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Die Shitcoms des Jahres (Teil 1)

14. November 2013 8 Kommentare

Es ist natürlich ein Irrtum zu glauben, alle Sitcoms aus dem Vereinigten Königreich seien per se besser als alles, was je über deutsche Bildschirme gegangen ist. Das ist nicht so: der Anteil wirklich gelungener englischer Serien ist vielleicht etwas höher als der Anteil deutscher gelungener Serien. Es gibt aber quantitativ in Großbritannien viel mehr komischen Output als hier, was die Chancen deutlich erhöht, dass auch Gutes darunter ist.

Heute und in den nächsten Tagen will kurz über die Serien des Jahres berichten, die ich schnell wieder zu gucken aufgehört habe, und erklären, warum — die Shitlist des Jahres sozusagen. „Shitlist“ mit einer wesentlichen Einschränkung: Viele Serien sind schon deshalb nichts für mich, weil sie gar nicht an mich gerichtet sind. (Das kennt man von deutschen Serien nicht so, die sind von vorneherein an alle gerichtet, jung wie alt, nord- wie ost- wie süddeutsch, männlich wie weiblich, an Hochschulabsolventen wie Hilfsarbeiter.) Logisch, dass da einiges durch mein Raster fällt — es ist also vielleicht gerade hier noch der eine oder andere Tipp dabei, was es noch Interessantes gegeben hat in diesem Jahr.

„Big Bad World“ (Comedy Central) etwa, die Single-Camera-Sitcom um Ben („Inbetweener“ Blake Harrison), der gerade mit einem Uni-Abschluss in altnordischer Literatur wieder zuhause in der Provinz ankommt und feststellen muss, dass die Jobangebote für Experten in altnordischer Literatur nicht so üppig sind wie gedacht, dass sich in seinem Freundeskreis wenig geändert hat, seine Eltern, bei denen er wieder einzieht, aber die Trennwand zwischen Bens und dem elterlichen Schlafzimmer herausgenommen haben, so dass er nur durch einen Vorhang getrennt vom Bett seiner Eltern übernachten muss. Außerdem ist er immer noch in Lucy (Scarlett Alice Johnson, „Pramface“) verliebt, die er auch tatsächlich wieder regelmäßig sieht — weil sie nämlich im Jobcenter arbeitet, wo sich Ben regelmäßig wiederfindet.

„Big Bad World“ leidet am Comedy-Central-Syndrom: die Show ist flach und unoriginell. Eine echte Geschichte, sprich: Motivation scheint nur Ben zu haben, alle anderen Figuren sind um ihn herum drapierte Staffage. Oft passen die Witze nicht zum Ton der Serie, denn der ist einerseits vergleichsweise realistisch, so dass die Idee mit dem vergrößerten Schlafzimmer überhaupt nicht passt, zumal die Eltern aus unbegreiflichen Gründen in Bens Zimmer nicht einmal die Pinups entfernt haben, geschweige denn neu tapeziert. (Begreiflich ist mir das schon: die Producer wollten sich den sight gag nicht entgehen lassen und auch optisch zeigen, dass da mal zwei Zimmer waren, wo jetzt nur noch eines ist — aber innerhalb der Serie ist es unbegreiflich.)

Und dann habe ich so etwas ähnliches schon gesehen: In „Parents“ (Sky1, 2012) ging es ebenfalls um den Konflikt zwischen Eltern und wieder ins bereits verlassene Elternhaus zurückziehenden Kindern. Da war die Fallhöhe allerdings etwas größer, denn da ging es um eine komplette Familie, die zu den Großeltern zurückzog.

Interessanterweise haben beide Shows die gleichen Autoren: Lloyd Woolf und Joe Tucker. Vielleicht sind bei „Parents“ noch ein paar Witze übrig gewesen. Die aber konnten das ganze writing team (u.a. Kevin Cecil und Andy Riley, die schon für „Black Books“ und Armando Iannucci gearbeitet haben und also keine ganz schlechten sind) dann aber auch nicht mehr retten.

