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Artikel Tagged ‘Kerry Godliman’

Holy Rick

24. März 2019 6 Kommentare

Die neue Sitcom von Ricky Gervais, „After Life“ (Netflix), könnte als seine beste seit „Extras“ (BBC2, 2005 – 07) durchgehen. Wenn man nicht immer mal wieder das Gefühl haben müsste, Gervais dabei zuzusehen, wie er sich selbst heiligspricht.

Ich will es nicht verhehlen: Meine Erwartungen an Sitcoms von und mit Ricky Gervais haben eine Tendenz gegen null, spätestens seit seinem sog. „Comedydrama“ um einen grenzdebilen Altenpfleger namens „Derek“ (Channel 4, 2012 – 14). Umso angenehmer überrascht hat mich „After Life“.

Darin variiert Gervais seine Arschlochfigur (David Brent, Andy Millman), indem er seinem Tony Johnson eine traurige Backstory gibt, die seine Trostlosigkeit und seine Misanthropie einleuchtend grundiert: Er hat seine über alles geliebte Frau Lisa (Kerry Godliman, präsent in Videos, die Tony mit ihr und sie für Tony gedreht hat) verloren. Seitdem geht er seiner Arbeit als Lokalreporter für ein Gratisblättchen noch lustloser nach als ohnehin, zweifelt am Sinn des Lebens, ja: führt seine Selbstmordgedanken jeden Tag ausführlich spazieren. Am Leben erhält ihn eigentlich nur noch sein Hund.

Zum Glück hat er einen einfühlsamen Chef (und Schwager) in Matt (Tom Basden, „Plebs“), einen Fotografen (Tony Way), der Tonys Demütigungen stoisch erträgt, und überhaupt sehr viele aufmerksame und mitfühlende Menschen um sich herum, die ihm immer wieder bestätigen, was für ein guter Mensch er doch in Wahrheit ist: Emma (Ashley Jensen, „Extras“), die Altenpflegerin, die sich um Tonys dementen Vater (David Bradley, „Game of Thrones'“ Walder Frey) kümmert. Daphne/Roxy (Roisin Conaty), eine Prostituierte, und Julian (Tim Plesder), einen Drogenabhängigen — denn ganz wie Jesus ist sich auch Tony für keinen gesellschaftlich Ausgestoßenen zu gut. Und Anne (Penelope Wilton, „Shaun of the Dead“), eine Witwe, die Tony regelmäßig am Grab seiner Frau trifft.

Dabei halten sich Melancholie und Comedy ganz gut die Waage: die Rüpelhaftigkeit, mit der Tony seinen Mitmenschen begegnet, ist durchaus so gut motiviert, dass man mit ihm fühlt. Die Scherze, die aus seiner drastischen Offenheit entstehen, sind komisch. Dass der Cast, den Gervais um sich herumstellen kann, hochkarätig ist (außer den genannten etwa noch die sträflich zu wenig genutzte Diane „Philomena Cunk“ Morgan und Paul Kaye, „Game of Thrones'“ Thoros of Myr), versteht sich von selbst. Ebenso, dass die Ansichten Tonys (es gibt keinen Gott, Tiere sind die besseren Menschen, jeder hat das Recht auf einen selbstbestimmten Tod) zartfühlenden Menschen womöglich extrem scheinen, es in Wahrheit aber kaum noch sind.

Dass diese Ansichten sich zu 95 Prozent mit denen decken, die Ricky Gervais in seinen Standups äußert: das stört mich spätestens dann, wenn er nach fünf Folgen Herumflegelns eine ganze Episode darauf verwendet, sich von allen Nebendarstellern Persilscheine ausstellen zu lassen: dass das schon okay ist und Tony eigentlich ein dufter Typ. Und dass Tony dann tatsächlich wieder einen Lebenwillen entwickelt: das macht diese ganze letzte Folge zu einem einzigen Epilog, der mir weder in sich noch als dramaturgische Idee schlüssig erscheint. Denn wie soll nach diesem Ende eine zweite Staffel beginnen? Mit dem Tod seiner zweiten Frau?

„After Life“ hinterlässt mich also mit gemischten Gefühlen: Es ist ganz sicher nicht Gervais „beste Arbeit“, wie er mit Gervaisscher Bescheidenheit selbst wissen lässt. Eher hat man den Eindruck, auch hier hätte ein Co-Creator gut getan, der den Heiligenschein ein, zwei Stufen herunterdimmt.

Aber solide genug für drei unterhaltsame Stunden ist es doch.

