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Artikel Tagged ‘Ricky Gervais’

Die allertraurigste Show der Woche

13. April 2012 2 Kommentare

Hätte ich mir den Superlativ im letzten Eintrag doch gespart! Dann müsste ich ihn jetzt nicht noch überbieten. Denn das Prädikat „traurig“ gebührt ohne Zweifel „Derek“ (Channel 4), der Pilot-/One-Off-Folge von Ricky Gervais‘ jüngster Show rund um ein geistig zurückgebliebenes Faktotum in einem Altersheim. „Traurig“ in mehr als einer Hinsicht.
https://www.youtube.com/watch?v=iVBaZA1Jnkg?version=3&hl=de_DE

Traurig, in erster Linie, weil es nichts zu lachen gibt. Nennt mich altmodisch, aber ich mag Comedy, die mich zum Lachen bringt. Bei „Derek“ musste ich nach handgestoppten 14 Minuten (von 25) zum ersten Mal leise kichern, und danach kam nur noch ein einziger Lacher. Und nein, das war nicht der Moment, als Derek in den Brunnen gefallen ist. Vermutlich hat Gervais „Derek“ deswegen vorsorglich als Comedy-Drama deklariert, weil es schlicht fast keine Comedy gibt. Das Format (die schon erwähnten 25 Minuten) weist die Show aber im Grunde als Sitcom aus (ich kenne kein englisches Comedy-Drama, das so kurze Episoden hätte).

Als solche funktioniert „Derek“ nicht. James Carey fasst in seinem Blog Sitcom Geek sehr gut zusammen, was aus humorkritischer Perspektive nicht funktioniert: eine Sitcom benötigt eine Hauptfigur, die a) ein Ziel hat, eine Mission, mit einem Wort: die Âventiure, die seit dem Mittelalter jeden Ritter hat in die Welt ziehen lassen, um sich Bewährungsproben zu suchen. Dereks Wunschziel bleibt äußerst unklar. Comedy braucht aber auch b) Hindernisse, die aus dem Charakter selbst entstehen, aus seiner Eitelkeit, seiner Misanthropie, egal — er muss sich aber selbst im Weg stehen. Er braucht ein Handicap.

Genau hier stoßen wir an das Problem der Show, denn Derek hat ein Handicap, er ist aber nicht selbst schuld daran: Derek ist — sei es nun eine tatsächliche Behinderung, sei es nur ein extrem unterdurchschnittlicher Intelligenzquotient — beschränkt. Da hat „der Spaß ein Loch“, wie Murmel zu sagen pflegt. Denn wenn Derek nun über etwas stolpert, wörtlich und im übertragenen Sinne, hat das praktisch keine Fallhöhe. Er fällt nicht von einem hohen Ross; er ist von Anfang an schon ganz unten.

Es ist also schwierig, mit einer solchen Hauptfigur in einem solchen Setting komische Geschichten zu erzählen. Folglich hängen die wenigen genuin komischen Momente an den Nebenfiguren: Karl Pilkington als seniorenverachtender Altenpfleger Dougie etwa, der es durchaus verdient, wenn ihm etwas schlechtes widerfährt, oder die sympathische Pflegerin Hannah (Kerry Godliman), die von Derek in eine peinlich-amüsante Situation gebracht wird, als er ihr eigentlich nur helfen möchte. Die Komik, die da evoziert wird, ist aber allenfalls naiv und sentimental-rührend (beim erwähnten einzigen lauten Lacher ist Derek gar nicht beteiligt). Wer das mag, ist mit „Derek“ vielleicht ganz gut bedient.

Aber ich habe neben der fehlenden Fallhöhe (und dem abgedroschenen Mockumentary-Format) noch ein anderes Problem: Ich empfinde leider keine Sympathie mehr für Ricky Gervais. Ich kann nicht darüber hinwegsehen, dass die Figur des Derek vom Macher von „Life’s Too Short“ gespielt wird, der damals schon „keine Witze über Zwerge“ versprochen hat und dann doch nur Slapstick um einen Zwerg lieferte, der im Klo stecken bleibt. Gervais ist in meinen Augen hauptsächlich ein Agent Provocateur, der genau um die Wirkung weiß, wenn er sich die Haare in die Stirn kämmt, den Unterkiefer vorschiebt, mit einem „Glöckner von Notre Dame“-Gang geht und überhaupt einen Behinderten spielt. Ich kann von Anfang an nicht anders als denken: hier wird um der Provokation willen provoziert.