Andererseits muss ich fairerweise einräumen: für die Zielgruppe von „Big Bad World“ bin ich ohnehin zehn Jahre zu alt. Ich bin nämlich schon erwachsen. — Naa, das war jetzt nur die Überleitung zu

„Badults“ (BBC3), einer Sketchshow, gefangen im Körper einer Sitcom. Und zwar einer schlechten (Multi-Camera, mit laugh track). Mathhew (Matthew Crosby), Ben (Ben Clark) und Tom (Tom Parry, zu dritt auch die Autoren) sind Endzwanziger, die zusammen wohnen und sich wie Teenager aufführen, obwohl sie aus dem Alter raus sind (deswegen „Badults“). Und es ist ihnen scheißegal, dass das Matthews jüngere Schwester Rachel (Emer Kenny) brutal nervt, die aus unerfindlichen Gründen Teil der Gang sein möchte. Die Dialoge gehen dann so:

TOM
We always have a board game marathon on a bank holiday weekend. It’s tradition.

ALLE MÄNNER
Yay!

MATTHEW
And I always listen to the Les Mis soundtrack. It’s tradition.

ALLE MÄNNER
Yay!

BEN
And I always get drunk. It’s an addiction.

ALLE MÄNNER
Yay!

Uff. Alles an dieser Sitcom ist so unoriginell und unkomisch, dass es mir völlig unbegreiflich ist, warum sie eine zweite Staffel bekommen hat. Ich habe nicht einmal die erste Folge ganz ausgehalten.

„Chickens“ (Sky 1, single camera, kein laugh track) wählt da ein sehr viel originelleres Setting: das des Ersten Weltkriegs. Allerdings spielt es nicht an der Front, sondern zuhause in England, wo die drei jungen Männer Cecil (Simon Bird, „The Inbetweeners“, „Friday Night Dinner“), George (Joe Thomas, ebenfalls „Inbetweeners“, „Fresh Meat“) und Bert (Jonny Sweet) es geschafft haben, sich dem Kriegsdienst zu entziehen. Sie wähnen sich nun der versammelten Damenschaft sicher, deren Männer ja alle auf dem Kontinent sind, doch weit gefehlt: Sie werden von der weiblichen Welt als Weicheier betrachtet und auch verspottet (daher „Chickens“).

Ja, das klingt wie die „Inbetweeners“ im Ersten Weltkrieg, ähnlich den immer gleichen Variationen der „Carry on“-Reihe, und das ist es auch — mit dem Unterschied, dass man zu den „Inbetweener“-Figuren und ihren realistischen Problemen seinerzeit auch einen emotionalen Bezug hatte, und folglich Sympathien für die Figuren. Die fehlt in dieser burlesken Kostümhudelei, die sich die drei Hauptdarsteller selbst ausgedacht haben, und zwar womöglich nachdem sie einige alte Folgen „Armstrong & Miller“ gesehen hatten. Die beiden haben in ihrem Repertoire nämlich zwei poshe Royal-Airforce-Piloten (allerdings im Zweiten Weltkrieg), deren stumpf-jugendliche Denk- und Sprechweise aufs Lustigste mit den dramatischen Umständen kollidieren, ein Ansatz, der dem von „Chickens“ nicht ganz unähnlich ist.

Da aber juxen sich nur drei papierdünne Charaktere in albernen Verkleidungen durch Umstände, die viel weniger glaubwürdig sind als bei den „Inbetweeners“ (aber in einer viel längeren Laufzeit als in den kurzen Sketchen von Armstrong und Miller). Das reduziert die Fallhöhe gleich enorm. Und die Fallhöhe ist dann doch eben noch ein Krieg.

Vielleicht hat Channel 4 deshalb den Piloten, der zunächst dort im Rahmen der „Comedy Showcases“ 2011 entstanden ist, nicht als ganze Serie kommissioniert. Das hat dann Sky übernommen — und so das Comedy-Portfolio erweitert, das 2013 erstaunlich viel schlechter daherkommt als noch 2012.