Die allertraurigste Show der Woche

13. April 2012 2 Kommentare

Hätte ich mir den Superlativ im letzten Eintrag doch gespart! Dann müsste ich ihn jetzt nicht noch überbieten. Denn das Prädikat „traurig“ gebührt ohne Zweifel „Derek“ (Channel 4), der Pilot-/One-Off-Folge von Ricky Gervais‘ jüngster Show rund um ein geistig zurückgebliebenes Faktotum in einem Altersheim. „Traurig“ in mehr als einer Hinsicht.
https://www.youtube.com/watch?v=iVBaZA1Jnkg?version=3&hl=de_DE

Traurig, in erster Linie, weil es nichts zu lachen gibt. Nennt mich altmodisch, aber ich mag Comedy, die mich zum Lachen bringt. Bei „Derek“ musste ich nach handgestoppten 14 Minuten (von 25) zum ersten Mal leise kichern, und danach kam nur noch ein einziger Lacher. Und nein, das war nicht der Moment, als Derek in den Brunnen gefallen ist. Vermutlich hat Gervais „Derek“ deswegen vorsorglich als Comedy-Drama deklariert, weil es schlicht fast keine Comedy gibt. Das Format (die schon erwähnten 25 Minuten) weist die Show aber im Grunde als Sitcom aus (ich kenne kein englisches Comedy-Drama, das so kurze Episoden hätte).

Als solche funktioniert „Derek“ nicht. James Carey fasst in seinem Blog Sitcom Geek sehr gut zusammen, was aus humorkritischer Perspektive nicht funktioniert: eine Sitcom benötigt eine Hauptfigur, die a) ein Ziel hat, eine Mission, mit einem Wort: die Âventiure, die seit dem Mittelalter jeden Ritter hat in die Welt ziehen lassen, um sich Bewährungsproben zu suchen. Dereks Wunschziel bleibt äußerst unklar. Comedy braucht aber auch b) Hindernisse, die aus dem Charakter selbst entstehen, aus seiner Eitelkeit, seiner Misanthropie, egal — er muss sich aber selbst im Weg stehen. Er braucht ein Handicap.

Genau hier stoßen wir an das Problem der Show, denn Derek hat ein Handicap, er ist aber nicht selbst schuld daran: Derek ist — sei es nun eine tatsächliche Behinderung, sei es nur ein extrem unterdurchschnittlicher Intelligenzquotient — beschränkt. Da hat „der Spaß ein Loch“, wie Murmel zu sagen pflegt. Denn wenn Derek nun über etwas stolpert, wörtlich und im übertragenen Sinne, hat das praktisch keine Fallhöhe. Er fällt nicht von einem hohen Ross; er ist von Anfang an schon ganz unten.

Es ist also schwierig, mit einer solchen Hauptfigur in einem solchen Setting komische Geschichten zu erzählen. Folglich hängen die wenigen genuin komischen Momente an den Nebenfiguren: Karl Pilkington als seniorenverachtender Altenpfleger Dougie etwa, der es durchaus verdient, wenn ihm etwas schlechtes widerfährt, oder die sympathische Pflegerin Hannah (Kerry Godliman), die von Derek in eine peinlich-amüsante Situation gebracht wird, als er ihr eigentlich nur helfen möchte. Die Komik, die da evoziert wird, ist aber allenfalls naiv und sentimental-rührend (beim erwähnten einzigen lauten Lacher ist Derek gar nicht beteiligt). Wer das mag, ist mit „Derek“ vielleicht ganz gut bedient.

Aber ich habe neben der fehlenden Fallhöhe (und dem abgedroschenen Mockumentary-Format) noch ein anderes Problem: Ich empfinde leider keine Sympathie mehr für Ricky Gervais. Ich kann nicht darüber hinwegsehen, dass die Figur des Derek vom Macher von „Life’s Too Short“ gespielt wird, der damals schon „keine Witze über Zwerge“ versprochen hat und dann doch nur Slapstick um einen Zwerg lieferte, der im Klo stecken bleibt. Gervais ist in meinen Augen hauptsächlich ein Agent Provocateur, der genau um die Wirkung weiß, wenn er sich die Haare in die Stirn kämmt, den Unterkiefer vorschiebt, mit einem „Glöckner von Notre Dame“-Gang geht und überhaupt einen Behinderten spielt. Ich kann von Anfang an nicht anders als denken: hier wird um der Provokation willen provoziert.

Eine interessante, erzählenswerte Geschichte konnte ich in „Derek“ jedenfalls nicht finden (eine erkennbare Handlung gab es überhaupt erst in den letzten zehn Minuten), und eine komische schon gar nicht. „Derek“ war für mich zwei Drittel Langeweile und ein Drittel Widerwillen, und ich wäre froh, wenn ich mich nicht durch weitere fünf Folgen „Derek“ quälen müsste.