Eine interessante, erzählenswerte Geschichte konnte ich in „Derek“ jedenfalls nicht finden (eine erkennbare Handlung gab es überhaupt erst in den letzten zehn Minuten), und eine komische schon gar nicht. „Derek“ war für mich zwei Drittel Langeweile und ein Drittel Widerwillen, und ich wäre froh, wenn ich mich nicht durch weitere fünf Folgen „Derek“ quälen müsste.

Gervais: Doch nicht der Mongo, der man dachte?

29. März 2012 3 Kommentare

Nach einem Screening von Ricky Gervais‘ Piloten „Derek“ (Channel 4, 12. April) sieht es nach einer überraschenden Wendung in der Meinung der Kritiker aus: Offenbar ist die Show rund um einen geistig Zurückgebliebenen/Behinderten, der in einem Altenheim arbeitet, doch nicht so offen beileidigend, wie man nach „Life’s Too Short“ (BBC2, 2011) annehmen konnte.

Tatsächlich sind sich die Online-Medien relativ einig: „Derek“ ist eine eher warme, freundliche Show, die keine Scherze auf Kosten ihrer Hauptfigur macht, bzw. jedenfalls nicht nur:

The cleverest part of the comedy is the thinly-veiled double entendre; on one hand, you might find cheap laughs in a mentally challenged man falling into a pond, but on the other hand you might find more rewarding comedy concealed in Derek’s interpretations of the world that surrounds him. Either way, it doesn’t take long before all threat is dispersed and you’ve established a tenable connection to Derek.

berichtet Heatworld, und der Digital Spy erwähnt „emotionale Momente, die unweigerlich kommen (es ist schließlich eine Ricky-Gervais-Show)“ und die Gervais‘ Potential als ernsthafter Schauspieler zum Vorschein brächten — Momente, in denen man mit der Hauptfigur aus tiefstem Herzen mitfühlt, was abermals ein großer Unterschied zu „Life’s Too Short“ oder Karl Pilkington in „An Idiot Abroad“ (Sky 1, seit 2010) wäre.

Apropos Pilkington: der spielt auch mit, allerdings quasi sich selbst. Überhaupt scheint von Anfang an in jedem Moment klar zu sein, dass wir es mit einer Show von Ricky Gervais zu tun haben: Es ist, logo, abermals ein Mockumentary-Format, allerdings ohne dass je erklärt würde, warum ein Kamerateam das Leben und Wirken Dereks in einem Seniorenheim dokumentieren sollte. So bleiben die Vergleiche mit „The Office“ und „Extras“ auch in der RadioTimes-Kritik nicht aus, aber: es sind Vergleiche mit den positiven Aspekten aus Gervais Vorgängerwerken. „Derek“ sei

a sensitive comedy drama that recalls the sudden cries from the heart we saw at the end of Extras and, particularly, The Office. Almost all those preconceptions are wrong. Almost all of them. Gervais is trying, if not to atone, then to progress — but he’s not been bold enough. Smears of old paint spoil the canvas.

Das alles klingt sehr nach einer der besseren Ideen von Gervais. Womöglich ist es sogar bedauerlich, dass Channel 4 keine ganze Staffel „Derek“ bestellt hat. Chortle jedenfalls schließt mit der Bemerkung, Gervais käme hier wesentlich „aufrichtiger“ rüber, viel weniger frivol als in anderen Shows, und das will ich mir gerne ansehen.

***

UPDATE: Ricky Gervais äußert sich nun selbst zu „Derek“:

He’s lovely and kind. Whatever he thinks and does is the nice way to go. He knows what he likes and does everything with passion and honesty.

I’ve never thought of him as disabled. He’s not that bright but neither are Kev [David Earl’s character] or Karl. He’s cleverer than Baldrick and Father Dougal and he certainly hasn’t got as big a problem as Mr Bean. When portraying someone with disabilities I usually get someone with that disability to play them.

People assume my work is cynical and outrageous and it’s never been. I’ve always liked realism. There’s nothing better than real life. I like getting close to real emotions. It’s just that people don’t quite expect it if they’ve been having a laugh.

Der vollständige Text findet sich bei Chortle, wo auch berichtet wird, über eine volle Staffel sei bei Channel 4 noch gar nicht entschieden worden.

Keine BehindiCom von Ricky Gervais

Channel 4 wird „Derek“, Ricky Gervais‘ nächster Sitcom-Idee rund um einen geistig Behinderten, doch keine volle Serie geben; der schon abgedrehte Pilot wird als „One-off“ am 27. März gezeigt werden. Das berichtet Dan’s Media Digest.

