Wo doch gerade online (zumindest in einigen Nischen des Internets) so ergiebig über Fernsehsatire diskutiert wird, was eigentlich Satire ist (zum Beispiel der „Erdowie, Erdowo, Erdogan“-Song von Extra3, der im Grunde ja nur journalistisch völlig korrekt wiedergibt, was Erdogan tatsächlich vorzuwerfen ist — ist das dann Satire? Ich würde meinen: nicht im engeren Sinne), was Satire darf (journalistisch korrekte Fakten als lustiges Liedchen wiedergeben) und was nicht (Böhmermanns Erdogan-Gedicht, das genau das tut, was Satire ausmacht, nämlich auch mit evtl. drastisch unangemessenen Mitteln arbeiten [und wo wir schon dabei sind: es war eben keine Schmähkritik, weil die z.B. von fehlenden künstlerischen Mitteln definiert ist, und ein Gedicht wie das von Böhmermann im „Neo Magazin Royale“ war gewiss nicht kunstlos, sondern hat sich schön gereimt]), …
… wo wir nun also schon dabei sind, einmal mehr über Satire und ihre Grenzen im Fernsehen zu sprechen, möchte ich hier auf Stewart Lee verweisen, der Meister ist in der Vermischung von erster Ebene des Stand-Up, der Comedy, und Metaebene, der Diskussion über das Wesen von Comedy, von Stand-Up, von der Beziehung zum Publikum. Diese Meisterschaft hat er gerade wieder bewiesen in der vierten Staffel von „Stewart Lee’s Comedy Vehicle“ (BBC2, seit 2009), von der ich hier mal die (noch) online verfügbare dritte Folge einbette, in der es um Patriotismus geht (auch die über Migranten ist sehr gut), und die exemplarisch zeigt, wie’s geht:
(Das Video wurde mittlerweile wegen Urheberrechtsansprüchen der BBC gelöscht.)
Erst täuscht Lee eine observational comedy-Routine vor, schon ein bisschen gebrochen von Insider-Beobachtungen: die Rolle der Rechtsaußen-Trottel von UKIP vor der letzten britischen Wahl, wie er schon pro UKIP auf die Straße gegangen sei, um sein Comedy-Material nicht zu verlieren, und wie er immer ein gebrochenes Verhältnis zur englischen Flagge gehabt habe, die die längste Zeit ein Symbol der extremen Rechten gewesen sei.
In the 1970s, if you were flying an England flag off your house, it meant you were either an admirer of Adolf Hitler or a member of the royal family. — There’s two jokes there. Did you spot that? There’s two.
Dann erklärt er, wie sich sein Verhältnis zur englischen Flagge über die Jahre entspannte und er, als vor zwei Jahren die englische Fußballnationalmannschaft bei der WM ausschied und die Preise für die englische Fahne, die überall erhältlich war, über Nacht so purzelten, dass er sich drei Dutzend davon kaufte und sie im Keller einlagerte. Setup, Teil eins.
Setup, Teil zwei: Seine Familie ist aus dem Haus, er allein muss die Hauskatze namens Jeremy Corbyn versorgen. Ja, alle seine Haustiere hätten seit seiner Kindheit die Namen von Prominenten getragen: mit fünf sein Jack Russell Terrier namens Enid Blyton usw. Von der heutigen Popularität des vergleichsweise linksgerichteten Labour-Führers Jeremy Corbyn habe er natürlich von neun Jahren noch nichts ahnen können, als die Katze getauft worden sei.
An dieser Stelle wird schon klar: Ob das wohl stimmt? Eher nicht, aber macht nix, mal sehen, wohin uns dieser Quatsch führt. Die Metaebene wird schon sichtbar, und wir erfahren noch ein paar sehr lustige „Anekdoten“ über Haustiere mit Prominenten-Vor-und-Zunamen, geerdet mit echten Beobachtungen etwa über den Golden Retriever von Lord Grantham in „Downton Abbey“ und warum er vergangene Weihnachten einen mysteriösen, vorzeitigen Tod sterben musste (der Hund hieß Isis).
Nach fast 18 Minuten (!) folgt dann schließlich der Payoff dieser ganzen langen Einleitung: nämlich wie Jeremy Corbyn, während Lee allein zu Hause gewesen sei, schrecklichen Durchfall bekommen habe. Wie Jeremy Corbyn sich in den Keller zurückgezogen hätte, auf sein, Jeremy Corbyns, altes Katzenklo, längst außer Benutzung und ohne Streu. Und wie er, Lee, dann die alten englischen Flaggen genommen hätte, um damit … zu improvisieren.
