Vor mittlerweile über zehn Jahren begann in England die Phase der dunkelsten Comedyshows aller Zeiten. „The Office“ (BBC2, 2001 – 03) war so eine Serie, und womöglich die prominenteste, aber sicher nicht die böseste, die damals entstand. Allen gemein war, dass sie ihre Zuschauer zwangen, halbstundenweise in menschliche Abgründe zu schauen und in die Abgründe zwischen Menschen, sei es zwischen dem Boss und seinen Angestellten, zwischen einem Moderator und seinen Gästen („I’m Alan Partridge“, BBC2, 1997 – 2002) oder zwischen Ehepaaren („Human Remains“, BBC, 2000). Das war ungemütlich und trostlos, und wenn man als Zuschauer berührt war, dann allenfalls von einer eiskalten Hand.
Cringe Comedy war der heiße Scheiß der Stunde, je böser, desto besser. Selbst eine narzisstische Soziopathin wie Jill Tyrell (Julia Davis in „Nighty Night“, BBC3, 2004 – 05) konnte als Sitcomheldin taugen; eine „Heldin“, die den langsamen Krebstod ihres Ehemannes ausnutzt, um der Nachbarin, die selbst unter Multipler Sklerose leidet, den Mann auszuspannen.
In nicht wenigen dieser Shows spielte Steve Coogan mit, und wo er nicht mitspielte, produzierte er. Schon 1999 gründete er zusammen mit Henry Normal seine eigene Firma Baby Cow, die fortan vorwiegend eben diese düstere Comedy hervorbrachte: Neben „Human Remains“ und „Nighty Night“ waren das etwa „Ideal“ (BBC3, 2005 – 11), die Kiffersitcom mit Johnny Vegas, die allerdings nicht nur düster war, sondern auch eine heiter-surreale Note hatte, das psychedelisch-dämmrige „The Mighty Boosh“ (BBC3, 2004 – 07) sowie nicht zuletzt „Sensitive Skin“ (BBC2, 2005 – 07), ein schwarzes Comedydrama mit Joanna Lumley („Absolutely Fabulous“), in dem sie sich als arbeitende, älter werdende Frau ihren Zukunftsängsten stellen musste. Harter Tobak; geistreiches, aber sehr unterkühltes Fernsehen.
Heute aber ist alles anders. Die Zeiten, nicht nur in Großbritannien, sind selbst kühl geworden. Nichts mehr ist zu spüren von damaligen politischen Aufbruchsstimmung und der darauf folgenden Enttäuschung von New Labour. Und niemand will auch noch über so explizites menschliches Leid in Comedyshows lachen, wenn er es schon täglich in den Nachrichten sehen muss.
Darum schwingt seit einigen Jahren das Pendel in die andere Richtung. Nun sind es die heiteren Familienshows, in denen fiktionale Nestwärme und Zuversicht Zuflucht bieten angesichts realer Rezession, Arbeitslosigkeit und Randale auf der Straße. „Gavin & Stacey“ (BBC, 2007 – 10) war die Antwort von Baby Cow; eine Serie, in der sich Boy und Girl (Mathew Horne und Joanna Page) finden, trotz großer räumlicher wie gesellschaftlicher Distanz.
Doch seit diesem Riesenerfolg schwächelt die einstige Vorzeigeschmiede für junges Talent. Vor allem „Starlings“ (seit Mai auf Sky1), der neueste Versuch von Baby Cow, auf den Paradigmenwechsel zu reagieren, wirkt wie eine Auftragsarbeit.
https://www.youtube.com/watch?v=D4OUgZaIYTQ?version=3&hl=de_DE
Dabei hätte dieses Familien-Comedydrama in den englischen Midlands theoretisch das Zeug zum Erfolg: zwei gute und erfolgreiche Autoren/Darsteller, nämlich Matt King und Steve Edge, einen veritablen Star als Hauptfigur: Brendan Coyle, den Bates aus „Downton Abbey“ (ITV, seit 2010), sowie die übliche dysfunktionale Familie im Mittelpunkt, inklusive schwächelndem Familienbetrieb, exzentrischen Verwandten und einem Neugeborenen.
Warum geht das Rezept nicht auf? Vielleicht, weil man es allzu leicht durchschaut: Matt King (der auch die sehenswerte Koch-Sitcom „Whites“, BBC2, 2010, mitgeschrieben hat) spielt nach Super Hans in „Peep Show“ (Channel 4, seit 2003) einen weiteren von sich selbst eingenommenen Künstler, unter den gar nicht so dräuenden Familienproblemen liegt stets ein etwas zu geschmackvoller Folk-Soundtrack, oft sitzen die Familienmitglieder einfach beisammen und sind nett zueinander. Das ist, nun ja, nett — aber sehr komisch ist es leider nicht. Fernsehen als Lagerfeuerersatz.
Vor allem Brendan Coyle hat mich enttäuscht in seiner seifenoperflachen Rolle als stets supernetter Familienvater, der seine Herz- und Geldprobleme immer schön für sich behält, um seine Familie nicht zu belasten. Coyle hat leider nicht den kleinsten funny bone, und die Autoren scheinen ihm auch keinen zuzutrauen. Pointen haben sie ihm jedenfalls vorsorglich erst gar nicht ins Buch geschrieben.
„Starlings“ ist eine einzige Versicherung für den Zuschauer, dass das Happy End nur wenige Meter bzw. Minuten entfernt ist: der spinnerte Onkel darf auch noch bei uns wohnen, soll er halt in den Wohnwagen im Hof einziehen! Die kleinwüchsige Tochter darf davon träumen, Fußballtorwart zu werden — Träume sind ja nicht verboten! Sogar der quasi autistische Sohn, der sich nur für die Spinnen und Reptilien in seinem Nerd-Zimmer interessiert, kriegt eine Freundin ab: Alles wird gut. Ach wo, wird: alles ist gut.
Für Baby Cow aber ist nicht alles gut. Fragt sich, ob eine Produktionsfirma breiter aufgestellt und folglich in der Lage sein müsste, auch den Mainstream zu bedienen. Das hat mit „Gavin & Stacey“ ja schon einmal geklappt — allerdings womöglich nur, weil James Corden und Ruth Jones (die mit „Stella“ selbst gerade auf dem Gebiet der nordenglischen Wohlfühlfamiliencomedy unterwegs ist, und zwar gleichfalls auf Sky1), weil Corden und Jones also damals noch ihrer Zeit in puncto Comedygeschmack voraus waren und schon den Trend zum kleinen Glück vorwegnahmen, als noch das große Unglück en vogue war.
Oder täte Baby Cow besser daran, sich weiterhin zu spezialisieren und auch gegen den Zeitgeist das zu machen und zu fördern, womit sie groß geworden ist: düstere, eher avantgardistische Comedy. Womöglich sind die Nischen dafür nicht mehr groß genug, weil die englischen TV-Budgets schon immer legendär niedrig waren und immer weiter abnehmen. Vielleicht liegen die besten Zeiten für Baby Cow also schon hinter uns. Das wäre äußerst schade.
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