Jahresendabstimmung – Die Ergebnisse

10. Dezember 2012 Keine Kommentare

Der Poll zur besten englischen Sitcom 2012 bleibt offen; nichtsdestoweniger will ich die Ergebnisse bis heute kurz kommentieren — und gratuliere meinen Lesern zu ihrem guten Geschmack: „Moone Boy“ (Sky 1) hat gewiss nicht unverdient gewonnen; die im Irland der späten 80er beheimatete Geschichte des elfjährigen Martin Moone und seines unsichtbaren Freundes von und mit Chris O’Dowd ist sicher die herausragendste Show des zurückliegenden Jahres. Tusch und hurra!

Ich freue mich auch deswegen für „Moone Boy“, weil er mit „The Thick of It“ (BBC4/BBC2) und „Episodes“ (Showtime/BBC2) zwei starke Konkurrenten hatte, die schon im zweiten respektive vierten Jahr Zuschauer sammeln konnten. Beide wären ebenfalls keine schlechte Wahl gewesen, auch wenn die letzte Staffel „Thick of It“ mich schon nur noch bedingt in ihren Bann gezogen hat — zu sehr fehlte Malcolm Tucker (Peter Capaldi) als durchgehende Hauptfigur, zu wenig interessierten mich die LibDem-Knallchargen und die gepflegte Langeweile der Torys.

„Episodes“ fällt schon ein ganzes Stück hinter „Moone Boy“ und „Thick of It“ zurück; zu unrecht, nach meinem Empfinden, denn die zweite Staffel mit ihrem Richtungswechsel zu mehr Soap und mehr Hauptfiguren fand ich besser als die erste, die ja doch recht durchwachsen war. (Kürzlich erst, als ich Stephen Frys Einlassungen zu englischem im Gegensatz zu amerikanischem Humor im Blog hatte, ist mir aufgefallen, wie einleuchtend „Episodes“ diesen Unterschied doch darstellt: hie die ewig bedröppelt guckenden Engländer, die weder gegen ihren Star Matt LeBlanc einen Stich machen noch gegen die ihnen vorgesetzten amerikanischen Produktionsaffen, und die sich dann zu allem Überfluss sogar noch miteinander verstreiten und beinah voneinander trennen — und da der ewige Sonnyboy „Joey“ und die ganzen Grinsekatzen in seinem Schlepptau, immer einen Spruch auf den Lippen, furchtbar.)

Die weiteren Platzierungen haben schon fast zu wenig Stimmen, um aus ihnen noch etwas herauszulesen. Allein dass „Parents“ (Sky 1) so schlecht abgeschnitten hat, finde ich schade — diese Domcom um eine ganze Familie (mit der meistens lustigen Sally Phillips in ihrer ersten Hauptrolle als Mutter), die zu den Großeltern (zurück-) zieht, fand zumindest ich top-lustig.

Ach ja, und: „Life’s Too Short“ (BBC2), Ricky Gervais‘ Zwergensitcom, war natürlich schon 2011 auf dem Abstimmungszettel — und ist da mit 20 Stimmen immerhin auf Platz drei gelandet. Diesmal weit abgeschlagen mit einer einzigen Stimme — wie kommt sowas? Weil sich alle anderen erinnert haben, dass die schon 2011 angelaufen ist? Kann ich mir fast nicht vorstellen. Allenfalls, dass sie eben schon vor einem ganzen Jahr ausgestrahlt wurde und deswegen praktisch schon vergessen ist. Auch kein gutes Zeichen.

