Britische Fernsehverantwortliche setzen derzeit auf helle, schnelle „laugh out loud“-Comedy, die Phase bös-finsterer Satire ist erst mal vorbei: Das berichtet das Comedy-Portal Chortle und zitiert dafür den BBC-Comedy-Commissioner Kristian Smith sowie Baby-Cow-Produzenten Henry Normal.
Die letzten zehn Jahre der (englischen) Comedy waren geprägt von peinlich berührten Blicken in die Kamera, ungemütlichen Situationen und trüben bis trostlosen Tönen. Nun könnte der Trend in die andere Richtung gehen: Die BBC setzt für die nächste Zeit auf Slapstick, „Live vor Publikum“-Sitcoms, leichtere Unterhaltung — mehr LOL als OMG.
Schon eine ganze Weile spekuliere ich hier im Blog immer mal wieder, wohin die Britcom driften könnte (z.B. hier und zuletzt nur vier Einträge weiter unten im Eintrag zu „Fresh Meat“): „The Office“ (BBC2, 2001 – ’03) ist mittlerweile wirklich alt, ebenso der Mockumentary-Stil, der naturgemäß auf Selbstentblößung und Fremdscham setzt, seelische Grausamkeiten a lá Julia Davis in „Nighty Night“ (BBC3/BBC2, 2004 – ’05) und Kammerspiele wie die maßstabsetzende „Royle Family“ (BBC1, 1998 – 2000). Die Nuller-Jahre waren voll mit cringe comedy, die mehr auf Dialoge als auf Action setzte, oder, wie Henry Normal sagt:
There was a style that started with „People Like Us“ and „The Royle Family“ that was a sort of post-punk movement, trying to get away from „ooh, the vicar’s come round and my trousers have fallen down“ approach and tried to do something a little too different.
Nun schwingt das Pendel offenbar in die andere Richtung: Die Sender bestellen vorwiegend wieder klassischere Sitcoms, familientaugliche Ware wie das preisgekrönte
„Miranda“ (BBC2, 2009 – ) von und mit Miranda Hart als tollpatschige Besitzerin eines Scherzartikel-Ladens oder
„Gavin & Stacey“ (BBC3/BBC2/BBC1, 2007 – ’10). Zwar werde es weiterhin
low-key Sitcoms wie Simon Amstells
„Grandma’s House“ (BBC2, 2010 – ) geben, es sei aber ein „Appetit auf
laugh-out-loud-Comedy spürbar“. Und also werden die ohnehin
nicht allzu üppigen Budgets in nächster Zeit wohl für eher an den Mainstream gewandte Comedy ausgegeben werden.
Was zunächst wie eine schlechte Nachricht klingt, muß aber keine sein: Wirklich erfolgreich wird nämlich erst eine tatsächliche Weiterentwicklung der traditionellen Sitcom werden, kein bloßer Rückfall in ausgetretene Hohlwege. Es wird Innovationen brauchen, um sowohl das Feuilleton wie auch das Publikum zu gewinnen. Kristian Smith:
We see a lot of people who can write brilliant gags without having a strong character or strong idea. But it’s those things with real heart that push through.
Womöglich war es das, was mich beim schon oben verlinkten
„Friday Night Dinner“ (Channel 4, 2011 – ) jedenfalls prinzipiell an diesen neuen dritten Weg denken ließ: zwar
single camera gedreht, aber im Prinzip wie eine Publikums-Sitcom aufgebaut, zwar familientauglich sympathische Figuren, aber trotzdem mit originellen
cringe-Momenten — und
Robert Popper („Look Around You“) wäre auch genau der Typ gewesen, dem ich das zugetraut hätte: Channel 4-Produzent, ebendort Commissioning Editor for Comedy und Script Editor für viele große Serien inklusive „Black Books“, „Peep Show“ und „The Inbetweeners“. Leider wird es offenbar erst Ende nächsten Jahres mit „Friday Night Dinner“ weitergehen, und die durchschlagende neue Idee war in der ersten Staffel „FND“ dann doch noch nicht so genau zu erkennen — aber die meisten bahnbrechenden Innovationen erkennt man ja ohnehin erst retrospektiv.
Ich jedenfalls hätte nichts gegen wärmere, liebenswürdigere, quatsch-orientiertere Britcoms. Meine langjährige Lieblingsserie „Spaced“ (Channel 4, 1999 – 2001) war wohl so etwas wie der Schwanengesang dieser Richtung, meine andere Lieblingsserie „Father Ted“ (Channel 4, 1995 – ’98) einer ihrer Höhepunkte: an ein breites Publikum gewandt, das sie auch erreicht hat, unschuldig-naiv zuweilen, vor allem aber sehr, sehr komisch — LOL eben. Nicht OMG.
UPDATE: Der Independent bringt heute ein Stück zum Thema: „Sitcoms: It’s beyond the cringe, and back to the bellylaugh“
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