Keine große Überraschung, dass die Sender etwas vorsichtiger geworden sind: Nicht nur ist gerade die US-Ausstrahlung von „Life’s Too Short“ (BBC2, 2011) wie schon die in England von schlechten Kritiken gesäumt, sondern Gervais auch für die unreflektierte Verwendung des Wortes „Mong“, sprich: Mongo, in Großbritannien im Herbst letzten Jahres abgewatscht worden. Womöglich wird sogar die BBC die schon zugesagte zweite Staffel „Life’s Too Short“ gar nicht erst produzieren. Kein gutes Jahr für Gervais bislang.

Noch eine Behindi-Sitcom von Ricky Gervais?! Life’s too short!

26. November 2011 5 Kommentare

Ricky Gervais arbeitet an einer neuen Sitcom, die auf einem Sketch aus der Prä-„The Office“-Zeit beruht: „Derek“, nach dem von Gervais gespielten, geistig behinderten Charakter Derek Noakes. Hier ist ein Clip:

leider offline

Derek wird, zusammen mit einem älteren Partner (gespielt womöglich von Sean Connery), in einem Altenheim leben; ein Pilot wird gerade in London gedreht. Gerüchten zufolge soll die Serie, so sie denn kommissioniert wird, auf Channel 4 laufen.

Persönlich könnte ich sehr gut auf eine weitere Behindi-Sitcom von Ricky Gervais verzichten, ist doch nach der dritten Folge „Life’s Too Short“ (BBC2) mittlerweile klar, daß diese Serie einer der größeren Sitcom-Reinfälle des Jahres ist. Die dritte Folge (mit einer vollkommen unlustigen Helena Bonham-Carter als Gaststar) lebte praktisch nur noch von sehr erwartbaren Zwergenwitzen, die sich bisweilen eher nach einer Parodie auf Gervais-Sitcoms anfühlten als nach genuinen Gervais-Scherzen. Spätestens nach der Szene, als Warwick Davis einen Schüler vor der ganzen Klasse zusammenstauchen will, weil der ihn im Internet beschimpft hat, und sich prompt rausstellt, daß dieser Schüler selbst schwerstbehindert ist, war bei mir alle Bereitschaft erloschen, mich nochmal auf diese Form von Grausamkeitshumor einzulassen. Es hätte also gar nicht der Bloßstellung eines anderen Kleinwüchsigen bedurft, dessen darstellerische Unfähigkeit aufs Korn genommen wurde, obwohl bzw. gerade weil sie erkennbar echt war. Genau diesen Kleinwüchsigen dann dazu zu bringen, vor der Kamera die Hosen runterzulassen und über seinen eigenen Schniedel zu kotzen, ähm, nun ja — nicht meine Tasse Tee.

Die Zuschauerzahlen, mittlerweile sehen nur noch halb so viele zu wie bei der ersten Folge, sprechen da schon eine recht deutliche Sprache; möglicherweise auch deshalb will Gervais so schnell wie möglich sein nächstes Projekt eintüten. Aber jetzt kommen ja erst mal die Golden Globes, und damit wieder jede Menge Witze, die Amerikaner vermutlich abermals als „böse“ und „schwarz“ empfinden werden, nicht aber Engländer, und ich auch nicht.

Er tut’s schon wieder

17. November 2011 4 Kommentare

Obwohl er nach der letztjährigen Aufregung um Mel-Gibson-Scherze und Robert-Downey-Jr-Gags eigentlich die Golden Globes nicht mehr moderieren wollte, tut er es nun doch wieder: Ricky Gervais will be back, und „it’s gonna be biblical“ (so Gervais via Twitter).

Ob es wirklich so biblisch wird, wenn der Tag der offenen Tür in der Gervais’schen Skandalnudelfabrik zur alljährlichen Institution wird: Hmja, schaumermal. Ich wette, da werden wieder jede Menge Grenzen der Satire überschritten.

Die Golden Globes werden am 15. Januar verliehen.