Jahresendabstimmung

3. Dezember 2012 9 Kommentare

Gleich 24 25 Britcoms stehen dieses Jahr zur Auswahl bei der Jahresendabstimmung: Rekord! (Auch wenn diese Abstimmung erst zwei Mal stattgefunden hat…) Auch dieses Jahr sind mir bestimmt einzelne Serien entgangen, dann bitte ich um Hinweis, dafür habe ich etwa „A Touch of Cloth“ aufgenommen, obwohl das mit zwei Teilen á 45 Minuten nicht wirklich eine Sitcom ist. Gleiches gilt für „Dirk Gently“, das ebenfalls nicht als lupenreine Sitcom gezählt werden kann. Was soll’s. Sketch-Shows und ComedyDramas allerdings fehlen sonst; ähm, na ja, wenn man von „Fresh Meat“ absieht, das angeblich ein ComedyDrama ist, in Wirklichkeit aber eine Sitcom mit etwas längeren Folgen als üblich.

Nun denn: Abermals hat jeder drei Stimmen, die gleich gewichtet werden, und abermals bin ich gespannt, welche Show das Rennen machen wird.

UPDATE (9.12., 16.45 Uhr) Öhm… ich hätte es rechnerisch merken können, dass bei über 100 Leuten, die abgestimmt haben, insgesamt ca. 300 Stimmen gezählt hätten werden müssen statt nur etwa 160, weil ja jeder angeblich, wie ich schrieb, drei Stimmen hatte. Hatte er aber nicht, weil nach der letzten Poll-Änderung (der Aufnahme von „Grandma’s House“) sich die maximale Anzahl erlaubter Stimmen wieder auf die standardmäßge 1 zurückgesetzt hat. Ist aber offenbar niemandem aufgefallen, bzw. niemand wollte darauf hinweisen. Jetzt steht sie wirklich bei drei, aber jetzt ist die Woche auch bald rum…

Beste Britcom 2012

  • Moone Boy (18%, 51 Votes)
  • The Thick of It (Series 4) (12%, 33 Votes)
  • Episodes (Series 2) (11%, 32 Votes)
  • Peep Show (Series 8) (9%, 26 Votes)
  • Dirk Gently (8%, 21 Votes)
  • Fresh Meat (Series 2) (6%, 16 Votes)
  • Cuckoo (5%, 14 Votes)
  • Friday Night Dinner (Series 2) (5%, 13 Votes)
  • Spy (Series 2) (4%, 12 Votes)
  • Parents (3%, 9 Votes)
  • Grandma's House (3%, 9 Votes)
  • Bad Education (3%, 7 Votes)
  • Getting On (Series 3) (2%, 6 Votes)
  • Twenty Twelve (Series 2) (2%, 5 Votes)
  • A Touch Of Cloth (2%, 5 Votes)
  • Him & Her (Series 3) (1%, 4 Votes)
  • Me & Mrs Jones (1%, 3 Votes)
  • Citizen Khan (1%, 3 Votes)
  • Hunderby (1%, 3 Votes)
  • Pramface (1%, 3 Votes)
  • Life's Too Short (1%, 3 Votes)
  • Gates (1%, 2 Votes)
  • Hebburn (0%, 0 Votes)
  • Walking And Talking (0%, 0 Votes)
  • Some Girls (0%, 0 Votes)

Total Voters: 173

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Familienpest

28. November 2012 Keine Kommentare

Hier das Humorkritik-Spezial aus der aktuellen Titanic mit allen Kaufempfehlungen für’s Weihnachtsfest. Von einer mal abgesehen: Ich würde außer den Sitcoms natürlich jederzeit und dringlichst zu Stewart Lees neuer Stand Up-DVD „Carpet Remnant World“ raten. Ich habe das Programm im Januar in London gesehen, und es ist wieder mal sehr gut — sollte mich wundern, wenn die DVD schlechter wäre.

Es ist trüb und kalt geworden draußen vor der Tür, und das ist nicht nur der wirtschaftlichen Gesamtlage geschuldet, aber auch. Und so wie in Großbritannien das Wetter traditionell noch ein bißchen schlechter ist als hierzulande, so verhält es sich auch mit der Konjunktur: Sie ist auch auf der lustigen Insel nur noch mit viel Alkohol und einer stiff upper lip zu ertragen. Was sich durchaus in der Comedyproduktion niederschlägt.

