißt man dort Autor und Regisseur Graham Linehan ebenso an seinem sagenhaften Erfolg mit „Father Ted“ wie den Produzenten Ash Atalla an seinem mit „The Office“. Da ist schwer heranzukommen, aber diese Old-School-Sitcom mit Publikum und klassischer Drei-Kamera-Bühnensituation gibt sich alle Mühe. Eine US-Adaption ist in Vorbereitung, in England läuft nächstes Jahr die dritte Staffel – die ersten beiden sind zumindest für ITler hierzulande schon beinahe Pflicht.

Father Ted – The Definitive Collection

Apropos „Father Ted“: Die gerade erschienene „Definitive Collection“ ist zumindst für alle, die noch nichts von „Father Ted“ besitzen, ein absolutes must have. Gar nicht mal wegen der überwältigenden Fülle von neuem Bonusmaterial, sondern einfach weil „Father Ted“ eine der besten englischen Sitcoms der Neunziger ist. Punktum. Kleiner Tip für Liebhaber, die gar nicht genug bekommen können: Neu auf dem Markt ist ebenfalls gerade die Aufzeichnung eines Stand-Up-Auftritts von Ardal „Father Dougal“ O’Hanlon: „Live in Dublin.“

Lead Balloon

Es dauert ein, zwei Folgen, bis man sich mit der Figur des lebensüberdrüssigen Stand-Up-Comedians Rick Spleen anfreundet, dann aber schließt man den meist sauertöpfischen Komiker ins Herz, der in dieser düsteren Sitcom mit seinem besten Freund und Co-Autor über Gott und die Welt palavert und regelmäßig in Schwierigkeiten kommt, wenn er etwa erklären muß, wie sämtliche Teelöffel seines Stammcafés bei ihm zuhause gelandet sind.

Wer sich angesichts dieses Settings entfernt an „Curb Your Enthusiasm“ erinnert fühlt, liegt nicht ganz falsch; Jack Dee, der „Lead Balloon“ als Autor und Hauptdarsteller zwar ebenfalls recht autobiographisch angelegt hat, ist aber weit davon entfernt, Larry David kopieren zu wollen. Von dessen Erfolgen kann er, der regelmäßig fremde Witze als seine eigenen ausgibt, ohnehin nur träumen. Die Serie aber ist mit dem gebührenden Erfolg gesegnet und mittlerweile in die dritte Runde gegangen – auch die zweite Staffel ist mitterweile auf DVD zu besichtigen.

(zuerst erschienen in einem Humorkritik Extra in TITANIC 12/2007)