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Eine Sitcom von Ricky Gervais ist eine Sitcom von Ricky Gervais ist eine…

11. November 2011 2 Kommentare

Die Sitcoms von Ricky Gervais, seine Gastauftritte bei „Curb Your Enthusiasm“ und den „Simpsons“, für die er auch eine ganze Folge geschrieben hat, sein gesamtes Oeuvre ist motivisch und stilistisch verbunden: Man kennt sein Faible für einen realistischen Ansatz, sei es der einer penibel durchgeschriebenen Mockumentary („Office“) oder eher improvisiert („Curb“). Man weiß um seine phantastischen Connections zur A-List-Prominenz aus Film und Musik, die gerne ihrerseits Gastauftritte in seinen Produktionen absolviert. Und man kennt seine Charaktere, deren soziale Auffälligkeiten bei gleichzeitigem Unvermögen entweder bedeuten, daß sie gedemütigt werden oder andere demütigen. Dieses Bullying kann, wie im Falle Karl Pilkingtons und der „Ricky Gervais Show“ bzw. „An Idiot Abroad“, manchmal auch ein bißchen ermüden.

Tut Gervais also das Erwartbare bei seiner neuen Sitcom „Life’s Too Short“ (BBC2, seit gestern)?

Ja, das tut. O Mann, und wie er das tut.

*Spoiler ahead!*

Zu Beginn der ersten Folge treffen wir auf einen überraschend seriösen Geschäftsmann: Warwick Davis wird, mit seinem eigenen Kommentar aus dem Off, als Schauspieler und Schauspieler-Agent für Kleinwüchsige präsentiert, der mit seiner gut (aber nicht phantastisch) aussehenden Frau in einem repräsentablen Haus wohnt, einen Geländewagen fährt, stets im Anzug zu sehen ist und seine Erfolge von gestern stolz präsentiert, als er als Ewok in den „Star Wars“-Filmen zu sehen war und schon in Hollywood angekommen schien. Recht schnell blicken wir aber hinter die Fassade: Von seiner Frau hat er sich gerade getrennt und sollte eigentlich schon aus dem Haus ausgezogen sein; die von ihm vermittelten Schauspieler sind keine wirklichen Größen (haha!), und George Lucas hat schon sehr, sehr lange nicht mehr angerufen.

Als Davis dann Stephen Merchant und Gervais in deren Büro aufsucht (wo Merchant und Gervais albernerweise wie bei Pilkingtons Reiseserie an einem Schreibtisch nebeneinander sitzen), kommt die erste ungemütliche Szene: Die beiden haben keine Arbeit für ihn, wollen ihn eigentlich nur möglichst schnell wieder loswerden — woran Davis allerdings schon gewöhnt zu sein scheint.

Davis nächster Gang führt ihn zu seinem vollkommen vertrottelten Buchhalter, der ihm offenbart, das Finanzamt erwarte eine Nachzahlung von 250 000 Pfund — er habe mal nachgerechnet und sei aber nur auf anfallende Steuern in Höhe von 50 000 Pfund gekommen. Dann habe er mit dem Finanzamt verhandelt. — Und? — Sie wollen 250 000 Pfund.

Zuguterletzt treffen in der mit Abstand komischsten Szene der ersten Folge, abermals bei Merchant und Gervais im Büro, alle drei auf Liam Neeson, der mit seinem „Schindlers Liste“-Gesicht erzählt, er wolle ins Comedy-Fach wechseln. Er besteht darauf, sofort eine Impro-Nummer mit Gervais zu spielen, und ruiniert diese vollkommen — und höchst unterhaltsam.

*Spoiler Ende*

Man kann in Davis Spiel unschwer die Manierismen Gervais‘ erkennen: Seinen Sprachduktus, seine Art, mit der Präsenz der Kamera umzugehen. Und man kann in vielen Szenen, wie ich das oben ja schon getan habe, die Zutaten deutlich rausschmecken, die Gervais auch bei seinen früheren Werken schon eingesetzt hat: die Kamera aus „The Office“, die Stars aus „Extras“ (in der nächsten Folge wird Sting dabei sein), das Bullying aus „An Idiot Abroad“.

Aber ist das wirklich kritikabel? Wenn die Geschichten gut sind, warum nicht auf bewährte Mittel setzen? Wer eine Sitcom von Ricky Gervais sehen möchte: Der kriegt eine Sitcom von Gervais, nichts anderes.

Ob die Geschichten gut genug sind, ist eine andere Frage. Die zu beantworten aber noch zu früh ist: Wir haben ja gerade einmal die Vorstellung der Figuren gesehen und wie die Fallen aufgestellt werden, in die sie während der nächsten Folgen treten werden. Ob das Zuschnappen dieser Fallen dann überraschend genug ist für einen weiteren Erfolg a lá „Extras“? Schaumermal.