Tatsächlich haben etliche britische Sitcoms des vergangenen Jahres die Wirtschaftskrise direkt oder indirekt thematisiert: in „The Café“ (Sky1) etwa arbeiten Großmutter, Mutter und Tochter in ihrem kleinen Promenaden-Kaffeehaus am Strand von Weston-super-Mare — bzw. arbeiten eben die meiste Zeit eher nicht, weil kaum noch Gäste kommen. Die jüngste Tochter des Café-Klans ist gerade aus London in ihre kleinstädtische Heimat zurückgekehrt, weil es als Kinderbuchautorin doch nicht geklappt hat, und genau dieses Motiv (hier bearbeitet von Craig Cash und Ralf Little, die schon mit „Royle Family“ Maßstäbe gesetzt haben) findet sich dieses Jahr in verblüffend vielen Sitcoms: die Rückkehr der Boomerang-Generation in ihr Elternhaus.

In „Parents“ (Sky1) ist es eine ganze Familie, nämlich Jenny (Sally Phillips), Nick und ihre Teenager-Kinder, die bei den Großeltern einziehen (müssen), nachdem sie ihren Job verloren hat und seine Geschäftsidee (ein Energydrink für Topmanager) nicht so richtig funktioniert, und in „Cuckoo“ (BBC3) ist es die gerade volljährige Tochter, die nach einem Gap Year aus Thailand zurückkommt — und ihren frisch angetrauten us-amerikanischen Hippiegatten Cuckoo (Andy Samberg, in den USA ein „Saturday Night Live“-Star) gleich mit einziehen lässt.

Der „IT Crowd“-Veteran Chris O’Dowd schließlich verlegt die Krise in seiner ersten eigenen Sitcom gleich dahin, wo sie historisch vertraut ist: ins Irland der späten Achtzigerjahre, wo der „Moone Boy“ (Sky1) Martin, 11, seine Kindheit mit zahllosen Geschwistern verbringt – und mit seinem unsichtbaren Freund (O’Dowd). Der gibt nicht immer kluge Ratschläge, steht Martin aber jederzeit für lange Gespräche zur Verfügung, ganz wie Martins gleichalten Nachbarskindern deren unsichtbare Freunde (u.a. Johnny Vegas als Wrestler). Eine brillante Idee, schön umgesetzt von O’Dowd als Autor, der eigenen Angaben zufolge etliche autobiographische Details verarbeitet hat, und Regisseur Declan Lowney, der mit „Father Ted“ (Channel 4, 1995 – ’98) schon eine unsterbliche irisch-britische Sitcom in seinem Lebenslauf stehen hat. „Moone Boy“, mitproduziert von Steve Coogans Firma Baby Cow (Coogan hat auch einen Gastauftritt) ist herzlich warm und trotzdem höchst komisch — und hat in diesem Text die dringlichste Kaufempfehlung.

Fällt Ihnen eigentlich etwas auf? In der Tat: drei von vier Top-Sitcoms des Jahres 2012 stammen nicht von der BBC, sondern von Sky1. Tatsächlich mausert sich Rupert Murdochs Bezahlkanal in Großbritannien gerade zum Comedylieferant Nummer eins. Das dürfte vor allem auf Lucy Lumsden zurückzuführen sein, die den bis dahin praktisch gesichtslosen Sender als Head of Comedy direkt an die Spitze katapultiert hat. Lumsden war über zehn Jahre Programmchefin der BBC-Comedy, und sie hat es geschafft, überraschend viele überraschend prominente Comedians mitzunehmen, obwohl sie bei diesem bislang doch eher unsympathischen Sender nur noch von einer eingeschränkten Öffentlichkeit wahrgenommen werden.