Woraufhin vier so fantastisch lustige Minuten mit fast nichts als blowing raspberries folgen, unterbrochen von der englischen Hymne, „God Save The Queen“, die er, Lee, gleichzeitig gesungen habe, um der Flagge wenigstens einen Rest Würde zu bewahren.
Vollkommen ausgedachte Situation, das ist natürlich mittlerweile dem ganzen Publikum bewusst, aber so enorm komisch, dass zumindest ich vor Lachen beinah vom Sofa gefallen wäre. Einfach durch Pupsgeräusche und der Vorstellung, wie eine Katze namens Jeremy Corbyn auf die englische Fahne defäkiert, während jemand dazu das National Anthem singt und salutiert.
Und das ist erst der Anfang, denn natürlich ist das nicht das Ende der Geschichte. Das kann sich jeder, der mag, selbst ansehen. Wert wär’s das.
Aber der Punkt ist natürlich: diese zunächst so harmlos und matter of fact-mäßig daherkommende Geschichte ist ja eine saftige Beleidigung staatlicher Symbole, die zumindet hierzulande theoretisch ernsthafte juristische Folgen haben könnte, denn diese Staatssymbole unterstehen einem besonderen Schutz, wie auch der Bundespräsident. (Der „Deutschland-Schmäh-Shop“, den es Anfang der 90er mal in Titanic gab, war damit etwa hart an der Grenze, und wollte es auch sein, als er schwarzrotgoldenes Klopapier anbot, entsprechende Klobürsten und andere Utensilien, die in eindeutigem Zusammenhang gezeigt wurden.)
DAS ist nämlich die Kunst und das Tolle an satirischer Comedy: ein Publikum, das im Falle von „Stewart Lee’s Comedy Vehicle“ ja nun nicht aus Staatsfeinden und Linksautonomen besteht, geschweige denn nur aus Stewart-Lee-Fans, sondern aus dem durchschnittlichen BBC-Publikum, das zu solchen Aufzeichnungen kommt, ein solches Publikum genau durch das klug vorbereitete, allmählich aufgebaute, sich ankündigende Überschreiten der Geschmacksgrenzen bei gleichzeitiger Höchstkomik auf eine ganz andere Bewusstseinsebene zu bringen — vielleicht unfreiwillig, wie man eben Lachen MUSS, nicht weil man sich bewusst dafür entscheidet, sondern weil es eine körperliche Funktion ist wie Erbrechen bei Ekel, sexuelle Erregung beim Ansehen von Pornografie usw., —
aber dieses Lachen ist ein befreiendes Lachen, ein Lachen des Individuums, des Einzelnen über etwas, das viel mächtiger, ehrfurchtgebietender ist als man selbst: den Staat und seine Symbole, denen man ja sonst nur ausgeliefert ist, die man aber in diesem einen, winzig kurzen Moment der Freiheit durch Comedy überwinden kann, zeitlich kurz und räumlich gebunden, nicht für immer, nur diese paar Minuten, durch etwas, das man Kunst nennen könnte, in der andere Regeln gelten als juristische, die andere Grenzen hat als die des Geschmacks.
Ein Publikum also, das eigentlich anderer Meinung ist, gegen seinen Willen so zum Lachen zu bringen, es dazu zu bringen, sich einerseits so hinzugeben, dem Bild zu erliegen, das jemand entstehen lässt und das gleichzeitig abstoßend UND komisch ist: das kann Satire, das kann Comedy.
(Und Stewart Lee schafft es sogar, gleichzeitig die Fäden zu zeigen, an denen seine Puppen tanzen, also die Mechanik der Comedy bloßzulegen.)
Wohingegen Satire, die mehrheitsfähig sein will, die immer nur das kunstvoll gedrechselt wiederholt, was ohnehin schon jeder denkt und weiß, zumindest eines meistens nicht ist: so komisch, dass man darüber lachen müsste.
Genau hier liegt nun das Dilemma des Fernsehens, des Fernsehsenders, der qua Auftrag mehrheitsfähig sein will (in Deutschland insbesondere die Öffentlich-Rechtlichen), und die Freiheit des Einzelnen, die Freiheit der Satire und Comedy, ja, auch der Meinung, die ja nur dann verteidigenswert ist, wenn sie eben eine abweichende ist und nicht die, die von ganz unten bis ganz oben im Sender sowieso schon jeder hat.
Die BBC hat mit Stewart Lee, jedenfalls so weit ich weiß, kein Problem.
Und so endet diese fantastische Folge des „Comedy Vehicle“ dann auch mit Medienkritik vom Allerfeinsten. Und auch danach: kein Aufschrei, kein Löschen aus Mediatheken, nichts.
Nur ein Publikum mit Bauchschmerzen vom Lachen. Wenn ich jetzt von mir auf andere schließen müsste.
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