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Lovely, actually

8. November 2014 2 Kommentare

Man sollte sich vom Namen nicht irreführen lassen: „Scrotal Recall“ (Channel 4, gerade zu Ende gegangen) ist nicht annähernd die derbe, drastische Sitcom, die man vermuten könnte. Obwohl sich der Plot durchaus so erzählen ließe.

Denn vordergründig geht es darum, dass der Twentysomething Dylan (Johnny Flynn, kürzlich hier im Blog bei „Detectorists“ schon erwähnt) Chlamydien hat, m.a.W.: eine sexuell übertragbare Krankheit, die es erforderlich macht, alle vormaligen Bettpartner(-innen) aufzusuchen und zu informieren — oder jedenfalls die, die man mag.

Das tut der schüchterne Dylan dann auch: pro Folge besucht er eine Exfreundin, deren Namen je titelgebend ist, während wir gleichzeitig in Rückblenden die zugehörige Story erfahren, sprich: die Geschichten von sechs Beziehungen, die auf ihre jeweils eigene Weise schiefgegangen sind.

Ein Konzept, das schnell zum Korsett werden könnte, aber Writer/Producer Tom Edge („Pramface“) zieht alle erzählerischen Register: die Rückblenden sind mal zehn Monate, mal fünf Jahre, streifen aber immer wieder die gleichen Ereignisse im Leben Dylans, seiner besten Freundin und WG-Mitbewohnerin Evie (Antonia Thomas, „Misfits“) und seines Kumpels/Mitbewohners Luke (Daniel Ings). Vor allem die (in der ersten Folge) dramatisch entgleisende Hochzeit von Angus (Joshua McGuire) und Helen (Aimee Parkes) wird in den Rückblenden vor- und in der Gegenwart weitererzählt, so dass sich im Laufe der Serie ein Puzzle zusammensetzt, das die Serie über die in sich abgeschlossenen Episoden hinaus zu einer Erzählung macht und das Interesse der Zuschauer wachhält.

Und auch mit dem Format selbst spielt Edge ziemlich clever: Mal wissen wir lange gar nicht, welche namenlose Figur die im Titel genannte Dame ist, mal enthüllt eine Folge gleich am Anfang einen dramatischen Plotpoint, der uns involviert hält, mal führt er uns mit Tricks auf falsche Fährten, die ich hier nicht verraten will.

Vor allem aber ist die Serie, wie gesagt: anders als ihr Name glauben macht, nie krass, roh oder überzeichnet, sondern eher leise, warm und empathisch. Vor allem die unerfüllte Romanze zwischen Evie und Dylan, beide zu schüchtern, um den ersten Schritt zu machen, ist durchaus anrührend. Dass dafür Luke als einzige Figur umso larger than life gezeichnet wird, als ewiges Großmaul und unerschütterlichen Aufreißer, gibt „Scrotal Recall“ die Würze, den nötigen Pfeffer, die Kohlensäure im sonst eher stillen Wasser.

Einziges Manko ist das Ende der Staffel, ein Cliffhanger, der mich unbefriedigt hinterlassen hat: für einen Cliffhanger am Ende der Season war er nicht groß genug — eher so, dass man noch eine abschließende Folge erwartet, die dann aber nicht kommt. Weniger so, dass man unbedingt wissen will, wie es nun weitergeht, als dass ein, zwei Handlungsstränge nicht zu Ende erzählt worden sind.

Und auch die Qualität der einzelnen Folgen ist durchaus unterschiedlich: nach einer starken ersten Folge kommt eine deutlich schwächere zweite, gefolgt von wieder stärker werdenden weiteren Episoden.

Insgesamt aber sind „Scrotal Recall“ und „Detectorists“ zwei der schönsten Britcoms dieses Jahres: eher leise, melancholisch-komische Protagonisten (Flynn/Crook) mit glaubwürdigen Konflikten. Oder, wie die Frau über Flynns Dylan gesagt hat: „Endlich mal ein netter Typ!“