Zu diesen Stars gehört auch Ruth Jones, Nebendarstellerin und Coautorin der BBC3-Erfolgssitcom „Gavin & Stacey“ (2007 – ’10). Jones hat mit „Stella“ (Sky1) das wohl beste ComedyDrama des Jahres lanciert: eine abermals von Wirschaftsdepressionen und Familienglück geprägte walisische Serie rund um eine alleinerziehende Mutter (Jones), deren Sohn (zu Beginn der Serie) im Gefängnis sitzt, deren Ex sich eine superprollige neue Flamme angelacht hat und deren beste Freundin und Schwägerin, Bestattungsunternehmerin Paula, stets ihre Blutalkoholwerte messen muß, bevor sie sich hinter das Steuer ihres Leichenwagens setzen kann. Wie „The Café“ und „Moone Boy“ zeichnet auch „Stella“ der realistische Stil und die genaue Charakterzeichnung aus; wie alle genannten Serien ist auch diese (für ComedyDramas ist das ohnehin die Regel) mit nur einer Kamera und ohne Livepublikum (also ohne Lacher) gedreht.

Daß kaum noch altmodische Multikamera-Sitcoms gedreht werden, ist fast ein bißchen schade: bei „Me And Mrs Jones“ (BBC1) hätten die Produzenten sonst vielleicht gleich gemerkt, daß die Gags längst nicht so gut sind, wie die Autoren vielleicht dachten. Diese britische Cougar-Variation spielt abermals mit einem Generationenkonflikt: die eigentlich fantastische Sarah Alexander („Coupling“, „Green Wing“) als alleinerziehende Mutter (ja, noch eine alleinerziehende Mutter) und der beste Freund ihres zwanzigjährigen Sohnes, Billy (der ebenso brillante Robert Sheehan, „Misfits“), machen das Leben vieler Menschen unnötig kompliziert, weil sie sich zueinander hingezogen fühlen. Tatsächlich aber glaubt man als Zuschauer keine Sekunde an diese Konstellation, schon weil Alexander tatsächlich alt genug sein könnte, um einen Sohn von 20 Jahren zu haben, aber viel jünger aussieht. Und so gibt es zwar einige hübsche Pointen (daß an der Schule etwa von einem alleinerziehenden Mann als „DILF“ die Rede ist), aber die Figurenzeichnung ist doch eher schwach. Und das, obwohl Autorinnen wie Produzentinnen (ja, eine rein weibliche Serie) es von „Smack The Pony“ und „Green Wing“ her noch besser wissen und können müßten.

Besser wissen und können müßte es auch Ricky Gervais: dessen Zwergen-Sitcom „Life’s Too Short“ (BBC2) mit Warwick Davis bemüht nicht nur abermals den mittlerweile wirklich antiquierten Mockumentary-Stil, sondern auch all die alten Peinlichkeits-Witze, die zwar hin und wieder noch funktionieren, meistens aber genauso flach fallen wie der kleinwüchsige Davis, wenn er aus seinem SUV steigt.

Wenn schon vorlaute Zwerge, dann doch bitte wie in „Spy“ (abermals Sky1), einer eher schnellen und schön bunten Agenten-Sitcom, in der Tim (Darren Boyd) wie die Jungfrau zum Kind plötzlich zu einem Job als Spion kommt, was er seinem äußerst dominanten zehnjährigen Sohn aber genausowenig anvertrauen kann wie seiner Ex. In der Folge darf Boyd seine bewährte John-Cleese-Komik mit viel unterdrückter Wut und Verblüffung spielen, die schon „Whites“ und „Green Wing“ sehr unterhaltsam gemacht hat, wenn er sich, seinem schwachen Charakter folgend, immer wieder der Autorität seines Bankerts unterwerfen muß. Darren Boyd ist es auch, der zusammen mit Stephen Mangan „Dirk Gently“ (BBC4) vor dem Totalreinfall bewahrt hat, obwohl aus der Douglas-Adams-Adaption von Howard Overman („Misfits“) doch etwas mehr zu machen gewesen wäre. Genau wie aus „A Touch of Cloth“ (ja doch, schon wieder Sky1), dem Versuch von Charlie Brooker, eine Art „Nackte Kanone“ auf britisch zu machen: diese zweiteilige Parodie auf praktisch alle englischen Krimiserien darf als zwar ambitioniert und streckenweise sogar recht lustig gelten, hat aber keinen so bleibenden Eindruck auf mich hinterlassen, daß ich sie zur Einkaufspriorität erklären würde. Ebensowenig wie Brookers zweite Serie des Jahres, „Black Mirror“ (Channel 4), die in drei Folgen (von je anderen Autoren) mediale Dystopien entwirft, finstere Science-Fiction-Medienkritik, die für Fans von Brookers bösem Humor womöglich taugen, aber eher nicht mehrheitsfähig sind.

Da würde ich doch all die Serien vorziehen, die in diesem Jahr eine schöne zweite, dritte oder vierte Staffel auf den Schirm gebracht haben: die zweite Season der Olympia-Sitcom „Twenty Twelve“ (BBC2/BBC4), der Puppen-Comedy „Mongrels“ (BBC3), der Sitcomautorensitcom „Episodes“ (BBC2/Showtime) oder die Specials des Uralt-Klassikers „Absolutely Fabulous“ (BBC1), „Ab Fab At 20“, die dieses Jahr gezeigt haben, dass das Comedykonzept von Jennifer Saunders auch zwanzig Jahre nach der ersten Folge noch tadellos funktioniert. Fast so alt ist die Figur des Alan Partridge (Steve Coogan), und auch seine neue Miniserie „Alan Partridge: Midmorning Matters“ (Sky Atlantic) macht Spaß und läßt darauf hoffen, daß der lange angekündigte Partridge-Kinofilm im nächsten Jahr endlich Formen annimmt. In diesem Sinne: Happy New Year!

Parasitecom

10. September 2012 1 Kommentar

„Boomerang Generation“ wird sie im angelsächsischen Raum mittlerweile genannt: die Kohorte der Krisenverlierer, die zwar längst erwachsen ist, nun aber vor den Trümmern ihrer Existenz steht und deshalb wieder bei ihren Eltern einzieht, sprich: wieder dort landet, von wo sie dereinst ins Leben gestartet ist. Die Eltern wiederum, die sich schon auf ein leeres Nest eingerichtet hatte, stehen plötzlich vor einem „crowded nest“, in dem wie in früheren Zeiten drei Generationen unter einem Dach leben. 500.000 Haushalte sind in Großbritannien von diesem Phänomen schon betroffen, Tendenz selbstverständlich steigend.

Kein Wunder, dass die Comedy dieses Thema zunehmend für sich entdeckt: Die Konflikte, die entstehen, wenn 40jährige plötzlich wieder in ihrem Kinderzimmer wohnen, sind ja offensichtlich komikträchtig. Und die Familie war immer der Ort der Sitcom („Domcom“) schlechthin, schließlich lassen sich auch die meisten Sitcoms, die am Arbeitsplatz spielen, im Grunde auf familiäre Strukturen zurückführen.

Nun gibt es schon die dritte Sitcom, die den Plot des Wiederzuhauseeinziehens aufgreift; die ersten beiden waren das weitgehend unbeachtet gebliebene „Home Time“ (BBC2, 2009), in dem eine Dreißigjährige (Emma Fryer) zwölf Jahre nach ihrem überstürzten Auszug wieder bei ihren Eltern aufschlägt, die zweite war Simon Amstells „Grandma’s House“ (BBC2, 2010 – ’12). Die hatte den zusätzlichen Clou, dass Simon Amstell sich darin quasi selbst spielte: den jungen Comedian und Panel-Show-Host, der sich mit derben Scherzen auf Kosten seiner Gäste unbeliebt gemacht und dann von der Mattscheibe vorübergehend verabschiedet hat, um wieder bei Großmama einzuziehen (und dort, Amstell ist offen schwul, sechzehnjährige Jungs in seinem Kinderzimmer zu empfangen und zu hoffen, dass die Familie das nicht spitzkriegt). Parasitecom hat der Independent dieses neue Subgenre der Sitcom getauft.

„Parents“ (Sky1, 2012) will keinen Zuschauer im Unklaren lassen über die Vorgeschichte der Serie. Darum wird die Backstory in jedem Vorspann rekapituliert: Wie Jenny Pope (Sally Phillips) von zuhause aus- und nach London zieht, einen Bürojob findet, heiratet und zwei Kinder hat, die gerade Teenager sind, als Sally gefeuert wird. Daraufhin verlieren sie das Haus an die Bank und gehen zurück in die Provinz — wo sie zu Beginn von „Parents“ dementsprechend zu sechst in dem eher kleinen Häuschen ihrer Eltern einziehen und fortan miteinander auskommen müssen.

Das fällt nicht immer leicht. Am leichtesten noch Sallys Mutter Alma (Susie Blake), die sich für ihre Tochter ohnehin ein Leben am Herd vorgestellt hat und nur wenig überrascht scheint, dass aus Sallys Karriere nichts geworden ist. Ihr Vater Len (Tom Conti, „The Dark Knight Rises“) hat da schon mehr zu knabbern, vor allem an Nick (Darren Strange, „The Armando Iannucci Shows“), dem nichtsnutzigen, aber stets optimistischen Ehemann von Sally, der mit seinem Startup gescheitert ist — offenbar ist es gar nicht so einfach, einen Energydrink für Topmanager („X-celsior“) zu entwickeln. Und dann ist da noch Sallys Schwester (Daisy Haggard, „Episodes“), die sich ihren Erfolg im Leben stets anmerken lässt.

„Parents“ ist in jeder Hinsicht eine Familiensitcom: durchaus an den Mainstream gerichtet, nicht die Neuerfindung der Comedy, dafür aber mehrheitsfähig und liebenswürdig. Letzteres ist vor allem Sally Phillips zu verdanken, die hier in ihrer ersten Hauptrolle zu sehen ist. Britcom-Fans aber ist sie keineswegs unbekannt: Seit „I’m Alan Partridge“ (BBC2, 1997 – 2002), wo sie als giggelnde Hotel-Rezeptionistin zu sehen war, und „Hippies“ (BBC2, 1999) gehört sie zu den besseren Nebendarstellern, und neben Doon Mackichan und Fiona Allen machte sie sich bei der ersten komplett weiblichen Sketch-Comedy „Smack the Pony“ (Channel 4, 1999 – 2003) auch noch einen Namen als Mit-Autorin.

Hier war sie am Drehbuch zwar nicht beteiligt (das stammt von Lloyd Woolf und Joe Tucker), aber ihre Fähigkeit, in Sekundenbruchteilen von grundsympathisch auf superbiestig umschalten zu können, verleiht ihrer Figur Tiefe, die den anderen Charakteren hin und wieder ein bisschen abgeht. Vor allem die Kinder Becky und Sam Pope (Jadie Rose Hobson und Christian Lees) sind ein wenig zu zweidimensional.

Wenn man der Serie überhaupt einen Vorwurf machen wollte, dann wäre es vielleicht der, dass das Buch sich ein wenig zu sehr auf die Gags verlässt, statt den Figuren Tiefe zu geben. Vom selbsterklärten Vorbild „Modern Family“ jedenfalls ist „Parents“ weit entfernt. Das macht aber nichts — dafür ist bei „Parents“ die Underdog-Perspektive viel sympathischer. Und es hatte offenbar jemand ein Händchen für die Musikauswahl. Die nämlich ist, von The Cure bis Badly Drawn Boy, durch die Bank gelungen.

Sky wird „Parents“ hoffentlich eine zweite Staffel geben; daran zweifle ich aber nicht, schließlich hat Rupert Murdochs Bezahlfernsehen zumindest in den letzten zwölf Monaten schon zu viel Geld in gute Comedy gesteckt: von „The Cafe“ bis „Stella“ hatte Sky in letzter Zeit die wesentlich besseren Sitcoms und ComedyDramas als die BBC.